Urteil vom Anwaltsgerichtshof NRW - 2 AGH 2/15
Tenor
1 .
Die Berufung des angeschuldigten Rechtsanwalts gegen das Urteil des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln vom 3. November 2014 (10 EV 228/13) wird als unbegründet verworfen.
2.
Der Rechtsanwalt hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Angewendete Vorschriften: §§ 43, 43a Abs. 3, 113 Abs. 1 BRAO, §197 BRAO
1
G r ü n d e
2I.
3Der angeschuldigte Rechtsanwalt wurde am ##.##.1961 geboren und ist seit dem ##.##.1997 als Rechtsanwalt zugelassen. Er betreibt seine Kanzlei in Sliema (Malta).
4Zu seinen Einkommensverhältnissen ist nichts bekannt.
5Berufsrechtlich ist Rechtsanwalt H bislang nicht in Erscheinung getreten.
6An der Hauptverhandlung vor dem Anwaltsgericht Köln am 3. November 2014 nahm er ebenso wenig wie an der Berufungshauptverhandlung am 4. November 2016 teil.
7II.
81. Sachverhalt
9Rechtsanwalt H vertrat in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach (4 Ca 1291/11) eine auf Malta lebende deutsche
10Staatsangehörige gegen deren früheren Arbeitgeber mit Sitz in N. Nachdem das Arbeitsgericht Mönchengladbach einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hatte, wies auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 7. Februar 2012 zurück.
11Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter X unter anderem aus, es mangele insgesamt an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung, selbst wenn - was das Arbeitsgericht Mönchengladbach in seinem ablehnenden Beschluss angenommen hatte - eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorläge. Insbesondere habe sich die von Rechtsanwalt H vertretene Klägerin ausweislich des Akteninhalts vorgerichtlich nicht gegenüber der beklagten Arbeitgeberin auf etwaige Formmängel der Kündigung berufen. Darüber hinaus mangele es an einem hinreichend substantiierten Vortrag hinsichtlich der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes.
12Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2012 erhob Rechtsanwalt H Gehörsrüge, lehnte den zuständigen Kammervorsitzenden des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf wegen der Besorgnis der Befangenheit ab und erhob zugleich gegen diesen Dienstaufsichtsbeschwerde.
13Im Zusammenhang mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf zu der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes führte Rechtsanwalt H in seinem Schriftsatz am 21. Februar 2012 unter anderem folgendes aus:
14„Weil in dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts die Begründungen zur Notwendigkeit eines Vortrag der Klägerin über das Vorliegen der sie begünstigenden Voraussetzungen Deutschen Kündigungsschutzes entscheidungstragend ist, ist deshalb hier dennoch rein vorsorglich dazu vorzutragen, sowie auch deshalb vorzutragen, weil der Unterzeichner an dieser Stelle begründen kann und will, dass die Klägerin Opfer krimineller, richterlicher Energie geworden ist und die Klägerin deshalb auch Strafantrag wegen Rechtsbeugung stellen sollte."
15Im Weiteren stellte der Angeschuldigte fest:
16„Die kriminelle Krönung seiner Begründung liefert das Landesarbeitsgericht aber mit der Forderung an die Klägerin, dass sie vorgerichtlich sich auf etwaige Formmängeln der Kündigungserklärungsversuche hätte berufen müssen, wenn ihr später für den Rechtsstreit Prozesskostenhilfe bewilligt werden sollte. [...] Statt sogleich Kündigungsschutzklage unter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu erheben, meint das Landesarbeitsgericht nun, dass der Anwalt als erstes für seine Mandantin und zu ihrer finanziellen Last dem Arbeitgeber durch die Geltendmachung etwaiger Fehler einen für ihn unentgeltlichen Rechtsrat zu den bisherigen fehlgeschlagenen Kündigungsversuchen erteilen muss. Das Landesarbeitsgericht setzt also das Vorliegen eines Mandantenverrats voraus, bevor es Prozesskostenhilfe zu bewilligen geneigt ist..."
17Der Schriftsatz endet mit der Feststellung:
18„Fazit ist: wer die Gerichtsakte studiert, kommt nicht um die Feststellung, dass mit Einsatz krimineller Energie die Klägerin durch eine fehlende Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung in Neuss abgehalten werden soll, um damit die Durchsetzung ihres Anspruchs zu verhindern."
19Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat das Verfassen und Einreichen der Schriftsätze nicht in Abrede gestellt.
202. Verfahren
21Das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln (Urteil vom
223. November 2014 - 10 EV 228/13) hat den angeschuldigten Rechtsanwalt einer Pflichtverletzung nach §§ 43, 43a Abs 1 [gemeint ist offensichtlich § 43a Abs. 3], 113 BRAO, CCBE 4.3 schuldig gesprochen und gegen ihn die Maßnahmen des Verweises und einer Geldbuße in Höhe von 1.500,00 € verhängt.
23Dem Rechtsanwalt wurden die Kosten des Verfahrens gemäß § 197 BRAO auferlegt.
24Rechtsanwalt H hat mit Schreiben vom 23. Dezember 2014, das am 23. Dezember 2014 beim Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln eingegangen ist, gegen das Urteil vom 3. November 2014 Berufung eingelegt. Die Berufung wurde mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2014, der am 30. Dezember 2014 beim Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln eingegangen ist, im Einzelnen begründet.
25Mit Schriftsatz vom 15. April 2015 legte Rechtsanwalt H näher dar, dass ein Verstoß gegen § 43a Abs. 1 BRAO nicht vorliege. Es fehle insbesondere am Merkmal des „Verbreitens". Im Übrigen beantragte er, seine „Beteiligung" an der Sitzung am 8. Mai 2015 „mittels audio-visueller Telekommunikation im Skype unter der Skype-Adresse „****" zu gestatten", Zustellungen an seine Fernmeldenummer ##### in Malta durchzuführen sowie ihm das Protokoll der „mündlichen Verhandlung" vom 3. November 2014 zu übermitteln.
26Mit Schreiben vom 5. Mai 2015 wies das Gericht darauf hin, dass die Teilnahme an der Hauptverhandlung mittels audio-visueller Telekommunikation in der Verfahrensordnung nicht vorgesehen sei.
27Mit Telefax vom 6. Mai 2016 wurde dem angeschuldigten Rechtsanwalt mitgeteilt, dass der auf den 8. Mai 2015 anberaumte Termin wurde aus dienstlichen Gründen aufgehoben worden sei.
28Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2015 beantragte der angeschuldigte Rechtsanwalt Reisekostenerstattung in Höhe von 1.366,53 Euro, da er bereits vor Eingang der Abladung abgereist sei.
29Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2015 begründete der angeschuldigte Rechtsanwalt seine Auffassung näher, insbesondere hielt er an seiner Auffassung fest, ihm stehe eine Teilnahme an der Berufungsverhandlung durch ein „audio-visuelles Medium" zu (Skype).
30Mit Verfügung vom 21. Mai 2015 wurde neuer Termin auf den 14. August 2015 bestimmt und die Beteiligten geladen.
31Mit Schreiben vom 13. August 2015 legte der angeschuldigte Rechtsanwalt ein in englischer Sprache verfasstes handscnriftliches Schreiben eines Dr. S2, Sliema, vom 10. August 2015 vor, aus dem sich sinngemäß ergibt, dass er wegen Schmerzen in beiden Knien in den nächsten zwei Wochen nicht nach Deutschland reisen kann.
32Mit Verfügung vom 14. August 2015 hat das Gericht den Termin aufgehoben.
33Mit Verfügung vom 15. September 2015 wurde neuer Termin auf den 5. Februar 2016 bestimmt und die Beteiligten geladen. Der angeschuldigte Rechtsanwalt wurde mit Schreiben vom 15. September 2015, das seinem Zustellungsbevollmächtigten am 28. September 2015 zugestellt worden ist, unter Hinweis auf §§ 134, 143 Abs. 4 BRAO, 329 Abs. 1 StPO geladen.
34Am 5. Februar 2016 rief der Vorsitzende des Senates die Sache um 10.10 Uhr auf. Der angeschuldigte Rechtsanwalt war nicht erschienen. Die Sache wurde sodann erneut um 10.20 Uhr und 10.30 Uhr aufgerufen. Es wurde festgestellt, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt immer noch nicht erschienen sei.
35Nach Beratung hat der Senat sodann die Berufung des Angeschuldigten gegen das Urteil der IV. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln vom 3. November 2014 verworfen.
36Nach Verkündung des Urteils und Schluss der Hauptverhandlung wurde dem Senat ein Telefax des angeschuldigten Rechtsanwalts, das am 5. Februar 2016, 7.42 Uhr, bei der Telefaxstelle des Oberlandesgerichts Hamm eingegangen war und mit dem der angeschuldigte Rechtsanwalt sich unter Vorlage eines „Medical Certificate" vom 4. Februar 2016 für sein Ausbleiben in der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2016 entschuldigte, weil er arbeits- und reiseunfähig sei, vorgelegt.
37Noch am gleichen Tage hat der Vorsitzende des 2. Senates des AGH den angeschuldigten Rechtsanwalt über seinen Zustellungsbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt O, angeschrieben und ihm den Sachverhalt mitgeteilt sowie auf die Möglichkeit der Beantragung der Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Zustellung des Urteils nach § 329 Abs. 3 StPO a.F. hingewiesen. Dieses Schreiben ging am 16. Februar 2016 bei dem Zustellungsbevollmächtigten des angeschuldigten Rechtsanwalts ein.
38Das Urteil vom 5. Februar 2016 wurde der Generalstaatsanwaltschaft durch Empfangsbekenntnis am 29. Februar 2016 und dem Zustellungsbevollmächtigten des angeschuldigten Rechtsanwalts mit Postzustellungsurkunde vom 2. März 2016 zugestellt.
39Mit Schriftsatz vom 9. März 2016, der am gleichen Tage beim Anwaltsgerichtshof eingegangen ist, hat der angeschuldigte Rechtsanwalt Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben und beantragt, die Revision zuzulassen. Darüber hinaus beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und stellte diverse
40Feststellungsanträge zu abstrakten Rechtsfragen. Diese Anträge wurden in der Berufungshauptverhandlung allerdings nicht mehr gestellt.
41Hinsichtlich der Nichtzulassung der Revision vertritt der angeschuldigte Rechtsanwalt die Auffassung, diese verletze die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 47 Abs. 1 GRC (Europäische Grundrechtscharta). Hinsichtlich des vorsorglich gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung hält der angeschuldigte Rechtsanwalt diesen für unbegründet, da er keine Verfahrenshandlung versäumt habe und mithin eine solche auch nicht nachholbar sei. Weiterhin vertritt der angeschuldigte Rechtsanwalt die Auffassung, dass sämtliche Zustellungen an ihn über Herrn Rechtsanwalt O seit März 1998 unwirksam seien, da er im Gebiet der Europäischen Union eine Kanzlei unterhalte. Neben konkreten Feststellungsanträgen, die sich auf den vorliegenden Rechtsstreit beziehen und deren Relevanz ggfs. im Rahmen einer eventuellen Sachentscheidung zu prüfen sein wird, beantragt der angeschuldigte Rechtsanwalt u. a. festzustellen, dass ohne Prüfung der Sach- und Rechtslage durch eine in ihrem Mitgliedstaat gesetzlich errichtete, richterliche Tatsacheninstanz die Verteidigungsrechte nicht nur nach der EMRK, sondern auch nach Art. 48 Abs. 2 GRC stets verletzt seien und dass nach § 29 BORA in der im Jahre 2012 geltenden Fassung die CCBE-Berufsregeln die Regelung in § 43a BRAO verdrängten.
42Im Übrigen beantragt der angeschuldigte Rechtsanwalt abstrakte Feststellungen zu § 43a Abs. 3 BRAO. Diese Anträge wurden in der Berufungshauptverhandlung allerdings nicht gestellt.
43Mit Beschluss vom 13. Mai 2016 hat der Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt und das Urteil vom 5. Februar 2016 für gegenstandlos erklärt.
44Mit Verfügung vom 31. Mai 2016 wurde neuer Termin auf den 4. November 2016 bestimmt und die Beteiligten geladen. Der angeschuldigte Rechtsanwalt wurde mit Schreiben vom 31. Mai 2016, das seinem Zustellungsbevollmächtigten am 16. Juni 2016 zugestellt worden ist, unter Hinweis auf §§ 134, 143 Abs. 4 BRAO, 329 Abs. 1 StPO geladen.
45Mit Schreiben vom 3. Juni 2016 hat sich Frau Rechtsanwältin M aus Hamm für den Angeschuldigten bestellt und Akteneinsicht beantragt, die ihr auch gewährt worden ist.
463. Rechtliche Würdigung des Anwaltsgerichts Köln
47Das Anwaltsgericht Köln hat die Auffassung vertreten, dass Rechtsanwalt H sich einer Pflichtverletzung nach §§ 43, 43a Abs. 1, 113 Abs. 1 BRAO, CCBE 4.3 schuldig gemacht hat.
48Ein Rechtsanwalt dürfe sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich sei insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handele, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.
49Das Anwaltsgericht Köln sieht keine Anhaltspunkte, dass der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. Februar 2012 Anlass zu den von Rechtsanwalt H getätigten Äußerungen sein könnte.
50Rechtsanwalt H habe bei weitem die Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S. von § 193 StGB überschritten. Es seien nicht einmal Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich ergeben könne, dass das Landesarbeitsgericht Düsseldorf nicht korrekt gehandelt habe.
51Eine Bestrafung scheide auch deshalb nicht aus, weil dem die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts entgegenstehen könne. Der Rechtsanwalt hätte die Begründung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf durchaus kritisch beurteilen, andere Rechtsauffassungen darlegen oder neuen Sachvortrag leisten können. Die Unterstellung von „krimineller Energie" und „Rechtsbeugung" sei allerdings unzulässig und beeinträchtige die Beteiligten in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil sie die persönliche Integrität beschädigen.
52III.
531. Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt (§§ 143 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BRAO).
542. Das Anwaltsgericht hat allerdings zutreffend eine Berufspflichtverletzung angenommen, so dass die Berufung als unbegründet zurückzuweisen war.
55Gemäß § 43a Abs. 3 Satz 1 BRAO darf sich der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Gemäß § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO ist unsachlich insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.
56Die Einschränkungen des § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO berücksichtigen, dass der Verhängung berufsrechtlicher Maßnahmen gegen einen Rechtsanwalt wegen des Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot durch Art. 12 Abs. 1 GG Grenzen gezogen sind. Grundsätzlich unterliegt die anwaltliche Berufsausübung der freien und unreg-lementierten Selbstbestimmung des einzelnen Anwalts (so BVerfGE 63, 266, 288 f.; Feuerich/Weyland, BRAO - Kommentar, 9. Aufl., München, 2016, § 43a Rn. 33).
57Die Wahrnehmung seiner Aufgaben als unabhängiges Organ der Rechtspflege erlaubt es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dem Rechtsanwalt - ebenso wie dem Richter - nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Nach allgemeiner Auffassung darf er im „Kampf ums Recht" auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagwörter benutzt (so Feuerich/Weylandt, BRAO -Kommentar, 9. Aufl., München, 2016, § 43a Rn. 33). Das Verhalten des Anwalts mag ungehörig sein oder als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden und allgemein als unsachlich gewertet werden. Solange es unterhalb der von § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO festgestellten Schwelle bleibt, muss hingenommen werden, selbst wenn es dem Ansehen des Anwaltsstandes abträglich ist (vgl. BVerfGE 76, 171; BVerfG, BRAK-Mitt. 2008, 123; Feuerich/Weyland, BRAO - Kommentar, 9. Aufl., München, 2016, § 43a Rn. 34). Die vom Anwaltsgericht Köln in Bezug genommenen Ausführungen des angeschuldigten Rechtsanwalts überschreiten als Schmähkritik die Schwelle des § 43a Abs. 3 BRAO.
58Voraussetzung eines Pflichtenverstoßes nach § 43a Abs. 3 BRAO ist dabei stets, dass sich das Verhalten des Rechtsanwalts auf seine Berufsausübung bezieht;
59Äußerungen des Rechtsanwalts außerhalb seines Berufes fallen hierunter nicht (vgl. Feuerich/Weylandt, BRAO - Kommentar, 9. Aufl., München, 2016, § 43a Rn. 31). Das angeschuldigte Verhalten des Rechtsanwalts H erfolgte als Verfahrensbevollmächtigter in einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach und dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Es liegt somit ohne weiteres eine Berufsbezogenheit vor.
60Die Berufsregeln der Europäischen Rechtsanwälte (CCBE vom 28. Oktober 1988, zuletzt geändert am 19. Mai 2006), die das Anwaltsgericht Köln in Bezug genommen hat, auf die es vorliegend allerdings nicht ankommt, da der angeschuldigte Rechtsanwalt in Deutschland zur Anwaltschaft zugelassen ist und ein Auslandbezug fehlt, sehen in Ziff. 4.3 (Achtung des Gerichts) vor:
61„Im Rahmen der dem Richteramt gebührenden Achtung und Höflichkeit hat der Rechtsanwalt die Interessen seines Mandanten gewissenhaft und furchtlos, ungeachtet eigener Interessen und/oder ihm oder anderen Personen entstehenden Folgen zu vertreten."
62Die Ausführungen der von Rechtsanwalt H im Schriftsatz vom 21. Februar 2012 an das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sind auch nicht von der Meinungs-
63äußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt. Auch dem ange-schuldigten Rechtsanwalt kommt das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zugute, ohne dass es darauf ankommen kann, ob seine Meinung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist. Auch scharfe oder übersteigerte Äußerungen fallen grundsätzlich in den Schutz-bereich der Meinungsfreiheit (BVerfGE 85, 1, 14 ff). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellt; insoweit scheidet eine Rechtfertigung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen aus. Soweit ein Rechtsanwalt tätig ist, dürfen an ihn insoweit keine höheren Anforderungen gestellt werden als an andere Angeklagte. Das Gewicht des Ehrenschutzes ist bei Äußerungen unter Angehörigen juristischer Berufe nicht höher als bei Äußerungen gegenüber Dritten (BVerfG, NJW 1999, 2262; Fischer, StGB - Kommentar, 63. Aufl., München, 2016, § 193 Rn. 28d).
64Im Hinblick auf den weiten Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist der Begriff der Schmähung eng auszulegen. Die Äußerung muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik eine persönliche Herabsetzung darstellen, bei der - losgelöst vom Sachbezug - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG, BVerfGE 82, 272). Nach der Rechtsprechung sind Äußerungen wie „himmelschreiende Befangenheit" und „Rechtsblindheit" (vgl. BGH, NStZ 2004, 690) und die Aussage, die Begründung eines Beschlusses sei „gelogen" (vgl. BVerfG, NJW 1996, 3268 (3269)) nicht mehr zu tolerieren (ebenso Henssler in: Hennsler/Prütting, BRAO -Kommentar, 4. Aufl., München, 2014, § 43a Rn. 156).
65Die schriftsätzliche Äußerung des angeschuldigten Rechtsanwalts, dass die Klägerin „Opfer krimineller, richterlicher Energie" geworden ist und die Klägerin deshalb auch „Strafantrag wegen Rechtsbeugung stellen sollte" überschreitet die Grenzen der
66Schmähungen des entscheidenden Richters, zumal der Straftatbestand der Rechtsbeugung nicht nur ein Vorsatzdelikt ist, sondern darüber hier hinaus auch die Integrität der richterlichen Berufsausübung auf das schwerste in Frage stellt. Dies setzt sich in der Formulierung „kriminelle Krönung seiner Begründung" fort.
67Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend nicht um eine „im Eifer des Gefechts" geäußerte mündliche Kritik handelt, z. B. anlässlich einer emotional geführten Gerichtsverhandlung, sondern vielmehr um eine schriftliche, in einem Schriftsatz an das Landesarbeitsgericht Düsseldorf niedergelegte Äußerung.
68Der Tatbestand der Rechtsbeugung stellt ihm übrigen ein Verbrechen dar, so dass der Vorwurf umso schwerer wiegt. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung zwingend zu einer Entfernung des Amtsträgers aus dem Richteramt führt.
69Im vorliegenden Fall steht der Meinungsfreiheit des angeschuldigten Rechtsanwalts die Schwere der Ehrenkränkung des angegriffenen Richters gegenüber, den er der Begehung einer Straftat bezichtigt. Insoweit ist allerdings anerkannt dass insbesondere Beteiligte an gerichtlichen Verfahren im Kampf um Rechtspositionen auch strafrechtliche Bewertungen von Vorgängen als persönliche Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen dürfen, selbst wenn sie objektiver Beurteilung nicht standhalten (vgl. BGH, NJW 1982, 2248; BayObLG, NJW 2001, 1511; Brandenburgisches OLG, Beschl, v. 28. Februar 2013 - (2) 53 Ss 4/13 (8/13), juris).
70Zwar muss ein Beteiligter Kritik üben immer können, ohne zugleich befürchten zu müssen, der Strafverfolgung ausgesetzt zu sein. Nach Auffassung des Senats sind aber die mehrfachen Vorwürfe „krimineller Energie" sowie der Rechtsbeugung im Verhältnis zu der damit verbundenen Ehrenkränkung des Richters von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt.
71IV.
72Das Anwaltsgericht hat bei der Strafzumessung zugunsten von Rechtsanwalt H berücksichtigt, dass dieser bislang anwaltsgerichtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Zulasten von Rechtsanwalt H hat das Anwaltsgericht das Ausmaß und die Schwere der Herabsetzung des Gerichts und des erkennenden Richters berücksichtigt. Die Unterstellung einer Rechtsbeugung hat das Anwaltsgericht zutreffend als besonders verächtlich und schmähend angesehen.
73Da dem Anwaltsgericht keine Angaben über die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten zur Verfügung standen, hat es unter Berücksichtigung des üblichen Rahmens eine Geldbuße in Höhe von 1.500,00 EUR verhängt.
74Dem Senat standen keine weiteren Angaben zur Verfügung, zumal auch die Verteidigerin auf Befragen keine Auskünfte zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des angeschuldigten Rechtsanwalts machen konnte.
75Der Senat sah daher im Ergebnis keinen Anlaß, vom Strafmaß des Anwaltsgerichts abzuweichen. Unter Berücksichtigung der Schwere der Pflichtverletzung einerseits und eines erstmaligen berufsrechtlichen Verfahrens andererseits ist das Strafmaß erforderlich, aber auch ausreichend, auf den angeschuldigten Rechtsanwalt einzuwirken, dass er sich in Zukunft rechtstreu verhält. Dies gilt insbesondere auch für die Verhängung eines Verweises in Verbindung mit einer Geldbuße.
76V.
77Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 BRAO.
78VI.
79Die Revision war gemäß § 145 Abs. 2 BRAO nicht zuzulassen, da der Senat nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichten entschieden hat, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Ebenso fehlt es an Zulassungsgründen aus § 145 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BRAO.
80Rechtsmittelbelehrung:
81Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, Beschwerde eingelegt werden. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche
82Rechtsfrage ausdrücklich bezeichnet werden.
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