Urteil vom Bundesarbeitsgericht (4. Senat) - 4 AZR 185/10

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 7. Oktober 2009 - 5 Sa 813/08 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers als Oberarzt nach der Entgeltgruppe Ä 3 (Oberärztin/Oberarzt) des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte/TdL).

2

Der Kläger, Facharzt für Anästhesiologie, ist seit dem 1. März 1976 aufgrund mit dem Beklagten geschlossener Arbeitsverträge im Klinikum der T U M (nachfolgend: Klinikum) beschäftigt. Seine Tätigkeit erfasst nach einem Änderungsvertrag vom 29. Januar 1980 die „Fachärztliche Versorgung von Patienten“. Der Kläger führt seit dem Monat Juni 1984 die Bezeichnung „Oberarzt“.

3

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger nach erfolgloser Geltendmachung gegenüber dem Klinikum seine Eingruppierung als Oberarzt. Im Verlauf des Revisionsverfahrens endete das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31. Mai 2011.

4

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

        

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit 1. Juli 2006 bis zum 31. Mai 2011 entsprechend der Entgeltgruppe Ä 3, Stufe 3 gemäß § 12 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) zu vergüten und dass der Beklagte die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge beginnend mit dem 31. Juli 2006 ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen hat.

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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 24. Juni 2009 über die vom Kläger eingelegte Berufung wurde ein Verkündungstermin bestimmt. Mit Schriftsatz vom 14. August 2009 hat der Kläger mitgeteilt, er gehe davon aus, dass mit dem Beklagten ein Vergleich zustande gekommen sei. Der Kläger hat mit weiterem Schriftsatz vom 1. September 2009 dem ärztlichen Direktor des Klinikums den Streit verkündet und mit weiterem Schriftsatz vom 15. September 2009 ua. hilfsweise den Antrag gestellt

        

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 1. September 2009 Vergütungen nach der Entgeltgruppe Ä 3, Stufe 3 (Oberarzt) gemäß § 12 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) vom 30. Oktober 2006 zu zahlen und die anfallenden Bruttonachtragsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 3 und der Entgeltgruppe Ä 2 im Geltungsbereich des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte), beginnend mit dem 1. September 2009 ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt an, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

7

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers mit am 7. Oktober 2009 verkündeten Urteil zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist begründet. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.

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I. Die Verfahrensrüge des Klägers ist zulässig.

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1. Wird ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 - 5 ZPO geltend gemacht, hat die Revision die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ergeben soll, substantiiert vorzutragen. Die bloße Benennung des Zulassungsgrundes genügt nicht.

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2. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung. Der Kläger hat die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landesarbeitsgerichts im Revisionsverfahren ordnungsgemäß nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO dargelegt (vgl. BAG 26. September 2007 - 10 AZR 35/07 - Rn. 9, AP ZPO § 547 Nr. 7).

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Er hat zwar nicht die konkrete Rechtsnorm bezeichnet und rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Dies steht aber der Beachtlichkeit der Rüge nicht entgegen. Die Begründung des Klägers sowie die von ihm auszugsweise zitierte Entscheidung des Sechsten Senats (18. Dezember 2008 - 6 AZN 646/08 - BAGE 129, 89), die sich auf die nicht „vollständige Besetzung“ des Gerichts stützen, lassen die verletzte Rechtsnorm deutlich erkennen. Weiterhin hat der Kläger geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht habe nicht unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter geprüft, ob seine Schriftsätze, die er nach Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht und vor Verkündung bei Gericht eingereicht hat, Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben hätten.

13

II. Der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO ist gegeben, weil das Landesarbeitsgericht nicht unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, die an der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2009 teilgenommen haben, geprüft hat, ob die Schriftsätze des Klägers, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen sind, Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gaben.

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1. Nach § 296a Satz 1 ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Aus § 296a Satz 1 ZPO folgt nicht, dass das Gericht einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz von vornherein unberücksichtigt lassen darf. Das Gericht muss das Vorbringen vielmehr in jedem Fall beachten. Es hat darüber hinaus zu prüfen, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO gegeben sind oder ob nach dem Ermessen des Gerichts (§ 156 Abs. 1 ZPO) die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Auch wenn der nachgereichte Schriftsatz nicht mehr bei der Entscheidung über das Urteil Beachtung finden kann, weil das Urteil nach Beratung und Abstimmung bereits gefällt (§ 309 ZPO), aber noch nicht verkündet ist, hat das Gericht weiterhin bis zur Urteilsverkündung eingehende Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen und eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu prüfen (BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZN 646/08 - Rn. 3 mwN, BAGE 129, 89; BGH 1. Februar 2002 - V ZR 357/00 - NJW 2002, 1426).

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2. Über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht durch den Spruchkörper in vollständiger Besetzung und nicht durch den Vorsitzenden allein zu entscheiden.

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a) Ist über das Urteil zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Gericht mit dem Vorbringen aus dem nachgereichten Schriftsatz befasst oder bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang zu befassen hätte, noch nicht abschließend beraten und abgestimmt, das Urteil also noch nicht iSd. § 309 ZPO gefällt, müssen an der Entscheidung über die Frage einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung die Richter mitwirken, die an der vorangegangenen letzten mündlichen Verhandlung beteiligt waren. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Urteil bereits gefällt, aber noch nicht verkündet ist (BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZN 646/08 - Rn. 4, 5 mwN, BAGE 129, 89; 14. Dezember 2010 - 6 AZN 986/10 - Rn. 6, EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 126).

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b) Der Grundsatz, dass an der Entscheidung über die Frage einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung die Richter mitwirken, die an der vorangegangenen letzten mündlichen Verhandlung beteiligt waren, gilt auch dann, wenn an der mündlichen Verhandlung ehrenamtliche Richter mitgewirkt haben (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 13, NZA-RR 2012, 12; 18. Dezember 2008 - 6 AZN 646/08 - Rn. 6 mwN, BAGE 129, 89; BGH 23. November 2007 - LwZR 5/07 - NJW 2008, 580). Es obliegt allen Richtern der Berufungskammer, über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

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c) Dies schließt es aus, dass die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung allein durch den Vorsitzenden des Spruchkörpers getroffen wird. Nimmt allein der Vorsitzende von nachgereichten Schriftsätzen Kenntnis, wird der Prozesspartei, die diese verfasst hat, nicht nur rechtliches Gehör versagt, sondern auch der gesetzliche Richter entzogen (BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZN 646/08 - Rn. 7 mwN, BAGE 129, 89; 14. Dezember 2010 - 6 AZN 986/10 - Rn. 6, EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 126; BGH 23. November 2007 - LwZR 5/07 - NJW 2008, 580).

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3. Die ehrenamtlichen Richter U und Dr. P, die an der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2009 teilgenommen haben, waren an einer Beratung über die nachgereichten Schriftsätze des Klägers nicht beteiligt. Somit war das Berufungsgericht bei der Entscheidung über das Urteil, in welchem die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt wird, nicht ordnungsgemäß besetzt. Dieser Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nach § 547 Nr. 1 ZPO ein absoluter Revisionsgrund mit der Folge, dass die Kausalität der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird. Deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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a) Der Akte ist nicht zu entnehmen, dass die nachgereichten Schriftsätze des Klägers den ehrenamtlichen Richtern U und Dr. P zur Kenntnis gelangt sind. Das betrifft namentlich denjenigen vom 14. August 2009, in welchem der Kläger mitteilt, aus welchen Gründen er davon ausgehe, er habe mit dem Beklagten bereits einen wirksamen Vergleich geschlossen, und dem weiteren Schriftsatz vom 1. September 2009, in welchem dem ärztlichen Direktor des Klinikums der Streit verkündet wird, sowie den Schriftsatz vom 15. September 2009, wonach die „bisherige Sachlage als wesensgleiches Minus durch die bisherigen Anträge abgedeckt“ ist und nur aus „äußerster Vorsorge“ ein Hilfsantrag gestellt werde.

21

Jedenfalls wurde das Urteil nach Eingang dieser Schriftsätze mit diesen ehrenamtlichen Richtern nicht beraten und über eine etwaige Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keine gemeinsame Entscheidung herbeigeführt. Hiervon muss der Senat nach den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ausgehen. Aus ihnen ergibt sich, dass die Kammer am 24. Juni 2009 „die mündliche Verhandlung geschlossen und das verkündete Urteil abschließend beraten“ hat. Für eine Wiedereröffnung der Verhandlung - so die Urteilsgründe - habe auch aufgrund des Vortrages nach Schluss der mündlichen Verhandlung kein Anlass bestanden. Dem entspricht der niedergelegte Urteilstenor, der dem Protokoll über die Verkündung des Urteils am 7. Oktober 2009 beigeheftet ist. Er ist von den drei Richtern, die an der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2009 teilgenommen haben, unter dem Datum dieses Tages unterschrieben.

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b) Ein anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass bei der in öffentlicher Sitzung erfolgten Verkündung des Urteils ausweislich des Protokolls die beiden ehrenamtlichen Richter S und J gegenwärtig waren. Diese waren nicht diejenigen gesetzlichen Richter, die über eine Wiedereröffnung zu entscheiden hatten. Es kann aus den vorgenannten Gründen (unter II 3 a) zudem nicht davon ausgegangen werden, mit diesen beiden ehrenamtlichen Richtern sei über die Wiedereröffnung - in rechtsfehlerhafter Besetzung des Gerichts - beraten worden. Dies ergibt sich aus den bereits wiedergegebenen Entscheidungsgründen und weiterhin aus dem von den anderen ehrenamtlichen Richtern niedergelegten und unterschriebenen Tenor sowie aus dem Umstand, dass der Vorsitzende ausweislich des Protokolls „unter Bezugnahme auf den schriftlich niedergelegten Tenor“ das Urteil verkündete.

        

    Bepler    

        

    Creutzfeldt    

        

    Treber    

        

        

        

    Kiefer    

        

    Hardebusch    

                 

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