Beschluss vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II E 18/12

Tatbestand

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I. Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-AG (Schuldnerin). Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hatte die Klage der Schuldnerin gegen das Finanzamt (FA) auf Herabsetzung von Umsatzsteuer 1994 durch Urteil vom 18. Oktober 2001  5 K 436/96 abgewiesen. Auf die Revision der Schuldnerin erließ der Bundesfinanzhof (BFH) am 1. Juli 2004 (V R 16/03) einen Gerichtsbescheid gemäß § 90a der Finanzgerichtsordnung (FGO), gegen den rechtzeitig ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde. Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. November 2004 hob der BFH durch Gerichtsbescheid das Urteil des FG vom 18. Oktober 2001 auf und verwies die Sache an dieses zurück. Dem FG wurde die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

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Nachdem im Jahre 2007 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, nahm der Kostenschuldner im folgenden Jahr das Verfahren vor dem FG auf. Das FG hat mit Beschluss vom 16. Mai 2012 (5 K 86/08), nachdem das FA dem Klagebegehren teilweise entsprochen hatte und die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.

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Die Kostenstelle des BFH setzte daraufhin in der gegen den Kostenschuldner ergangenen Kostenrechnung vom 9. Oktober 2012 Gerichtskosten von … € an. Dabei wurden die Gebühren für das Revisionsverfahren im Allgemeinen sowie für zwei Gerichtsbescheide je zur Hälfte angesetzt.

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Hiergegen wendet sich der Kostenschuldner mit seiner Erinnerung. Er trägt vor, es sei lediglich der Ansatz einer Gebühr für den zuletzt ergangenen Gerichtsbescheid zulässig. Der Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2004 müsse, da er aufgrund des Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gelte, bei der Gebührenfestsetzung unberücksichtigt bleiben. Ferner sei eine Aufteilung der Gerichtskosten in Insolvenzforderungen bzw. Masseverbindlichkeiten geboten. Die Insolvenzmasse dürfe nur mit solchen Kosten belastet werden, die kausal auf der Aufnahme des Rechtstreits durch den Insolvenzverwalter beruhten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Erinnerung ist unbegründet.

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1. Nach § 72 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718) ist in Rechtsstreitigkeiten, die --wie hier-- vor dem 1. Juli 2004 anhängig geworden sind, das GKG a.F., d.h. in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl I 1975, 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl I 2004, 390), weiter anzuwenden.

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2. Der Ansatz einer Gebühr für jeden der beiden ergangenen Gerichtsbescheide ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Teil 3, I, Nr. 3133 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zum GKG) sind für einen Gerichtsbescheid (§ 90a FGO) 1,5 Gebühren anzusetzen. Die durch den Gerichtsbescheid ausgelöste Gebühr bleibt trotz des Antrags auf mündliche Verhandlung bestehen (BFH-Beschluss vom 31. August 2006 II E 4/06, BFH/NV 2007, 73). Die für den Gerichtsbescheid anfallende Gebühr wird auch dann erhoben, wenn anschließend ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, für das allerdings in diesem Fall eine ermäßigte Gebühr von 1,5 entsteht (Anlage 1 zu § 11 GKG Kostenverzeichnis Nr. 3133, 3134). Einem solchen Urteil steht auch ein in demselben Verfahren ergehender weiterer Gerichtsbescheid gleich, der --wie hier der Gerichtsbescheid des BFH vom 18. November 2004 V R 16/03-- gemäß § 90a Abs. 3 FGO als Urteil wirkt.

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3. Die für ein Revisionsverfahren entstandenen Gerichtskosten sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung --InsO--), wenn das FG nach Zurückverweisung der Sache im zweiten Rechtsgang die ihm gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragene Kostenentscheidung trifft. Der Ansicht des Kostenschuldners, die für das Revisionsverfahren entstandenen Gerichtskosten seien als eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu behandeln, kann nicht gefolgt werden. Insoweit kommt auch eine Aufteilung der für das Revisionsverfahren entstandenen Kosten in Masseverbindlichkeiten bzw. Insolvenzforderungen nicht in Betracht.

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a) Eine Kostenforderung der Staatskasse ist bei einem vom Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (vgl. z.B. Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 55 Rz 45), und zwar auch insoweit, als Gebührentatbestände vor Insolvenzeröffnung verwirklicht wurden. Im Anwendungsbereich der InsO wird zwar angenommen, dass im Falle der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter der Kostenerstattungsanspruch des Gegners hinsichtlich der vor Verfahrenseröffnung bereits vollendeten Gebührentatbestände nur als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu behandeln ist (vgl. FG Münster, Beschluss vom 30. August 2010  11 Ko 4689/08 GK, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 354; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Oktober 2009  16 W 115/09).

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Nimmt der Insolvenzverwalter jedoch ein Verfahren auf, in dem die Entscheidung über die Kosten --auch für einzelne Instanzen-- noch nicht abschließend getroffen wurde, tritt er zu Lasten der Masse in die Verantwortlichkeit für den Prozess ein und übernimmt bewusst das Prozesskostenrisiko für das gesamte Verfahren (Thole in Karsten Schmidt, Insolvenzordnung, 18. Aufl., § 55 Rz 12; Henckel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 55 Rz 21). Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Insolvenzverwalter ein bereits anhängiges Verfahren vorfindet, in dem Feststellungen über Insolvenzforderungen getroffen werden, oder ob ein solches Verfahren erst nach Insolvenzeröffnung anhängig wird. Allein entscheidend ist, dass die nach Abschluss des Verfahrens entstehende Kostenforderung i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf eine Handlung des Insolvenzverwalters zurückgeht.

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b) Demgemäß sind auch die im Streitfall berechneten Gerichtsgebühren für das Revisionsverfahren als Masseverbindlichkeiten zu beurteilen. Nach Abschluss des vor dem BFH geführten Revisionsverfahrens V R 16/03 war das beim FG im zweiten Rechtsgang anhängige, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zunächst unterbrochene und später vom Kostenschuldner aufgenommene Verfahren im Kostenpunkt noch nicht abgeschlossen. Denn erst das FG hatte, da der BFH ihm in seinem Gerichtsbescheid vom 18. November 2004 V R 16/03 die Kostenentscheidung gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragen hatte, über die gesamten Kosten des Verfahrens --einschließlich des vorangegangenen Revisionsverfahrens-- zu entscheiden. Damit war das im Zeitpunkt der Zurückverweisung an das FG noch nicht feststehende Kostenrisiko an den endgültigen Erfolg im gesamten Verfahren und nicht allein an den Erfolg im Revisionsverfahren geknüpft (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 143 Rz 23; BFH-Beschluss vom 13. Februar 2004 IV E 1/04, BFH/NV 2004, 966). Das gesamte Kostenrisiko war daher untrennbar mit der Aufnahme des vor dem FG im zweiten Rechtsgang anhängigen Verfahrens verknüpft und damit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet.

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4. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

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