Urteil vom Bundesfinanzhof (3. Senat) - III R 69/10

Tatbestand

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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Jahr 2004 (Streitjahr) als Einzelunternehmer positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 48.717 €. Die Klägerin hatte positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 98.443 € sowie negative gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft in Höhe von ./. 84.160 €. Der für den Betrieb des Klägers festgesetzte Gewerbesteuer-Messbetrag 2004 belief sich auf 369 €. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) rechnete diesen Betrag im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 16. März 2009 nicht nach § 35 des Einkommensteuergesetzes 2002 in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung (EStG) auf die Einkommensteuer an, weil die Summe der im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte nicht größer als 0 € sei. Der Einspruch, der sich später gegen einen Änderungsbescheid vom 12. Juni 2009 richtete, hatte keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt und setzte die Einkommensteuer für das Jahr 2004 herab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 451). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, auch bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten gebe es den Grundsatz der Individualbesteuerung, der zur Folge habe, dass für jeden der Ehegatten eine eigene Summe der Einkünfte zu bilden sei, die erst in einem zweiten Schritt in die Summe der Einkünfte beider Ehegatten eingehe. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dies im Rahmen des § 35 EStG anders sein sollte. Auch bei Anwendung dieser Vorschrift sei für jeden Ehegatten eine eigene Summe der Einkünfte zu bilden. Eine Verrechnung der positiven gewerblichen Einkünfte des Klägers mit den negativen der Klägerin sei demnach ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis komme man auch, wenn man mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehe, dass die Einkünfte zusammen veranlagter Ehegatten im Anschluss an eine getrennte Ermittlung in der für die Ehegatten jeweils günstigsten Reihenfolge zu verrechnen seien (Meistbegünstigungsprinzip).

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Zur Begründung der Revision trägt das FA vor, der vom FG herangezogene Grundsatz der Individualbesteuerung komme bei der Anwendung des § 35 EStG nicht zum Tragen. Das angefochtene Urteil stehe in Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2006 X R 25/04 (BFHE 215, 176, BStBl II 2007, 694). Darin habe der BFH die horizontale Verrechnung positiver und negativer gewerblicher Einkünfte angeordnet.

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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

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Sie sind der Ansicht, eine horizontale Verrechnung gewerblicher Verluste zwischen Ehegatten würde zu einer Benachteiligung führen, da der Verlust, der bei einem der Ehegatten eingetreten sei, im Wege des Verlustvortrags nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) dazu führen würde, dass es im Folgejahr zu einer weiteren Minderung oder Nichtfestsetzung von Gewerbesteuer-Messbeträgen komme. Damit würde ein Verlust zweifach berücksichtigt, nämlich im Entstehungsjahr durch die Verrechnung mit den positiven gewerblichen Einkünften des Ehegatten und im Folgejahr wegen des Verlustvortrags. Es komme daher erneut zu einer Minderung des Anrechnungsvolumens nach § 35 EStG.

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Unter dem 14. Dezember 2010 hat das FA aus nicht streitbefangenen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2004 erlassen.

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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

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1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FA hat unter dem Datum des 14. Dezember 2010 einen Änderungsbescheid erlassen, so dass das finanzgerichtliche Urteil gegenstandslos geworden ist (s. z.B. Senatsurteil vom 19. April 2012 III R 50/08, BFH/NV 2012, 1429). Einer Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO bedarf es jedoch nicht, da sich der bisherige Streitstoff durch den Änderungsbescheid nicht verändert hat.

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2. Die Rechtsansicht des FG, wonach die positiven Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb bei Anwendung des § 35 EStG nicht mit den negativen gewerblichen Einkünften der Klägerin zu verrechnen seien, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

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a) Nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer bei Einkünften aus gewerblichen Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen um das 1,8fache des festgesetzten Gewerbesteuer-Messbetrags, soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt. Die letztgenannte Einschränkung erfordert die Zuordnung eines Teils der tariflichen Einkommensteuer zu den gewerblichen Einkünften. Nur positive gewerbliche Einkünfte können anteilige Einkommensteuer auslösen, so dass auf negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb keine Einkommensteuer "entfällt". Die im Streitjahr 2004 geltende Fassung des § 35 EStG enthielt, anders als die ab dem Veranlagungszeitraum 2008 geltende Fassung (s. § 52 Abs. 50a EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007, BGBl I 2007, 3150), noch keine ausdrückliche Regelung zur Ermittlung des auf die gewerblichen Einkünfte entfallenden Anteils der tariflichen Einkommensteuer. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 215, 176, BStBl II 2007, 694, dem sich der Senat anschließt, ergibt er sich bei zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten aus dem Verhältnis der gewerblichen Einkünfte zur Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) beider Ehegatten. Dabei ist eine Saldierung zwischen den positiven und negativen gewerblichen Einkünften eines Ehegatten vorzunehmen (BFH-Urteil in BFHE 215, 176, BStBl II 2007, 694).

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b) Entsprechendes gilt für den Streitfall, auch wenn das zitierte BFH-Urteil zu einem Sachverhalt ergangen ist, in dem, anders als im Streitfall, positive und negative gewerbliche Einkünfte ausschließlich bei einem der beiden Ehegatten angefallen waren. Der abweichende Sachverhalt rechtfertigt keine andere Berechnungsmethode. Im Streitfall entfällt keine Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte, da diese letztlich mit einem negativen Betrag in die Summe der Einkünfte der zusammen veranlagten Kläger eingegangen sind. Der Saldo der positiven gewerblichen Einkünfte des Klägers und der negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin war negativ, so dass in der Summe der Einkünfte keine gewerblichen Einkünfte enthalten waren, auf die anteilig Einkommensteuer hätte entfallen können.

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c) Eine Meistbegünstigung dergestalt, dass die negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin bei der Anwendung des § 35 EStG durch Verrechnung mit ihren positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten vorab verbraucht werden, so dass die positiven gewerblichen Einkünfte des Klägers ungeschmälert für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG zur Verfügung stehen, findet im Gesetz keine Stütze. Eine Meistbegünstigung hat der BFH im Urteil in BFHE 215, 176, BStBl II 2007, 694 für Fälle bejaht, in denen es um die Verrechnung von negativen nichtgewerblichen Einkünften mit positiven Einkünften des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten geht. Da dem Gesetz keine Reihenfolge zu entnehmen ist, billigte der BFH eine Vorabverrechnung von negativen nichtgewerblichen Einkünften des einen Ehegatten mit positiven nichtgewerblichen des anderen, so dass die positiven gewerblichen Einkünfte des einen Ehegatten ungeschmälert für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG zur Verfügung standen. Diese Art von Meistbegünstigung ist mit dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 EStG vereinbar. Dagegen lässt sich die Vorabverrechnung von negativen gewerblichen Einkünften eines Ehegatten mit positiven nichtgewerblichen Einkünften, die dazu führen soll, dass positive gewerbliche Einkünfte des anderen Ehegatten ungekürzt für eine Steuerermäßigung nach § 35 EStG zur Verfügung stehen, nicht mit dem Wortlaut der Vorschrift in Einklang bringen. Ergibt sich kein positiver Saldo aus den gewerblichen Einkünften beider Ehegatten, so sind in ihrem zu versteuernden Einkommen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG) keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb enthalten, auf die anteilig Einkommensteuer entfallen könnte (ebenso Kaeser/ Maunz, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 35 Rz B 58; Derlien in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 35 Rz 93; Ritzer/Stangl in Frotscher, EStG, Stand 11/2003, § 35 Rz 63; a.A. Schmidt/Glanegger, EStG, 26. Aufl. 2007, § 35 Rz 13). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Einkünfte von Ehegatten, die sich für die Zusammenveranlagung entschieden haben (§ 26 Abs. 1, § 26b EStG), nach dem Prinzip der Individualbesteuerung zunächst gesondert ermittelt und erst anschließend zusammengerechnet werden (BFH-Urteil vom 21. Februar 2006 IX R 79/01, BFHE 212, 456, BStBl II 2006, 598).

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d) Der Einwand, wonach eine Verrechnung der negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin mit den positiven gewerblichen Einkünften des Klägers zur Folge habe, dass sich die negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin wegen des Verlustvortrags nach § 10a GewStG ein weiteres Mal nachteilig für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG auswirkten, führt zu keiner anderen Betrachtung. Wird im Jahr nach der Entstehung eines gewerblichen Verlustes kein Gewerbesteuer-Messbetrag festgesetzt, weil ein positiver Gewerbeertrag wegen eines Verlustvortrags ausgeglichen wird, entsteht im Folgejahr keine Belastung mit Gewerbesteuer, die eine Anrechnung nach § 35 EStG rechtfertigen könnte. Zu einer "doppelten" nachteiligen Berücksichtigung des gewerblichen Verlustes der Klägerin kommt es daher im Streitfall nicht.

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