Beschluss vom Bundesarbeitsgericht (5. Senat) - 5 AZB 20/19

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. Dezember 2018 - 8 Sa 219/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Rechtsanwältin Forderungen gegen die Staatskasse aus einer Tätigkeit als Pflichtverteidigerin an die Klägerin, ihre vormalige Arbeitgeberin, abtreten muss.

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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat in der Berufungsverhandlung am 7. Februar 2018 Beweis erhoben zum Zeitpunkt des Einwurfs der Berufungsbegründung in den Nachtbriefkasten des Gerichts durch Zeugeneinvernahme und sodann mit - inzwischen rechtskräftigem - Zwischenurteil vom 2. März 2018 entschieden, dass die Berufung der Beklagten zulässig ist. Nach einer weiteren Berufungsverhandlung am 5. Dezember 2018 hat das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2018, das der Beklagten am 27. Mai 2019 zugestellt worden ist, deren Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen.

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Mit einem am 17. Juni 2019 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte sofortige Beschwerde nach § 72b ArbGG wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils erhoben. Sie hat vorgebracht, das Berufungsurteil sei nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden. Neben dem Kammervorsitzenden habe ein H P unterschrieben, als ehrenamtlicher Richter an der Berufungsverhandlung am 5. Dezember 2018 habe jedoch der ehrenamtliche Richter J P teilgenommen. Die dritte Unterschrift lasse nicht erkennen, ob es sich dabei um den ehrenamtlichen Richter A F handele. Schließlich hätten die zu der Berufungsverhandlung am 7. Februar 2018 herangezogenen ehrenamtlichen Richter - Herr M und Herr H - mittelbar, wenn nicht sogar unmittelbar auch an der Entscheidung vom 19. Dezember 2018 mitgewirkt. Ihre Unterschriften fehlten auf dem anzufechtenden Berufungsurteil.

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II. Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde (§ 72b Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG) der Beklagten ist nicht begründet.

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1. Nach § 72b Abs. 1 ArbGG kann das Urteil eines Landesarbeitsgerichts durch sofortige Beschwerde angefochten werden, wenn es nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Die Vorschrift erfordert lediglich ein formal vollständig abgefasstes Urteil, also ein Urteil, das den Anforderungen der §§ 313 bis 313b ZPO, § 69 ArbGG entspricht (BAG 20. Dezember 2006 - 5 AZB 35/06 - Rn. 4, BAGE 120, 358; vgl. auch GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 72b Rn. 21 ff.; HWK/Treber 8. Aufl. § 72b ArbGG Rn. 6, jeweils mwN). Dazu gehört, dass das Urteil des Landesarbeitsgerichts von sämtlichen Mitgliedern der Kammer unterschrieben ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Erforderlich sind die Unterschriften derjenigen Mitglieder der Kammer, die an der Entscheidung mitgewirkt haben (BAG 19. Dezember 2012 - 2 AZB 45/12 - Rn. 7 mwN).

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2. Diesen Anforderungen genügt das anzufechtende Urteil.

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a) Nach Aktenlage ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 19. Dezember 2018, so wie es sich im Original in der Berufungsakte befindet, nicht erst nach Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben worden. Zwar fehlt ein entsprechender Eingangsvermerk, jedoch ist auf dem Original des Urteils vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle konstatiert, dass eine beglaubigte und einfache Abschrift vor Fristablauf am 17. Mai 2019, einem Freitag, an die Parteivertreter mit Empfangsbekenntnis zur Post gegangen ist. Von der Richtigkeit der Konstatierung ist auszugehen, nachdem dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut dessen Empfangsbekenntnis eine beglaubigte Abschrift des Urteils vom 19. Dezember 2018 bereits am Montag, dem 20. Mai 2019 zugestellt worden ist.

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b) Dementsprechend stützt die Beschwerdeführerin eine verspätete Übergabe des anzufechtenden Urteils an die Geschäftsstelle allein darauf, es sei nicht - wie von § 72b Abs. 1 Satz 1 ArbGG verlangt - mit allen erforderlichen Unterschriften versehen. Dies ist indes nicht der Fall.

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aa) Dass das anzufechtende Urteil mit der Unterschrift des Vorsitzenden der erkennenden Berufskammer abschließt, stellt die Beschwerdeführerin nicht in Abrede und ist nach Aktenlage offensichtlich.

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bb) Außerdem muss nach § 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG das Urteil des Landesarbeitsgerichts von den ehrenamtlichen Richtern unterschrieben werden, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, also Teil der Besetzung sind, in der die Berufungskammer tätig geworden ist (§ 35 Abs. 2 ArbGG). Das waren ausweislich des Protokolls der Berufungsverhandlung vom 5. Dezember 2018 und des Rubrums des anzufechtenden Urteils die ehrenamtlichen Richter P und F. Diese haben nach Aktenlage das Urteil auch tatsächlich unterschrieben.

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(1) Für die Unterschrift der ehrenamtlichen Richter erforderlich, aber auch ausreichend ist die Unterzeichnung mit vollem Familiennamen, wobei ein individualisierbarer Schriftzug erkennbar sein muss (hM, vgl. nur GMP/Schleusener ArbGG 9. Aufl. § 69 Rn. 4; ErfK/Koch 19. Aufl. ArbGG § 69 Rn. 2; HWK/Kalb 8. Aufl. § 69 ArbGG Rn. 2; GWBG/Benecke ArbGG 8. Aufl. § 69 Rn. 2).

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(2) Dem genügen die Unterschriften der ehrenamtlichen Richter P und F.

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(a) Die Unterschrift des ehrenamtlichen Richters P ist sowohl auf dem Original des Urteils als auch auf dem noch am 5. Dezember 2018 gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 60 Abs. 3 Satz 2 ArbGG verfassten und unterschriebenen Tenor des anzufechtenden Urteils nicht nur ein individualisierbarer Schriftzug, sondern deutlich lesbar. Dass er seinem Familiennamen als Vornamen „H“ hinzugefügt hat, wäre entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nur dann von Belang, wenn es am Landesarbeitsgericht München zwei ehrenamtliche Richter mit dem Nachnamen P gäbe, von denen der eine den Vornamen „J“, der andere den Vornamen „H“ trüge. Das ist aber weder nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin noch nach den von ihr eingereichten Geschäftsverteilungsplänen des Landesarbeitsgerichts München der Fall. Im Übrigen ist es - worauf die Beschwerdegegnerin mit Recht hinweist - erstaunlich, dass der in München wohnhaften Beschwerdeführerin die im täglichen Leben häufig gleichsam synonyme Verwendung von „J“ und „H“ gerade im bayerischen Sprachraum verborgen geblieben ist.

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(b) Die Unterschrift des ehrenamtlichen Richters F ist im Nachnamen ein individualisierbarer Schriftzug, der sich trotz leichter Abschleifung als Wiedergabe eines Namens darstellt und - mit etwas gutem Willen - sogar lesbar ist (vgl. auch - zu den Voraussetzungen einer Unterschrift bei Rechtsmitteln - BAG 25. Februar 2015 - 5 AZR 849/13 - Rn. 19, BAGE 151, 66). Dass der ehrenamtliche Richter bei der Unterschriftsleistung seinen Vornamen A mit einem deutlich lesbaren „A.“ abgekürzt hat, ist unschädlich, weil für die nach § 72b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforderlichen Unterschriften die Unterzeichnung mit dem Nachnamen jedenfalls dann genügt, wenn - wie hier - keine Verwechslungsgefahr besteht.

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cc) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste das anzufechtende Urteil nicht von den ehrenamtlichen Richtern M und H mitunterschrieben werden. Die Kammern des Landesarbeitsgerichts entscheiden nach § 35 Abs. 2 ArbGG stets in der Besetzung mit einem (berufsrichterlichen) Vorsitzenden und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dementsprechend haben die ehrenamtlichen Richter M und H (nur) an dem Zwischenurteil vom 2. März 2018, nicht jedoch an dem Urteil vom 19. Dezember 2018 mitgewirkt. Sie haben ausweislich des Protokolls an der Berufungsverhandlung, aufgrund derer das anzufechtende Urteil ergangen ist, auch nicht teilgenommen. Ob sie nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Landesarbeitsgericht München statt der ehrenamtlichen Richter P und F heranzuziehen gewesen wären, ist für die sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils ohne Belang, § 72b Abs. 1 Satz 2 ArbGG (vgl. nur GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 72b Rn. 20a). Hat das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen und soll die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts gerügt werden, kann darauf (nur) eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt werden, § 72a Abs. 3 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG iVm. § 547 Nr. 1 ZPO.

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III. Die Entscheidung des Senats ist ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter ergangen (§ 72b Abs. 4 Satz 1 ArbGG).

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IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

        

    Linck    

        

    Berger    

        

    Biebl    

        

        

        

             

        

             

                 

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