Beschluss vom Bundesfinanzhof (1. Senat) - I B 99/12

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wohnte in den Streitjahren (2005 und 2006) in A und erzielte u.a. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in A. Der Kläger hatte im Jahr 2005  100 v.H. der Anteile an der X S.A. (X) mit Sitz in Y im Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg) erworben und war noch im selben Jahr zum Vorsitzenden des Verwaltungsrates und alleinigem Delegierten für die tägliche Geschäftsführung bestellt worden. Zudem war er als Justitiar bei der X angestellt.

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In seiner Einkommensteuererklärung 2005 gab der Kläger u.a. an, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als "Grenzgänger" in Luxemburg in Höhe von insgesamt 76.339 € bezogen zu haben. Nach den beigefügten Lohnabrechnungen entfielen davon 25.375 € auf die X. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) unterwarf diese Einkünfte dem Progressionsvorbehalt.

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Im Zuge einer Steuerfahndungsprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine Tätigkeit für die X überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ausgeübt habe. Nach Art. 10 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA Luxemburg 1958) vom 23. August 1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959, 1023) seien Einkünfte einer natürlichen Person mit Wohnsitz in Deutschland in Luxemburg zu versteuern, wenn die Arbeit in Luxemburg ausgeübt werde. Die geforderte Arbeitsausübung in Luxemburg werde nur durch eine physische Anwesenheit des Arbeitnehmers in Luxemburg erfüllt. Der Kläger habe bei der B-GmbH in A ein eigenes Büro gehabt. Da die X für die B-GmbH einen Teil der Vertriebstätigkeit übernommen habe und auch sonst eine enge wirtschaftliche und personelle Verflechtung zwischen den Unternehmen bestanden habe, sei davon auszugehen, dass die Entlohnung für diese Beratertätigkeit in dem luxemburgischen Arbeitslohn des Klägers enthalten sei. Der Kläger habe zudem die Beratertätigkeit für die B-GmbH vermutlich teilweise auch in seinem Büro in der Wohnung in A ausgeübt. Denn der Kläger habe in Luxemburg keinen Schreibtisch gehabt, an dem er hätte arbeiten können. Es stehe danach fest, dass der Kläger seine Tätigkeit ganz oder teilweise in Deutschland ausgeübt habe. Da der Kläger keine Unterlagen beschafft oder vorgehalten habe, aus denen sich die Art und der Umfang der Tätigkeiten in Luxemburg ergebe, sei der der inländischen Besteuerung unterliegende Anteil des Arbeitslohnes zu schätzen.

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In seiner Einkommensteuererklärung 2006 gab der Kläger u.a. an, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus Luxemburg in Höhe von 61.628 € bezogen zu haben. In einem Schreiben erläuterte er, als alleiniger Geschäftsführer der X verschiedene im Einzelnen aufgeführte Aktivitäten mit physischer Präsenz in Deutschland entfaltet zu haben, und schätzte den Zeitaufwand hierfür auf ca. 250 Stunden.

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Das FA setzte in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre 75 v.H. der von der X bezogenen Einkünfte als solche aus nichtselbständiger Arbeit an (2005: 19.031 €; 2006: 46.221 €) und unterwarf den restlichen Betrag jeweils dem Progressionsvorbehalt. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ebenso wie die Klage erfolglos. Das Finanzgericht (FG) schloss sich im Wesentlichen der Auffassung des FA an. Lasse sich die behauptete Tätigkeit für die X in Luxemburg nicht wie erforderlich nachweisen und sei das Verhältnis der auf beide Vertragsstaaten entfallenden Tätigkeiten auch nicht klar zu ermitteln, seien im Rahmen der dann gebotenen Schätzung alle Umstände des Streitfalls zu berücksichtigen, und die vom FA vorgenommene Aufteilung der Einkünfte des Klägers mit 75 v.H. auf Deutschland stelle eine angemessene Verteilung dar (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2012  1 K 1392/09). Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen. Der Kläger macht mit seiner Beschwerde geltend, dass die Revision gegen das angefochtene Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt worden.

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Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darzulegen, muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2012 I B 103/11, BFH/NV 2012, 1141, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.). Wird ein Verstoß gegen das Unionsrecht gerügt, ist eine substantiierte, an den Vorgaben des Unionsrechts und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, jetzt Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 9. November 2007 IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390; vom 26. März 2008 II B 86/07, BFH/NV 2008, 1127). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

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a) Wenn der Kläger sinngemäß die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob das Verlangen der Finanzverwaltung gegenüber einem in Deutschland ansässigen, "grenzgehenden" Arbeitnehmer, der bei einem in einem anderen Staat ansässigen Unternehmen als leitender Angestellter beschäftigt ist, nachvollziehbare Belege und Nachweise für die konkret ausgeübte Tätigkeit im Beschäftigungsstaat vorzuhalten und vorzulegen, mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Es fehlt an der Darlegung einer im allgemeinen Interesse klärungsbedürftigen Rechtsfrage (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2005 IX B 98/05, BFH/NV 2006, 768; vom 14. Oktober 2003 X B 90/03, BFH/NV 2004, 220). Den Ausführungen des Klägers ist nicht zu entnehmen, welche Bedeutung diese Rechtsfrage für die Allgemeinheit haben soll.

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aa) Nach § 90 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) muss ein Beteiligter zur Aufklärung von Sachverhalten mit Auslandsbezug nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Möglichkeiten ausschöpfen. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die in der Vorschrift statuierte gesteigerte Mitwirkungspflicht auch die Beschaffung von Beweismitteln durch den Steuerpflichtigen umfasst, die dieser mit zumutbarem Aufwand beschaffen kann.

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bb) Die Antwort auf die davon zu unterscheidende weitere Frage, welche tatsächlichen Möglichkeiten der Beweismittelbeschaffung in einer bestimmten Situation bestehen und inwieweit deren Nutzung für den Beteiligten zumutbar ist, hängt dagegen von den individuellen Umständen des konkreten Falls ab und entzieht sich einer Anwendung schematischer Kriterien; insoweit ist vielmehr eine einzelfallbezogene Würdigung durch das FG erforderlich (Senatsbeschluss vom 14. März 2006 I B 198/04, BFH/NV 2006, 2078; BFH-Beschluss vom 16. Januar 2003 VIII B 114/01, BFH/NV 2003, 738). Eine darüber hinausgehende generalisierende Aussage könnte von einem den Streitfall betreffenden Revisionsurteil nicht erwartet werden, weshalb der Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren keine grundsätzliche Bedeutung zukommen kann. Nichts anderes ergibt sich nach Auffassung des Senats, wenn man --wie vom Kläger ergänzend vorgetragen-- andere Abkommen, die eine Fiktion des Tätigkeitsortes beinhalten, in die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage miteinbezieht.

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b) Soweit der Kläger im Hinblick auf "gesetzlich nicht normierte oder weiter konkretisierte Dokumentations- und Belegpflichten über Zeit, Art und Ort" der Tätigkeiten des Steuerpflichtigen die Frage nach der Vereinbarkeit von Art. 10 Abs. 1 DBA Luxemburg 1958 mit europäischem Recht aufwirft, stellt sich diese Rechtsfrage in dieser Allgemeinheit wiederum nicht. Art. 10 Abs. 1 DBA Luxemburg 1958 regelt die abkommensrechtliche Verteilung der Besteuerungszuständigkeiten der beiden Vertragsstaaten im Hinblick auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Das Abkommen knüpft dabei --ebenso wie Art. 15 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-MustAbk)-- an den allgemeinen Grundsatz an, wonach derartige Einkünfte in dem Staat besteuert werden, in dem die unselbständige Arbeit tatsächlich ausgeübt wird (vgl. Nr. 1 zu Art. 15 des Kommentars der Organisation for Economic Cooperation and Development zum OECD-MustAbk). Es entspricht wiederum allgemeinen Grundsätzen, dass die Ausübung der unselbständigen Arbeit im Tätigkeitsstaat vom Steuerpflichtigen entsprechend nachzuweisen ist, wenn er sich auf die Steuerfreistellung dieser Einkünfte im Ansässigkeitsstaat beruft. § 90 Abs. 2 AO sieht diesbezüglich entsprechende Sachaufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflichten der Beteiligten vor. Dem Senat erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht, warum die Verteilungsnorm des Abkommens selbst --hier Art. 10 Abs. 1 DBA Luxemburg 1958-- gegen europäisches Recht verstoßen sollte. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die vom Kläger in den Blick genommenen Vorschriften der Abkommen mit Österreich (dort die sog. Grenzgängerregelung in Art. 15 Abs. 6 DBA-Österreich 2000) und der Schweiz (dort die Sonderregelung für leitende Angestellte in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971) zu einer anderen Beurteilung zwingen sollten. Es wird vom Kläger in der Beschwerdebegründung nur behauptet, aber nicht nachvollziehbar begründet, dass in diesen Fällen keinerlei Dokumentation oder Vorlage von Belegen erforderlich sind. Insbesondere im Hinblick auf die Regelung für leitende Angestellte im Abkommen mit der Schweiz ist darauf hinzuweisen, dass dieser Personenkreis bei arbeitstäglicher Rückkehr vorrangig nach der sog. Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA Schweiz 1971 zu besteuern ist und die Fiktion eines Tätigkeitsortes in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 gerade nicht greift.

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c) Wenn der Kläger eine Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht jedenfalls dann annehmen will, wenn die Anforderungen des Ansässigkeitsstaates in der Praxis dazu führen, dass eine lückenlose Dokumentation aller Aufenthaltsorte und Tätigkeiten des Steuerpflichtigen an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag vorzulegen ist, ist darauf zu verweisen, dass diese Rechtsfrage sich im Streitfall nicht stellt. Denn das FG hat tatsächliche Feststellungen über die Tätigkeit und den Tätigkeitsort nicht treffen können. Ein den Streitfall betreffendes Revisionsurteil könnte deshalb eine diesbezüglich generalisierende Aussage gar nicht enthalten.

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d) Soweit der Kläger sich zudem auf für den Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Dokumentation oder Vorlage von Belegen zum Aufenthalt im Tätigkeitsstaat günstigere Bestimmungen in anderen Abkommen beruft und hieraus einen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Gleichbehandlungs- und Meistbegünstigungsgrundsatz ableiten will, ist den Ausführungen des Klägers bereits nicht zu entnehmen, woraus sich dieser Grundsatz ergeben soll. Ein substantiierter Vortrag hierzu hätte wenigstens einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH zu dieser Problematik bedurft. Dies ist der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen. Die Ausführungen beschränken sich vielmehr weitgehend auf die Behauptung, dass ein solcher Grundsatz existiert und hieraus entsprechende Folgerungen abzuleiten sind.

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e) Der Kläger wendet sich in der Beschwerdeschrift letztlich gegen die vom FG vorgenommene Tatsachenwürdigung und damit gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Einwendungen gegen die Richtigkeit des Urteils sind jedoch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unzulässig. Die Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten.

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