Beschluss vom Bundesarbeitsgericht (1. Senat) - 1 ABR 57/12
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. Juni 2012 - 12 TaBV 123/11 - wird zurückgewiesen.
Gründe
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A. Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Änderung betrieblicher Entlohnungsgrundsätze.
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Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin betreibt eine psychiatrische Privatklinik mit rund 1.100 Arbeitnehmern. Antragsteller ist der dort gewählte Betriebsrat.
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Bis Ende des Jahres 1992 war die Arbeitgeberin Mitglied im Verband der privaten Krankenanstalten Niedersachsens. Im November 2004 legte sie allen Arbeitnehmern Formulararbeitsverträge vor, in denen die Vergütung neu geregelt wurde. Diese setzte sich aus der Grundvergütung, Funktionszulagen, Zeitzuschlägen, Verheirateten-/Lebenspartnerzuschlag und Einmalzahlungen zusammen. Zu Letzteren gehörte eine jährliche Gewinnbeteiligung, die auf der Grundlage der Bilanz des Vorvorjahres erfolgen sollte. Dazu hatte die Arbeitgeberin 50 % des in dieser Bilanz ausgewiesenen Jahresüberschusses in einen Fonds einzubringen. Die Verteilung des Fonds sollte in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden, die bisher allerdings nicht zustande gekommen ist. Die veröffentlichten Handelsbilanzen der Arbeitgeberin wiesen seit dem Jahre 2004 keine Überschüsse aus. Etwa 90 % der Arbeitnehmer unterzeichneten die neuen Arbeitsverträge.
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Im Januar 2010 unterbreitete die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern Änderungsangebote, nach denen die vereinbarte Gewinnbeteiligung gegen eine Einmalzahlung iHv. 3.000,00 Euro ersatzlos entfallen sollte. Diese Angebote wurden von einer nicht näher festgestellten Vielzahl von Arbeitnehmern angenommen.
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Der Betriebsrat hat geltend gemacht, der Abschluss der Änderungsverträge sei mitbestimmungspflichtig. Die im Jahre 2004 mit der überwiegenden Belegschaft vereinbarte Gewinnbeteiligung stelle einen Entlohnungsgrundsatz dar, der integraler Bestandteil des Vergütungssystems der Arbeitgeberin sei.
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Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
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festzustellen, dass die Herausnahme der Gewinnbeteiligung aus den individuellen Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt;
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hilfsweise
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festzustellen, dass im Betrieb der Arbeitgeberin derzeit einzig der Entlohnungsgrundsatz bzw. die Gesamtvergütungsstruktur nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gilt, wie er im Tarifvertrag idF des 9. Tarifvertrags vom 28. Juli 2003 zur Änderung und Ergänzung der Teile C, D, E, F, G, K des 5. Tarifvertrags vom 29. Mai 1991 idF vom 20. Mai 1999 zwischen dem Verband der Privaten Krankenanstalten Niedersachsen e. V. und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesverband Niedersachsen-Bremen festgelegt worden ist.
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Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.
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Die Vorinstanzen haben dem Hauptantrag des Betriebsrats entsprochen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Abweisungsantrag weiter.
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B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen.
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I. Der Hauptantrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig.
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1. Nach dem gesamten Vorbringen des Betriebsrats ist der Hauptantrag auf die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Änderung von Entlohnungsgrundsätzen durch die Arbeitgeberin gerichtet. Eine solche sieht er in der Streichung der arbeitsvertraglich vereinbarten Gewinnbeteiligung gegen Zahlung eines Einmalbetrags von 3.000,00 Euro. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist Gegenstand des Antrags nicht die Frage, ob die Fortgeltung der in den Arbeitsverträgen zugesagten Gewinnbeteiligung für die Arbeitnehmer günstiger ist als die von der Arbeitgeberin angebotene Einmalzahlung in Höhe von 3.000,00 Euro. Hierfür enthält der für die Antragsauslegung maßgebliche Vortrag des Betriebsrats keine Anhaltspunkte.
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2. Der so verstandene Antrag des Betriebsrats ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann erkennen, in welcher Angelegenheit der Betriebsrat für sich ein Mitbestimmungsrecht reklamiert. Der Antrag ist auch nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Er ist auf die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses der Beteiligten gerichtet, zwischen denen ein Streit über das Bestehen und den Umfang eines Mitbestimmungsrechts bei der betrieblichen Lohngestaltung besteht (BAG 5. März 2013 - 1 ABR 11/12 - Rn. 10). Hierfür besitzt der Betriebsrat das erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung. Diese ist geeignet, den Konflikt der Beteiligten in dieser Angelegenheit endgültig beizulegen.
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II. Der Antrag ist begründet. Die von der Arbeitgeberin den Arbeitnehmern angebotene Einmalzahlung in Höhe von 3.000,00 Euro als Gegenleistung für deren Verzicht auf eine Gewinnbeteiligung stellt eine mitbestimmungspflichtige Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze dar.
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1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen.
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a) Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt. Entlohnungsgrundsätze bestimmen das System, nach dem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Der Mitbestimmung unterliegt die Einführung von Entlohnungsgrundsätzen und deren Änderung durch den Arbeitgeber. Dabei kommt es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Maßgeblich ist nicht der Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands (BAG 17. Mai 2011 - 1 AZR 797/09 - Rn. 15 ff.).
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b) Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erstreckt sich nicht auf die arbeitsvertraglich vereinbarten Entgelte der Arbeitnehmer. Betreffen solche Abreden die Entgelthöhe, sind sie der Regelungsmacht der Betriebsparteien grundsätzlich entzogen. Stellt der Arbeitgeber dagegen für die individualrechtlich versprochene Vergütung einen besonderen Dotierungsrahmen zur Verfügung, unterliegt dessen Verteilung bei Vorliegen eines kollektiven Tatbestands dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (BAG 30. Oktober 2012 - 1 ABR 61/11 - Rn. 27).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist die den Arbeitnehmern angebotene Aufhebung der vertraglich vereinbarten Gewinnbeteiligung gegen Zahlung eines Pauschalbetrags von 3.000,00 Euro nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
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a) Die Streichung der Gewinnbeteiligung führt zu einer Änderung der bei der Arbeitgeberin geltenden Entlohnungsgrundsätze.
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aa) Die Ende des Jahres 2004 von der nicht mehr tarifgebundenen Arbeitgeberin mit der überwiegenden Zahl der Arbeitnehmer vereinbarte Gewinnbeteiligung war Teil der vertraglich vereinbarten Gesamtvergütung. Diese setzte sich ab diesem Zeitpunkt aus der Grundvergütung, Funktionszulagen, Zeitzuschlägen, Verheirateten-/Lebenspartnerzuschlag und Einmalzahlungen zusammen. Zu Letzteren gehörte die Gewinnbeteiligung. Diese von der tarifungebundenen Arbeitgeberin festgesetzte Gesamtvergütung stellte ab November 2004 einen betrieblichen Entlohnungsgrundsatz dar. Durch die Aufhebung des Anspruchs auf Gewinnbeteiligung im Januar 2010 hat sie einen Entgeltbestandteil dieser Gesamtvergütung beseitigt und damit die bis dahin geltenden Entlohnungsgrundsätze geändert (vgl. dazu BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 25, BAGE 126, 237). Diese Änderung der für die Verteilung der Gesamtvergütung aufgestellten Entlohnungsgrundsätze erfolgte abstrakt-generell für alle Anspruchsinhaber gegen Zahlung eines Pauschalbetrags. Sie hatte damit einen kollektiven Bezug. Die Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse spielten keine Rolle. Für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kommt es auch nicht darauf an, ob der Betriebsrat an dem im Jahre 2004 aufgestellten Entlohnungsgrundsatz mitgewirkt hat oder nicht. Die fehlenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hierzu stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Für die Mitbestimmung bei der Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze ist nicht maßgeblich, auf welcher rechtlichen Grundlage deren Anwendung erfolgte (BAG 22. Juni 2010 - 1 AZR 853/08 - Rn. 22, BAGE 135, 13).
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bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht der Zuordnung der Gewinnbeteiligung zur Gesamtvergütung nicht entgegen, dass über die Verteilung des Jahresüberschusses bislang noch keine gesonderte Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden und mangels ausgewiesenem Jahresüberschuss auch noch keine Auszahlung erfolgt ist. Die Arbeitgeberin berücksichtigt insoweit nicht genügend, dass die Arbeitnehmer nach den Änderungsverträgen vom November 2004 unabhängig vom Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung einen Anspruch auf die Gewinnbeteiligung hatten. Die Verteilung eines in der Bilanz ausgewiesenen Gewinns hätte die Arbeitgeberin in Ermangelung einer kollektiven Regelung gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen vornehmen müssen (vgl. dazu BAG 12. Oktober 2011 - 10 AZR 746/10 - BAGE 139, 283).
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b) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin unabhängig davon, ob die anstelle der Gewinnbeteiligung angebotene Einmalzahlung in Höhe von 3.000,00 Euro für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger ist. Das Günstigkeitsprinzip steht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht entgegen (vgl. BAG 26. August 2008 - 1 AZR 354/07 - Rn. 21, BAGE 127, 297). Hierbei handelt es sich um eine Kollisionsregel für die Fälle, in denen Betriebsvereinbarungen und individualrechtliche Absprachen denselben Gegenstand unterschiedlich regeln. Das Günstigkeitsprinzip führt dabei nicht zur Unwirksamkeit der kollektiven Regelung, sondern nur dazu, dass sich der Arbeitnehmer trotz des Bestehens einer unmittelbar und zwingend wirkenden Regelung auf eine ihm günstigere einzelvertragliche Abrede berufen kann (Fitting 27. Aufl. § 77 Rn. 196).
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III. Nachdem bereits der Hauptantrag begründet ist, fällt der Hilfsantrag des Betriebsrats dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Hilfsantrag ist nur für den Fall gestellt, dass der Betriebsrat nicht bereits mit dem Hauptantrag durchdringt.
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Schmidt
Koch
Linck
Schäferkord
N. Schuster
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Referenzen
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