Urteil vom Bundesarbeitsgericht (4. Senat) - 4 AZR 745/09

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juli 2009 - 3 Sa 1288/08 - aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers nach der Entgeltgruppe III (Oberärztin/Oberarzt) des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 (TV-Ärzte/VKA).

2

Der Kläger, der die Facharztanerkennung für das Gebiet Innere Medizin besitzt, ist Mitglied des Marburger Bundes. Seit dem 21. Juli 1995 ist er im Krankenhausbetrieb der Beklagten, die über die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) tarifgebunden ist, beschäftigt. Er bewarb sich auf eine Ausschreibung vom 26. August 2005 für die Stelle einer Oberärztin/eines Oberarztes für die Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, die ihm dann mit Schreiben des kommissarischen stellvertretenden Geschäftsführers und Verwaltungsdirektors des Krankenhausbetriebs der Beklagten vom 2. November 2005 im Einvernehmen mit dem Chefarzt Prof. Dr. S ab dem 1. November 2005 übertragen wurde.

3

Die von der Beklagten für ihre Chefarztverträge verwendeten Musterverträge der Deutschen Krankenhausgesellschaft enthalten in § 6 Abs. 1 folgende Bestimmung:

        

„Im Rahmen der Besorgung seiner Dienstaufgaben überträgt der Arzt, soweit nicht die Art oder die Schwere der Krankheit oder die Voraussetzungen der Ermächtigung oder Zulassung sein persönliches Tätigwerden erfordern, den ärztlichen Mitarbeitern - entsprechend ihrem beruflichen Bildungsstand, ihren Fähigkeiten und Erfahrungen - bestimmte Tätigkeitsbereiche oder Einzelaufgaben zur selbständigen Erledigung. Die Gesamtverantwortung des Arztes wird hierdurch nicht eingeschränkt.“

4

Der Kläger war auf der ihm übertragenen Stelle im Bereich der Abteilung 1 (Kardiologie, Angiologie und Pneumologie) der Klinik für Innere Medizin in dem Aufgabengebiet der nicht-invasiven Kardiologie, ua. im Funktionsbereich Echokardiografie und angiologische Funktionsdiagnostik, bis zu seiner Versetzung in die zentrale Notaufnahme ab dem 20. Juli 2009 tätig. In dieser Tätigkeit hatte er Weisungsbefugnisse gegenüber ärztlichem und nichtärztlichem Personal. Auf der Webseite und dem offiziellen Briefpapier der Klinik wird der Kläger als Oberarzt bezeichnet. Die Beklagte vergütete den Kläger vom 1. August 2006 bis zum 30. November 2007 nach der Entgeltgruppe II, Stufe 2, vom 1. Dezember 2007 bis zum 30. Juni 2009 nach der Entgeltgruppe II, Stufe 3 und ab dem 1. Juli 2009 nach der Entgeltgruppe II, Stufe 4 des TV-Ärzte/VKA.

5

Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 25. Januar 2007 verfolgt der Kläger mit seiner Klage weiter seine Eingruppierung nach der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA für den Zeitraum vom 1. August 2006 bis zum 19. Juli 2009. Diese Eingruppierung ergebe sich bereits aus der Übertragung der Funktion eines Oberarztes mit dem Schreiben vom 2. November 2005 und zudem aus der ihm übertragenen Tätigkeit, welche im genannten Zeitraum überwiegend in der Betreuung der nicht-invasiven Kardiologie und nur mit ca. zwei Stunden täglich im Einsatz auf der Privatstation A 11 R bestanden habe. Mit der überwiegend ausgeübten Tätigkeit in der nicht-invasiven Kardiologie, bei der ihm regelmäßig eine Fachärztin und zeitweise zusätzlich ein Assistenzarzt unterstellt gewesen sei, erfülle er die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen. Die medizinische Verantwortung für den mit sieben Räumen eigenständigen und abgrenzbaren Teilbereich der nicht-invasiven Kardiologie innerhalb der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, für den auch eine eigene Kostenstelle bestehe, sei ihm seitens des Chefarztes übertragen worden, der in dieser Funktion als die dafür vom Arbeitgeber ermächtigte Person angesehen werden müsse. Seitens der Klinikleitung sei diese mit ihrem Wissen ausgeübte Verfahrensweise nie beanstandet worden; im Gegenteil sei diese erwünscht gewesen, da der Chefarzt über die medizinisch-fachliche Kompetenz für die bestmögliche Besetzung der jeweiligen Stellen verfüge. Schließlich zeige auch die Neuausschreibung der Stelle vor seiner Versetzung, dass es sich um die Tätigkeit als Oberarzt der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA handele.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für den Zeitraum vom 1. August 2006 bis zum 19. Juli 2009 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe III (Oberarzt/Oberärztin) des Tarifvertrages der Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 17. August 2006 zu zahlen.

        

2.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die in der Zeit vom 1. August 2006 bis zum 30. November 2007 anfallenden Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Vergütungsgruppe III, Stufe 1 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West und der Vergütungsgruppe II, Stufe 2 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West von dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt an mit Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen;

        

3.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die in der Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 30. Juni 2009 anfallenden Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Vergütungsgruppe III, Stufe 1 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West und der Vergütungsgruppe II, Stufe 3 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West von dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt an mit Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen;

        

4.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 19. Juli 2009 die anfallenden Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Vergütungsgruppe III, Stufe 1 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West und der Vergütungsgruppe II, Stufe 4 der Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA, Tarifgebiet West von dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt an mit Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die zeitlichen Voraussetzungen der vom Kläger angestrebten Eingruppierung lägen nicht vor. Für das dem Kläger übertragene Aufgabengebiet der nicht-invasiven Kardiologie liege bereits deshalb kein selbständiger Funktions- oder Teilbereich im Tarifsinne vor, weil ein solcher von dem zuständigen Entscheidungsorgan der Beklagten - der Betriebsleitung - nicht eingerichtet worden sei. Die Kardiologie sei der medizinische Schwerpunkt der Abteilung 1 der Klinik für Innere Medizin, für die der Chefarzt Prof. Dr. S die Gesamtverantwortung trage. Neben diesem unterstehe die Kardiologie dem leitenden Oberarzt. Ein ausdrücklicher Übertragungsakt der Beklagten für eine medizinische Verantwortung des Klägers liege auch nicht vor. Eine Zuweisung der Tätigkeit durch den Chefarzt reiche für das Erfüllen der tariflichen Anforderungen nicht aus, da ihm die erforderliche Vertretungsbefugnis fehle.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers rechtsfehlerhaft zurückgewiesen.

10

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, es fehle an einer ausdrücklichen Übertragung der medizinischen Verantwortung „durch den Arbeitgeber“ iS der Protokollerklärung zu § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA. Für die danach geforderte ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich reiche ein lediglich konkludentes Verhalten des Arbeitgebers oder die nur faktische Herstellung entsprechender Organisationsformen nicht aus. Eine Zurechnung der Übertragung von medizinischer Verantwortung durch einen hierzu von dem Arbeitgeber nicht ausdrücklich Bevollmächtigten im Wege der Anscheins- oder Duldungsvollmacht komme nicht in Betracht. Gemessen an diesen Vorgaben sei vorliegend keine ausdrückliche Übertragung medizinischer Verantwortung erfolgt. Deshalb könne dahinstehen, ob die weiteren tarifvertraglichen Voraussetzungen hinsichtlich der Arbeitsvorgänge und des „selbstständigen Teil- oder Funktionsbereichs“ erfüllt sind.

11

II. Mit dieser Begründung konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat das Tatbestandsmerkmal der „ausdrücklichen Übertragung“ der medizinischen Verantwortung „durch den Arbeitgeber“ verkannt. Der Senat kann jedoch nicht selbst in der Sache entscheiden, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist.

12

1. Der TV-Ärzte/VKA findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

13

2. Damit sind für die Eingruppierung des Klägers folgende Tarifvertragsbestimmungen maßgebend:

        

„§ 15 

        

Allgemeine Eingruppierungsregelungen

        

(1)     

Die Eingruppierung der Ärztinnen und Ärzte richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen des § 16. Die Ärztin/ Der Arzt erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie/ er eingruppiert ist.

        

(2)     

Die Ärztin/ Der Arzt ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht.

                 

Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. …

                 

Protokollerklärungen zu § 15 Abs. 2

                 

1.    

Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Ärztin/ des Arztes, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. Erstellung eines EKG). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

                 

…       

        

§ 16   

        

Eingruppierung

        

Ärztinnen und Ärzte sind wie folgt eingruppiert:

        

…       

        

c)    

Entgeltgruppe III:

                 

Oberärztin/ Oberarzt

                 

Protokollerklärung zu Buchst. c:

                 

Oberärztin/ Oberarzt ist diejenige Ärztin/ derjenige Arzt, der/ dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

        

…“    

        

14

3. Nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen kann mit den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Klage nicht deshalb abgewiesen werden, weil dem Kläger die medizinische Verantwortung nicht ausdrücklich durch den Arbeitgeber übertragen worden wäre. Die hierfür vom Landesarbeitsgericht herangezogene Begründung ist rechtsfehlerhaft. Der Beklagten ist die Übertragung der Tätigkeit des Klägers durch den Chefarzt zuzurechnen.

15

a) Nach dem Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA muss die ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den „Arbeitgeber“ erfolgt sein. Der Senat hat in mehreren Entscheidungen vom 9. Dezember 2009 (ua. - 4 AZR 495/08 - BAGE 132, 365), die erst nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts ergangen sind, ausgeführt, dass diese Anforderung eine Klarstellung der Tarifvertragsparteien über die zivilrechtliche Zurechenbarkeit der entsprechenden Aufgabenzuweisung ist, die in der Vergangenheit wegen fehlender vergütungsrechtlicher Folgen häufig allein der Leitung der Klinik im Rahmen ihrer Personalhoheit überlassen worden ist. Die Tarifvertragsparteien haben damit - jedenfalls für entsprechende Übertragungen einer medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einer Klinik oder Abteilung in der Vergangenheit - jedoch keine, von allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen abweichende besondere Anforderung an die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen aufgestellt (BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 56, aaO). Ob eine vor dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA dem Arzt (im Hinblick auf die klagende Partei wird im Folgenden stets die männliche Form gewählt) von der Klinikleitung übertragene medizinische Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik oder Abteilung dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 61, aaO). Bedient sich der Arbeitgeber bei der Leitung einer Klinik der Dienste eines Chefarztes und überlässt diesem die nähere Ausgestaltung der Organisation der Klinik und die personelle Zuweisung der Aufgaben, ist der Arbeitgeber an die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen gebunden. Die Zuweisung einer Tätigkeit an einen Arzt, die dieser danach längere Zeit ausübt, ist in der Regel arbeitsvertraglich gedeckt, dh. entweder hält sich die Maßnahme im Bereich des bisherigen Direktionsrechts oder sie stellt eine Änderung des Arbeitsvertrages dar. Jedenfalls handelt es sich dabei in der Regel um die auszuübende Tätigkeit des Arztes. Die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der ausdrücklichen Übertragung hat der Senat im Einzelnen in mehreren Entscheidungen, unter anderem in dem Senatsurteil vom 22. September 2010 (- 4 AZR 166/09 - GesR 2011, 314), das einen Rechtsstreit eines Kollegen des Klägers betrifft, weiter erläutert.

16

b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze scheitert der Klageanspruch vorliegend nicht an der Anforderung einer „ausdrücklichen Übertragung“ durch den Arbeitgeber. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

17

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts scheidet das Bejahen einer „ausdrücklichen Übertragung“ nicht aus, weil diese nur durch eine ausdrückliche schriftliche oder mündliche Erklärung des Arbeitgebers oder eines hierzu ausdrücklich von diesem bevollmächtigten Dritten erfolgen könnte, die in dieser Form hier nicht vorliegt. Auf eine solch eingeschränkte Übertragungsform kommt es nach den og. Maßgaben nicht an. Wie das Landesarbeitsgericht selbst ausgeführt hat, wurde dem Kläger seine Tätigkeit in der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, mit Schreiben des kommissarischen stellvertretenden Geschäftsführers und Verwaltungsdirektors des Krankenhausbetriebs der Beklagten vom 2. November 2005 im Einvernehmen mit dem Chefarzt Prof. Dr. S ab 1. November 2005 übertragen. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass dem Kläger seitdem in dieser Abteilung unverändert bis zu seiner Versetzung in die zentrale Notaufnahme, also bis einschließlich 19. Juli 2009, unter Führung des - nach dem TV-Ärzte/VKA für die Eingruppierung unerheblichen - Titels „Oberarzt“ die Zuständigkeit für die nicht-invasive Kardiologie oblag und dass er zudem im Bereich der Station A 11 R tätig war. Eine Veränderung des Tätigkeits- und Aufgabenbereichs fand in diesem Zeitraum ersichtlich weder vor noch nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA statt. Es ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass die Verantwortlichkeit des Klägers nicht den Vorgaben des Chefarztes entsprochen hätte. Der Chefarzt ist als Leiter der Klinik Innere Medizin, Abteilung 1, idR als befugt anzusehen, das Direktionsrecht des Arbeitgebers auszuüben und war überdies gemäß § 6 Abs. 1 seines Chefarztvertrages auch befugt, dem Kläger Aufgaben und Tätigkeiten zuzuweisen. Damit gehört zu der vom Kläger arbeitsvertraglich geschuldeten, mithin auszuübenden Tätigkeit die von ihm unverändert geleistete Leitungstätigkeit im Bereich der nicht-invasiven Kardiologie, einschließlich der Ausübung der erteilten Weisungsbefugnisse hinsichtlich des ärztlichen und nichtärztlichen Personals, soweit es dem Kläger unterstellt wurde.

18

4. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Eine Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klage aus anderen Gründen entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist insbesondere nicht aus anderen Gründen abzuweisen. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht beurteilt werden, ob es sich bei der für die Eingruppierung maßgebenden Tätigkeit des Klägers in der nicht-invasiven Kardiologie in der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, um eine von ihm wahrzunehmende medizinische Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik oder Abteilung im Tarifsinne handelt. Den Parteien ist entsprechend Gelegenheit zur Präzisierung ihres Vortrages zu geben. Dies gebietet - auch eingedenk der strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast im Eingruppierungsrechtsstreit - der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs insbesondere im Hinblick auf neue tarifliche Tätigkeitsmerkmale, die gemessen an der komplexen Wirklichkeit einen außerordentlich hohen Abstraktionsgrad aufweisen und dementsprechend einer intensiven Auslegung unterzogen werden müssen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass weder dem Kläger noch dem Landesarbeitsgericht die Senatsentscheidungen vom 9. Dezember 2009 zur Auslegung der Anforderungen an die Erfüllung der Tätigkeitsmerkmale bekannt waren. Dabei werden insbesondere die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein:

19

a) Zunächst muss die tariflich relevante Tätigkeit des Klägers für den streitgegenständlichen Zeitraum näher bestimmt werden. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bieten - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - für deren nunmehr erforderliche tarifliche Bewertung keine ausreichende Beurteilungsgrundlage, da der Aufgabenbereich des Klägers im Tatbestand des Berufungsurteils nicht näher beschrieben ist. Ersichtlich ist lediglich, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum in der nicht-invasiven Kardiologie in der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, ua. im Funktionsbereich Echokardiografie und angiologische Funktionsdiagnostik, tätig war. Der Umfang dieser Tätigkeit umfasst nach dem Vorbringen des Klägers mehr als 50 vH. Den Ablauf seiner täglichen Arbeitszeit hat er im Einzelnen dargelegt. Die Beklagte hat dagegen zum zeitlichen Zuschnitt der Tätigkeit des Klägers bisher ohne jeglichen Sachvortrag lediglich pauschal bestritten, dass die zeitlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass dem Kläger Weisungsbefugnisse gegenüber ärztlichem und nichtärztlichem Personal zustanden, bedarf der näheren Konkretisierung. Nach dem Vortrag des Klägers war ihm eine von ihm namentlich benannte Fachärztin unterstellt.

20

b) Die nach § 15 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte/VKA maßgebenden Arbeitsvorgänge der tariflich relevanten Tätigkeit des Klägers sind nicht bestimmt worden und auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bisher auch nicht bestimmbar.

21

c) Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann die Klage nicht abgewiesen werden, weil bereits auf deren Grundlage entschieden werden könnte, dass es sich bei der nicht-invasiven Kardiologie in der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, im fraglichen Zeitraum vom 1. August 2006 bis 19. Juli 2009 jedenfalls nicht um einen selbständigen Teilbereich der Klinik im Sinne des Tätigkeitsmerkmales der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA handelte. Das Vorliegen eines Funktionsbereichs im Tarifsinne ist, soweit ersichtlich, vom Kläger nicht behauptet worden.

22

aa) Die Auslegung des Begriffs des selbständigen Teilbereichs iSd. Protokollerklärung zu § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA ergibt unter besonderer Berücksichtigung des Wortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs nach den hierfür heranzuziehenden Kriterien, dass ein selbständiger Teilbereich einer Klinik oder Abteilung im tariflichen Sinne regelmäßig eine organisatorisch abgrenzbare Einheit innerhalb der übergeordneten Einrichtung einer Klinik oder Abteilung ist, der eine bestimmte Aufgabe mit eigener Zielsetzung sowie eigener medizinischer Verantwortungsstruktur zugewiesen ist und die über eine eigene räumliche, personelle und sachlich-technische Ausstattung verfügt (vgl. hierzu ausführlich BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 568/08 - Rn. 29 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 9).

23

bb) Hierzu fehlt es an den erforderlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, das sich aus seiner Sicht konsequent mit dieser Anforderung des Tätigkeitsmerkmales nicht befasst hat. Das Landesarbeitsgericht wird insoweit zu berücksichtigen haben, dass der Bereich der nicht-invasiven Kardiologie innerhalb der Klinik für Innere Medizin, Abteilung 1, nach dem Vortrag des Klägers organisatorisch offenbar eine gewisse Selbständigkeit aufweist. Der Bereich, der unbestritten unter einer eigenen Kostenstelle geführt wird, verfügt nach der Aktenlage über sieben Räume, nämlich einen Anmeldungsraum, einen Aufenthaltsraum, einen EKG-Raum, eine Herzschrittmacherambulanz, zwei Räume mit Geräten, einen Raum zur Durchführung von Belastungs-EKG und Langzeit-EKG sowie über eine eigene sachliche Ausstattung, bei deren Beschaffung der Kläger nach eigenem Vortrag ausschlaggebend mitwirkte. Ob die weiteren erforderlichen Merkmale gegeben sind, insbesondere hinsichtlich einer entsprechenden Ausstattung mit fest zugeordnetem eigenen Personal oder jedenfalls entsprechenden Personalstellen und ob insgesamt für die Annahme eines selbständigen Teilbereichs im tariflichen Sinne ausreichende Anhaltspunkte gegeben sind, hat das Landesarbeitsgericht nach Feststellung der weiteren Tatsachen zu entscheiden.

24

d) Schließlich kann die Klage nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nicht abgewiesen werden, weil bereits beurteilbar wäre, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls keine „medizinische Verantwortung“ im Tarifsinne ausgeübt hat.

25

aa) Die Eingruppierung eines Arztes als Oberarzt iSd. Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA setzt nach der zugehörigen Protokollerklärung ua. voraus, dass ihm die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist. Die Tarifvertragsparteien haben von einer ausdrücklichen Bestimmung dessen, was unter medizinischer Verantwortung im tariflichen Sinne zu verstehen ist, abgesehen. Der Senat hat in seinen Entscheidungen seit dem 9. Dezember 2009 im Hinblick auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ausgeführt, dass dieses Tätigkeitsmerkmal der Protokollerklärung zu § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA nur dann erfüllt werden kann, wenn dem Oberarzt ein Aufsichts- und - teilweise eingeschränktes - Weisungsrecht hinsichtlich des medizinischen Personals zugewiesen worden ist, welches in dem betreffenden Teil- oder Funktionsbereich tätig ist. Dabei genügt es nicht, dass in dem Teilbereich Ärzte der Entgeltgruppe I (Assistenzärzte und Ärzte in Weiterbildung) tätig sind, es muss in aller Regel auch mindestens ein Facharzt der Entgeltgruppe II unterstellt sein. Ferner ist grundsätzlich auch erforderlich, dass die Verantwortung für den Bereich ungeteilt bei dem Kläger liegt (vgl. dazu im Einzelnen 9. Dezember 2009 - 4 AZR 836/08 - Rn. 20, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 5 und - 4 AZR 687/08 - Rn. 15, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 10, beide ebenfalls zum TV-Ärzte/VKA sowie zum TV-Ärzte/TdL insbesondere 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 45, BAGE 132, 365 und - 4 AZR 841/08 - Rn. 21 ff.; zu den später ergangenen Entscheidungen zum TV-Ärzte/VKA vgl. ua. 22. September 2010 - 4 AZR 149/09 - Rn. 33 und - 4 AZR 166/09 - Rn. 41, GesR 2011, 314).

26

bb) Nach diesen Kriterien kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kläger im Streitzeitraum die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich nicht-invasive Kardiologie übertragen worden war. Der Kläger hatte Weisungsbefugnisse gegenüber Assistenzärzten und dem nichtärztlichen Personal. Unwidersprochen hat der Kläger auf die Unterstellung der Fachärztin Frau Dr. Sa hingewiesen. Unbestritten ist zudem geblieben, dass der Kläger mit dem Personal der nicht-invasiven Kardiologie einschließlich der genannten Fachärztin täglich die anfallende Arbeit bespricht, die Aufgaben einteilt, die Ausführung kontrolliert und die Arztbriefe gegenliest. Zudem obliegt ihm nach unwidersprochenem Vortrag für die nicht-invasive Kardiologie die Unterschriftsberechtigung in Anschaffungsfragen bezüglich Material und Geräten. Mit der Übertragung der Tätigkeit, die dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, ging die Übertragung der medizinischen Verantwortung, soweit sie dieser Tätigkeit innewohnt, einher.

        

    Bepler    

        

    Creutzfeldt    

        

    Winter    

        

        

        

    Pfeil    

        

    Görgens    

                 

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