Beschluss vom Bundesfinanzhof (11. Senat) - XI B 84/12

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine britische Staatsbürgerin, führte als technische Redakteurin für inländische Firmen Dokumentationsarbeiten aus. Sie gab für die Jahre 2003 bis 2006 (Streitjahre) weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch Umsatzsteuererklärungen ab.

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Die Klägerin hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann und vertreten durch diesen am 19. Juni 2001 einen Mietvertrag über eine Wohnung in … geschlossen. Sie wurde unter dieser Anschrift durch ihren Ehemann am 20. August 2001 beim zuständigen Meldeamt mit Einzugsdatum 15. Juli 2001 an- und am 7. Februar 2008 rückwirkend zum 31. Oktober 2001 abgemeldet.

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Nach einer Steuerfahndungsprüfung setzte das Finanzamt X Umsatzsteuer für die Streitjahre gegen die Klägerin fest. Es ging davon aus, dass die Klägerin in den Streitjahren im Inland ansässig war.

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Die Einsprüche der Klägerin wies der aufgrund eines Wohnsitzwechsels nunmehr zuständig gewordene Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) mit Einspruchsentscheidung vom 2. Januar 2009 als unbegründet zurück.

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Auf die Klage der Klägerin hin --mit der sie geltend gemacht hatte, der Sitz ihres Unternehmens habe sich in den Streitjahren in Großbritannien befunden, da sie dort ihren Wohnsitz unterhalten und sich in der Bundesrepublik Deutschland nur zu Besuchszwecken aufgehalten habe-- beschloss das Finanzgericht (FG) am 2. März 2012 u.a., dass "Beweis zu erheben [ist] a) über die Tatsache, dass die Klägerin in den maßgeblichen Zeiträumen von England aus tätig war, durch Vernehmung von A ... als Zeuge sowie b) über den Aufenthaltsort der Klägerin in den Streitjahren durch Vernehmung von aa) B ... bb) C ... cc) D ... als Zeugen".

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Am 17. April 2012 hob das FG den Beweisbeschluss vom 2. März 2012 hinsichtlich der Vernehmung der Zeugin B auf.

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Der Zeuge A teilte dem FG mit Schreiben vom 30. April 2012 mit, dass er sich am 2. Mai 2012 --dem Termin zur mündlichen Verhandlung-- eine krebsverdächtige Stelle operativ entfernen lasse. Außerdem liege seine Ehefrau im Wachkoma und die Ärzte rechneten mit ihrem Ableben in den nächsten Tagen.

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Nachdem der Zeuge A zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2012 nicht erschienen war und das FG die Beteiligten von dem Schreiben des Zeugen vom 30. April 2012 in Kenntnis gesetzt hatte, erklärte die Klägerin, dass sie auf den Zeugen nicht verzichte.

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Das FG wies die Klage nach Schluss der mündlichen Verhandlung, in der die Zeugen C und D vernommen worden waren, als unbegründet ab. Die Klägerin schulde die aus ihren ausgeführten Umsätzen resultierende Umsatzsteuer. Die Steuerschuldnerschaft habe sich nicht auf die inländischen Leistungsempfänger der Klägerin gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes a.F. verlagert, da die Klägerin in den Streitjahren nicht im Ausland ansässig gewesen sei. In Ermangelung eines ausländischen Firmensitzes sei auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin abzustellen, der sich in den Streitjahren im Inland befunden habe.

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In den Gründen des angefochtenen Urteils hat das FG zu den Beweisanträgen der Klägerin Stellung genommen und dargelegt, weshalb es nicht verpflichtet gewesen sei, diesen nachzugehen.

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Mit ihrer wegen Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht die Klägerin Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend und rügt mangelnde Sachaufklärung und die Verletzung rechtlichen Gehörs durch rechtswidrige Verkürzung der Beweisaufnahme.

Entscheidungsgründe

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II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

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1. Ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor.

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a) Das FG hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, indem es ihr vor Erlass des Urteils nicht mit der erforderlichen Klarheit zu erkennen gegeben hat, dass es entgegen dem Beweisbeschluss vom 2. März 2012 nicht mehr beabsichtigte, den Zeugen A zu vernehmen.

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b) Durch einen Beweisbeschluss entsteht eine Verfahrenslage, auf welche die Beteiligten ihre Prozessführung einrichten dürfen. Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht eher ergehen wird, bis der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, eine angeordnete Beweisaufnahme in vollem Umfang durchzuführen. Will es von einer Beweisaufnahme absehen, muss es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vor Erlass des Urteils die von ihm durch den Beweisbeschluss geschaffene Prozesslage wieder beseitigen. Dazu hat es für die Beteiligten unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass es den Beweisbeschluss als erledigt betrachtet (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Dezember 2002 X B 26/02, BFH/NV 2003, 343; vom 27. August 2010 III B 113/09, BFH/NV 2010, 2292; vom 19. Januar 2012 X B 4/10, BFH/NV 2012, 958, jeweils m.w.N.).

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Im Streitfall wurde mit Beweisbeschluss vom 2. März 2012 angeordnet, A als Zeugen zu vernehmen. Den Akten des FG kann kein Hinweis an die Beteiligten entnommen werden, dass der Beweisbeschluss insoweit nicht ausgeführt werde. Auch aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 2. Mai 2012 lässt sich nicht entnehmen, dass das FG zu erkennen gegeben hat, es werde ein Urteil fällen, ohne zuvor den Zeugen A zu hören. Das FG hat ausweislich dieser Niederschrift die Beteiligten lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Zeuge A dem Gericht am 30. April 2012 mitgeteilt habe, er halte sein Ausbleiben für genügend entschuldigt, weil er sich heute eine krebsverdächtigte Stelle operativ entfernen lasse und außerdem seine Frau im Krankenhaus im Wachkoma liege.

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c) Ein Hinweis darauf, dass der Beweisbeschluss nicht oder nicht vollständig ausgeführt werde, kann entbehrlich sein. Hierfür genügt jedoch nicht, dass die Beteiligten allgemein in Betracht ziehen müssen, das FG werde von der Beweisaufnahme absehen. Die Beteiligten können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht eher ergehen wird, bis der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Abweichendes kann nur gelten, wenn das Gericht zu Recht davon ausgehen kann, es sei auch aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich eine angeordnete Beweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfe (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 958, m.w.N.).

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Von einer solchen Erledigung durfte das FG im Streitfall nicht ausgehen. Die Klägerin hat --wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 2. Mai 2012 ergibt-- ausdrücklich erklärt, dass sie nicht auf den Zeugen verzichte. Das FG konnte hiernach nicht davon ausgehen, dass sich die angeordnete Beweisaufnahme aus der Sicht der Beteiligten erledigt habe.

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Im Übrigen ist es hiervon auch nicht ausgegangen. Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass das FG die beantragte Vernehmung des Zeugen A deshalb abgelehnt hat, weil der Beweisantrag der Klägerin auf eine Ausforschung des Zeugen hinauslaufe und zudem die beantragte Vernehmung für die Entscheidung unerheblich sei. Die durch den Beweisbeschluss vom 2. März 2012 geschaffene Verfahrenslage, auf die die Klägerin ihre Prozessführung einrichten durfte, konnte hierdurch jedoch selbst dann nicht nachträglich beseitigt werden, wenn die Ausführungen des FG zur Ablehnung ihres Beweisantrags zutreffend wären, was hier dahinstehen kann.

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d) Die Klägerin hat diesen Verstoß auch in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt.

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2. Hiernach braucht der Senat nicht mehr auf den von der Klägerin ferner geltend gemachten Verfahrensfehler einzugehen, das FG habe die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) dadurch verletzt, dass es ihre (weitergehenden) Beweisanträge zu Unrecht übergangen habe.

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3. Der BFH kann gemäß § 116 Abs. 6 FGO auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen, sofern --wie hier-- die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen. Es erscheint sachgerecht, entsprechend dieser Vorschrift zu verfahren, da im Streitfall von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. September 2003 I B 18/03, BFH/NV 2004, 207; vom 29. Januar 2010 II B 107/09, BFH/NV 2010, 938; vom 22. März 2012 XI B 1/12, BFH/NV 2012, 1170, Rz 19).

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4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

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