Urteil vom Bundesfinanzhof (6. Senat) - VI R 20/09

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob der Beschäftigungsort eines Forstarbeiters in einem weiträumigen Waldgebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gilt und daher ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen und weiterer Fahrtkosten ausscheidet.

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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind im Streitjahr (2005) zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war beim Forstamt A angestellt und als Forstarbeiter nichtselbständig tätig. Das Gebiet des Forstamtes umfasste elf Reviere mit einer Gesamtfläche von etwa 400 qkm. Soweit möglich wurden der Kläger und die anderen Forstarbeiter jeweils im zur Wohnung nächstgelegenen Revier, dem "Stammrevier", eingesetzt, der Kläger daneben auch in drei bis vier Nachbarrevieren. Die Einsatzplanung des jeweiligen Revierleiters erfolgte hierbei kurzfristig mit einer Vorlaufzeit von ein bis zwei Tagen. Die Einsatzorte des Klägers wurden dabei auch durch Witterungsumstände und sonstige Einflüsse bestimmt und unvorhersehbar geändert. Der Kläger bewahrte die Arbeitsmittel zu Hause auf und fuhr von dort mit seinem PKW direkt an die jeweiligen Einsatzstellen.

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Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung 2005 bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Mehraufwendungen für Verpflegung bei Einsatzwechseltätigkeit für 222 Tage zu je 6 € in Höhe von insgesamt 1.332 € sowie Fahrtkosten wegen Einsatzwechseltätigkeit für 3.791 km zu je 0,30 € in Höhe von insgesamt 1.137,30 € als Werbungskosten geltend.

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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) qualifizierte die Fahrten dagegen als solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und berücksichtigte den dafür entstandenen Aufwand daher nur mit der Entfernungspauschale (569 €). Verpflegungsmehraufwendungen berücksichtigte er nicht, weil das Forstrevier ein weiträumig zusammenhängendes Arbeitsgebiet und damit die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers sei.

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Das Finanzgericht (FG) wies nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1291 veröffentlichten Gründen ab.

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Mit der dagegen eingelegten Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

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Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Vorentscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2008  4 K 2174/07 sowie die Einspruchsentscheidung des FA vom 14. August 2007 aufzuheben und den streitigen Einkommensteuerbescheid vom 13. Dezember 2006 dahingehend abzuändern, dass über die berücksichtigten Werbungskosten in Höhe von 569 € hinaus weitere Werbungskosten in Höhe von 1.901 € berücksichtigt werden.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat Anspruch auf Berücksichtigung der Fahrtkosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG und auf Berücksichtigung der Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG. Denn das Forstrevier ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG. Der Kläger ist insoweit an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG tätig.

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1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte Werbungskosten. Arbeitsstätte in diesem Sinne ist jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (Änderung der Rechtsprechung insbesondere mit Senatsurteilen vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl II 2005, 788; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789; VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; seitdem ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564; vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom 10. April 2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53).

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a) Bei einer solchen auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten (regelmäßigen) Arbeitsstätte kann sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme geschehen (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818). Für diesen Grundfall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (z.B. BFH-Urteile in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475).

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b) Liegt keine solche Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt. Dies ist insbesondere bei Auswärtstätigkeiten der Fall (BFH-Urteile in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825), weil ein auswärts tätiger Arbeitnehmer typischerweise nicht die vorgenannten Möglichkeiten hat, seine Wegekosten gering zu halten.

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2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist die im etwa 400 qkm großen Forstgebiet gelegene Tätigkeitsstätte des Klägers keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Der Kläger übt mit seiner Tätigkeit vielmehr eine Auswärtstätigkeit aus.

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a) Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und für die Revisionsinstanz damit bindenden Feststellungen des FG war die Tätigkeitsstätte des Klägers das gesamte Forstgebiet, das allein durch die Reviergrenzen des Forstamtes bestimmt war. Die einzelnen dem Kläger zugewiesenen Tätigkeitsorte im Forstgebiet waren weder ortsfest noch bestanden dort dauerhafte betriebliche Einrichtungen. Der Wald an sich beherbergt keine dauerhafte betriebliche Einrichtung im vorgenannten Sinne, wie dies typischerweise etwa für einen Betriebssitz des Arbeitgebers oder auch für ein --auch größeres-- Betriebsgelände gilt. Die dauerhafte betriebliche Einrichtung ist indessen ein wesentliches, die regelmäßige Arbeitsstätte typisierendes und die Auswärtstätigkeit zugleich unterscheidendes Merkmal. Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und auch dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt tätig wird, oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564).

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b) Ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet kann zwar als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG in Betracht kommen. Dies gilt allerdings nur, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (so zuletzt der erkennende Senat in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564). Soweit der Senat dort beispielhaft erwähnt hatte, dass auch ein Waldgebiet eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte beziehungsweise einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen könne, setzt dies aber voraus, dass in diesem (Wald)gebiet sich jedenfalls eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers befindet, die nach ihren infrastrukturellen Gegebenheiten mit einem Betriebssitz oder mit einer sonstigen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers vergleichbar ist.

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Davon konnte im Streitfall bei den verschiedenen Einsatzorten des Klägers im zum Forstgebiet gehörenden Wald nicht ausgegangen werden. Denn es ist schon nicht ersichtlich, dass der Kläger überhaupt in der Nähe einer ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig geworden war.

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3. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1, 2 EStG kann ein Arbeitnehmer Mehraufwendungen für seine Verpflegung mit den dort genannten Pauschbeträgen dann als Werbungskosten abziehen, wenn er vorübergehend von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt entfernt beruflich tätig ist oder wenn er bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird (§ 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG). Da die Berücksichtigung der Fahrtkosten und die der Verpflegungsmehraufwendungen aus Gründen der Folgerichtigkeit und zu Vereinfachungszwecken gleichen Maßstäben folgt, entsprechen sich der Begriff des "Tätigkeitsmittelpunkts" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und der Begriff der "regelmäßigen Arbeitsstätte" i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789). Damit war der Kläger im Streitfall auswärts beschäftigt, nämlich an einer ständig wechselnden Tätigkeitsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG, so dass der Kläger grundsätzlich zum Abzug erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwendungen berechtigt ist.

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4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger tatsächlich, wie von ihm mit der Einkommensteuererklärung geltend gemacht, die entsprechenden Wege zurückgelegt hatte und an 222 Tagen mindestens acht Stunden, aber weniger als 14 Stunden auswärts beschäftigt gewesen war. Die diesbezüglichen Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

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