Urteil vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II R 54/09

Tatbestand

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I. Die Mutter (Schenkerin) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) wandte diesem am 2. Mai 1994 einen Geldbetrag von ... DM und am 31. Oktober 1994 von ... DM zu. Ihr Wohnsitz befand sich zum Zeitpunkt der Zuwendungen im Kanton Tessin (Schweiz). Der Kläger war Inländer i.S. des § 2 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Nachdem der Kläger die Zuwendung mit Schenkungsteuererklärung vom 3. März 1995 gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) erklärt hatte, setzte das FA mit Bescheiden vom 29. März 1995 Schenkungsteuer für die erste Zuwendung in Höhe von ... DM und für die zweite Zuwendung in Höhe von ... DM fest. Es berücksichtigte dabei mehrere Vorschenkungen.

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Die Finanzbehörde des Kantons Tessin setzte mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 Schenkungsteuer für die Zuwendungen vom 2. Mai 1994 und 31. Oktober 1994 in Höhe von umgerechnet insgesamt ... DM (... €) fest. Der Kläger bezahlte diese Schenkungsteuer und beantragte am 10. Mai 2004 beim FA, sie unter Änderung der Bescheide vom 29. März 1995 auf die deutsche Schenkungsteuer anzurechnen. Das FA lehnte mit Bescheid vom 27. Januar 2006 die begehrte Änderung ab, da die Festsetzung und Zahlung der tessinischen Schenkungsteuer den Tatbestand einer Korrekturnorm der Abgabenordnung (AO) nicht erfülle. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es war der Ansicht, die Bescheide seien gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Denn es handele sich bei der Festsetzung und Zahlung der tessinischen Schenkungsteuer um ein rückwirkendes Ereignis. Der gesetzlichen Regelung über die Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer könne nur dann in vollem Umfang Rechnung getragen werden, wenn erst nach der Steuerfestsetzung eintretende Voraussetzungen für die Anrechnung als rückwirkendes Ereignis verstanden würden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 196 veröffentlicht.

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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuer sei kein rückwirkendes Ereignis. Es handele sich nicht um einen Fall, in dem der für die Besteuerung maßgebende Sachverhalt sich im Nachhinein mit steuerlicher Rückwirkung ändere.

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Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die vom Kanton Tessin festgesetzte und vom Kläger gezahlte Schenkungsteuer nach § 21 ErbStG auf die (deutsche) Schenkungsteuer anzurechnen ist. Es ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerbescheide vom 29. März 1995 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern sind.

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1. Die tessinische Schenkungsteuer ist nach § 21 ErbStG auf die (deutsche) Schenkungsteuer anzurechnen.

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a) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist bei Erwerbern, die in einem ausländischen Staat mit ihrem Auslandsvermögen zu einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer --ausländische Steuer-- herangezogen werden, in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, sofern nicht die Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden sind, auf Antrag die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. Die ausländische Steuer ist nach § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG nur anrechenbar, wenn die deutsche Erbschaftsteuer für das Auslandsvermögen innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der ausländischen Erbschaftsteuer entstanden ist. § 21 ErbStG gilt gemäß § 1 Abs. 2 ErbStG auch für Schenkungen unter Lebenden.

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b) Im Streitfall ist der Tatbestand des § 21 ErbStG erfüllt. Der Kanton Tessin hat gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 Schenkungsteuer für die Schenkungen vom 2. Mai 1994 und 31. Oktober 1994 festgesetzt. Der Kläger hat diese Steuer gezahlt und ihre Anrechnung beantragt. Die Schenkungsteuer unterfällt keinem Doppelbesteuerungsabkommen. Ferner ist die deutsche Schenkungsteuer innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der tessinischen Schenkungsteuer entstanden.

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2. Die Schenkungsteuerbescheide vom 29. März 1995 sind gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Denn bei der Zahlung der festgesetzten tessinischen Schenkungsteuer handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis.

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a) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

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Zu den rückwirkenden Ereignissen zählen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Lebensvorgänge, die steuerlich --ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen-- in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 2008 II R 55/07, BFHE 224, 285, BStBl II 2009, 473, m.w.N.). Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.; BFH-Urteil in BFHE 224, 285, BStBl II 2009, 473, m.w.N.). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt (BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 46/98, BFH/NV 2001, 420).

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b) Wird festgesetzte ausländische Steuer gezahlt, nachdem das FA die Erbschaft- oder Schenkungsteuer festgesetzt hat, kommt diesem Ereignis nach dem Willen des Gesetzgebers Wirkung für die Vergangenheit zu. Zwar ergibt sich dieser Wille des Gesetzgebers nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 21 ErbStG, jedoch folgt er aus dessen materiell-rechtlichem Regelungsgehalt.

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§ 21 ErbStG hat den Sinn und Zweck, Überschneidungen im internationalen Besteuerungsbereich möglichst zu vermeiden (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1963 II 196/61 U, BFHE 77, 227, BStBl III 1963, 402, zu § 9 ErbStG 1959, dem § 21 ErbStG entspricht). Er will eine doppelte steuerliche Belastung von Erwerbern mit inländischer und ausländischer Steuer beseitigen bzw. mildern, indem die ausländische Steuer bei der deutschen Steuer anzurechnen ist. Diese Anrechnung erfolgt im Rahmen des Festsetzungsverfahrens (vgl. R 24a der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Anh AO Rz 33; Billig, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2010, 48, 50, m.w.N.). Das FA kann die festgesetzte und gezahlte ausländische Steuer jedoch nur dann bei der Festsetzung der inländischen Steuer berücksichtigen, wenn die Zahlung der festgesetzten ausländischen Steuer Wirkung für die Vergangenheit hat. Denn die Erbschaftsteuer ist --beim Erwerb von Todes wegen-- so festzusetzen, wie sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstanden ist (vgl. § 38 AO, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 9 Rz 1). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Da eine ausländische Steuer denklogisch erst nach dem Tod des Erblassers festgesetzt und gezahlt worden sein kann, muss die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuer auf den Zeitpunkt der Entstehung der Erbschaftsteuer im Moment des Todes des Erblassers zurückwirken (vgl. auch Gebel, Internationales Steuerrecht 2001, 71, 76, sowie Billig, UVR 2010, 48, 50). Für die Schenkungsteuer kann hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nichts anderes gelten.

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Im Übrigen ist nach ganz herrschender Meinung im Fall des § 34c des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung und Zahlung ausländischer Steuer ein rückwirkendes Ereignis (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 34c Rz 26; Blümich/ Wagner, § 34c EStG Rz 71; Szymczak in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 175 Rz 12/2; siehe auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 5. Juni 2008 3 K 56/07, nicht veröffentlicht, unter B II. 2. b). Es ist nicht erkennbar, weshalb die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht hiervon abweichend nicht als rückwirkendes Ereignis zu beurteilen sein sollte, zumal der Gesetzgeber § 21 ErbStG nach dem Vorbild des § 34c EStG geschaffen hat (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes BRDrucks 140/72, S. 73; siehe ferner auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes BTDrucks III/598, S. 8, zu § 8b Abs. 1; BFH-Urteil in BFHE 77, 227, BStBl III 1963, 402, jeweils zu der Vorgängerregelung des § 21 ErbStG in § 9 ErbStG 1959).

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Die bis 20. Oktober 1995 bestehende Regelung in § 68c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1955 (EStDV) rechtfertigt es nicht, die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer hinsichtlich der Frage, ob diese ein rückwirkendes Ereignis darstellt, einkommen- und erbschaftsteuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilen (a.A. Urteil des FG Düsseldorf vom 21. August 1998  4 K 5740/94 Erb, EFG 1998, 1605). Nach § 68c Abs. 1 EStDV war der für einen Veranlagungszeitraum erteilte Steuerbescheid zu ändern (Berichtigungsveranlagung), wenn eine ausländische Steuer, die auf die in diesem Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfällt, nach Erteilung dieses Steuerbescheids erstmalig festgesetzt, nachträglich erhöht oder erstattet wurde und sich dadurch eine höhere oder niedrigere Veranlagung rechtfertigte. Diese Regelung hatte lediglich deklaratorischen Charakter. Der Gesetzgeber hat sie deshalb durch Art. 10 Nr. 12 des Jahressteuergesetzes 1996 (BGBl I 1995, 1250) aufgehoben. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks 13/901, S. 142) weist er darauf hin, dass die AO in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 eine entsprechende Regelung enthalte.

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