Urteil vom Bundesfinanzhof (9. Senat) - IX R 27/12

Tatbestand

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I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung durch das beauftragte Finanzamt.

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Im November 2009 bat der Beklagte und Revisionskläger (das beklagte Finanzamt L --beklagtes FA--) das Wohnsitzfinanzamt der Klägerin und Revisionsbeklagten --Klägerin-- (das FA W) um die Befugnisse zum Erlass einer Prüfungsanordnung und zur Durchführung der sich anschließenden Außenprüfung. Das beklagte FA begründete dies damit, dass bei dem Konzern A GmbH & Co. KG in L (A-Konzern) eine Außenprüfung durchgeführt werde (Prüfungszeitraum 2001 bis 2004). Zum Konzernbereich gehöre "nachstehendes Unternehmen: Eheleute" ... A (darunter die Klägerin) in I. Unter Hinweis auf die §§ 13 ff. der Betriebsprüfungsordnung (BpO) sei es zweckmäßig, dieses Unternehmen von L aus zu prüfen, weil sich dort die Buchführung und die Auskunftspersonen befänden. Es drohe die Verjährung des Prüfungszeitraums 2002. In der Tat vermietete die Klägerin einem Konzernunternehmen ein Arbeitszimmer.

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Noch im November 2009 teilte das FA W dem beklagten FA mit, es übertrage ihm die Befugnis zur Anordnung und Durchführung einer Außenprüfung bei der Klägerin gemäß § 195 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) und § 5 Abs. 1 Satz 1 BpO. Der Prüfungszeitraum solle die Jahre 2001 bis 2004 betreffen. Dies geschah, nachdem das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 18. März 2009 (4 K 91/07) eine Prüfungsanordnung des beklagten FA aus dem Jahr 2006 für die Jahre 2001 bis 2004 mangels örtlicher Zuständigkeit des beklagten FA aufgehoben hatte. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das FG-Urteil wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 14. Januar 2010 VIII B 104/09 (BFH/NV 2010, 605) zurück.

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Mit Prüfungsanordnung vom 1. Dezember 2009 ordnete das beklagte FA gegenüber der Klägerin die Durchführung einer Außenprüfung an. Die Prüfungsanordnung stützte sich auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. §§ 194 bis 196 AO, gab als Prüfungsgegenstand "Einkommensteuer einschließlich gesonderter Feststellungen 2002 – 2004" an und führte zur Begründung u.a. aus, das beklagte FA sei vom zuständigen FA (FA W) mit der Prüfung beauftragt; die Prüfung erfolge im Zusammenhang mit der laufenden Außenprüfung der Firmengruppe A.

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Hiergegen richtete die Klägerin ihren Einspruch und Aussetzungsantrag, die sie wegen des Bestehens einer weiteren, noch nicht bestandskräftig aufgehobenen Prüfungsanordnung (der Prüfungsanordnung aus dem Jahre 2006) auf die Nichtigkeit der streitigen Prüfungsanordnung, jedenfalls aber --wegen Verstoßes gegen § 195 Satz 2 AO-- auf deren Rechtswidrigkeit stützte. Einspruch und Aussetzungsantrag blieben erfolglos. Das beklagte FA ging in der Einspruchsentscheidung davon aus, der Sachverhalt der entgeltlichen Überlassung des Arbeitszimmers an das zur A-Gruppe gehörende Unternehmen sei allgemein bekannt gewesen, nicht zuletzt durch die Vorprüfung.

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Das FG hob die Prüfungsanordnung des beklagten FA vom 1. Dezember 2009 auf. Es ließ offen, ob diese Prüfungsanordnung nichtig sei; jedenfalls sei sie ermessensfehlerhaft und deshalb rechtswidrig. Sie lasse nämlich in Verbindung mit der Einspruchsentscheidung nicht erkennen, welche konkrete unternehmerische Betätigung der Klägerin nach Auffassung des beklagten FA den Grund für die Erteilung des Prüfungsauftrags bilde und weshalb diese unternehmerische Betätigung einen Konzernbezug aufweise. Wenn ausgeführt werde, zum Konzernbereich gehöre nachstehendes Unternehmen "Eheleute ...", suggeriere dies ein gemeinsames Unternehmen der Eheleute, das es aber nicht gebe. So gehe das beklagte FA in seiner Einspruchsentscheidung selbst von separaten Unternehmen der Eheleute aus.

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Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten FA, die es auf Verletzung von § 195 Satz 2 AO und § 5 AO stützt. Die Finanzbehörden hätten ihr Ermessen richtig ausgeübt. Mit der Problematisierung des Unternehmensgegenstandes verkenne das FG den Inhalt des § 195 Satz 2 AO. Ein Irrtum über die Person des Steuerpflichtigen habe nicht vorgelegen.

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Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Die Prüfungsanordnung sei nichtig, weil sich das beklagte FA auf zwei Prüfungsanordnungen berufe, die sich widersprächen. Außerdem sei die Prüfungsanordnung mangels hinreichender Angaben zu Grund, Steuerart und Zeitraum zu unbestimmt, damit ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Im Auftrag des FA W seien keinerlei Gründe genannt, weshalb das beklagte FA beauftragt worden sei; Ermessen sei nicht ausgeübt worden.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung in der Sache selbst. Die Klage ist abzuweisen. Unzutreffend hat das FG die hier streitige Prüfungsanordnung aufgehoben und damit § 195 Satz 2 AO verletzt. Die Prüfungsanordnung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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1. Außenprüfungen werden von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt (§ 195 Satz 1 AO). Sie können andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). Die beauftragte Finanzbehörde darf anstelle der an sich zuständigen Finanzbehörde die Außenprüfung durchführen; sie ist zum Erlass der Prüfungsanordnung befugt, aus der sich die Ermessenserwägungen für den Auftrag ergeben müssen (vgl. die ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 10. Dezember 1987 IV R 77/86, BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322; Beschluss vom 27. November 2003 I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 195 AO Rz 34; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 195 Rz 14; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO Rz 11), wozu es auch gehört, über einen Einspruch zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 18. November 2008 VIII R 16/07, BFHE 223, 311, BStBl II 2009, 507). Die maßgebenden Erwägungen, die bezogen auf den Streitfall eine Auftragsprüfung implizieren, ergeben sich aus den §§ 13 bis 18 BpO. Danach finden Prüfungen zusammenhängender Unternehmen unter einheitlichen Gesichtspunkten und einheitlicher Leitung statt (eingehend dazu Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz 44).

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2. Das im Streitfall für die Besteuerung der Klägerin nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 AO zuständige FA war --wie unter den Beteiligten unstreitig ist-- zunächst das FA W. Durch innerdienstliches Schreiben vom November 2009 hatte das FA W das beklagte FA mit der Durchführung der Außenprüfung bei der Klägerin beauftragt. Dem Auftrag lag eine Ermessensentscheidung der beauftragenden Finanzbehörde (FA W) zugrunde.

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a) Die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung setzt voraus, dass sie mit Gründen versehen ist, die die Ermessenserwägungen der Behörde erkennen lässt. Diese Erwägungen müssen sich aus dem betreffenden Verwaltungsakt ergeben (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Sie können allerdings --unter den Einschränkungen des § 102 Satz 2 FGO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens-- nachgeholt werden (§ 126 Abs. 2 AO).

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b) Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Prüfungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie enthält die für die Ermessensausübung auch des beauftragenden FA --des FA W-- maßgebenden Erwägungen der einheitlichen Prüfung der Klägerin im Konzernbereich des A-Konzerns. Aus der Prüfungsanordnung ergeben sich die Steuerpflichtige (die Klägerin), der Prüfungsumfang (Einkommensteuer und gesonderte Feststellungen 2002 bis 2004) und die tragenden Ermessenserwägungen für die Auftragsprüfung (einheitliche Prüfung des Konzerns A). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bedurfte es keiner weiteren Ausführungen, "aus welchem Grund diese unternehmerische Betätigung" der Klägerin einen Bezug zum Konzern A aufweist. Dieser Bezug war nämlich für alle Beteiligten klar und vom beklagten FA überdies nochmals in seiner Einspruchsentscheidung ausgeführt: Die Vermietung von Räumlichkeiten durch die Klägerin an eine gruppenzugehörige Kapitalgesellschaft.

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Es kommt entgegen der Vorentscheidung nicht auf die Formulierung der Bitte des beklagten FA um Erteilung des Prüfungsauftrags an. Abgesehen davon suggeriert dieses behördeninterne Schreiben, anders als die Vorinstanz meint, kein gemeinsames Unternehmen der Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann. Die Ausführungen in diesem Schreiben sind im Kontext der Akten und der Vorprüfungen so zu verstehen, wie sie schließlich in der Prüfungsanordnung in Gestalt der Einspruchsentscheidung umgesetzt wurden. Ferner nimmt auch der entscheidende Akt des Prüfungsauftrags keinen Bezug auf ein gemeinsames Unternehmen der Eheleute, sondern überträgt die Befugnis zur Prüfung beider Steuerpflichtiger --der Eheleute (der Klägerin und ihres Ehemannes)-- auf das beklagte FA.

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3. Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen. Auch wenn das FG darauf nicht näher eingegangen ist, scheidet eine Nichtigkeit der Prüfungsanordnung, wie sie von der Klägerin vorgetragen wird, ersichtlich aus: Die hier streitige Prüfungsanordnung ist die alleinige Ermächtigung zur Prüfung der Klägerin durch das beklagte FA. Sie tritt mit ihrem Erlass an die Stelle der Prüfungsanordnung aus dem Jahr 2006, die zunächst vom FG mangels Zuständigkeit des beklagten FA aufgehoben und schließlich vom beklagten FA nach § 132 AO i.V.m. § 130 Abs. 1 AO zugunsten der nunmehr erlassenen, hier streitigen Prüfungsanordnung jedenfalls teilweise, soweit sie die Klägerin betraf, zurückgenommen worden war. Dies gilt, obschon die hier streitige Prüfungsanordnung "neben die Prüfungsanordnung an die Eheleute" A treten soll. Das ist so zu verstehen, dass die Prüfung der Klägerin mit der streitigen Prüfungsanordnung auf eine neue Grundlage gestellt werden sollte. Die Änderung betrifft den Prüfungsgegenstand, den Prüfungszeitraum und den Prüfungsbeginn.

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