Beschluss vom Bundesfinanzhof (1. Senat) - I B 131/11
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, veräußerte im Streitjahr (2005) 505.155 Aktien der A-AG zu einem Kurswert von 76,63 € je Aktie. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns setzte die Klägerin die Aktien mit Anschaffungskosten von 45,50 € je Aktie an. Sie ging dabei davon aus, dass im Rahmen eines sog. Aktienübernahme- und Platzierungsvertrags vom 16. Dezember 2002 mit der B-AG zunächst noch am 16. Dezember 2002 eine Veräußerung von 2.079.760 Aktien der A-AG an die B-AG zu einem Preis von 45,50 € je Aktie erfolgt war und, nachdem es der B-AG nicht gelungen war, die Aktien innerhalb von vier Börsentagen mit einem vereinbarten Paketaufschlag von 20 % auf den aktuellen Börsenkurs am Markt zu platzieren, die Aktien vereinbarungsgemäß am 20. Dezember 2002 von der B-AG zum Preis von wiederum 45,50 € je Aktie an die Klägerin zuzüglich einer vertraglich vereinbarten Vergütung von 55.000 € rückveräußert worden waren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging dagegen davon aus, dass im Rahmen des Aktienübernahme- und Platzierungsvertrags mit der B-AG das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien nicht übergegangen war. Dementsprechend setzte das FA im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns für das Streitjahr die Aktien mit dem ursprünglichen Buchwert von 22,20 € je Aktie an.
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Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Finanzgerichts --FG-- Nürnberg vom 1. März 2011 1 K 1860/10). Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Denn die Klägerin hat keinen der Revisionsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
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Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO muss in der Beschwerdebegründung das Vorliegen der in § 115 Abs. 2 FGO ausdrücklich genannten Tatbestandsmerkmale schlüssig und substantiiert erläutert werden.
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a) Soweit die Klägerin in der Beschwerde im Wesentlichen anführt, die Annahme des FG, der streitgegenständliche Aktienübernahme- und Platzierungsvertrag sei als einheitlicher Kaufvertrag anzusehen, der unter einer auflösenden Bedingung gestanden habe, stelle eine "unzulässige Überraschungsentscheidung" dar, kann dem Vorbringen der Klägerin nicht schlüssig eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs und damit ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entnommen werden.
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aa) Eine Überraschungsentscheidung (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO) liegt nur vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht andererseits aber nicht, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten und sie mit ihnen umfassend zu erörtern (z.B. Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2011 I B 80/11, BFH/NV 2012, 954; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. März 2008 IX B 258/07, BFH/NV 2008, 1180, m.w.N.; vom 29. Januar 2010 IX S 3/10 [PKH], BFH/NV 2010, 921).
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bb) Nach dieser Maßgabe ist eine sog. Überraschungsentscheidung nicht schlüssig vorgetragen worden. Dem Vortrag der Klägerin selbst ist zu entnehmen, dass im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht nur die Frage angesprochen wurde, ob es im Rahmen des streitgegenständlichen Aktienübernahme- und Platzierungsvertrags zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf die B-AG gekommen ist, sondern auch, ob es sich dabei um einen einheitlichen Kaufvertrag gehandelt hat, der unter einer auflösenden Bedingung stand. Zusätzlich wurde der Klägerin eine Schriftsatzfrist von 14 Tagen eingeräumt, um ihr die Möglichkeit zu geben, zu dem Aspekt der "auflösenden Bedingung" Stellung zu nehmen.
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Dies macht hinreichend deutlich, dass die Erörterung beim FG auch den Aspekt der "auflösenden Bedingung" umfasste und dieser damit zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde. Das FG musste --entgegen der Auffassung in der Beschwerdeschrift-- die Argumente für eine "auflösende Bedingung" nicht offenlegen. Denn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das FG nicht, die Rechtslage mit den Beteiligten umfassend zu erörtern oder ihnen mitzuteilen, welche Umstände und Überlegungen seine Entscheidung voraussichtlich tragen werden. Das gilt vor allem im Verhältnis zu einem Beteiligten, der --wie im Streitfall die Klägerin-- im gerichtlichen Verfahren von einem rechtskundigen Berater vertreten wird. Auch der Hinweis der Klägerin, das FG habe seine Entscheidung auf die Annahme einer "auflösenden Bedingung" gestützt, nachdem im Vorfeld der mündlichen Verhandlung über sechs Jahre allein die Frage des "wirtschaftlichen Eigentums" im Vordergrund gestanden habe, bleibt insoweit unbeachtlich (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 28. Januar 2004 I B 5/03, BFH/NV 2004, 799, m.w.N.). Da das FG den Aspekt der "auflösenden Bedingung" auch nicht etwa ausdrücklich als unerheblich bezeichnet oder in anderer Weise eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass es seiner Ansicht nach auf ihn nicht ankomme, ist ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht erkennbar. Ob die Klägerin den von ihr nunmehr geltend gemachten Mangel in der mündlichen Verhandlung ausreichend gerügt hat, kann angesichts dessen offenbleiben.
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cc) Dasselbe gilt schließlich für die Rüge der Klägerin, das FG habe nach Eingang des nachgereichten Schriftsatzes nicht die mündliche Verhandlung wieder eröffnet. Denn die Klägerin hat nicht angegeben, was sie in einem weiteren Schriftsatz oder in einer weiteren mündlichen Verhandlung --über den von ihr nachgereichten Schriftsatz hinaus-- zusätzlich vorgetragen hätte und inwieweit dieser Vortrag zu einer für sie günstigeren Entscheidung des FG hätte führen können. Substantiierte Ausführungen dazu gehören indes zu einer ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör (Senatsbeschluss vom 21. Juli 2004 I B 186/03, BFH/NV 2005, 40; BFH-Beschlüsse vom 4. November 2008 VII B 54/08, BFH/NV 2009, 423; vom 29. Januar 2010 IX B 157/09, BFH/NV 2010, 920). Die in der Beschwerdebegründung enthaltene Aussage, die Klägerin hätte sich mit den Argumenten des FG dann erstmals konkret auseinandersetzen können, reicht insoweit nicht aus. Eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Argumentation des FG ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
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b) Soweit die Klägerin in der Beschwerde weiter ausführt, das Vertrauen in die Rechtsprechung sei gestört und müsse durch eine höchstrichterliche Entscheidung wiederhergestellt werden, kann dem Vorbringen der Klägerin der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) nicht schlüssig entnommen werden.
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aa) Dazu wäre es erforderlich gewesen, einen das FG-Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz aus einem anderen Gerichtsurteil in der Weise gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2007 I B 44/06, BFH/NV 2007, 1191; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 42, m.w.N.). Dem werden die Darlegungen der Klägerin nicht gerecht. Aus den Ausführungen der Klägerin ist bereits nicht zu entnehmen, dass den genannten Entscheidungen abweichende Rechtssätze zugrunde liegen. Zudem wird nicht herausgearbeitet, dass es sich um vergleichbare Sachverhalte handelt. Die Ausführungen der Klägerin beschränken sich vielmehr im Ergebnis darauf, eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall geltend zu machen. Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils können jedoch nur im Rahmen einer Revisionsbegründung relevant sein. Das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten.
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bb) Auch ein besonders schwerwiegender Fehler des FG bei der Auslegung revisiblen Rechts, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision ermöglichen würde (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25), ist von der Klägerin nicht schlüssig dargelegt worden. In diesem Sinne greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung dann, wenn sie objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; Senatsbeschluss vom 1. Juli 2009 I B 231/08, juris; Lange, Deutsche Steuerzeitung 2002, 782, 784).
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Mit ihrem Vorbringen, dem FG seien erhebliche Fehler bei der Auslegung des Aktienübernahme- und Platzierungsvertrags vom 16. Dezember 2002 unterlaufen, indem es einen nach dem Wortlaut und dem Willen der Vertragsparteien eindeutigen Vertrag unzutreffend ausgelegt und umgedeutet habe, kann die Klägerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wiederum nicht gehört werden. Damit sind keine objektiven Kriterien dargelegt worden, die den Schluss zuließen, das FG habe sich nicht eingehend mit der Rechtslage auseinandergesetzt und seine Auffassung entbehre jedes sachlichen Grundes (BFH-Beschluss in BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837). Die Klägerin setzt sich vielmehr mit der maßgeblichen Argumentation des FG (automatischer Rückübertrag ohne Ausübung eines Gestaltungsrechts, kein Risiko aus fallenden Kursen für die Bank, Vereinbarung einer Verwaltungsgebühr) überhaupt nicht auseinander. Im Kern richten sich damit die Einwendungen der Klägerin --nach Art einer Revisionsbegründung-- gegen die Schlussfolgerungen bzw. die Beweiswürdigung des FG. Derartige Angriffe sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen (ständige Rechtsprechung, Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82, m.w.N.).
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c) Wenn die Klägerin sinngemäß die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob ein FG einen zivilrechtlich eindeutigen Vertrag, der zwei Kaufverträge enthält, falsch und willkürlich dahingehend auslegen darf, dass eine "auflösende Bedingung" angenommen wird, ist es der Klägerin nicht gelungen, eine für die Entscheidung des Streitfalls abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommen soll (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N. zur Rechtsprechung). Den Ausführungen der Klägerin ist nicht zu entnehmen, welche Bedeutung diese Rechtsfrage für die Allgemeinheit haben soll. Denn die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegung des Aktienübernahme- und Platzierungsvertrags vom 16. Dezember 2002 trägt den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalls Rechnung. Diese Gegebenheiten sind nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage ist deswegen nicht klärungsbedürftig.
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Referenzen
- 2008 IX B 258/07 1x (nicht zugeordnet)
- 2009 I B 231/08 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 1860/10 1x (nicht zugeordnet)
- 2010 IX B 157/09 1x (nicht zugeordnet)
- 2004 I B 186/03 1x (nicht zugeordnet)
- 2008 VII B 54/08 1x (nicht zugeordnet)
- 2004 I B 5/03 1x (nicht zugeordnet)
- 2011 I B 80/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2003 IV B 85/02 1x (nicht zugeordnet)
- 2010 IX S 3/10 1x (nicht zugeordnet)
- 2007 I B 44/06 1x (nicht zugeordnet)