Beschluss vom Bundesfinanzhof (7. Senat) - VII B 61/12

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Zollspedition, hat in direkter Stellvertretung einer Handelsgesellschaft eine vereinfachte Zollanmeldung über 53 lebende Rinder bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) abgegeben, ohne von dieser Firma dazu bevollmächtigt gewesen zu sein. Sie hat dabei angegeben, eine Einfuhrlizenz nachreichen zu wollen. Dabei hat für die Klägerin ihr Mitarbeiter X gezeichnet. Die Einfuhrlizenz ist später zusammen mit der Sammelzollanmeldung für die betreffende Einfuhr von einem anderen Mitarbeiter der Klägerin vorgelegt worden; sie war jedoch gefälscht. Das HZA hat daraufhin von der Klägerin Einfuhrabgaben in Höhe von rd. 15.000 € nacherhoben.

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Die gegen diesen Bescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. Das Finanzgericht (FG) hat in seinem Urteil unter anderem ausgeführt, X sei befugt gewesen, namens der Klägerin im Rahmen ihrer allgemeinen Geschäftstätigkeit bei der Abgabe von Zollanmeldungen tätig zu werden. Die Behauptung der Klägerin, X habe Zollanmeldungen nicht allein abgeben dürfen, sei widerlegt. Dieser sei vielmehr regelmäßig allein tätig geworden. Dass er Gesamtprokura besessen habe, beschränke seine Vollmacht zur Abgabe von Zollanmeldungen für die Klägerin nicht, sondern erweitere seine Vertretungsmacht. Folglich müsse sich die Klägerin sein Handeln zurechnen lassen, auch wenn er seine Befugnisse vorliegend überschritten habe. Nach den insofern maßgeblichen zivilrechtlichen Grundsätzen trage der Vertretene das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie trägt zusammengefasst sinngemäß vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob jemand Zollschuldner werde, wenn einer seiner Mitarbeiter unter Überschreitung seiner Vollmacht oder in strafrechtlich relevanter Weise ohne Kenntnis und ohne Billigung des Unternehmens eine Zollanmeldung abgebe. Dazu gebe es keine Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und auch nicht des beschließenden Senats. Es werde deshalb angeregt, in dem angestrebten Revisionsverfahren dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

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(1) Sind die Bestimmungen des Zollkodex (ZK), insbesondere Art. 5 Abs. 4 Satz 2 ZK, dahin auszulegen, dass sich die Frage der Zurechenbarkeit des Handelns eines Mitarbeiters eines Unternehmens ausschließlich nach Unionsrecht, insbesondere nach Art. 5 Abs. 4 Satz 2 ZK richtet, oder richtet sich die Frage der Zurechenbarkeit nach nationalem Recht?

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(2) Für den Fall, dass sich die Zurechnung ausschließlich nach Unionsrecht richtet: Ist der Zollkodes dahin auszulegen, dass ein Handeln eines Mitarbeiters, dessen sich ein Unternehmen zur Erfüllung zollrechtlicher Pflichten bedient, diesem Unternehmen nicht zugerechnet werden kann, wenn dieser Mitarbeiter vollmachtlos gehandelt und/oder vorsätzlich ohne Wissen und ohne Billigung des zollverantwortlichen Unternehmens, das für Dritte handelt, strafbare Handlungen begangen hat, sodass dieses als vollmachtloser Vertreter gehandelt hat?

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Ferner möge der EuGH befragt werden, ob die in seiner Entscheidung vom 7. September 1999 C-61/98 (Slg. 1999, I-5003) aufgestellten Grundsätze in Fällen wie dem Streitfall entsprechend anzuwenden seien. Dazu ist die Klägerin offenbar der Meinung, das Handeln eines Mitarbeiters könne dem Unternehmen nicht zugerechnet und eine Zollschuldnerschaft nicht begründet werden, wenn dem Unternehmen selbst kein Vorwurf einer betrügerischen Absicht oder offensichtlicher Fahrlässigkeit gemacht werden könne.

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Schließlich hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, ob in einem solchen Fall durch die Heranziehung des Unternehmens als Zollschuldner der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt werde. Sie meint, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch daraus herleiten zu können, dass das FG verkannt habe, dass zwischen der Klägerin und X, der wegen Urkundenfälschung und Abgabenhinterziehung verurteilt worden sei, ein Gesamtschuldverhältnis bestehe. Dies habe das HZA verkannt und die demnach gebotenen Erwägungen zu dem Auswahlermessen bei der Inanspruchnahme für die Zollschuld nicht angestellt. Aus den nämlichen Gründen sei die Zulassung der Revision im Übrigen zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, Letzteres, weil das Urteil des FG von dem Urteil des beschließenden Senats vom 21. November 2000 VII R 8/00 (BFH/NV 2001, 570) abweiche.

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Das HZA hat sich zu der Beschwerdebegründung nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

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Nach Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 ZK gelten Personen, die erklären, im Namen eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, als in eigenem Namen handelnd, sodass eine Zollschuldnerschaft des angeblich Vertretenen ausscheidet. Das FG hat im Streitfall unter Würdigung der tatsächlichen Umstände sinngemäß festgestellt, der Mitarbeiter der Klägerin X sei von dieser bevollmächtigt gewesen, für sie Zollanmeldungen abzugeben, und im Übrigen habe dieser von der Vollmacht auch mit Wissen der Klägerin laufend Gebrauch gemacht. Dass unter diesen Umständen nicht davon ausgegangen werden kann, X habe die Vertretungsmacht i.S. des Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 ZK gefehlt, ist klar und eindeutig und bedarf weder der Klärung in einem Revisionsverfahren, geschweige denn eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Die weitergehende Frage, ob dort, wo die Vertretungsmacht im Sinne des Unionsrechts nicht klar und eindeutig vorliegt, Grundsätze des jeweiligen nationalen Rechts anzuwenden sind, wie das FG offenbar meint, stellte sich folglich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht.

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Der Senat weist im Übrigen zur Vermeidung von Missverständnissen darauf hin, dass die Revision nicht allein deshalb zuzulassen ist, weil es zu einer Rechtsfrage --wie die Beschwerde im Streitfall wiederholt hervorhebt-- noch keine Rechtsprechung des EuGH oder des Bundesfinanzhofs gibt. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist nur geboten, wenn die Beantwortung einer Rechtsfrage --so wie sie sich im konkreten Streitfall stellt-- nicht klar und eindeutig ist, und auch nur dann ist es geboten, ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union an den EuGH zu richten.

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2. Soweit die Beschwerde ihr Revisionszulassungsbegehren darauf stützt, in der angefochtenen Entscheidung sei nicht berücksichtigt worden, dass das HZA eine im Streitfall gebotene Ermessensausübung, nämlich eine Auswahl zwischen der Klägerin und X als denen, die für die Zollschuld als Gesamtschuldner einzustehen hätten, versäumt hat, fehlt es schon an der Angabe einer über den Einzelfall hinaus bedeutsamen, klärungsbedürftigen, eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO rechtfertigenden Rechtsfrage. Es ist überdies nicht einmal erkennbar, welche klärungsbedürftigen rechtlichen Grundsatzfragen sich in diesem Zusammenhang --etwa im Hinblick darauf, ob X für die der Klägerin angelasteten Abgaben haftet, ob Gesamtschuldnerschaft zwischen X und der Klägerin besteht oder ob vom HZA Auswahlermessen auszuüben und die Auswahlentscheidung entsprechend zu begründen war-- in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen.

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Sofern dem Vorbringen der Beschwerde in diesem Zusammenhang die Rüge sollte entnommen werden können, die Revision müsse nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 letzte Alternative FGO zugelassen werden, fehlte es nicht nur an der dafür erforderlichen Darlegung, dass das Urteil des FG --nicht nur, wie der Beschwerde entnommen werden mag, unrichtig, sondern dass es-- objektiv willkürlich ist. Selbst wenn im Übrigen davon ausgegangen wird, dass ein Anspruch des Zollschuldners auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine etwaige (vorrangige oder gleichrangige) Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners besteht, hätte es einer substantiierten und genauen Darlegung bedurft, aufgrund welcher vom FG getroffener Feststellungen oder für dieses offensichtlicher, folglich nicht ohne objektive Willkür zu missachtender Umstände sich aufdrängen musste, dass die Haftungsvoraussetzungen vorliegen, weshalb also X etwa --den die Beschwerde offenbar als vorrangig in Anspruch zu nehmenden Haftungsschuldner ansieht, der jedoch die gefälschte Einfuhrlizenz nicht vorgelegt hat-- im Hinblick auf die streitige Warensendung als Täter, mittelbarer Täter, Mittäter oder Beteiligter einer Steuerhinterziehung anzusehen ist, was das Strafgericht dazu festgestellt hat, ob X für das HZA greifbar war und ob er nicht etwa mangels Zahlungsfähigkeit nicht hat in Anspruch genommen werden können. Es fehlt auch an substantiierten Darlegungen, warum es --nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern-- greifbar gesetzwidrig war, dass das FG in diesem Zusammenhang offenbar nur auf Art. 213 ZK abgestellt hat, der eine Gesamtschuld nur für mehrere Zollschuldner begründet.

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Wegen einer Abweichung des angefochtenen Urteils von der in der Beschwerde genannten Entscheidung des beschließenden Senats kann die Revision im Hinblick auf den angeblichen Ermessensfehler des HZA, mit dem sich das FG habe auseinandersetzen müssen, erst recht nicht zugelassen werden, weil dies voraussetzte, dass das FG einen von dieser Entscheidung abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und dieser in der Beschwerdebegründung auch herausgearbeitet worden ist. Daran fehlt es. Der Beschwerde kann insofern allenfalls entnommen werden, dass das FG die in dieser Entscheidung des Senats aufgestellten Rechtssätze nicht berücksichtigt oder jedenfalls auf den Streitfall nicht richtig angewandt habe, was indes die Zulassung einer Revision nach § 115 Abs. 2 FGO nicht rechtfertigt.

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Schließlich ist auch nicht dargelegt, weshalb die Revision deshalb zugelassen werden müsste, weil in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH darüber einzuholen wäre, ob die Abgabenfestsetzung deshalb rechtswidrig ist, weil der Klägerin keine betrügerische Absicht oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann. Denn abgesehen davon, dass es abwegig erscheint, die Zollschuldentstehung von diesen den einschlägigen Rechtsvorschriften schwerlich zu entnehmenden Voraussetzungen abhängig zu machen, betrifft das Urteil des EuGH in Slg. 1999, I-5003, auf das die Beschwerde in diesem Zusammenhang Bezug genommen hat, nicht die Zollschuldentstehung, sondern die Frage eines Erlasses der Zollschuld wegen einer außergewöhnlichen Situation, in der sich der Anmelder im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern befunden hat. Es hätte deshalb zumindest näherer Darlegung bedurft, weshalb die Überlegungen dieses Urteils auch im Streitfall einschlägig sind und weshalb in Betracht kommt, die Situation der Klägerin allein deshalb als eine „außergewöhnliche“ zu bewerten, weil einer oder mehrere der von ihr ausgewählten und mit Vollmachten ausgestatteten Mitarbeiter sich unredlich verhalten haben.

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