Urteil vom Bundesfinanzhof (11. Senat) - XI R 37/11

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für den Streitzeitraum März 2005 bis August 2006 einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für seine im März 1987 geborene Tochter K und seinen im Oktober 1992 geborenen Sohn M hat.

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Der Kläger stammt aus Oberschlesien und besitzt sowohl die deutsche als auch die polnische Staatsangehörigkeit. Er war vom 1. März 2005 bis zum 18. April 2006 und vom 29. Mai 2006 bis zum 16. August 2006 als Elektromonteur bei der S sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Zeitraum von März 2005 bis April 2006 war er für S zur Ausführung von Aufträgen in Österreich tätig.

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Den Antrag auf Gewährung von Kindergeld für seine Kinder, die mit ihrer Mutter --der Ehefrau des Klägers-- in der Familienwohnung in Polen leben, lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) ab, weil der Kläger weder seinen Wohnsitz in Deutschland durch Vorlage eines Mietvertrages und Nebenkostenabbuchungen noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt durch Vorlage von Einsatzplänen des Arbeitgebers nachgewiesen habe.

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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Kläger habe für den Zeitraum März 2005 bis Januar 2007 keinen Anspruch auf Kindergeld. Er habe weder nach § 8 der Abgabenordnung (AO) seinen Wohnsitz noch gemäß § 9 AO seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nachgewiesen.

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Ein Anspruch auf Kindergeld ergebe sich auch nicht aus § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), weil der Kläger nicht den Nachweis geführt habe, dass er auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt worden sei.

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Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1437.

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Der Kläger stützt seine Revision auf die Verletzung materiellen Rechts. Die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 7. April 2011 III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324) dargestellten Gründe träfen auch auf den vorliegenden Streitfall zu. Bereits nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei es unmöglich, dass er, der Kläger, täglich zwischen Oberschlesien und den jeweiligen Arbeitsorten in Deutschland gependelt sei.

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Das FG verkenne den Regelungszweck der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), wenn es ihm die Ansprüche auf Kindergeld versage, weil er in Österreich beschäftigt sei. Seine jeweiligen Arbeitgeber hätten ihren Sitz in Deutschland. Da nach der VO Nr. 1408/71 jeweils nur die Regelungen eines Landes Anwendung finden sollten, werde das Territorialitätsprinzip insoweit verdrängt. Auch aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 12. Juni 2012 C-611/10 und C-612/10 --Hudzinski und Wawrzyniak-- (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2012, 999) ergebe sich, dass er die Anspruchsvoraussetzungen für das von ihm beantragte Kindergeld erfülle.

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Schließlich seien die zutreffenden Erwägungen des FG Münster (Urteil vom 27. August 2010  4 K 2550/09 Kg, EFG 2010, 2006), wonach ein Arbeitnehmer, der nach der Beendigung eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nach Polen verlegt, für eine Übergangszeit von 90 Tagen inländisches Kindergeld erhalte, wenn er für diesen Zeitraum soziale Leistungen aus der inländischen Arbeitslosenversicherung beziehe, auf den vorliegenden Streitfall anwendbar.

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Nachdem der Kläger im Revisionsverfahren mit Schriftsatz vom 23. August 2011 den Streitzeitraum auf März 2005 bis August 2006 begrenzt hat, beantragt er sinngemäß,
das Urteil des FG sowie den Ablehnungsbescheid vom 10. August 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2007 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für die Kinder K und M Kindergeld ab März 2005 bis August 2006 festzusetzen,
hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

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Die Familienkasse beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

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Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger im Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld hat.

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1. Nach § 62 Abs. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG, wer
"1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
a) nach § 1 Abs. 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder
b) nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird."

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2. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hatte der Kläger im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz i.S. des § 8 AO noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 AO im Inland.

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a) Das FG hat ausgeführt, der Kläger habe keine Wohnung oder andere Räumlichkeiten zum dauerhaften Wohnen vorgehalten. Auch hinsichtlich der ihm von seinem Arbeitgeber überlassenen Wohnung in der Z-Straße in L habe er eine tatsächliche Nutzung der Räumlichkeiten als eigene Wohnung nicht nachgewiesen. Des Weiteren habe der Kläger auch keine Umstände nachgewiesen, aufgrund derer von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts i.S. des § 9 AO im Inland während des Streitzeitraums auszugehen gewesen sei.

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Revisionsrechtlich beachtliche Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze hat der Kläger hiergegen nicht vorgebracht (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 2008 V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl II 2009, 60, unter II.2.c bb; vom 25. Juni 2009 V R 25/07, BFHE 226, 407, BStBl II 2010, 239, unter II.3.c; vom 4. Mai 2011 XI R 35/10, BFHE 233, 379, BStBl II 2011, 836, Rz 32). Dass es das FG nach der über zwölfmonatigen Beschäftigung in Österreich nicht als belegt ansah, dass er wieder im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, verstößt bereits deshalb nicht --wie geltend gemacht-- gegen Denkgesetze, weil nicht dargelegt worden ist, wo der Einsatzort des Klägers lag; es ist daher nicht ausgeschlossen, dass dieser weiterhin im Ausland lag.

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b) Der Umstand, dass demgegenüber das Finanzamt (FA) bei der Festsetzung der Einkommensteuer 2005 und 2006 von einem inländischen Wohnsitz (Z-Straße, L) ausgegangen ist und deshalb eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG angenommen hat, entfaltet --wie das FG zutreffend entschieden hat-- keine Bindungswirkung für die Kindergeldfestsetzung durch die Familienkasse. § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt für die Anspruchsberechtigung nur einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus und stellt nicht auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung ab. Das Gesetz geht daher davon aus, dass es sich bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung um unterschiedliche Verfahren handelt, so dass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897, Rz 12).

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3. Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, dass der Kläger nicht Anspruchsberechtigter i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist.

20

Anders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG macht das Gesetz bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG die Anspruchsberechtigung von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers abhängig (ebenso BFH-Urteil in BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897, Rz 13; Helmke in Helmke/ Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 62 Rz 42 ff.; Hildesheim in Bordewin/ Brandt, § 62 EStG Rz 56; Lange/Novak/Sander/Stahl/Weinhold, Kindergeldrecht im öffentlichen Dienst, § 62 EStG Erl. III/A.1 Rz 57; Lehner/Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1 Rz D 206). Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf das BFH-Urteil in BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897, mit dem der III. Senat die in dem Urteil des BFH in BFH/NV 2009, 564 im Rahmen eines obiter dictums vertretene andere Auffassung aufgegeben hat. Der III. Senat hat dort u.a. darauf hingewiesen, dass diese Auslegung verhindere, dass der Antragsteller gegenüber Finanzamt und Familienkasse unterschiedliche Angaben machen kann, indem er z.B. zunächst gegenüber dem Finanzamt einen tatsächlich nicht bestehenden Wohnsitz in Deutschland angibt, um dort bei geringen Einkünften einen Nullbescheid auf Basis der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu erlangen, und dann --im Falle einer genaueren Prüfung der Wohnortvoraussetzungen im Verfahren der Kindergeldfestsetzung-- gegenüber der Familienkasse eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG beantragt.

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Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des FG wurde der Kläger von dem zuständigen FA nicht auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, sondern nach § 1 Abs. 1 EStG zur Einkommensteuer veranlagt. Eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG scheidet daher aus.

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4. Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.

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a) Ohne Erfolg wendet der Kläger ein, die in der Entscheidung des BFH (Urteil vom 7. April 2011 III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324) dargestellten Gründe träfen auch auf ihn zu.

24

Denn der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar. Dort hat der Arbeitnehmer behauptet, mehr als sechs Monate zeitlich zusammenhängend im Inland gearbeitet und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach Polen unterbrochen zu haben. Wenn dies zutrifft und er an seinen Arbeitstagen im Inland übernachtet hat, wären die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland nach § 9 Satz 2 AO erfüllt (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1324, Rz 13 f.). Abweichend hiervon liegt der Vorentscheidung im Streitfall zugrunde, dass der Kläger von März 2005 bis April 2006 in Österreich auf Montage war und sich auch für den Zeitraum danach in einem Arbeitseinsatz außerhalb Deutschlands befunden haben könnte. Diese Würdigung des FG ist --wie dargelegt-- revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

25

b) Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich auch keine abweichende rechtliche Beurteilung aus dem Regelungszweck der VO Nr. 1408/71.

26

aa) Soweit der Kläger geltend macht, durch die Regelungen der VO Nr. 1408/71 werde das Territorialitätsprinzip verdrängt, beruft er sich auf die Erwägungsgründe und die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71, nach denen sich die auf innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmen.

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Die Erwägungsgründe 1, 4, 8 bis 10 der VO Nr. 1408/71 lauten:

28

1 "Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen."

29

4 "Es ist angezeigt, die Eigenheiten der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen."

30

8 "Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden."

31

9 "Zahl und Reichweite der Fälle, in denen ein Arbeitnehmer oder Selbständiger als Ausnahme von der allgemeinen Regel gleichzeitig den Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten unterliegt, sind so klein wie möglich zu halten."

32

10 "Um die Gleichbehandlung aller im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Arbeitnehmer und Selbständigen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, im Allgemeinen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet der Betreffende seine Arbeitnehmer- oder Selbständig[entätigkeit] ausübt."

33

Unter dem Titel II ("Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften") sieht Art. 13 ("Allgemeine Regelung") der VO Nr. 1408/71 vor:
"(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:
a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat; ..."

34

Art. 14 ("Sonderregelung für andere Personen als Seeleute, die eine abhängige Beschäftigung ausüben") der VO Nr. 1408/71 lautet:
"Vom Grundsatz des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe a) gelten folgende Ausnahmen und Besonderheiten:
1. a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. ..."

35

bb) Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 bezwecken, wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 4 und 8 sowie aus Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 ergibt, dass der Betroffene grundsätzlich nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegt, damit es nicht wegen der parallelen Anwendung mehrerer nationaler Rechtsvorschriften zur gänzlichen Versagung sozialen Schutzes oder zur Kumulierung von Ansprüchen und Beitragspflichten kommt (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 14. Oktober 2010 C-16/09 --Schwemmer--, Slg. 2010, I-9717, Rz 40; --Hudzinski und Wawrzyniak-- in DStRE 2012, 999, Rz 41; Wendl, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 1894). Sie stellen daher --wie das FG zu Recht erkannt hat-- Kollisionsregeln dar und begründen keinen eigenständigen Anspruch auf Kindergeld (vgl. EuGH-Urteil --Hudzinski und Wawrzyniak-- in DStRE 2012, 999, Rz 42, 44; Blümich/Treiber, § 62 EStG Rz 23). Da Art. 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union lediglich eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht, entschied der EuGH in dem Urteil --Hudzinski und Wawrzyniak-- (DStRE 2012, 999, Rz 42), dass "im Übrigen die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt [werden], so dass jeder Mitgliedstaat dafür zuständig bleibt, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden". Der EuGH geht daher davon aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld nur besteht, wenn die nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. Wendl, DStR 2012, 1894, 1896 f.). Diese sind --wie dargelegt-- im Streitfall nicht gegeben.

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c) Soweit der Kläger vorbringt, aus dem Urteil des EuGH --Hudzinski und Wawrzyniak-- (DStRE 2012, 999) ergebe sich, dass er die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld erfülle, ist dem aus den unter II.4.b bb erläuterten Gründen nicht zu folgen. Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 stellen nach dem genannten EuGH-Urteil lediglich Kollisionsregeln dar.

37

d) Der Kläger kann sich für seine Auffassung nicht auf den vom FG Münster (Urteil in EFG 2010, 2006) entschiedenen Fall stützen. Denn dieser ist mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Der Entscheidung des FG Münster lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein Arbeitnehmer, der nach Beendigung eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nach Polen verlegt, noch für eine Übergangszeit von 90 Tagen inländisches Kindergeld erhielt, weil er für diesen Zeitraum soziale Leistungen aus der inländischen Arbeitslosenversicherung (vgl. Art. 69 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a ii und Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71) bezog. Die für diesen Personenkreis bestehenden Sonderregelungen sind auf den Streitfall nicht anwendbar.

38

e) Eine abweichende rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger während des Revisionsverfahrens eingereichten Dokumenten und dem Vortrag von neuen Tatsachen. Denn im Revisionsverfahren kann ein neuer Tatsachenvortrag gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht berücksichtigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. Januar 2005 I R 52/03, BFHE 209, 5, BStBl II 2005, 514; vom 24. August 2011 I R 5/10, BFH/NV 2012, 271, Rz 35).

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