Urteil vom Bundesarbeitsgericht (2. Senat) - 2 AZR 493/09

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 28. April 2009 - 6 Sa 429/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten auf betriebliche Gründe gestützten Kündigung.

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Die Klägerin trat 1984 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der beklagten Landeshauptstadt. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die Vorschriften des TVöD anwendbar. Die Klägerin war zuletzt als Altenpflegerin beschäftigt. Sie ist behindert mit dem Grad 40 und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

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Die Klägerin erhielt ab 1. Juli 2006 - zunächst bis zum 30. September 2009 befristet - Rente wegen voller Erwerbsminderung. Inzwischen wurde die Rentenbezugsdauer verlängert bis zum 30. Juni 2012.

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Die Beklagte führte die von ihr unterhaltenen Seniorenwohnanlagen und Pflegeheime bis zum 31. Dezember 2007 als Eigenbetrieb. Zum 1. Januar 2008 übertrug sie diese Einrichtungen auf eine neu gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nach Unterrichtung durch die Beklagte widersprach die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die GmbH nach § 613a Abs. 6 BGB.

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Nach Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung beantragte die Beklagte am 20. März 2008 die Zustimmung des zuständigen Personalrats. Der Personalrat nahm den Antrag „zur Kenntnis“, ohne sich weiter zu äußern. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 11. April 2008 zum 31. Dezember 2008.

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Die Klägerin hat die Kündigung für sozialwidrig gehalten. Die von der Beklagten angeführten betrieblichen Erfordernisse seien nicht dringlich gewesen. Weil das Arbeitsverhältnis noch bis zum 30. Juni 2012 ruhe, wirke sich der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit nicht aus. Die Beklagte müsse abwarten, ob bei Ablauf der Ruhenszeit eine Beschäftigung wieder möglich sei.

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Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 11. April 2008 aufgelöst wird.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für sozial gerechtfertigt gehalten. Der Arbeitsplatz der Klägerin als Altenpflegerin sei aufgrund des Betriebsübergangs und dem von der Klägerin erklärten Widerspruch dauerhaft entfallen. Freie Arbeitsplätze, die der Qualifikation der Klägerin entsprächen, stünden nicht zur Verfügung.

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Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist weder nach den Vorschriften des Landespersonalvertretungsgesetzes Sachsen-Anhalt (I.) noch nach § 85 SGB IX (II.) oder § 33 Abs. 2 TVöD (III.) unwirksam. Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 KSchG gerechtfertigt (IV.).

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I. Die nach § 67 Abs. 1 Nr. 8, § 61 Abs. 1 LPersVG erforderliche Zustimmung des Personalrats gilt nach § 61 Abs. 3 Satz 8 LPersVG als erteilt. Der Personalrat hat die Zustimmung nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 61 Abs. 3 Satz 3 LPersVG verweigert. Die Unterrichtung des Personalrats war nicht fehlerhaft. Die Beklagte hat zwar eine unzutreffende Kündigungsfrist angegeben: 7 Monate zum Schluss eines Kalendermonats, § 622 Abs. 2 BGB statt 6 Monate zum Ende des Kalendervierteljahres, § 34 Abs. 1 TVöD. Wie das Landesarbeitsgericht aber festgestellt hat, beruhte dies auf einem Irrtum der Beklagten, der nach den Grundsätzen der subjektiven Determination nicht zur Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung führt. Aus dem Anhörungsschreiben ergab sich im Übrigen die Anwendbarkeit des TVöD, sodass der Personalrat die zutreffende Kündigungsfrist leicht erkennen konnte.

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II. Die nach § 85 SGB IX notwendige Zustimmung des Integrationsamts liegt vor.

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III. Die Kündigung ist nicht nach § 33 Abs. 2 TVöD unwirksam. Die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD ordnet das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an, wenn der Arbeitnehmer befristet voll erwerbsgemindert ist. Damit ist kein besonderer Kündigungsschutz verbunden.

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1. Auch ruhende Arbeitsverhältnisse können, bei Vorliegen der allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen, gekündigt werden. Das gilt insbesondere für betriebsbedingte Kündigungen. Der Arbeitnehmer im ruhenden Arbeitsverhältnis kann - ohne besondere gesetzliche oder tarifvertragliche Anordnung - nicht allein um des Ruhens seines Arbeitsverhältnisses willen besser geschützt sein als der „aktive“ Arbeitnehmer.

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2. Zu der mit § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung des § 59 Abs. 1 BAT hat der Senat entschieden, dass sie einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen nicht entgegensteht (vgl. 3. Dezember 1998 - 2 AZR 773/97 - BAGE 90, 230). Daran hält der Senat für die Bestimmung des § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD fest. Wie die Überschrift des § 33 TVöD („Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung“) belegt, regelt die Vorschrift allein die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitsverhältnis ohne Kündigung endet. Die Beendigung durch Kündigung behandelt dagegen § 34 TVöD. Diese Vorschrift bestimmt auch, in welchen Fällen ein über das Gesetz hinausgehender Schutz gegen Kündigungen gewährt wird. Der Fall des Ruhens nach § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD ist dort nicht erwähnt.

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IV. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die der Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen.

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1. Als eine die Gerichte grundsätzlich bindende unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung darstellen kann, ist die Vergabe von bisher im Betrieb durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen anerkannt (Senat 7. Dezember 2006 - 2 AZR 748/05 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 88 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 74; 16. Dezember 2004 - 2 AZR 66/04 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 133 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 136).

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2. Die Beklagte hat die städtischen Seniorenwohnanlagen und Pflegeheime, bei denen die Klägerin beschäftigt war, zum 1. Januar 2008 an die von ihr gegründete gemeinnützige GmbH übertragen. Damit war bei Zugang der Kündigung am 16. April 2008 die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin bereits seit mehreren Monaten entfallen.

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3. Die Kündigung war nicht unverhältnismäßig.

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a) Eine Beendigungskündigung ist unter Beachtung des in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG zum Ausdruck kommenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch dann nicht geboten und deshalb sozial ungerechtfertigt, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens - ggf. zu veränderten Arbeitsbedingungen - weiter beschäftigt werden kann. In diesem Fall ist anstelle einer Beendigungskündigung eine den verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten Rechnung tragende Änderungskündigung auszusprechen (vgl. nur Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 1109/06 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 180).

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aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob ein Kündigungsgrund vorliegt, ist derjenige des Kündigungszugangs. Da das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit zum Kündigungsgrund gehört, sind auch die insoweit maßgeblichen Tatsachen aus dem Blickwinkel des Zeitpunkts der Kündigung zu beurteilen (Senat 25. April 2002 - 2 AZR 260/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121).

22

bb) Dabei kann die Erweiterung des Blickfeldes auf in der Vergangenheit liegende Umstände und auf solche zukünftigen Entwicklungen geboten sein, für die bereits bei Kündigung greifbare Anhaltspunkte bestehen. Eine Rückschau muss insbesondere insoweit stattfinden, als der Arbeitgeber nicht durch zweckvolle Bestimmung des Kündigungszeitpunkts auf der Hand liegende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten außer Acht lassen und dadurch den Kündigungsgrund selbst herbeiführen kann, indem er beispielsweise den Kündigungszeitpunkt verschiebt, um zunächst freie Beschäftigungsmöglichkeiten zu beseitigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 107/07 - mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 178 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 161; 15. August 2002 - 2 AZR 195/01 - BAGE 102, 197). Eine Vorausschau zu Gunsten des Arbeitgebers findet statt, wenn der Beschäftigungsbedarf zwar bei Ausspruch der Kündigung noch besteht, aber sein Wegfall bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sicher absehbar ist. Zu Gunsten des Arbeitnehmers ist ggf. zu berücksichtigen, dass er zwar nicht bei Ausspruch der Kündigung, wohl aber bei Ablauf der Kündigungsfrist im selben Betrieb oder Unternehmen auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann (Senat 15. Dezember 1994 - 2 AZR 327/94 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 75).

23

cc) Besteht nach diesen Grundsätzen ein Kündigungsgrund, so ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt. Vom Arbeitgeber kann dann nicht verlangt werden, seinen Kündigungsentschluss, zB weil das Arbeitsverhältnis ruht und ihn kaum „belastet“, so lange zu verschieben, bis das Arbeitsverhältnis nicht mehr ruht, der Kündigungsgrund aber - möglicherweise - wieder entfallen ist (Senat 21. April 2005 - 2 AZR 241/04 - BAGE 114, 258 für den Fall der Sozialauswahl). Das dem Arbeitgeber eingeräumte Recht zum Ausspruch der Kündigung bei Vorliegen der in § 1 Abs. 2 KSchG normierten Voraussetzungen lässt sich nicht dadurch beiseite schieben, dass ihm, zB mit Blick auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, angesonnen wird, solange zu warten, bis die Gründe eventuell nicht mehr vorliegen. Die Einbeziehung zukünftiger Entwicklungen ist nur für diejenigen Umstände gerechtfertigt, die aus dem Blickwinkel des Zeitpunkts der Kündigung für den Arbeitgeber erkennbar sind, nicht aber für solche, deren späterer Eintritt ungewiss ist. Andernfalls wäre dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen, eine rationale Kündigungsentscheidung zu treffen.

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b) Hieran gemessen fehlt es im Streitfall nicht wegen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit an den vom Gesetz verlangten dringenden betrieblichen Erfordernissen.

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aa) Bei Ausspruch der Kündigung war kein freier Arbeitsplatz für die Klägerin vorhanden. Das hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, ohne dass die Klägerin insoweit eine Verfahrensrüge erhoben hätte.

26

bb) Die Beklagte war auch nicht, wie die Klägerin meint, verpflichtet, abzuwarten, ob nach Ablauf der Frist, für die ihr Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt worden war, eine Beschäftigungsmöglichkeit entstünde. Eine solche Möglichkeit war bei Ausspruch der Kündigung nicht absehbar. Die Klägerin hat hier im Wesentlichen auf die zweifellos gegebene Möglichkeit verwiesen, dass die Privatisierung des Altenpflegebereichs von der Beklagten aufgrund neuer Überlegungen wieder rückgängig gemacht werden könnte. Damit ist aber keine sicher erkennbare zukünftige Einsatzmöglichkeit dargetan. Nicht absehbar war im Übrigen auch, wie lange die Erwerbsminderung vorliegen und deshalb das Arbeitsverhältnis ruhen würde. Wie der spätere Verlauf zeigt, wurde die ursprüngliche Frist um drei Jahre verlängert. Es ist nicht auszuschließen, dass die Frist erneut verlängert wird oder eine Erwerbsfähigkeit bei der Klägerin gar nicht mehr eintritt.

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cc) Es kommt auch nicht darauf an, welche wirtschaftlichen Nachteile der Verzicht auf den Kündigungsausspruch zeitigen würde. Es ist nicht Voraussetzung einer betriebsbedingten Kündigung, dass ihr Unterbleiben den Arbeitgeber schädigt. Maßgeblich ist allein, ob bei ihrem Ausspruch die Beschäftigungsmöglichkeit auf Dauer entfallen ist. Dies ist hier der Fall. Dass das Arbeitsverhältnis seiner Funktion, dem Leistungsaustausch, nicht nur mangels Beschäftigungsmöglichkeit, sondern zusätzlich infolge des Ruhens der vertraglichen Pflichten nicht mehr dienen kann, verschlägt nichts. Dass ein Rechtsverhältnis nicht nur aus einem, sondern aus mehreren Gründen funktionslos geworden ist, ist kein überzeugendes Argument für seine Aufrechterhaltung.

28

V. Die Kosten der Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin zur Last.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

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