Urteil vom Bundesfinanzhof (5. Senat) - V R 23/11

Tatbestand

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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Handwerker. Über sein Vermögen wurde durch Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter gab im Verfahren jährlich Umsatzsteuererklärungen ab, mit denen er die seinem Verwaltungs- und Verfügungsrecht (§ 80 der Insolvenzordnung --InsO--) unterliegenden Umsätze nach der Regelbesteuerung versteuerte. Am 1. April 2006 nahm der Kläger eine neue Tätigkeit als Maler und Fußbodenleger auf, die er mit nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung unpfändbaren Gegenständen ausübte.

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Für das Streitjahr 2006 reichte der Kläger eine Umsatzsteuerjahreserklärung ein, in der er die Anwendung der Kleinunternehmerregelung geltend machte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht und erließ am 25. Februar 2009 einen Umsatzsteuerjahresbescheid, aus dem sich eine Umsatzsteuer von 1.044,42 € ergab. Einspruch und Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2006 und den hierzu ergangenen Abrechnungsbescheid hatten keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) führte in seiner in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 1204 veröffentlichten Entscheidung für die Klageabweisung an, dass der Insolvenzverwalter über die Steuerpflicht von Umsätzen nach § 19 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) entscheide. Durch die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen habe der Insolvenzverwalter auf die Anwendung dieser Regelung verzichtet. Das FA habe auch nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Im finanzgerichtlichen Verfahren nahm der Kläger die Klage gegen den Abrechnungsbescheid zurück.

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Gegen das Urteil des FG wendet sich der Kläger mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Den Akten sei nichts dazu zu entnehmen, dass der Insolvenzverwalter auf die Besteuerung als Kleinunternehmer verzichtet habe. Selbst wenn ein derartiger Verzicht vorliege, beschränke sich dessen Wirkung auf die seinem Verwaltungs- und Vermögensbereich unterliegenden Umsätze. Dem stehe der Grundsatz der Unternehmenseinheit nicht entgegen. Die insolvenzrechtlichen Teilvermögen seien wie eigene Unternehmen zu behandeln. Das FA habe auch gegen Treu und Glauben verstoßen, weil es erst bei Einreichung der Jahressteuererklärung die Nichtanwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung geltend gemacht habe und ihm ein Schaden entstanden sei, weil er die Umsatzsteuer nicht eingenommen habe.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG und den Umsatzsteuerbescheid 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2010 aufzuheben.

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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Nach dem Grundsatz der Unternehmenseinheit stelle die Erklärung des Klägers über die von ihm zu versteuernden Umsätze nur eine Teilerklärung dar.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des Klägers, die sich --wie sich aus der Revisionsbegründung ergibt und wie er ausdrücklich klargestellt hat-- nur gegen den Umsatzsteuerbescheid 2006, nicht aber auch gegen den Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2006 richtet, ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wie das FG zu Recht entschieden hat, steht dem Insolvenzverwalter die Befugnis zu, auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG zu verzichten. Er übt diese Befugnis mit Wirkung für das gesamte Unternehmen des Insolvenzschuldners aus.

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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats gilt der Grundsatz der Unternehmenseinheit auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu unterscheiden sind der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind (§§ 174 ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen sind, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden können (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juni 2000 V R 87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, und vom 24. November 2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298).

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Diese aus insolvenzrechtlichen Gründen bestehenden Unterschiede bei der Durchsetzung des umsatzsteuerrechtlich einheitlichen Steueranspruchs ändern aber nichts an dem Grundsatz, dass der Insolvenzschuldner umsatzsteuerrechtlich nur ein einziges Unternehmen hat. Daher muss die Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten Umsatzsteuer die nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergeben (BFH-Urteil in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639). Hieraus folgt zugleich, dass der Verzicht nach § 19 Abs. 2 UStG nur einheitlich für das gesamte Unternehmen ausgeübt werden kann.

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Die Befugnis, den Verzicht nach § 19 Abs. 2 UStG zu erklären, steht ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter zu, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergeht. Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter danach entsprechend der Rechtsprechung des Senats (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1985 V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420) durch die Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet.

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2. Ein danach durch den Insolvenzverwalter erklärter Verzicht erstreckt sich trotz der Beschränkung auf den Umfang der Verwaltungsbefugnis nach § 34 Abs. 3 der Abgabenordnung auf das gesamte Unternehmen und damit auch auf den Unternehmensteil, dessen Umsätze der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung selbst zu versteuern hat (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 7. April 2005 V R 5/04, BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848, und vom 17. März 2010 XI R 30/08, BFH/NV 2010, 2128), da sich sonst aus der Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten Umsatzsteuer nicht die nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergäbe. Hierfür spricht auch, dass eine Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzverwalter als Regelfall und die Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzschuldner z.B. aufgrund einer Freigabe von vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögen als Ausnahmefall anzusehen ist.

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3. Der geltend gemachte Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nicht vor. Wie das FG auch insoweit zu Recht entschieden hat, war der Kläger aufgrund des Fortbestehens seines Gesamtunternehmens, das im Rahmen des § 80 InsO der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters oblag, verpflichtet, sich hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung in Verbindung mit dem Insolvenzverwalter zu setzen. Eine Verpflichtung des FA, den Kläger hierauf hinzuweisen, bestand nicht.

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4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO i.V.m. § 121 FGO).

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