Urteil vom Bundesarbeitsgericht (4. Senat) - 4 AZR 305/10
Tenor
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1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2009 - 8 Sa 40/08 - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin in der Entgeltgruppe Ä 3 (Oberärztin/Oberarzt) des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte im KAH vom 22. November 2006 (TV-Ärzte/KAH).
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Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und Mitglied im tarifschließenden Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg e. V. (KAH).
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Die Klägerin ist Fachärztin für Innere Medizin und Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft Marburger Bund. Sie ist seit dem 1. Februar 1987 bei der Beklagten beschäftigt und wurde von dieser zunächst als Fachärztin nach der VergGr. Ib (Fallgr. 7) BAT vergütet. Mit Wirkung ab 1. März 1990 wurde die Klägerin nach erfolgter Bewährung in der VergGr. Ia (Fallgr. 4) BAT eingruppiert. Nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH am 1. Januar 2007 wurde sie von der Beklagten in dessen Entgeltgruppe Ä 2 übergeleitet.
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Die Klägerin war seit dem 1. Mai 1996 Leiterin des Gerinnungslabors der Abteilung Allgemeinchirurgie im Klinikum der Beklagten. Nach dessen Auflösung im Jahre 1999 wurde die ärztliche Versorgung von Patienten mit Gerinnungsproblemen in der Abteilung für Hämatologie und Onkologie durchgeführt. Auch die Klägerin arbeitete dort weiter. Die Beklagte hatte ihr mit Schreiben vom 9. Juli 1999 zugesichert, dass sich aus der Umorganisation keine Änderung ihres Vertragsverhältnisses ergebe. Die Abteilung für Hämatologie und Onkologie gehört zur II. Medizinischen Klinik der Beklagten, die in vier Stationen unterteilt ist und über fünf Spezialambulanzen und eine Privatambulanz verfügt. Die dort angesiedelte Gerinnungsambulanz wird seit 1999 von der Klägerin geleitet. Sie ist in eigenen Räumlichkeiten untergebracht und verfügt über eigenes Personal, bestehend aus fünf Ärzten, von denen neben der Klägerin mindestens einer ein Facharzt ist, und zwei Pflegekräften. Innerhalb der Gerinnungsambulanz ist die Klägerin allen Mitarbeitern gegenüber weisungsberechtigt. Sie sieht sämtliche Patienten dieses Bereichs und weist sie den anderen Ärzten der Ambulanz zur Behandlung zu. Die Berichte der Ärzte der Ambulanz werden von ihr durchgesehen, ggf. korrigiert, und dann unterzeichnet und an den Chefarzt weitergeleitet, der die Berichte ebenfalls gegenzeichnet.
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Mit Urkunde vom 30. November 2005 genehmigte die Ärztekammer Hamburg der Klägerin die Führung der Zusatzbezeichnung „Hämostaseologie“. Unter dem 24. Mai 2007 beantragte die Beklagte die Teilnahme an der ambulanten Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V für die Diagnostik und Versorgung von Patienten mit Hämophilie. Hierin heißt es auszugsweise:
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„Am U besteht seit etwa 28 Jahren ein interdisziplinär arbeitendes Hämophilie-Zentrum. Leiterin dieses Zentrums ist Dr. med. E, Fachärztin für Innere Medizin, Hämostaseologie, Abteilung für Onkologie und Hämatologie am U. Als Mitarbeiter beschäftigt sind Dr. med. H, Fachärztin für Innere Medizin, Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie sowie Dr. med. L, Facharzt für Innere Medizin und Dr. med. La. Ein Rotationsassistenz aus der II. Medizinischen Klinik ist unter fachärztlicher Supervision tätig, weiterhin ist eine Hämophilieschwester und eine Forschungs-MTA beschäftigt.“
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Mit Schreiben vom 22. Mai 2007 machte die Klägerin erfolglos ihre Eingruppierung in der Entgeltgruppe Ä 3 (Stufe 3) TV-Ärzte/KAH geltend.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr sei die medizinische Verantwortung für den organisatorisch und personell selbständigen Teilbereich Gerinnungsambulanz in der II. Medizinischen Klinik von der Beklagten übertragen worden. Deshalb stehe ihr die begehrte Vergütung zu.
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Die Klägerin hat beantragt
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Januar 2007 Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 3, Stufe 3, des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte im KAH (TV-Ärzte/KAH) vom 22. November 2006 zu zahlen.
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Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag ua. damit begründet, dass die Gerinnungsambulanz zwar von der Klägerin geleitet werde, die medizinische Verantwortung hierfür jedoch beim Chefarzt liege. Im Übrigen sei das Tätigkeitsmerkmal einer Oberärztin nur erfüllt, wenn sich die medizinische Verantwortung auf mehrere Teil- oder Funktionsbereiche beziehe. Dies ergebe sich aus dem Tarifwortlaut.
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Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet.
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I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Klägerin die medizinische Verantwortung für den Teilbereich der Gerinnungsambulanz übertragen worden sei. Die Übertragung der Verantwortung für mehrere Bereiche sei nicht erforderlich. In dieser Tätigkeit habe die Klägerin eine Leitungsfunktion, die sich auch auf einen Facharzt erstrecke. Der medizinischen Verantwortung stehe die Letztverantwortung des leitenden Arztes der II. Medizinischen Klinik nicht entgegen. Die Tätigkeit der Klägerin als Oberärztin werde von ihr auch mindestens zur Hälfte der Gesamttätigkeit ausgeübt.
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II. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten bleibt erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten ohne Rechtsfehler zurückgewiesen.
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1. Die Klage ist als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig. Ein Feststellungsinteresse besteht auch hinsichtlich der geltend gemachten Stufenzuordnung in die Stufe 3 der Entgelttabelle. Die Höhe der Vergütungspflicht der Beklagten ergibt sich nicht allein aus der Entgeltgruppe, sondern auch aus der Stufenzuordnung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass selbst für den Fall der Feststellung einer Vergütungspflicht nach der Entgeltgruppe Ä 3 TV-Ärzte/KAH noch Streit über die Stufenzuordnung besteht.
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2. Die Klage ist auch begründet.
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a) Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft Mitgliedschaft in den tarifschließenden Koalitionen nach § 3 Abs. 1 TVG der TV-Ärzte/KAH.
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b) Damit sind für die Eingruppierung der Klägerin folgende Tarifbestimmungen des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen TV-Ärzte/KAH maßgeblich:
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„§ 12
Eingruppierung
Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:
Entgeltgruppe
Bezeichnung
Ä 1
Arzt, Zahnarzt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Akademischer Mitarbeiter
Ä 2
Facharzt, Fachzahnarzt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter nach zehnjähriger Tätigkeit in Ä 1
Akademischer Mitarbeiter nach zehnjähriger Tätigkeit in Ä 1
Ärzte, die überwiegend ein spezifisches ärztliches Arbeitsfeld erfüllen, z.B. Qualitätsmanager, OP-Manager, Medizin-Controller, DRG-Manager
Ä 3
Oberarzt
Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.
Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung zusätzlich zur Facharztweiterbildung fordert.
Ä 4
Facharzt, dem die ständige Vertretung des leitenden Arztes vom Arbeitgeber übertragen worden ist.
(Protokollerklärung: Ständiger Vertreter ist nur der Arzt, der den leitenden Arzt in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik nur von einem Arzt erfüllt werden.)
...
§ 15
Tabellenentgelt
Der Arzt erhält monatlich ein Tabellenentgelt. Die Höhe bestimmt sich nach der Entgeltgruppe, in die er eingruppiert ist, und nach der für ihn geltenden Stufe gemäß der Anlage A1.
§ 16
Stufen der Entgelttabelle
(1)
Die Entgeltgruppen Ä 1 und Ä 2 umfassen fünf Stufen; die Entgeltgruppe Ä 3 umfasst drei Stufen; die Entgeltgruppe Ä 4 umfasst eine Stufe. Die Ärzte erreichen die jeweils nächste Stufe nach den Zeiten ärztlicher (Ä 1), fachärztlicher (Ä 2), oberärztlicher (Ä 3) Tätigkeit bzw. der Tätigkeit als ständiger Vertreter des leitenden Arztes, die in der Tabelle (Anlage A1) angegeben sind.
(2)
Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden. …
Anlage A 1
Entgelttabelle
für Ärzte
im Geltungsbereich des TV-Ärzte KAH
gültig ab 1. Januar 2007
Entgelt-
Stufe 1
Stufe 2
Stufe 3 ...
gruppe
...
Ä 3
5.600
5.900
6.200
ab dem 1.
ab dem 4.
ab dem
Jahr
Jahr
7. Jahr“
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Ebenfalls am 22. November 2006 haben die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte im KAH (TVÜ-Ärzte/KAH) vereinbart. Die für den Rechtsstreit maßgebenden Regelungen in diesem Tarifvertrag lauten wie folgt:
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„§ 1
Überleitung
Die von § 1 TV-Ärzte KAH erfassten Ärzte werden am 1. Januar 2007 gemäß den nachfolgenden Regelungen in den TV-Ärzte KAH übergeleitet.
...
§ 3
Entgeltgruppenzuordnung und Einstufung
(1)
Für die Eingruppierung der Ärzte ab 01. Januar 2007 gilt die Entgeltordnung gem. § 12 TV-Ärzte KAH.
(2)
Die Ärzte werden in die Entgeltstufe eingestuft, die sie erreicht hätten, wenn die Entgeltordnung gemäß § 12 TV-Ärzte KAH für Ärzte bereits seit Beginn ihrer Zugehörigkeit zu der für sie maßgeblichen Entgeltgruppe gegolten hätte.
(3)
Ärzte, die am 24. Mai 2006 die Bezeichnung ‚Oberärztin/Oberarzt’ führten, ohne die Voraussetzungen für eine Eingruppierung als Oberärztin bzw. Oberarzt nach § 12 TV-Ärzte KAH zu erfüllen, behalten die Berechtigung zur Führung ihrer bisherigen Bezeichnung. Eine Eingruppierung nach Entgeltgruppe Ä 3 ist hiermit nicht verbunden.“
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c) Nach Maßgabe der für die Auslegung von Tarifverträgen üblichen Kriterien (vgl. näher zB BAG 7. Juli 2004 - 4 AZR 433/03 - BAGE 111, 204; 30. Mai 2001 - 4 AZR 269/00 - BAGE 98, 35, jeweils mwN) erfüllt die Tätigkeit der Klägerin die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmales einer Oberärztin iSv. § 12 TV-Ärzte/KAH (im Hinblick auf die klagende Partei wird im Folgenden stets die weibliche Form gewählt). Ihr ist die medizinische Verantwortung für den Teilbereich einer Klinik oder Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden.
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aa) Die für die Eingruppierung der Klägerin bedeutsame Tätigkeit ist die Leitung der Gerinnungsambulanz.
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(1) Für die Eingruppierung einer Ärztin kommt es auf die von ihr zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübende Tätigkeit an (§ 12 Einleitungssatz TV-Ärzte/KAH). Anders als § 22 Abs. 2 BAT oder § 15 Abs. 2 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) vom 17. August 2006 stellt § 12 TV-Ärzte/KAH - wie der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) vom 30. Oktober 2006 - nicht auf Arbeitsvorgänge ab. Dies steht der Zusammenfassung von Einzeltätigkeiten zu einer einheitlich zu bewertenden Gesamttätigkeit oder mehreren jeweils eine Einheit bildenden Teiltätigkeiten für deren jeweils einheitliche tarifliche Bewertung jedoch nicht entgegen. Dafür gelten vergleichbare Regeln und Kriterien wie bei der Bestimmung des Arbeitsvorgangs, lediglich die anzuwendenden Maßstäbe sind weniger streng (st. Rspr., etwa BAG 27. August 2008 - 4 AZR 484/07 - Rn. 17 mwN, BAGE 127, 305). Für die Eingruppierung kommt es daher zunächst darauf an festzustellen, ob die Arbeitnehmerin eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit oder eine Teiltätigkeit ausübt, die mindestens die Hälfte der Wochenarbeitszeit ausfüllt, oder mehrere selbständige Teiltätigkeiten zu erbringen hat (st. Rspr., etwa BAG 1. Juli 2009 - 4 ABR 18/08 - Rn. 29, BAGE 131, 197; 23. August 2006 - 4 AZR 410/05 - Rn. 11 mwN, AP TVAL II § 51 Nr. 12). Innerhalb der zu bewertenden Tätigkeit ist nicht mehr zu prüfen, ob die geforderten fachlichen Anforderungen zeitlich überwiegen (BAG 9. Mai 2007 - 4 AZR 757/06 - Rn. 36, BAGE 122, 244). Es kommt bei der so bestimmten Tätigkeit auf ein rechtserhebliches Ausmaß der geforderten fachlichen Anforderungen an, soweit die erhöhte fachliche Qualifikation während der Ausübung der Tätigkeit ständig vorgehalten werden muss.
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(2) Danach ist die Leitung der Gerinnungsambulanz als einheitlicher Tätigkeitsbereich der Klägerin zu bestimmen.
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(a) Bereits im Allgemeinen ist bei Ärztinnen von einer grundsätzlich einheitlichen Tätigkeit im tariflichen Sinne auszugehen, da der Arztbegriff ein Funktionsmerkmal darstellt (BAG 29. August 2007 - 4 AZR 571/06 - ZTR 2008, 210), das in der Regel eine einheitliche Bewertung der Tätigkeit indiziert. Davon mag eine Ausnahme zu machen sein, wenn es um unterscheidbare Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen geht, die uU eine unterschiedliche tarifliche Wertigkeit aufweisen. Davon kann im vorliegenden Fall nicht in entscheidungserheblichem Umfang ausgegangen werden, weil es hierfür aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keinen Anhaltspunkt gibt.
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(b) Die Klägerin übt in ihrer Tätigkeit eine Funktion innerhalb einer einzigen organisatorischen Einheit der Beklagten aus. Diese Funktionsausübung lässt sich jedenfalls nicht von Tätigkeitseinheiten der Klägerin abgrenzen, die bis zu der Hälfte ihrer sonstigen Arbeitszeit ausmachen. Insoweit gilt nichts anderes als bei der Bestimmung eines Arbeitsvorgangs für eine Ärztin, deren Tätigkeit als solche jedenfalls dann als einheitlicher Arbeitsvorgang zu werten ist, wenn nicht abgrenzbare Tätigkeiten in anderen Bereichen oder Funktionen feststellbar sind.
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(c) Soweit sich die Beklagte in den Vorinstanzen darauf berufen hat, dass die Klägerin auch selbst Behandlungen durchführt, wie andere Ärztinnen der Ambulanz, sind diese nicht von ihrer Funktion als Leiterin der Gerinnungsambulanz trennbar. Auch bei Ausübung solcher „einfachen“ Behandlungen muss die Klägerin als Leiterin der Ambulanz die entsprechenden Qualifikationen und Anforderungen jederzeit vorhalten.
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Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass die Klägerin auch an „Studien“ teilnimmt, fehlt es an einem erheblichen Tatsachenvorbringen der Beklagten. Angesichts der Tatsache, dass diese selbst ausdrücklich vorgetragen hat, die Klägerin sei die Leiterin der Gerinnungsambulanz und sie sei ausschließlich als solche tätig, reicht der bloße Hinweis auf einen weiteren von der Klägerin wahrgenommenen Tätigkeitsbereich, der abweichend hiervon zu bewerten sei, nicht aus. Hier fehlt es an jeder der Beklagten obliegenden Darlegung, dass zum einen diese Tätigkeit nicht dem Bereich der Aufgabenerfüllung einer Ambulanzleiterin zuzuordnen ist und zum anderen ein tariflich bedeutsamer Zeitanteil mit diesen anders zu qualifizierenden Arbeiten verbracht wird. Im Übrigen spricht viel dafür, dass auch die „Teilnahme an Studien“ zum Tätigkeitsbereich einer Leiterin der Gerinnungsambulanz gehört. Hierfür streitet insbesondere die Beschreibung der Beklagten in ihrem Antrag auf Teilnahme an der ambulanten Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V. Dort heißt es nach der Beschreibung des Hämophilie-Zentrums, deren Leiterin die Klägerin ist:
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„Die Gerinnungsambulanz nimmt an prospektiven Studien teil sowie an Anwendungsbeobachtungen in Bezug auf Gerinnungsfaktorenpräparate. Die Befähigung zu klinischer Forschung, zur Durchführung klinischer Prüfungen nach § 40 AMG sowie zur Behandlung mit Blutprodukten gemäß §§ 14, 15 TFG liegt vor.“
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Dies verdeutlicht die Einbeziehung der Studien und Anwendungsbeobachtungen in den Aufgabenbereich einer Gerinnungsambulanz, als deren Leiterin die Klägerin von der Beklagten bezeichnet wird.
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bb) Die Gerinnungsambulanz der II. Medizinischen Klinik der Beklagten ist ein Teilbereich iSv. § 12 TV-Ärzte/KAH.
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(1) Der Begriff des Teilbereichs in § 12 TV-Ärzte/KAH entspricht dem gleichlautenden Tarifbegriff im Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL). Die Auslegung des Begriffs ergibt unter besonderer Berücksichtigung des Wortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs, dass ein Teilbereich einer Klinik oder Abteilung im tariflichen Sinne regelmäßig eine organisatorisch abgrenzbare Einheit innerhalb der übergeordneten Einrichtung einer Klinik oder Abteilung ist, der eine bestimmte Aufgabe mit eigener Zielsetzung sowie eigener medizinischer Verantwortungsstruktur zugewiesen ist und die über eine eigene räumliche, personelle und sachlich-technische Ausstattung verfügt. Die Anforderung einer gewissen organisatorischen Verselbständigung wird in der Regel einerseits durch eine zumindest auf einen nicht unerheblichen Zeitraum, zumeist jedoch auf unbestimmte Dauer ausgerichtete Ausstattung mit eigenem nichtärztlichem und ärztlichem Personal erfüllt. Die bloße Aufgabenerfüllung mit wechselndem Personal genügt für die erforderliche Abgrenzung nicht. Andererseits müssen der Einheit regelmäßig auch eigene Räume und sonstige Sachmittel zugewiesen worden sein. Diese orientieren sich an dem der organisatorischen Einheit innerhalb der Klinik oder der Abteilung übertragenen Zweck. Erforderlich ist, dass die Einheit in diesem Sinne tatsächlich organisatorisch verselbständigt ist; es genügt nicht, dass aufgrund der Aufgabenstellung hierzu die Möglichkeit bestünde. Zugewiesen sein muss eine eigenständige Verantwortungsstruktur. Nicht zwingend ist dagegen, dass es sich um eine organisatorische Ebene unmittelbar unterhalb derjenigen der Klinik oder Abteilung handeln muss. Es ist aber regelmäßig davon auszugehen, dass ein Teilbereich im tariflichen Sinne über eine bestimmte Mindestgröße verfügen muss und nicht auf der untersten organisatorischen Hierarchieebene angesiedelt sein kann, was jedoch durch die Anforderung einer organisatorischen Selbständigkeit und die Anbindung an das Merkmal der „medizinischen Verantwortung“ in der Regel auch ausgeschlossen sein dürfte (vgl. ausf. BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 568/08 - Rn. 29 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 9).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Gerinnungsambulanz in der II. Medizinischen Klinik der Beklagten ein Teilbereich im tariflichen Sinne.
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Die Gerinnungsambulanz ist als selbständige Organisationseinheit in der Klinik der Beklagten organisiert. Zur Verfolgung einer medizinischen Aufgabe, nämlich der ärztlichen Versorgung von Patienten mit Gerinnungsproblemen, sind ihr eigene Räumlichkeiten zugewiesen, die nur durch sie genutzt werden. Sie verfügt auch über eigenes Personal. Hierzu gehören zwei nichtärztliche Mitarbeiter sowie mehrere Ärzte, darunter - neben der Klägerin - mindestens ein Facharzt. Die Eignung der Gerinnungsambulanz als Teilbereich iSv. § 12 TV-Ärzte/KAH wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.
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cc) Der Klägerin trägt auch die medizinische Verantwortung für den Teilbereich der Gerinnungsambulanz.
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(1) Aus der Struktur der Regelung in § 12 TV-Ärzte/KAH folgt, dass die den Oberärztinnen im Tarifsinne obliegende „medizinische“ Verantwortung über die allgemeine „ärztliche“ Verantwortung einer Assistenzärztin und einer Fachärztin deutlich hinausgeht. Dabei wird an die tatsächliche krankenhausinterne Organisations- und Verantwortungsstruktur angeknüpft. Kliniken sind arbeitsteilig organisiert und weisen zahlreiche spezialisierte und fragmentierte Diagnose-, Behandlungs- und Pflegeabläufe mit einer abgestuften Verantwortungsstruktur der handelnden Personen auf. Dem entspricht die tarifliche Einordnung der medizinischen Verantwortung von Oberärztinnen, die in § 12 TV-Ärzte/KAH innerhalb der Struktur der Entgeltgruppen nach „unten“ und nach „oben“ in ein von den Tarifvertragsparteien als angemessen angesehenes Verhältnis gesetzt wird. Von der Übertragung einer medizinischen Verantwortung im Tarifsinne kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn sich das Aufsichts- und - eingeschränkte - Weisungsrecht auch auf Fachärztinnen der Entgeltgruppe Ä 2 TV-Ärzte/KAH erstreckt und die Verantwortung für den Bereich ungeteilt ist (vgl. dazu ausf. BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 836/08 - Rn. 24 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge Arzt Nr. 5).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Klägerin die medizinische Verantwortung für den Teilbereich Gerinnungsambulanz übertragen worden. Ihr Aufsichts- und eingeschränktes Weisungsrecht erstreckt sich auf mehrere Ärzte, darunter mindestens ein Facharzt sowie auf das nichtärztliche Personal des Teilbereichs. Es äußert sich ua. in der konkreten Aufgabe der Inaugenscheinnahme sämtlicher Patienten, der anschießenden Zuweisung an andere Ärzte zur weiteren Behandlung und in der Durchsicht, Korrektur und abschließenden Gegenzeichnung der von den anderen Ärzten des Teilbereichs verfassten Berichte. Dass die Berichte nach Weiterleitung durch die Klägerin auch noch vom leitenden Arzt gegengezeichnet werden, hindert die Annahme der im tariflichen Sinne alleinigen medizinischen Verantwortung der Klägerin für den Bereich nicht. Bereits generell steht die medizinische Letztverantwortung des leitenden Arztes der Erfüllung der Anforderung einer medizinischen Verantwortung für einen Teilbereich durch eine Oberärztin nicht entgegen. Die Revision beruft sich deshalb zu Unrecht darauf, dass die Klägerin die Berichte an den leitenden Arzt weiterleitet. Hieraus kann eine nur auf die Gerinnungsambulanz bezogene rein „oberärztliche“ Verantwortung des daneben für die gesamte Klinik verantwortlichen leitenden Arztes nicht gefolgert werden. Auch die Tätigkeit eines leitenden Arztes ist nicht teilbar. Es bedürfte jedenfalls insoweit einer ausdrücklichen und unbezweifelbaren Organisations- und Verantwortungsstruktur, die die Beklagte im Einzelnen darzustellen hätte. Angesichts ihres in der Revision wiederholten Vortrages, die Klägerin „leite“ die Gerinnungsambulanz und die festgestellte Tatsache der Weisungsbefugnis gegenüber mindestens einem Facharzt ist das Landesarbeitsgericht zu Recht von einer medizinischen Verantwortung der Klägerin ausgegangen.
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dd) Entgegen der Revision verlangt das Tätigkeitsmerkmal einer Tätigkeit als Oberärztin iSv. § 12 TV-Ärzte/KAH nicht die Verantwortung für mehrere Teilbereiche.
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Im Regelfall erstreckt sich die medizinische Verantwortung einer Oberärztin innerhalb der Organisation eines Krankenhauses nur auf eine Organisationseinheit, die die Tarifvertragsparteien als Teil- oder Funktionsbereich definieren. Das ergibt sich schon aus der gleichfalls tariflich normierten Anforderung, die medizinische Verantwortung müsse für den gesamten Teilbereich und ungeteilt bestehen.
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Die Verwendung des unbestimmten Plurals durch die Tarifvertragsparteien reicht angesichts der möglichen Bedeutung einer Regelung mit einem solchen Inhalt nicht aus, um einen Willen der Tarifvertragsparteien festzustellen, als Oberarzt sei nur der Arzt zu vergüten, der für (mindestens) zwei oder mehr Teil- oder Funktionsbereiche einer Klinik bzw. Abteilung die medizinische Verantwortung trägt. Wäre ein solcher Begriffsinhalt beabsichtigt gewesen, hätten die Tarifvertragsparteien angesichts der Bedeutung einer solchen Regelung das entsprechende Zahlenwort verwandt (Bruns ArztR 2007, 60, 66). Die Tarifvertragsparteien haben den unbestimmten Plural auch an anderen Stellen des TV-Ärzte/KAH verwandt, ohne mit dieser Formulierung eine Mindestzahl von mehr als eins zum Ausdruck bringen zu wollen. So gilt der TV-Ärzte/KAH nach § 1 Abs. 1 Satz 2 ua. für alle wissenschaftlichen Mitarbeiter an „Universitätskliniken“, ohne dass daraus zu folgern wäre, aus dem unbestimmten Plural „Universitätskliniken“ ergebe sich, dass der Tarifvertrag nur für wissenschaftliche Mitarbeiter gelte, die an mindestens zwei Universitätskliniken beschäftigt seien. Auch die Regelung über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in § 22 TV-Ärzte/KAH begründet einen Anspruch dem Wortlaut nach dann, wenn „Ärzte durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind“; in diesem Fall „erhalten sie“ eine den weiteren Vorschriften entsprechende Entgeltfortzahlung. Wie an weiteren Stellen des TV-Ärzte/KAH (§ 25 Betriebliche Altersversorgung, § 26 Erholungsurlaub, § 37 Ausschlussfrist ua.) begründet auch hier die Verwendung des unbestimmten Plurals keine Notwendigkeit des Vorliegens der Voraussetzungen bei mehr als einer Ärztin.
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ee) Die Ausübung der medizinischen Verantwortung beruht auch auf einer Übertragung dieser Aufgaben durch die Beklagte.
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(1) Grundlage der tariflichen Eingruppierungsbewertung ist nach § 12 TV-Ärzte/KAH die nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübende Tätigkeit der Ärztin. Nach der Senatsrechtsprechung ist dies die nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien bestimmte, vertraglich geschuldete Tätigkeit. Die Wirksamkeit einer entsprechenden Vereinbarung richtet sich nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Insoweit kann sich die Arbeitgeberpartei des Arbeitsvertrages auch vertreten lassen. Soweit sie in Bezug auf den Arbeitsvertragsinhalt nicht selbst handelt, muss sie sich ggf. das Handeln eines Vertreters nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht zurechnen lassen. Entscheidend ist die von der Ärztin nach der konkreten Gestaltung des Arbeitsverhältnisses auszuübende vertragliche Tätigkeit (vgl. dazu ausf. BAG 22. September 2010 - 4 AZR 166/09 - Rn. 16 bis 27).
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(2) Danach ist der Klägerin die medizinische Verantwortung für den Teilbereich Gerinnungsambulanz auch durch die Beklagte übertragen worden. Dass die Gerinnungsambulanz seit 1999 von der Klägerin geleitet wird, ist vom Landesarbeitsgericht festgestellt und von der Beklagten in der Revision weder in tatsächlicher Hinsicht noch in der hiermit verbundenen rechtlichen Wertung in Frage gestellt worden.
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d) Die Klage ist auch hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Feststellung ihrer Entgeltstufe innerhalb der Entgeltgruppe Ä 3 begründet. Die Klägerin übt die Tätigkeit einer Oberärztin im Sinne des Tätigkeitsmerkmales der Entgeltgruppe Ä 3 erste Fallgr. TV-Ärzte/KAH seit mehr als sechs Jahren aus.
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aa) § 3 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/KAH ist dahingehend auszulegen, dass die bei der für die Stufenzuordnung maßgebenden Tätigkeitszeiten auch für Zeiträume angerechnet werden, die vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/KAH lagen, wenn in ihnen die entsprechenden Tätigkeitsmerkmale erfüllt worden wären. Die Zuordnung einer Oberärztin in die Entgeltstufe 3 für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2007 setzt damit die durch den Arbeitgeber erfolgte Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich vor dem 1. Januar 2001 voraus.
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bb) Diese Voraussetzung wird durch die Klägerin erfüllt. Denn ihr ist die Leitung des Teilbereichs Gerinnungsambulanz der II. Medizinischen Klinik der Beklagten am 1. Mai 1996, spätestens jedoch mit der Umorganisierung im Jahre 1999, übertragen worden. Dazu, dass etwa in einem bestimmten Zeitraum vor dem 1. Januar 2007 andere Bedingungen gegeben waren als danach, die zu einer anderen tariflichen Bewertung der Tätigkeit der Klägerin in diesem Zeitraum führen könnten, hat die Beklagte nichts vorgetragen.
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III. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen, weil ihre Revision erfolglos bleibt, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Bepler
Treber
Creutzfeldt
Steding
Rupprecht
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