Urteil vom Bundesarbeitsgericht (1. Senat) - 1 AZR 873/11
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2011 - 5 Sa 14/11 - wird zurückgewiesen.
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2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über einen Nachteilsausgleich.
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Der Kläger war bei der Beklagten bis zum 31. Mai 2010 als Elektriker mit einer jährlichen Bruttogrundvergütung von zuletzt 31.140,00 Euro beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers.
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Die Beklagte schloss mit ihrem Gesamtbetriebsrat am 7. September 2009 einen Interessenausgleich und Sozialplan ab (GBV 2009). Nach § 2 Abs. 1 GBV 2009 waren bis zu 82 Arbeitsplätze von den dort bezeichneten Restrukturierungsmaßnahmen betroffen. § 2 A GBV 2009 lautet:
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„1. Vertriebsaußendienst
Bedingt durch die Schließung des B2C-Vertriebskanals entfallen alle 14 Arbeitsplätze im Außendienst inkl. der Vertriebsleitung (1 Arbeitsplatz) und der zwei Regionalleiter (2 Arbeitsplätze) sowie der Assistenz des Vertriebsleiters (1 Arbeitsplatz). Gleichzeitig soll eine Verstärkung des B2B-Vertriebskanals erfolgen über eine Aufteilung in 17 Vertriebsgebiete, unterteilt in die Regionen Nord und Süd, die jeweils von einem Regionalleiter geführt werden. In jedem Vertriebsgebiet wird ein Außendienstmitarbeiter beschäftigt, so dass die Anzahl der Außendienstmitarbeiter im B2B-Vertriebskanal um 8 Mitarbeiter aufgestockt wird. …
Der Zuschnitt der derzeit geplanten Vertriebsgebiete ist in der Anlage 1 zu diesem Interessenausgleich beschrieben. Dieser Zuschnitt kann zukünftig Änderungen durch die C Deutschland GmbH unterliegen. Dabei sind etwaige Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen zu berücksichtigen.
…“
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Der Kläger war im B 2 B-Vertriebskanal der Beklagten beschäftigt. Für die ausgeschriebene Vertriebsaußendienststelle im Vertriebsgebiet 13 der Region Süd war er der einzige Bewerber. Dieses Vertriebsgebiet war in der Anlage zur GBV 2009 ausgewiesen. Nach Eingang der Bewerbung des Klägers entschied sich die Beklagte, das Vertriebsgebiet 13 aufzuteilen und den Vertriebsmitarbeitern der benachbarten Regionen zuzuweisen. Hierüber unterrichtete sie den Kläger in einem am 6. Oktober 2009 geführten Gespräch.
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Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte sei ohne zwingenden Grund von der in § 2 A Nr. 1 GBV 2009 getroffenen Regelung abgewichen. Wegen der Aufteilung des Vertriebsgebiets 13 sei seine Bewerbung erfolglos geblieben. Hierdurch sei ihm ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden. Er hätte als Vertriebsaußendienstmitarbeiter jährlich etwa 60.000,00 Euro brutto verdienen können. Die Beklagte sei daher verpflichtet, ihm als Nachteilsausgleich die entgangene Vergütungsdifferenz vom 1. November 2009 bis zu seinem Ausscheiden zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.835,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Januar 2010 zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 2 BetrVG.
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1. Nach § 113 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht und der Arbeitnehmer infolge dieser Abweichung entlassen wird oder andere wirtschaftliche Nachteile erleidet.
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2. Die Beklagte hat nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den in § 2 A und B GBV 2009 beschriebenen Maßnahmen eine grundlegende Änderung ihrer Betriebsorganisation iSv. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG vorgenommen. Diese Betriebsänderung ist Gegenstand des zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleichs. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
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3. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BetrVG liegen schon nicht vor.
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a) Der Kläger ist als dem Betrieb H zugeordneter Arbeitnehmer in den persönlichen Geltungsbereich des Interessenausgleichs einbezogen (§ 1 GBV 2009).
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b) Die Beklagte ist bei der Auflösung des Vertriebsgebiets 13 nicht von der GBV 2009 abgewichen. Sie war nicht verpflichtet, die in der GBV 2009 ausgebrachte Vertriebsaußendienststelle zu besetzen. Bei der in § 2 A Nr. 1 GBV 2009 beschriebenen Verstärkung des B 2 B-Vertriebskanals handelt es sich nicht um eine zwischen den Betriebsparteien vereinbarte Maßnahme, die hinsichtlich der zahlenmäßigen oder regionalen Besetzung des Außendienstes Verbindlichkeit beansprucht. Vielmehr enthält die Regelung lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung der Beklagten über die zukünftige Ausgestaltung des B 2 B-Vertriebskanals. Dies folgt aus dem Wortlaut von § 2 A Nr. 1 GBV 2009. Nach dessen Unterabs. 1 Satz 2 „soll“ eine Verstärkung des B 2 B-Vertriebskanals erfolgen. Weiter heißt es in § 2 A Nr. 1 Unterabs. 2 Satz 1 GBV 2009 lediglich „derzeit geplante Vertriebsgebiete“. Insbesondere der Vorbehalt in Satz 2, wonach der Zuschnitt zukünftig Änderungen unterliegen kann, spricht gegen eine die Beklagte bindende Festlegung ihrer bei Abschluss der GBV 2009 bestehenden Planungen. Für ein solches Verständnis spricht, dass sich die Beklagte an anderer Stelle im Interessenausgleich gegenüber dem Gesamtbetriebsrat zur Besetzung der neu einzurichtenden Stellen (§ 2 A Nr. 2 Unterabs. 3 Satz 3, A Nr. 3 Unterabs. 2 Satz 2, A Nr. 4 Unterabs. 1 Satz 1 GBV 2009) sowie zur Abgabe von Änderungsangeboten für die neu einzurichtenden Arbeitsplätze rechtlich gebunden hat.
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4. Die Klage ist aber auch dann unbegründet, wenn zu Gunsten des Klägers eine Verpflichtung der Beklagten zur Besetzung der Vertriebsaußendienststelle im Vertriebsgebiet 13 unterstellt würde. Die Verstärkung des B 2 B-Vertriebskanals stellt keine Regelung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG dar, deren Nichteinhaltung einen Anspruch auf Nachteilsausgleich begründet.
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a) Nach § 111 Satz 1 BetrVG hat der Unternehmer in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Kommt ein Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung zustande, ist dieser nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schriftlich niederzulegen und von den Betriebsparteien zu unterschreiben. Gegenstand des Interessenausgleichs sind die organisatorische Umsetzung der Betriebsänderung und die mit ihrer Durchführung verbundenen personellen Maßnahmen. Zu diesem zählt insbesondere der Ausspruch von Kündigungen und Versetzungen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern.
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b) Die Betriebsparteien sind jedoch nicht auf die Ausgestaltung solcher Maßnahmen beschränkt. Arbeitgeber und Betriebsrat können auch Abreden über Sachverhalte treffen, deren Regelungsbedürftigkeit nicht unmittelbar auf die Betriebsänderung zurückgeht, sondern deren mittelbare Folge sind (Folgeregelungen). Diese betreffen nicht die nachteiligen Wirkungen der Betriebsänderung, sondern andere Beteiligungssachverhalte. Hierzu zählen etwa Vereinbarungen über die Auswirkungen der geänderten Betriebsstruktur auf die Personalplanung, die Besetzung von neu geschaffenen Arbeitsplätzen und das darauf bezogene Auswahlverfahren. Solche Folgeregelungen können auch in einem Interessenausgleich aufgenommen werden.
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c) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BetrVG erfasst aber nur solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis von der Betriebsänderung unmittelbar nachteilig betroffen ist. Dies ergibt die Auslegung der Norm.
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aa) Hierfür spricht schon ihr Wortlaut. Der Anspruch auf Nachteilsausgleich setzt eine Abweichung vom Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung voraus. Dies betrifft nur die im Interessenausgleich bezeichneten Arbeitsverhältnisse, die nach der Vorstellung der Betriebsparteien von der unternehmerischen Maßnahme nachteilig betroffen sein können.
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bb) Dieses Verständnis wird durch den Normzweck und die Gesetzessystematik bestätigt.
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(1) Der Anspruch aus § 113 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BetrVG dient vornehmlich der Einhaltung des abgeschlossenen Interessenausgleichs über die geplante Betriebsänderung und schützt dabei mittelbar die Interessen der von dieser betroffenen Arbeitnehmer. Der Unternehmer soll durch die drohende individualrechtliche Entschädigung zur Einhaltung seiner sich aus § 111 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ergebenden Pflichten angehalten werden. Da diese Pflichtenstellung nur in Bezug auf die Teile der Belegschaft besteht, die von den betriebsändernden Maßnahmen nachteilig betroffen sind, erstreckt sich die durch § 113 BetrVG bewirkte Sanktion nicht auf eine Zuwiderhandlung des Unternehmers gegen die in einem Interessenausgleich enthaltenen Folgeregelungen.
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(2) Für diese Sichtweise spricht auch die Regelung in § 113 Abs. 3 BetrVG. Durch diese erhalten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Unterbleibt der Versuch eines Interessenausgleichs überhaupt, können nur solche Arbeitnehmer eine Entschädigung beanspruchen, die von der Betriebsänderung selbst nachteilig betroffen werden. Es ist kein Sachgrund ersichtlich, den begünstigten Personenkreis in § 113 Abs. 2 iVm. Abs. 1 BetrVG weitergehend zu bestimmen als nach dessen Abs. 3.
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d) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger auch deshalb keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich, weil sein Arbeitsverhältnis nicht von der in der GBV 2009 beschriebenen Betriebsänderung erfasst wird. Diese betrifft nach § 2 Abs. 1 GBV 2009 die Restrukturierung der unter § 2 A und B GBV 2009 aufgeführten Arbeitsplätze. Zu diesen gehören zwar die in § 2 A Nr. 1 GBV 2009 bezeichneten 14 Arbeitsplätze des B 2 C-Vertriebskanals. Ein Arbeitsplatzabbau im B 2 B-Vertriebskanal, dem der Arbeitsbereich des Klägers und die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle zugeordnet waren, ist hingegen nicht erfolgt.
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Schmidt
Linck
Koch
Benrath
Sibylle Spoo
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Referenzen
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