Urteil vom Bundesfinanzhof (1. Senat) - I R 8/13

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob die Abfindungszahlung eines französischen Arbeitgebers an einen nichtselbständig in Frankreich tätigen Arbeitnehmer in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer (Streitjahr 2006) einzubeziehen ist.

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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Zusammenhang mit seiner Anstellung bei der inländischen X-GmbH & Co. KG --X-- (Februar 2004) durch Vertrag vom 30. Juni 2004 ab dem 1. Juli 2004 bei der französischen Y S.A. (Y), einem Unternehmen der X-Gruppe, als Geschäftsführer angestellt worden. Der Kläger blieb daneben weiterhin für X in zeitlich beschränktem Umfang tätig.

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Mit Aufhebungsvereinbarung vom 18. Oktober 2006 beendeten Y, X und der Kläger das bestehende Anstellungsverhältnis zu Y und X auf Veranlassung von Y im allseitigen Einvernehmen mit Wirkung vom 7. Oktober 2006. In der Vereinbarung wird ergänzend auf die Tätigkeit des Klägers für X verwiesen; auch dieses Arbeitsverhältnis werde beendet, ohne dass hierfür eine eigene Aufhebungsvereinbarung erforderlich wäre. Die Parteien seien sich darüber einig, dass unterschiedliche Ansichten in der weiteren strategischen Ausrichtung des Unternehmens Anlass dafür gewesen seien, das Vertragsverhältnis zu beenden. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von 125.000 € brutto, die in drei Raten ausgezahlt wurde. Zusätzlich zu dieser Abfindungssumme durfte er seinen Laptop (Restbuchwert 300 €) sowie sein Handy (Vertragswert 60 €) behalten.

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Mit seiner Einkommensteuererklärung deklarierte der Kläger für das Streitjahr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (Bruttoarbeitslohn) von 12.939 € (Zahlung von X) und von 111.287 € (Zahlung von Y), zudem die ersten beiden Raten der Abfindung in Höhe von jeweils 45.000 € (Zahlung von Y); insoweit werde allerdings von einer Steuerpflicht in Frankreich ausgegangen.

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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) unterwarf den im Streitjahr beim Kläger zugeflossenen Teil der Abfindung in Höhe von 90.360 € (zwei Raten je 45.000 € zzgl. 360 € für Sachwerte) der inländischen Besteuerung: Abfindungszahlungen seien kein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit und würden auch nicht für eine konkrete Tätigkeit gezahlt. Diese Einkünfte seien als "sonstige Einkünfte" im Wohnsitzstaat zu erfassen. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage statt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Mai 2012  3 K 1500/09, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 1939).

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Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Besteuerung der Abfindung in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) abkommensrechtlich ausgeschlossen ist.

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1. Der in Deutschland wohnende Kläger ist hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG 2002--); dies schließt eine Besteuerung von Einkünften aus ausländischen Quellen (hier: Zahlungen eines ausländischen Arbeitgebers) ein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002, dort Nr. 4).

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Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger im Streitjahr im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung seines Dienstvertrags mit Y bzw. X "als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes" eine (Teil-)Entschädigung erhalten. Durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist geklärt, dass eine solche Entschädigung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG 2002 zählt (z.B. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1978 VI R 91/77, BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; s.a. Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15 Rz 56e, m.w.N.). Diese Regel greift --und zwar ersichtlich auch nach Einschätzung des Klägers-- im Streitfall ein. Die Abfindung zählt daher nach deutschem Einkommensteuerrecht zu den steuerpflichtigen Einkünften des Klägers.

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2. Die Abfindung ist allerdings nach Maßgabe des Art. 20 Abs. 1 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343), zuletzt geändert durch das Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 (BGBl II 2002, 2372, BStBl I 2002, 892) --DBA-Frankreich--, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Denn die Zahlung kann nach diesem Abkommen nur in Frankreich besteuert werden (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich).

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a) Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich etwaiger (hier nicht einschlägiger) Sonderregelungen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird (Satz 1). Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach Satz 2 der Regelung insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Art. 14 DBA-Frankreich bezeichneten Personen (das sind bestimmte öffentliche Kassen) gezahlt oder gewährt werden.

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b) Eine Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes wird vom objektiven Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich erfasst. Dies hat die Vorinstanz zutreffend aus dem Umstand einer nicht abschließenden Aufzählung einzelner Vergütungsbeispiele abgeleitet (s. zu einer Vergütung für die Unterlassung von Wettbewerb im Anschluss an eine nichtselbständige Arbeit Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22. September 1983 III 412/81, EFG 1984, 183; s.a. Kramer in Wassermeyer, a.a.O., Art. 13 DBA-Frankreich Rz 9; Wassermeyer/ Schwenke, ebenda, MA Art. 15 Rz 79; Bourseaux/Levedag in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 15 Rz 71).

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c) Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich bietet eine ausreichende Grundlage, das Besteuerungsrecht für eine solche Entschädigungszahlung ausschließlich dem Ort der früheren (Arbeitnehmer-)Tätigkeit (hier: Frankreich) zuzuordnen.

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aa) Der Senat hat für Abkommensregelungen, die Art. 15 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-MustAbk) vergleichbar sind, wiederholt entschieden, dass das für die Besteuerung von Arbeitslöhnen geltende abkommensrechtliche Arbeitsortprinzip nicht für Abfindungen gilt, die anlässlich der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt werden (z.B. Senatsurteile vom 18. Juli 1973 I R 52/69, BFHE 110, 43, BStBl II 1973, 757; vom 10. Juli 1996 I R 83/95, BFHE 181, 155, BStBl II 1997, 341; Senatsbeschluss vom 18. Juni 2008 I B 152/07, BFH/NV 2008, 1688; Senatsurteile vom 2. September 2009 I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010, 394 und I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387). Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem innerstaatlichen Recht Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MustAbk. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut ("dafür") nicht. An dieser Rechtsprechung ist uneingeschränkt festzuhalten. Auch die Finanzverwaltung hat sich dem prinzipiell angeschlossen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. September 2006, BStBl I 2006, 532, dort Tz. 6.3).

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bb) Der Vorinstanz ist allerdings darin zu folgen, dass der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich eine davon abweichende Handhabung rechtfertigt.

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aaa) Indem diese Regelung zur Abgrenzung ihres sachlichen Gegenstandes ausdrücklich auf die zahlende Person abstellt (Satz 2) und für die Zuordnung auf den Ort der persönlichen Tätigkeit verweist, "aus der die Einkünfte herrühren", lässt sie einen lediglich kausalen Zusammenhang ("Anlasszusammenhang") zwischen einem Arbeitsverhältnis und der Zahlung durch einen Arbeitgeber ausreichen.

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bbb) Die damit übereinstimmende Auslegung der Vorinstanz kann auch auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 12. Januar 2011 I R 49/10 (BFHE 232, 436, BStBl II 2011, 446) gestützt werden (gl.A. Helde, EFG 2012, 1941 f.). Diese Entscheidung betraf das abkommensrechtliche Besteuerungsrecht für Beträge, die ein in Frankreich wohnender Arbeitnehmer eines deutschen Arbeitgebers im Rahmen der sog. Freistellungsphase (d.h. nach dem Ende seiner "aktiven" Tätigkeit) nach Maßgabe der aufgrund des Altersteilzeitgesetzes in Anspruch genommenen Altersteilzeit im Streitjahr vereinnahmt hatte (dem Altersteilzeitarbeitnehmer wird zeitversetzt in der Freistellungsphase das ausgezahlt, was er in der Arbeitsphase erarbeitet hat bzw. was er an Arbeitsbezügen aufgrund seiner erbrachten Vollzeittätigkeit hätte beanspruchen können, s. insoweit zur Zuordnung der Einkünfte zu laufenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach nationalem Recht zuletzt BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 5/12, BFHE 240, 563, BStBl II 2013, 611). In diesem Zusammenhang hat der Senat ausgeführt, die dem Arbeitnehmer zugeflossenen Vergütungen im Rahmen der vereinbarten Altersteilzeit würden insgesamt aus dieser Tätigkeit herrühren; dass sie zeitversetzt zu einem Zeitpunkt ausbezahlt worden seien, in dem die persönlich ausgeübte Tätigkeit als solche beendet gewesen sei, ändere daran nichts. Auch bei nachträglich ausbezahltem Arbeitslohn handele es sich um entsprechende Einkünfte; dies alles betreffe das Regelarbeitsentgelt ebenso wie den vom Arbeitgeber zusätzlich gezahlten sog. Aufstockungsbetrag. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass jene Vergütungen der Freistellungsphase nicht "für" die erbrachte Tätigkeit geleistet würden, sondern dafür, dass der Arbeitnehmer sich mit der Altersteilzeit im sog. Blockmodell einverstanden erklärt habe. Allerdings sei die Frage der Kausalität zwischen Leistung und Gegenleistung innerhalb des Arbeitsverhältnisses für das DBA-Frankreich nicht maßgebend, weil hiernach --abweichend von Art. 15 Abs. 1 OECD-MustAbk und insofern weiter gehend-- alle Einkünfte dem Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats zugewiesen würden, welche aus der betreffenden Tätigkeit herrühren würden. Die besagte Kausalitätsfrage stelle sich also nicht; eine Veranlassung durch die Tätigkeit im weiteren Sinne genüge. Diesem Normverständnis entspricht die Besteuerungszuweisung auch für Arbeitnehmerabfindungen.

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