Urteil vom Bundesfinanzhof (10. Senat) - X R 10/11

Tatbestand

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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist verheiratet und wurde in den Streitjahren 1997 und 1998 mit seiner Ehefrau (E) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Als Kommanditist der X-GmbH & Co. KG (KG) erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Zusammen mit E vermietete er zudem u.a. das Objekt A in B.

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Die für die KG abgegebenen Erklärungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen waren ebenso wie die Einkommensteuererklärungen der Eheleute u.a. für die Jahre 1997 und 1998 unrichtig. In den Einkommensteuererklärungen waren unter den Einkünften aus Gewerbebetrieb Gewinne aus der KG angegeben, die der Höhe nach den zunächst ergangenen Mitteilungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen entsprachen.

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Am 18. Juni 2003 leitete das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen C gegen den Kläger das Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 sowie Umsatzsteuer für die Jahre 1997, 1998 und 2001 ein, da Mieteinnahmen einschließlich Umsatzsteuer aus dem Objekt A nicht angegeben worden seien, und gab ihm dies kurz darauf bekannt.

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Der Kläger reichte u.a. am 14. Dezember 2004 eine ihn betreffende Erklärung nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928) bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ein. Darin erklärte er zu Unrecht nicht besteuerte Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StraBEG für die Jahre 1994 bis 2002. Als den Einnahmen zugrunde liegende Lebenssachverhalte gab er für die Streitjahre nicht versteuerte Aufwandsentnahmen, bei der KG nicht berücksichtigte Mieteinnahmen und für das Jahr 1998 zu niedrig versteuerte Kapitaleinkünfte und nicht der Erbschaftsteuer unterworfene Erwerbsvorgänge an.

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Das FA verneinte im Hinblick auf das eingeleitete Steuerstrafverfahren für die Jahre 1997, 1998 und 2001 die Wirksamkeit der strafbefreienden Erklärung für diese Jahre. Insoweit sei nach § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG eine Sperrwirkung eingetreten. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2004 änderte es deshalb die in der strafbefreienden Erklärung liegende Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG.

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Aufgrund des Einspruchs des Klägers erließ das FA am 11. September 2006 einen Teilabhilfebescheid, mit dem es die Strafbefreiungserklärung nur noch betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 nicht anerkannte.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2007 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Es war der Ansicht, der Tatbegriff i.S. des § 371 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) i.d.F. vor Inkrafttreten der Neuregelung durch das Gesetz zur Verbesserung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – AO a.F.) vom 28. April 2011 (BGBl I 2011, 676) bestimme sich nach Steuerart und Besteuerungszeitraum. Damit erstrecke sich der sachliche Umfang der Sperrwirkung des § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG aufgrund des eingeleiteten Strafverfahrens auf die gesamte Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 und nicht nur auf die dort bezeichneten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

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Die Klage hatte Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, das FA sei zu Unrecht von der Unwirksamkeit der strafbefreienden Erklärung für die Jahre 1997 und 1998 ausgegangen. Da keine Sperrwirkung nach § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG eingetreten sei, habe es die Erklärung des Klägers nicht ändern dürfen.

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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe den Tatbegriff nicht gesetzeskonform ausgelegt und die Sperrwirkung des § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG deshalb zu Unrecht verneint. Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5. April 2000  5 StR 226/99 (BFH/NV 2001, Beilage 1, 70) bestimme sich die einzelne Tat i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO a.F. und damit auch i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem. Die Anlehnung des vom FG herangezogenen Senatsurteils vom 26. November 2008 X R 20/07 (BFHE 223, 330, BStBl II 2009, 388) an den materiell-rechtlichen Tatbegriff, ausgefüllt durch einzelne Besteuerungsgrundlagen, widerspreche dem. Somit sei die Lesart des FG, den Tatbegriff als Nacherklärung einzelner Besteuerungsgrundlagen für ausreichend zu erachten, nicht möglich.

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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Er hält die Entscheidung des FG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

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Entgegen der Auffassung des FG war das FA berechtigt, die mit Abgabe der strafbefreienden Erklärung vom 14. Dezember 2004 bewirkte Steuerfestsetzung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG im Hinblick auf die Jahre 1997 und 1998 zu ändern. Insoweit ist nach § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG ein Ausschluss der Straf- oder Bußgeldbefreiung eingetreten.

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1. Der gegenüber dem Kläger ergangene Änderungsbescheid vom 11. September 2006 ist rechtmäßig.

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a) Gibt jemand eine (formwirksame) strafbefreiende Erklärung ab, steht diese gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Sie ist grundsätzlich nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift aufzuheben oder zu ändern, soweit nach dem StraBEG keine Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn die Straf- oder Bußgeldbefreiung gemäß § 7 StraBEG ausgeschlossen ist.

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b) Nach § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG tritt Straf- oder Bußgeldfreiheit nicht ein, soweit vor Eingang der strafbefreienden Erklärung wegen einer Tat i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG oder einer Handlung i.S. des § 6 dieses Gesetzes einem Tatbeteiligten (Täter oder Teilnehmer) oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist und der Erklärende dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.

19

aa) Dieser Sperrgrund entspricht im Wesentlichen demjenigen des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO a.F. bei der Selbstanzeige. Soweit sich die Vorschriften hinsichtlich des Adressaten der Verfahrenseinleitung unterscheiden, ist dies in der Reichweite der Straffreiheit begründet. Da die Strafbefreiungserklärung im Gegensatz zur Selbstanzeige nicht nur für den Erklärenden, sondern grundsätzlich für alle Tatbeteiligten Wirkung entfaltet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 StraBEG), müssen hier hinsichtlich der Prüfung, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entgegensteht, auch alle Tatbeteiligten berücksichtigt werden (Schwedhelm/Spatscheck, Deutsches Steuerrecht 2004, 109, 116). Die zu § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO a.F. vorliegenden Erkenntnisse können deshalb im Grundsatz auf § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG übertragen werden (zur vergleichbaren Problematik der Sperrgründe in § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b StraBEG siehe Senatsurteile vom 12. Dezember 2007 X R 31/06, BFHE 219, 498, BStBl II 2008, 344, unter II.2.a aa; in BFHE 223, 330, BStBl II 2009, 388, unter II.4.c aa).

20

bb) Hinsichtlich der Frage des sachlichen Umfangs der durch die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens ausgelösten Sperrwirkung geht die herrschende Meinung (zum Meinungs- und Streitstand vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 371 AO Rz 180) davon aus, dass diese sich nach dem Inhalt der Mitteilung und den darin genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträumen bemisst (z.B. Landgericht --LG-- Stuttgart, Urteil vom 16. April 1985  8 KLs 306/84, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht --wistra-- 1985, 203; LG Hamburg, Urteil vom 4. März 1987 (50) 187/86 Ns, wistra 1988, 317; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 371 AO Rz 182; Webel in Schwarz, AO, § 371 Rz 104; Hoyer in Beermann/Gosch, AO § 371 Rz 55; Klein/Jäger, AO, 11. Aufl., § 371 Rz 40; a.A. Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz 191.2, 195.1; allgemein Radermacher, Der AO-Steuer-Berater 2011, 58, 62 f.; Schwartz, wistra 2011, 81, 86 f.).

21

Der BGH hat sich bislang ausdrücklich zu der Voraussetzung "einer Steuerstraftat" i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO a.F. sowie zum Tatbegriff i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO a.F. geäußert. In seinem Beschluss in BFH/NV 2001, Beilage 1, 70 vertritt er die Ansicht, die Tat i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO a.F. bestimme sich nach "Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem" (unter IV.1.b aa). Ist ein Amtsträger "zur Ermittlung einer Steuerstraftat" erschienen, so besteht für die von späteren Selbstanzeigen erfassten Sachverhalte keine Sperrwirkung, wenn diese weder vom Ermittlungswillen des Amtsträgers erfasst waren noch mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in engem sachlichen Zusammenhang standen (unter IV.1.a aa).

22

cc) Da der Ausschlussgrund des § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG der Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens im Kern wortgleich den Tatbestand des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO a.F. übernimmt, ist es gerechtfertigt, § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG ebenso wie § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO a.F. auszulegen (ebenso Rüping in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 7 StraBEG Rz 7; Wulf in Streck, Beraterkommentar zur Steueramnestie, § 7 Rz 28). Die Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist ein durch § 371 und § 397 AO vorgeprägter Begriff, woran der Hinweis im Einleitungssatz von § 7 Satz 1 StraBEG auf die Tat i.S. des § 1 Abs. 1 StraBEG nichts ändert.

23

Dementsprechend bestimmt sich die Reichweite der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem. Unerheblich ist, auf welche unselbständigen Besteuerungsgrundlagen sich die Verfahrenseinleitung im konkreten Fall stützt.

24

dd) Etwas anderes kann dem Senatsurteil in BFHE 223, 330, BStBl II 2009, 388 nicht entnommen werden.

25

Es ist zum Sperrgrund des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG ergangen. Mit dem Rechtssatz, dass die entdeckte Tat nicht alle in einer unzutreffenden Steuererklärung enthaltenen untrennbaren Besteuerungsgrundlagen erfasst, sondern eine die Strafbefreiung ausschließende Tatentdeckung nur in dem Umfang gegeben ist, in dem der Finanzbehörde objektiv hinreichende Verdachtsmomente bekannt sind, welche ausreichen, um von der Wahrscheinlichkeit einer strafgerichtlichen Verurteilung auszugehen, hat der Senat ebenso wie der BGH in BFH/NV 2001, Beilage 1, 70 diesen --und nur diesen-- Sperrgrund einschränkend ausgelegt. Diese Überlegungen lassen sich bereits deshalb nicht auf den Sperrgrund der Verfahrenseinleitung übertragen, weil die jeweiligen Ausschlussgründe des § 7 Satz 1 StraBEG hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihrer jeweiligen Reichweite unterschiedlich sind.

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ee) Das vorstehend dargelegte Verständnis der Reichweite des Sperrgrundes in § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG ist auch sachgerecht.

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Die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens hat, sofern sich der Verdacht bestätigt, regelmäßig zur Folge, dass sich schon im Hinblick auf das Strafmaß und zur Vermeidung des Strafklageverbrauchs die Ermittlungen auf den vollständigen Umfang der Hinterziehung und daher auf alle unselbständigen Besteuerungsgrundlagen der hinterzogenen Steuer des Jahres erstrecken, auf das sich die Hinterziehung bezieht. Es ist daher folgerichtig, wenn das Gesetz dem Erklärenden im Sinne des StraBEG, der von der Einleitung Kenntnis hat oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, die Wohltaten des StraBEG versagt, weil seine Erklärung bei typisierender Betrachtung als Reaktion "auf das Ertapptsein" und nicht als tätige Reue zu bewerten ist.

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c) Nach diesen Rechtsgrundsätzen schloss die Einleitung des Strafverfahrens gegen den Kläger am 18. Juni 2003 u.a. wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer 1997 und 1998 nach § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG die Strafbefreiung hinsichtlich aller unselbständigen Besteuerungsmerkmale für diese beiden Veranlagungszeiträume hinsichtlich dieser Steuer aus, obwohl der Anlass der Verfahrenseinleitung eng begrenzt auf die Mieteinnahmen aus dem Objekt A war. Für diese Jahre konnte die Mitte Dezember 2004 eingereichte Erklärung nach dem StraBEG hinsichtlich der aufgeführten einkommensteuerrechtlich relevanten Lebenssachverhalte daher keine Wirkung mehr entfalten.

29

Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass sich die Einleitung des Strafverfahrens auf die Einkommensteuererklärungen bezog, die strafbefreiende Erklärung aber u.a. Einnahmeverkürzungen bei der KG betraf. Ob die im Wege der gesonderten Feststellung verfahrensrechtlich ausgegliederten Einkünfte im Allgemeinen wie alle anderen unselbständigen Besteuerungsgrundlagen zu behandeln sind, der Sperrgrund des § 7 Satz 1 Nr. 2 StraBEG mithin alle gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen umfasst, kann dahinstehen. Vorliegend hat der Kläger selbst die unrichtigen Angaben betreffend die KG durch ausdrückliche Erklärung zum Bestandteil der Einkommensteuererklärungen gemacht und so unmittelbar eine Hinterziehung (auf Zeit) bewirkt.

2. …

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