Beschluss vom Bundesfinanzhof (10. Senat) - X B 9/11

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) betrieb im Streitjahr 2004 als Generalvertreter eine Versicherungsagentur. Er machte für ein von ihm 2004 hingegebenes Darlehen in seiner Bilanz eine Teilwertabschreibung wegen Insolvenz des Darlehensnehmers geltend. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung dieser Teilwertabschreibung ab, weil ein Zusammenhang des Darlehens mit dem Betrieb des Klägers nicht feststellbar sei. Mit seiner Klage trug der Kläger vor, der Darlehensnehmer, Herr G, sei Inhaber eines Autohauses und zugleich Leiter einer Versicherungsagentur, die zur klägerischen Generalagentur gehöre. G habe beabsichtigt, mittels des Darlehens sein Agenturgeschäft zu erweitern, was über zusätzliche Provisionen auch der klägerischen Generalagentur zugute gekommen wäre. Mit der Darlehenshingabe sei angestrebt worden, neben der Erzielung von Zinseinnahmen die betrieblichen Provisionseinnahmen zu steigern. Der von G geplante Gebäudeanbau an ein Autohaus biete als Werbeplattform die Möglichkeit, den Kunden neben Kfz-Versicherungen auch andere Versicherungen seiner Versicherungsgesellschaft anzubieten. Dies nütze auch der klägerischen Generalagentur.

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Das FA ist der Klage entgegengetreten. Die vom Kläger wegen der Geschäfte des G erzielten Neukundenprovisionen seien äußerst gering. Auch enthalte der Darlehensvertrag keine Klausel, wonach die Darlehenssumme zur Erstellung des Gebäudeanbaus zu verwenden sei. Hierzu werde die Zeugenvernehmung von G beantragt, welcher telefonisch erklärt habe, seiner Erinnerung nach habe es sich nicht um ein zweckgebundenes Darlehen gehandelt.

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Durch Gerichtsbescheid vom 16. August 2010 wies das Finanzgericht (FG) die Klage zum ganz überwiegenden Teil ab. Die Teilwertabschreibung sei nicht anzuerkennen, weil nicht feststellbar sei, dass das Darlehen zum Betriebsvermögen gehöre. Es sei kein hinreichender objektiver Zusammenhang zwischen der Darlehensgewährung und der Förderung der gewerblichen Tätigkeit des Klägers erkennbar. Der Vortrag, mittels der Darlehensgewährung sei eine Steigerung der Betriebseinnahmen angestrebt worden, sei viel zu vage, als dass daraus ein konkreter Förderzusammenhang abgeleitet werden könnte. Insbesondere hätten die in der Vergangenheit erzielten Einnahmen des Klägers durch die Agentur des G nur einen äußerst geringen Anteil an den Gesamterlösen ausgemacht.

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Auf den vom Kläger gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung, lud das FG die Beteiligten zu der auf den 9. Dezember 2010 anberaumten mündlichen Verhandlung. Die Ladungen enthielten jeweils den Hinweis, dass das Gericht bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandeln und entscheiden könne (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

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In dieser Verhandlung erschien für das FA niemand. In der Verhandlung äußerte sich der Kläger zur Sache. Er trug ergänzend vor, bei den bisher von ihm mitgeteilten Zahlen zu den von ihm mit der Agentur G erzielten Provisionen handele es sich nur um solche, bei denen die Provision zwischen G und ihm geteilt worden sei. Wichtiger für ihn, den Kläger, seien Neuverträge gewesen, die er im Autohaus des G über seine Hauptagentur abgeschlossen habe. Deren Anteil an den Gesamtumsätzen habe zwischen 8 % und 10 % gelegen. G habe nicht nur die vom Kläger angebotenen Versicherungen, sondern auch Konkurrenzprodukte vermittelt. Deshalb habe er, der Kläger, gehofft, durch die Darlehensgewährung in dieser Konkurrenzsituation für sich Vorteile erreichen zu können.

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Die mündliche Verhandlung wurde mit der Verkündung des Beschlusses geschlossen, dass die Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Durch Urteil vom 9. Dezember 2010 gab das FG der Klage statt. Es führte aus, der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung schlüssig und widerspruchsfrei die Gründe für die Darlehensgewährung aus betrieblichen Gründen dargelegt.

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Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes und § 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Das angefochtene Urteil beruhe auf neuem, erstmaligem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2010, zu dem das FA nicht habe Stellung nehmen können. Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen sei der Termin zu dieser mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung dem für die Vertretung vor dem FG zuständigen Bediensteten des FA nicht bekannt gewesen. Er habe von diesem Termin erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und nur deshalb Kenntnis erlangt, weil er sich wegen eines anderen Termins vor dem FG im Gericht befunden habe. Da sich das FG auf den neuen klägerischen Vortrag gestützt habe, hätte das FG dem FA vorab Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Von dem neuen Vorbringen des Klägers habe das FA aber erst im Urteil Kenntnis erlangt.

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Der Kläger ist der Beschwerde entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG seien keine grundlegend neuen Tatsachen vorgebracht worden. Auch habe das FA auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs verzichtet. Es habe, was das FA allerdings bestreitet, das Angebot des FG und des Klägers ausgeschlagen, trotz Schlusses der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abzugeben bzw. die mündliche Verhandlung (nach Wiedereröffnung) fortzuführen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom FA gerügte Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist nicht gegeben.

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Ein Urteil kann i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf einem Verfahrensfehler beruhen, wenn das FG das rechtliche Gehör verletzt hat.

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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird allerdings begrenzt durch die prozessuale Mitverantwortung der Beteiligten (Senatsbeschluss vom 12. August 2008 X S 35/08 (PKH), BFH/NV 2008, 2030). Deshalb genügt das FG seiner Verpflichtung, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, in der Regel dadurch, dass es eine mündliche Verhandlung anberaumt, die Beteiligten ordnungsgemäß lädt und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt durchführt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Juli 2003 XI B 47/01, BFH/NV 2004, 51, und vom 9. Mai 2005 VI B 187/04, BFH/NV 2005, 1364). Dass das FG dem nachgekommen ist und das FA dem anberaumten Termin ohne Vorliegen eines erheblichen Grunds (§ 227 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO) ferngeblieben ist, steht außer Streit.

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b) Allerdings schützt der Anspruch auf rechtliches Gehör die Beteiligten davor, von neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten überfahren zu werden (vgl. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. Juli 1993  2 BvR 218/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1993, 595), die dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 1996 VIII B 37/95, BFH/NV 1997, 124, und vom 21. Januar 1998 III R 31/97, BFH/NV 1998, 732). Das FG kann deshalb gehalten sein, die mündliche Verhandlung zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs zu vertagen, wenn es sein Urteil auf neues tatsächliches Vorbringen stützen will (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 732, und in BFH/NV 2004, 51). Dies gilt allerdings nur dann, wenn es um einen gänzlich veränderten Tatsachenvortrag geht, der unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands im Kern neu ist (BVerfG-Beschluss in HFR 1993, 595) und mit dem daher der übergangene Beteiligte nicht zu rechnen brauchte.

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So liegen die Verhältnisse im Streitfall nicht. Der Kläger hat sein Vorbringen, das in Frage stehende Darlehen sei aus betrieblichen Gründen hingegeben worden, im gerichtlichen Verfahren auf das Ziel der Steigerung von Provisionseinnahmen gestützt. Hierbei hat er nicht nur auf die in der Vergangenheit erzielten (Bestands-)Provisionen abgehoben. Vielmehr hat er bereits mit Schriftsatz vom 17. August 2007 darauf hingewiesen, das hingegebene Darlehen habe der Erweiterung des Autohauses des Darlehensnehmers gedient. Er, der Kläger, habe sich durch die Darlehenshingabe versprochen, den Kunden des Autohauses neben der Vermittlung von Kfz-Versicherungen auch andere Produkte der von ihm vertretenen Versicherungsgesellschaft anbieten zu können und hierdurch seine Einnahmen zu erhöhen.

14

Mit diesem Vortrag hat der Kläger bereits vor der mündlichen Verhandlung den Sachverhalt in seinem wesentlichen Kern geschildert. Dass er diesen in der mündlichen Verhandlung näher präzisiert und erläutert hat, entspricht dem normalen Gang einer mündlichen Verhandlung. Hiermit muss ein Beteiligter, der einer solchen Verhandlung fernbleibt, rechnen.

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Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch nicht deswegen anzunehmen, weil das FG zunächst einen anders lautenden Gerichtsbescheid erlassen hatte. Der Gerichtsbescheid kann durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu Fall gebracht werden (§ 90a Abs. 3 FGO). Die Entscheidung, die nach mündlicher Verhandlung ergeht, wird --unter Beachtung der oben dargelegten Beschränkungen-- durch den vorausgegangenen Gerichtsbescheid in keiner Weise präjudiziert.

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c) Besonderheiten ergeben sich im Streitfall auch nicht deshalb, weil das FA beantragt hatte, den Darlehensnehmer als Zeugen zu vernehmen. Denn ein rechtskundig vertretener Verfahrensbeteiligter begibt sich selbst seiner Rechte aus der möglichen Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn er trotz Ladung nicht an der mündlichen Verhandlung teilnimmt (BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 IX B 155/08, BFH/NV 2009, 412).

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d) Da dem FG mithin kein Gehörsverstoß unterlaufen ist, stellt sich nicht die Frage, ob das FA ein etwaiges Rügerecht verloren hat.

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