Beschluss vom Bundesfinanzhof (6. Senat) - VI B 108/11

Tatbestand

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I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zur Abführung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag verpflichtet ist.

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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ist aufgrund steuerstrafrechtlicher Ermittlungen der Auffassung, der Kläger habe in den Streitjahren 1995 bis 2001 unter dem Namen eines von einer anderen Person betriebenen Unternehmens auf eigene Rechnung Pflasterarbeiten gegen Entgelt durch von ihm eingesetzte Arbeitskräfte ausführen lassen. Insoweit habe er als Arbeitgeber Löhne gezahlt. Daher setzte das FA gegenüber dem Kläger Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für die Streitjahre 1995 bis 2001 fest, wobei es die Höhe der Löhne schätzte.

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Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) nach Vernehmung mehrerer Zeugen ab. Aufgrund der im Vorverfahren vorliegenden Unterlagen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des FG fest, dass der Kläger unter dem "Deckmantel" eines anderen Unternehmens als selbständiger Unternehmer und Arbeitgeber aufgetreten sei. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung weiterer Zeugen zum Beweis, diesen Zeugen gegenüber sei eine andere Person als wahrer Unternehmer aufgetreten, kam das FG nicht nach. Denn die unter Beweis gestellten Tatsachen könnten als wahr unterstellt werden, ohne dass sich die rechtliche Beurteilung des Streitfalles ändere. Schließlich bestünden keine Bedenken gegen die durch das FA vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen.

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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

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Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe sind entweder nicht gegeben oder nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.

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1. Eine Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln nach Maßgabe des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommt nicht in Betracht.

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a) Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist die Revision nicht wegen Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) zuzulassen, weil das FG dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Vernehmung mehrerer Zeugen nicht nachgekommen ist.

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Die Ablehnung eines Beweisantrags ist u.a. dann kein Verfahrensfehler, wenn das FG --wie hier-- die Wahrheit der unter Beweis gestellten Tatsache unterstellt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Oktober 2009 VIII B 151/08, BFH/NV 2010, 54, m.w.N.). Soweit der Kläger das Ergebnis der Beweisaufnahme für unzutreffend hält, wendet er sich gegen die tatsächliche Würdigung des FG, legt aber keinen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 11. November 2010 VII B 36/10, BFH/NV 2011, 1036).

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b) Hinsichtlich der Rüge, das FG-Urteil verstoße wegen der unterbliebenen oder fehlerhaften Berücksichtigung einzelner Aktenstücke gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), fehlt es bereits an der erforderlichen Darlegung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

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Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei ist neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch der gesamte Akteninhalt vollständig zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2012 IV B 126/10, BFH/NV 2012, 774, m.w.N.). Die Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO erfordert die genaue Bezeichnung der (angeblich) vom FG übergangenen Akten, Aktenteile oder Schriftsätze. Ferner muss dargelegt werden, welche Schlussfolgerungen sich dem FG ausgehend von dessen materiell-rechtlichem Standpunkt aufgrund dieser Tatsachen hätten aufdrängen müssen. Schließlich muss die Erheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels dargetan werden (BFH-Beschlüsse vom 23. Oktober 2008 X B 168/08, BFH/NV 2009, 187; vom 13. Juni 2005 I B 138/04, BFH/NV 2005, 2212; vom 2. Dezember 2002 VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527).

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Diesen Voraussetzungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Er legt nicht dar, weshalb sich dem FG aufgrund der vermeintlich übergangenen Akteninhalte hätte aufdrängen müssen, eine andere Person als der Kläger sei Arbeitgeber gewesen. Denn alleine aus dem Umstand, dass das FG einzelne Akteninhalte in seinem Urteil nicht angesprochen hat, kann nicht geschlossen werden, es habe diese nicht zur Kenntnis genommen. § 96 FGO gebietet es nämlich nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern; vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt und Vortrag in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (BFH-Beschlüsse vom 15. April 2008 IX B 159/07, BFH/NV 2008, 1341; vom 19. Dezember 2007 X B 89/07, BFH/NV 2008, 599). Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt im Übrigen nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint. Insoweit handelt es sich um materiell-rechtliche Fehler, nicht indes um einen Verfahrensverstoß (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521; vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; jeweils m.w.N.).

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2. Die Revision ist auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO zuzulassen, weil --wie der Kläger meint-- das Urteil unter schweren Rechtsanwendungsfehlern leide. Hierzu hätte der Kläger nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO u.a. substantiiert darlegen müssen, weshalb das angefochtene Urteil willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. April 2003 VII B 267/02, BFHE 202, 91; vom 23. August 2002 IV B 89/01, BFH/NV 2003, 177, 178; vom 7. August 2002 VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606, 1607). Auch diesen Darlegungserfordernissen entspricht der Vortrag des Klägers nicht.

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a) Mit seiner Rüge, das FG habe die Arbeitgebereigenschaft ungeachtet gegenteiliger Zeugenaussagen und mithin objektiv willkürlich angenommen, hat der Kläger die genannten Voraussetzungen eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers nicht substantiiert dargelegt. Er setzt hier ebenfalls lediglich seine Beurteilung der Sach- und Rechtslage an die Stelle der Bewertung des FG. Mit den Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung einschließlich der Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG macht der Kläger bloße Rechtsanwendungsfehler geltend, die die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. September 2007 IX B 199/06, BFH/NV 2008, 26; vom 20. September 2007 IX B 54/07, BFH/NV 2008, 30; vom 13. August 2007 VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23). Denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (BFH-Beschlüsse vom 11. August 2010 VI B 143/09, BFH/NV 2010, 2230; vom 4. Mai 2010 VI B 156/09, BFH/NV 2010, 1443).

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b) Die von dem Kläger gegen die Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision ebenfalls nicht zu begründen.

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aa) Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Schätzung Einwendungen gegen die Ermittlung der Lohnkirchensteuer erhebt, kann er im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde damit nicht gehört werden.

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Denn in Bezug auf Kirchensteuerangelegenheiten ist im Streitfall der Finanzrechtsweg nicht gegeben. Zwar ist in § 4 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung Rheinland-Pfalz (AGFGO) in Ergänzung zu § 33 FGO festgelegt, dass der Finanzrechtsweg auch in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten eröffnet ist, soweit diese der Gesetzgebung des Landes unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Nach § 4 Satz 2 AGFGO bleibt indes ausdrücklich § 13 Abs. 1 des Landesgesetzes über die Steuern der Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgesellschaften unberührt, wonach in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Kirchensteuerangelegenheiten der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.

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bb) Im Übrigen legt der Kläger einen erheblichen Rechtsfehler des FG bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht hinreichend dar.

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Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (BFH-Beschluss vom 24. März 2010 VI B 131/09, BFH/NV 2010, 1296, m.w.N.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. etwa BFH-Beschluss vom 27. Januar 2009 X B 28/08, BFH/NV 2009, 717, m.w.N.). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (BFH-Beschluss vom 19. Juli 2010 X S 10/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2017, m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt (BFH-Beschluss vom 12. November 2008 V B 41/08, BFH/NV 2009, 402). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdeschrift darzulegen (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).

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Dies ist hier nicht geschehen. Der Kläger erhebt zwar zahlreiche Einwände gegen die Schätzung des FG. Seine Ausführungen erschöpfen sich allerdings nach Art einer Revisionsbegründung in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum die vom FG vorgenommene tatsächliche Würdigung und rechtliche Beurteilung des Streitfalles unrichtig sein soll. Dagegen fehlen substantiierte Ausführungen dazu, warum die gerügten Rechtsfehler in den Streitjahren zu einem willkürlich unrichtigen Schätzungsergebnis geführt haben sollen. Aus der Urteilsbegründung ergibt sich, dass die Besteuerungsgrundlagen für die Lohnsteuer anhand in Rechnung gestellter Arbeitsstunden sowie unter Berücksichtigung der jeweiligen Jahresumsätze geschätzt wurden. Überdies hat das FG herausgestellt, aus einzelnen näher bezeichneten Rechnungen folge, dass zeitweise mehr als die sonst üblicherweise eingesetzte Anzahl an Arbeitnehmern beschäftigt worden sei. Mit seinem Vortrag, die auf diese Weise ermittelte Arbeitnehmeranzahl decke sich nicht mit den Aussagen mehrerer Zeugen sowie mit einer einzigen in den Strafakten befindlichen Berechnung, macht der Kläger nicht in hinreichender Weise geltend, das Schätzungsergebnis sei wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar oder offensichtlich realitätsfremd.

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