Urteil vom Bundesarbeitsgericht (10. Senat) - 10 AZR 846/12
Tenor
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1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juli 2012 - 6 Sa 1834/11 - aufgehoben.
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2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 8. November 2011 - 5 Ca 2515/11 - wird zurückgewiesen.
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3. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Höhe eines Zuschlags für geleistete Nachtarbeit. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Brauereien im Lande Nordrhein-Westfalen vom 29. August 1995 idF vom 19. Oktober 2001 (nachfolgend: MTV) Anwendung. Dieser enthält zur Nachtarbeit nachstehende Regelungen:
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„§ 6
Mehr-, Nacht-, Nachtschicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
...
3.
Nachtarbeit ist die in der Zeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeit. (Als Nachtarbeit gilt auch diejenige Zeit, die im Rahmen einer Schicht in diese Nachtzeit fällt.)
4.
Nachtschichtarbeit ist die regelmäßig in der Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit. Eine Verlegung der Schichtzeiten ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat möglich.
Regelmäßige Nachtarbeit ist auch diejenige Arbeitszeit, die in einem gleichmäßigen betrieblichen Geschehensablauf (z. B. betrieblicher Rhythmus) geleistet
wird, wenn sie eine Kalenderwoche vorher angekündigt ist.Unregelmäßige Nachtarbeit ist sonstige Nachtarbeit mit Ausnahme der Schichtarbeit, die in die Nachtzeit fällt.
Macht ein Arbeitnehmer vertretungsweise ohne die Ankündigungsfrist gem. Abs. 2 weniger als eine Kalenderwoche Nachtdienst, so gilt sie als unregelmäßige Nachtarbeit.
...
§ 7
Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Nachtschicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
1.
Die Zuschläge betragen für angeordnete
...
B.
Nachtarbeit
a)
regelmäßige Nachtarbeit und Nacht-
schichtarbeit
25 %
b)
unregelmäßige Nachtarbeit
50 %
c)
Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit
ist
75 %
...“
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Bei der Beklagten gilt darüber hinaus ein Haustarifvertrag vom 19. Dezember 2006 über „Abweichende Arbeitszeitregelungen zur Beschäftigungssicherung bei der R Gruppe, c/o D Brauerei“ (nachfolgend: HausTV). Nach dessen Präambel haben die geltenden Brauereitarifverträge Geltung wie bisher, soweit im HausTV keine abweichenden Regelungen getroffen werden. Nach Ziff. 9 Abs. 6 HausTV erfolgt die Änderung der regelmäßigen Arbeitszeiten einschließlich Freizeiten für einzelne Arbeitnehmer bzw. Gruppen von Arbeitnehmern in der Regel mit der Schichtplanung (donnerstags für die nächste Arbeitswoche).
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Die Beklagte teilte der Klägerin am 5. August 2010 (Donnerstag) mit, dass sie vom 8. bis zum 12. August 2010 außerplanmäßig zum Nachtdienst eingeteilt sei. Die Klägerin leistete in dieser Zeit 40 Nachtarbeitsstunden, welche die Beklagte mit dem Zuschlag von 25 % für regelmäßige Nachtarbeit abgerechnet hat.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Zuschlag von 50 % für unregelmäßige Nachtarbeit zu.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, ihr 178,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2010 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat nach § 7 Ziff. 1 Abschn. B Buchst. b iVm. § 6 Ziff. 4 Abs. 4 MTV Anspruch auf Zahlung eines Nachtzuschlags von 50 %. Die streitbefangene Nachtarbeit „gilt“ als unregelmäßige Nachtarbeit.
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I. Der MTV unterscheidet Nachtschichtarbeit (§ 6 Ziff. 4 Abs. 1 MTV), regelmäßige Nachtarbeit (§ 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV) und unregelmäßige Nachtarbeit (§ 6 Ziff. 4 Abs. 3 MTV). Unregelmäßige Nachtarbeit liegt nur vor, wenn die Nachtarbeit nicht als Nachtschichtarbeit, als regelmäßige Nachtarbeit oder als Schichtarbeit, die in die Nachtzeit fällt, geleistet wird. Schichtarbeit soll nicht als unregelmäßige Nachtarbeit vergütet werden. § 6 Ziff. 4 Abs. 4 MTV bestimmt davon eine Ausnahme: Nachtdienst, der kürzer ist als eine Kalenderwoche und der vertretungsweise ohne Einhaltung der Ankündigungsfrist gemäß Abs. 2 (von einer Kalenderwoche) geleistet wird, „gilt“ als unregelmäßige Nachtarbeit.
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II. Die Voraussetzungen des § 6 Ziff. 4 Abs. 4 MTV liegen vor.
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1. Die Klägerin hat angeordnete Nachtarbeit iSv. § 6 Ziff. 3 MTV geleistet. Sie hat vom 8. bis zum 12. August 2010 in der Zeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr gearbeitet.
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2. Sie hat keine Nachtschichtarbeit iSv. § 6 Ziff. 4 Abs. 1 MTV geleistet. Nachtschichtarbeit ist die regelmäßig in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit. Der Arbeitnehmer muss hier nach seinem regelmäßigen Schichtrhythmus Nachtschichtarbeit leisten. Die Klägerin war außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeit außerplanmäßig in der Nachtschicht tätig.
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3. Die Klägerin hat keine regelmäßige Nachtarbeit iSv. § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV geleistet.
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a) Regelmäßige Nachtarbeit kann nach § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV „auch“ diejenige Arbeitszeit sein, die in einem gleichmäßigen betrieblichen Geschehensablauf geleistet wird. Dies ist zB regelmäßig im Betrieb anfallende Nachtarbeit außerhalb eines Schichtrhythmus (einmalige wöchentliche Anlagenwartung oder Verladearbeiten zur Nachtzeit).
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b) Regelmäßige Nachtarbeit muss eine Kalenderwoche vorher angekündigt sein. Die streitbefangene Nachtarbeit wurde jedoch vollständig ohne Einhaltung der Ankündigungsfrist geleistet (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Dass nach Ziff. 9 Abs. 6 HausTV die Änderung regelmäßiger Arbeitszeiten in der Regel mit der Schichtplanung (donnerstags für die nächste Arbeitswoche) vorgenommen wird, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da der HausTV die Ankündigungsfrist des § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV nicht modifiziert. Er enthält umfangreiche Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung, verhält sich aber nicht zu Nachtarbeit und ihrer Vergütung.
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4. Obwohl die Klägerin weder Nachtschichtarbeit noch sonstige regelmäßige Nachtarbeit geleistet hat, liegt unregelmäßige Nachtarbeit gemäß § 6 Ziff. 4 Abs. 3 MTV nicht vor; die Klägerin hat Schichtarbeit geleistet, damit greift die Ausnahmeregelung des § 6 Ziff. 4 Abs. 3 MTV.
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5. Die Nachtarbeit der Klägerin „gilt“ aber nach § 6 Ziff. 4 Abs. 4 MTV als unregelmäßige Nachtarbeit.
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a) Die Ankündigungsfrist von einer Kalenderwoche wurde nicht eingehalten. Die Klägerin hat „vertretungsweise“ Nachtarbeit geleistet, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich klargestellt haben. Sie hat an fünf Arbeitstagen hintereinander und damit weniger als eine Kalenderwoche gearbeitet.
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b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bedeutet „Kalenderwoche“ nicht „Schichtwoche“. Bereits der Wortlaut spricht für eine kalendarische, nach allgemeinen Regeln (§§ 187, 188 Abs. 2 BGB) zu berechnende Woche. Dies bestätigt die Tarifsystematik. Der MTV normiert in § 6 Ziff. 4 Abs. 2 eine Ankündigungsfrist von einer „Kalenderwoche“. Es kann nicht angenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien einem mehrfach verwendeten Begriff grundsätzlich einen vom Wortsinn abweichenden Bedeutungsgehalt geben oder ihn einmal im Wortsinn und ein weiteres Mal in einem anderen Sinn verstehen wollen; dies gilt umso mehr, als im Hinblick auf die Vielzahl möglicher Schicht- und Arbeitszeitmodelle die Tarifanwendung anderenfalls uneinheitlich wäre und die Bedeutung der Norm im Einzelfall erst ermittelt werden müsste. An diesem Tarifverständnis vermag § 3 Abs. 1 MTV nichts zu ändern, der lediglich besagt, dass die wöchentliche Arbeitszeit grundsätzlich auf fünf Tage der Woche zu verteilen ist. Ist die wöchentliche Arbeitszeit innerhalb von fünf Tagen bzw. fünf Nächten geleistet, ist der Zeitraum einer Kalenderwoche noch nicht erfüllt. Läuft die Kalenderwoche erst dann ab und leistet der Arbeitnehmer danach keinen Nachtdienst mehr, hat dieser weniger als eine Kalenderwoche gedauert. Der Zweck der Tarifbestimmung, kurzzeitige Umstellungen höher zu vergüten, gebietet keine einschränkende Auslegung des Begriffs der Kalenderwoche.
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III. Der Anspruch ist der Höhe nach unstreitig, der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Mikosch
W. Reinfelder
Mestwerdt
Simon
A. Effenberger
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Referenzen
- 6 Sa 1834/11 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Ca 2515/11 1x (nicht zugeordnet)