Beschluss vom Bundesarbeitsgericht (3. Senat) - 3 AZB 23/12

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 29. Dezember 2011 - 4 Ta 7/11 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die ihm im Rahmen der gewährten Prozesskostenhilfe auferlegte Verpflichtung, Gerichtskosten und Rechtsanwaltsgebühren iHv. 1.016,91 Euro an die Staatskasse zu zahlen.

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Der Kläger war seit dem 21. Januar 2002 bei der M GmbH beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. März 2010 außerordentlich zum 29. März 2010 sowie vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2010. Hiergegen setzte der Kläger sich - vertreten durch die Gewerkschaft IG Metall, Region Stuttgart - mit seiner beim Arbeitsgericht am 6. April 2010 eingegangenen Klage zur Wehr. Am 6. Mai 2010 fand vor dem Arbeitsgericht ein Gütetermin statt, zu dem der Kläger und Frau Assessorin C von der IG Metall sowie ein Vertreter der M GmbH erschienen. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2010 zeigte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers die anwaltliche Vertretung des Klägers an. Die IG Metall legte mit Schriftsatz vom 16. Juni 2010 ihre Prozessvertretung nieder. Am 17. September 2010 beantragte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines jetzigen Prozessbevollmächtigten.

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Mit Beschluss vom 21. Oktober 2010 bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger ab dem 17. September 2010 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne Zahlungsanordnung und ordnete ihm seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten bei. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2010 stellte das Arbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen eines Vergleichs über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2010 gegen Zahlung einer Abfindung iHv. 10.000,00 Euro brutto fest. Ausweislich Ziffer 5. des Vergleichs wurden die Kosten gegeneinander aufgehoben. Mit Vergütungsfestsetzung vom 12. November 2010 setzte das Arbeitsgericht die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung des im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe dem Kläger im ersten Rechtszug beigeordneten Rechtsanwalts auf 998,41 Euro fest.

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Der Bezirksrevisor beim Landesarbeitsgericht legte mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2010 gegen die mit Beschluss vom 21. Oktober 2010 vom Arbeitsgericht im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe getroffene „Entscheidung über Zahlungsbestimmungen“ sofortige Beschwerde ein mit der Begründung, gewerkschaftlicher Rechtsschutz stelle zu verwertendes Vermögen iSv. § 115 Abs. 3 ZPO dar. Mit Beschluss vom 27. Juni 2011 änderte das Arbeitsgericht seinen Beschluss vom 21. Oktober 2010 dahin ab, dass der Kläger verpflichtet wurde, die Gerichtsgebühren iHv. 18,50 Euro sowie die Rechtsanwaltskosten iHv. 998,41 Euro, mithin insgesamt 1.016,91 Euro, an die Staatskasse zu zahlen.

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Gegen diesen, ihm am 5. Juli 2011 zugestellten Beschluss legte der Kläger am 19. Juli 2011 sofortige Beschwerde ein. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht ab und legte sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 29. Dezember 2011, der am 24. Januar 2012 zur Post aufgegeben wurde, zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Mit seiner am 27. Februar 2012 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen und zugleich begründeten Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Wiederherstellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 21. Oktober 2010 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.

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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, denn sie wurde vom Landesarbeitsgericht gemäß § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Die Rechtsbeschwerde wurde auch frist- und ordnungsgemäß eingelegt und begründet (§ 575 Abs. 1 ZPO).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 27. Juni 2011 zu Recht zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht hat den Bewilligungsbeschluss vom 21. Oktober 2010 auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse rechtsfehlerfrei dahin abgeändert, dass der Kläger zur Zahlung von Gerichts- und Rechtsanwaltskosten iHv. insgesamt 1.016,91 Euro an die Staatskasse verpflichtet ist.

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a) Die sofortige Beschwerde der Staatskasse war zulässig, insbesondere war sie statthaft nach § 127 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 ZPO.

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aa) Eine Beschwerde der Staatskasse findet nach § 127 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nach § 127 Abs. 3 Satz 2 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Dementsprechend ist das Beschwerderecht der Staatskasse auf den Fall beschränkt, dass Prozesskostenhilfe zwar bewilligt wurde, rechtsfehlerhaft jedoch weder Ratenzahlungen noch Zahlungen aus dem Vermögen angeordnet worden sind. Der Sinn des für die Staatskasse erst durch Gesetz vom 9. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2326) eingeräumten Beschwerderechts liegt darin, im Interesse der Haushaltsmittel der Länder zu Unrecht unterbliebene Zahlungsanordnungen nachträglich zu erreichen. Demzufolge ist der Staatskasse auch nur in diesem beschränkten Umfang ein Beschwerderecht zugebilligt worden, nämlich nur zu einer dahin gehenden Kontrolle von Bewilligungsentscheidungen, in denen Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt wurde (BGH 17. November 2009 - VIII ZB 44/09 - Rn. 3 mwN, NJW-RR 2010, 494).

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bb) Die sofortige Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 21. Oktober 2010 wird diesen Anforderungen gerecht. Sie stützt sich darauf, dass gewerkschaftlicher Rechtsschutz einzusetzendes Vermögen iSd. § 115 Abs. 3 ZPO sei. Damit zielt der Antrag der Staatskasse darauf ab, dem Kläger Zahlungen auf die Kosten der Prozessführung aufzuerlegen.

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b) Das Arbeitsgericht hat den Bewilligungsbeschluss vom 21. Oktober 2010 mit Beschluss vom 27. Juni 2011 zu Recht abgeändert und den Kläger zur Zahlung von Gerichts- und Rechtsanwaltskosten iHv. insgesamt 1.016,91 Euro an die Staatskasse verpflichtet. Dem Kläger war es zumutbar, insoweit durch Inanspruchnahme gewerkschaftlichen Rechtsschutzes sein Vermögen einzusetzen, § 115 Abs. 3 ZPO.

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aa) § 115 ZPO bestimmt, in welchem Umfang die hilfsbedürftige Partei Einkommen und Vermögen für Gerichts- und Anwaltskosten einzusetzen hat, die ihr durch die Prozessführung voraussichtlich entstehen werden. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf gewerkschaftlichen Rechtsschutz für ein arbeitsgerichtliches Verfahren ist ein vermögenswertes Recht iSd. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO (vgl. etwa Hessisches LAG 28. Juni 2012 - 16 Ta 206/12 - zu II 2 der Gründe; Bayerisches LSG 7. Oktober 2009 - L 5 KR 9/09 B PKH - zu II der Gründe; 9. November 2009 - L 5 KR 377/09 B PKH RG - zu II der Gründe; LAG Schleswig-Holstein 4. Juni 2009 - 1 Ta 107 e/09 - zu II 1 der Gründe; OLG Rostock 15. April 2008 - 1 U 49/07 - zu 1 a der Gründe, OLGR Rostock 2009, 112; LAG Schleswig-Holstein 15. Dezember 2006 - 1 Ta 187/06 - zu II der Gründe; LAG Hamm 30. Januar 2006 - 4 Ta 675/05 - zu II 1 1.1 der Gründe; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 115 Rn. 49c; MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 115 Rn. 77; aA LAG Schleswig-Holstein 8. Juni 1983 - 4 Ta 80/83 - NJW 1984, 830, das von Mutwilligkeit iSd. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausgeht, wenn gewerkschaftlicher Rechtsschutz nicht in Anspruch genommen wird).

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(1) Die Prozesskostenhilfe dient dem Zweck, unbemittelten Personen den Zugang zu den staatlichen Gerichten zu eröffnen. Sie ist als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge und als Bestandteil der Rechtsschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege (vgl. etwa BGH 26. Oktober 1989 - III ZR 147/88 - zu A II 2 c bb der Gründe, BGHZ 109, 163; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 115 Rn. 19). Daher tritt der Staat nur ein, wenn die Partei selbst die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn die Partei zwar selbst bedürftig ist, jedoch gegen einen Dritten Anspruch auf Bevorschussung, etwa aus dem Unterhaltsrecht (vgl. etwa BGH 25. November 2009 - XII ZB 46/09 - Rn. 4, NJW 2010, 372; 10. Juli 2008 - VII ZB 25/08 - Rn. 8, MDR 2008, 1232), oder auf Übernahme der Verfahrenskosten, zB durch eine Rechtsschutzversicherung (vgl. etwa BGH 20. Juni 2006 - VI ZR 255/05 - zu II 1 der Gründe, VersR 2007, 132; 25. April 2006 - VI ZR 255/05 - ZfSch 2006, 503), hat. Deshalb stellt auch die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, zur Durchführung eines Arbeitsgerichtsprozesses gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, Vermögen iSv. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO dar, solange die Gewerkschaft Rechtsschutz nicht abgelehnt hat oder es als sicher erscheint, dass dies geschehen wird. Etwas anderes gilt nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur dann, wenn im Einzelfall der Vermögenseinsatz unzumutbar ist. Dies kann bei einer erheblichen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Gewerkschaft und ihrem Mitglied der Fall sein. Dabei ist der Arbeitnehmer zur Begründung seines Prozesskostenhilfeantrags verpflichtet, die Gründe, die für die Unzumutbarkeit sprechen, im Einzelnen darzulegen.

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(2) Die prozesskostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser Gewerkschafts- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche lassen sich nicht aus Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG herleiten. Hierdurch wird weder die kollektive Vereinigungsfreiheit noch die Tätigkeit der Gewerkschaften oder die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, einem Verband oder einer Gewerkschaft beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Im Regelfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozesskostenhilfe seine Entscheidungsfreiheit darüber beeinflusst, einer Gewerkschaft oder einem Verband beizutreten oder nicht.

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(3) Mitglieder von Gewerkschaften und Verbänden mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch die Gewerkschaft oder den Verband werden durch die Verweisung auf die Inanspruchnahme dieses Rechtsschutzes auch nicht schlechter gestellt als Nicht-Organisierte, die sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Der Gesetzgeber hat in § 11 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 ArbGG bis zur Ebene der Landesarbeitsgerichte eine Vertretung durch Verbands- oder Gewerkschaftsangestellte ohne Befähigung zum Richteramt einer solchen durch Rechtsanwälte gleichgestellt. Zudem bestimmt § 11 Abs. 4 Satz 3 ArbGG, dass die in § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG bezeichneten Organisationen in Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, führt die Verweisung auf den gewerkschaftlichen Rechtsschutz auch nicht zu einer unzulässigen Einschränkung des Rechts der Partei auf freie Anwalts- bzw. Vertreterwahl. Von diesem Recht kann die Partei weiterhin Gebrauch machen. Eine andere Frage ist es hingegen, ob die Partei dieses Recht auf Kosten der Allgemeinheit ausüben darf.

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bb) Danach war es dem Kläger als Gewerkschaftsmitglied zuzumuten, den ihm zustehenden kostenlosen gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Vertrauensverhältnis des Klägers zu seinem gewerkschaftlichen Prozessvertreter sei nicht hinreichend zerrüttet, ist frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die bloße Behauptung des Klägers, er habe kein Vertrauen mehr in die Beratung durch den Vertreter der Gewerkschaft gehabt, weil er sich auf dessen Rat nicht habe verlassen können und ihm keine Begründung dafür gegeben worden sei, warum die Prozessaussichten nach dem Gütetermin - anders als vorher - negativ einzuschätzen gewesen seien, genüge zur Darlegung der Unzumutbarkeit, sich weiterhin durch die Gewerkschaft vertreten zu lassen, nicht. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund des Verlaufs des Gütetermins und des dortigen Vorbringens der Beklagten die Prozesschancen möglicherweise anders einzuschätzen waren als zuvor und dass es ggf. Sache des Klägers gewesen wäre, eine weitere Begründung für die gegebene Prognose zu verlangen oder bei der Gewerkschaft um die Vertretung durch einen anderen Gewerkschaftssekretär nachzusuchen.

        

    Gräfl    

        

    Schlewing    

        

    Spinner    

        

        

        

        

        

        

                 

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