Urteil vom Bundesfinanzhof (7. Senat) - VII R 3/13
Tatbestand
- 1
-
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb von der in den Niederlanden ansässigen B diverse Packstücke gefrorene Hühnerteile (Warennummer 0207 1410). Die B hatte die Hühnerteile zuvor von Verkäufern in Brasilien bzw. von einem Zwischenhändler in Kanada erworben. Ursprungsland der Hühnerteile war Brasilien.
- 2
-
Die Klägerin gab im Abrechnungszeitraum August 2005 insgesamt sechs Zollanmeldungen zur Überführung der gefrorenen Hühnerteile in den freien Verkehr ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) berechnete die Einfuhrabgaben auf Grundlage der von der B gestellten Handelsrechnungen. In den Einfuhrabgaben war auch ein Zusatzzoll nach der Verordnung (EG) Nr. 1484/95 (VO Nr. 1484/95) der Kommission vom 28. Juni 1995 mit Durchführungsbestimmungen zur Regelung der zusätzlichen Einfuhrzölle und der Festsetzung der repräsentativen Preise in den Sektoren Geflügelfleisch und Eier ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 145/47) in der für den Streitfall geltenden Fassung nach Änderung durch die Verordnung (EG) Nr. 684/1999 der Kommission vom 29. März 1999 (ABlEG Nr. L 86/6) enthalten.
- 3
-
Nachdem das HZA im Rahmen einer Nachprüfung die von den brasilianischen Verkäufern bzw. dem kanadischen Zwischenhändler gegenüber der B gestellten Handelsrechnungen sowie Unterlagen über die Transport- und Versicherungskosten erhalten hatte, forderte es gemäß Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) Einfuhrabgaben nach. Der Zusatzzoll nach der VO Nr. 1484/95 sei nicht auf Grundlage der vom niederländischen Zwischenhändler gestellten Handelsrechnungen, sondern auf Grundlage der von den brasilianischen Verkäufern bzw. dem kanadischen Zwischenhändler gestellten Handelsrechnungen zu berechnen.
- 4
-
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe bei der Bestimmung des cif-Einfuhrpreises zu Recht auf die von den brasilianischen Verkäufern bzw. von dem kanadischen Zwischenhändler gestellten Rechnungen zuzüglich der tatsächlichen Transport- und Versicherungskosten abgestellt. Nach Art. 2 Abs. 1 Anstrich 2 VO Nr. 1484/95 sei derjenige Preis maßgeblich, zu dem ein im Unionsgebiet ansässiger Marktteilnehmer eine Ware aus einem Drittland erwerbe. Auf den Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr komme es nicht an.
- 5
-
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, für die Bestimmung des cif-Einfuhrpreises i.S. des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1484/95 komme es auf den Preis an, den derjenige bezahle, der die Ware zur Überführung in den freien Verkehr anmelde.
- 6
-
Die Kommission sei im Rahmen der VO Nr. 1484/95 vom Grundfall eines direkten Erwerbs der Ware durch den Anmelder im Ursprungsland ausgegangen. Für den Fall, dass die Ware nicht direkt, sondern über Zwischenhändler in Drittländern erworben werde, habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Parallelproblematik in der Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 (VO Nr. 1626/85) der Kommission vom 14. Juni 1985 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von bestimmten Sauerkirschen (ABlEG Nr. L 156/13) entschieden, dass der zur Berechnung des cif-Einfuhrpreises erforderliche fob-Preis im Ursprungsland anhand des fob-Preises zu bestimmen sei, den der letzte drittländische Zwischenhändler verlange (Urteil vom 2. August 1993 C-81/92 -Dinter-, Slg. 1993, I-4601). Auch die Kommission habe das Problem der Verkäuferketten erkannt und die Definition des cif-Einfuhrpreises in Art. 2 Abs. 1 Anstrich 2 VO Nr. 1484/95 durch die Verordnung (EG) Nr. 816/2009 (VO Nr. 816/2009) der Kommission vom 7. September 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1484/95 ... (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 236/5) gestrichen.
- 7
-
Die Rechtsprechung des EuGH in Slg. 1993, I-4601 müsse auch für die im Streitfall anwendbare Fassung der VO Nr. 1484/95 sowie für Verkäuferketten zwischen dem Erreichen des Zollgebiets der Union und der Überführung der Ware in den freien Verkehr gelten. Hierfür spreche zunächst der Wortlaut der VO Nr. 1484/95. Da mit dem Begriff "Einführer" der zollverfahrensrechtliche Einführer gemeint sei, müsse auch der Begriff "Einfuhrpreis" zollverfahrensrechtlich bestimmt werden. Nur so könne verhindert werden, dass sich die Begriffe Einfuhr und Einführer auf verschiedene Vorgänge beziehen und dadurch Widersprüche entstehen. Darüber hinaus gehe die vom FG vertretene Auffassung zur Bestimmung des cif-Einfuhrpreises über den in den Erwägungsgründen der VO Nr. 1484/95 genannten Zweck, eine Störung des Unionsmarkts zu verhindern, hinaus. Die eingeführten Waren konkurrierten auf dem Binnenmarkt erst nach einer Überführung in den freien Verkehr mit den in der Union produzierten Waren. Außerdem verweist die Klägerin auf das eigentliche Ziel des Übereinkommens über die Landwirtschaft (WTO-Landwirtschaftsübereinkommen), einen ungehinderten Marktzugang zu gewähren. Deshalb sei im Zweifel immer diejenige Auslegung zu wählen, die dem freien Handel Vorrang einräume. Schließlich sei zu bedenken, dass der endgültige Zollanmelder regelmäßig nicht die cif-Einfuhrpreise seiner vorgelagerten Zwischenhändler erfahre. Diese seien vielmehr daran interessiert, ihre eigenen Einkaufspreise geheim zu halten.
- 8
-
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
- 9
-
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
- 10
-
Es schließt sich der Begründung des FG an und macht geltend, für die Anwendung einer abweichenden Berechnungsmethode des cif-Einkaufspreises bestehe keine Rechtsgrundlage. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils in Slg. 1993, I-4601. Die dort überprüfte VO Nr. 1626/85 sehe in Art. 3 Abs. 3 eine Berechnungsmethode für den cif-Einkaufspreis vor, die in der im Streitfall maßgeblichen VO Nr. 1484/95 gerade nicht (mehr) enthalten sei. Außerdem habe der EuGH in seinem Urteil vom 6. Dezember 2005 C-461/03 -Gaston Schul Douane-expediteur- (Slg. 2005, I-10513) zur Verordnung (EG) Nr. 1423/95 der Kommission vom 23. Juni 1995 (ABlEG Nr. L 141/16; nunmehr Verordnung (EG) Nr. 951/2006 der Kommission vom 30. Juni 2006, ABlEU Nr. L 178/24) die Maßgeblichkeit des cif-Einkaufspreises ohne Erwähnung etwaiger Besonderheiten bei Verkäuferketten bestätigt, obwohl der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 30. Juni 2005 von einer mit der VO Nr. 1484/95 vergleichbaren Definition des cif-Einfuhrpreises ausgegangen sei.
Entscheidungsgründe
- 11
-
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass es bei der Bestimmung des cif-Einfuhrpreises i.S. des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 VO Nr. 1484/95 auf die von den brasilianischen Verkäufern bzw. dem kanadischen Zwischenhändler gestellten Rechnungen zuzüglich der tatsächlichen Transport- und Versicherungskosten ankommt.
- 12
-
1. Hierfür spricht zunächst der klare Wortlaut der VO Nr. 1484/95. Nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 der Verordnung ist der Zusatzzoll auf Grundlage des cif-Einfuhrpreises der betreffenden Sendung zu berechnen. Eine Definition des cif-Einfuhrpreises, die ausdrücklich für die gesamte VO Nr. 1484/95 gelten soll, findet sich in Art. 2 Abs. 1 Anstrich 2. Danach besteht der cif-Einfuhrpreis aus dem fob-Preis im Ursprungsland und den tatsächlichen Transport- und Versicherungskosten "bis zum Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft". Damit wird derjenige Ort bezeichnet, an dem die Ware tatsächlich die Grenze zum Zollgebiet der Gemeinschaft überschreitet, d.h. gerade nicht der Ort der --gegebenenfalls späteren-- Überführung in den freien Verkehr.
- 13
-
2. Die Auslegung nach dem Wortlaut wird sowohl durch eine systematische als auch durch eine teleologische Auslegung bestätigt.
- 14
-
Grundlage der VO Nr. 1484/95 ist für den Sektor Geflügelfleisch die Verordnung (EWG) Nr. 2777/75 (VO Nr. 2777/75) des Rates vom 29. Oktober 1975 (ABlEG Nr. L 282/77) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 806/2003 des Rates vom 14. April 2003 (ABlEU Nr. L 122/1) geänderten Fassung. Nach Art. 5 VO Nr. 2777/75 darf ein zusätzlicher Einfuhrzoll erhoben werden, wenn die Bedingungen des Art. 5 WTO-Landwirtschaftsübereinkommen, das im Rahmen der multinationalen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde als Anhang 1A.3 zum Abkommen über die Errichtung der Welthandelsorganisation vom 15. April 1994 geschlossen wurde (genehmigt durch Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994, ABlEG Nr. L 336/1) erfüllt sind. Hierbei wird sowohl in der VO Nr. 2777/75 als auch im WTO-Landwirtschaftsübereinkommen auf den cif-Einfuhrpreis abgestellt. Besondere Bedingungen für den Fall von Verkäuferketten sind nicht vorgesehen. Stattdessen wird in Abs. 4 der Erwägungsgründe ausdrücklich davon gesprochen, dass die Gemeinschaft zur Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes für Geflügelfleisch eine einheitliche Handelsregelung "an ihren Außengrenzen" einführen müsse. Außerdem heißt es in Abs. 6, dass die Abschöpfungen um einen Zusatzbetrag zu erhöhen sind, sofern die "Angebotspreise frei Grenze" unter den festgesetzten Einschleusungspreisen liegen. Daraus wird deutlich, dass auch die der VO Nr. 1484/95 zugrunde liegenden Regelungen auf den Ort des tatsächlichen Verbringens in das Unionsgebiet und nicht auf die Anmeldung zur Überführung in den freien Verkehr abstellen.
- 15
-
Entgegen der Auffassung der Klägerin greifen im Streitfall auch nicht die in Art. 5 Abs. 1 VO Nr. 2777/75 vorgesehenen Ausnahmen, wenn die Einfuhr keine Störung des Gemeinschaftsmarkts verursachen kann oder die Auswirkungen des zusätzlichen Einfuhrzolls in keinem Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen. Zwar hätte grundsätzlich die Möglichkeit bestanden, im Fall von Verkäuferketten auf die Anmeldung zur Überführung in den freien Verkehr abzustellen. Um eine Störung des Unionsmarkts auszuschließen, ist es aber gerechtfertigt, den tatsächlichen Grenzübertritt für maßgeblich zu erachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Waren, die nach dem Grenzübertritt, aber noch vor einer Anmeldung zum freien Verkehr von einem im Unionsgebiet ansässigen Großhändler innerhalb des Unionsgebiets vertrieben werden, in einem Konkurrenzverhältnis zu der auf gleicher Handelsebene vertriebenen Unionsware stehen.
- 16
-
Die Maßgeblichkeit des tatsächlichen Verbringens der Ware in das Zollgebiet für die Bestimmung des cif-Einfuhrpreises deckt sich darüber hinaus mit den Vorschriften des Zollwertrechts. Auch hier ist für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage grundsätzlich auf das tatsächliche Verbringen in das Zollgebiet der Union abzustellen (Art. 32 Abs. 1 Buchst. e, Art. 33 Buchst. a ZK i.V.m. Art. 163 der Zollkodex-Durchführungsverordnung).
- 17
-
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch die Streichung der Definition des cif-Einfuhrpreises in Art. 2 Abs. 1 Anstrich 2 VO Nr. 1484/95 durch die VO Nr. 816/2009 zu keinem anderen Ergebnis führen. Zum einen gilt die alte Fassung des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1484/95 für das Streitjahr. Zum anderen ergeben sich aus den Erwägungsgründen der VO Nr. 816/2009 keine Anhaltspunkte, dass die Streichung zu einer abweichenden Bestimmung des cif-Einfuhrpreises führen sollte. Vielmehr wird in den Erwägungsgründen allein auf die Gründe für die geänderte Ermittlung der repräsentativen Preise hingewiesen.
- 18
-
4. Aus der EuGH-Rechtsprechung lässt sich ebenfalls kein anderes Ergebnis ableiten. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung in Slg. 1993, I-4601, da es in diesem Fall lediglich um Verkäuferketten außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ging. Diese Entscheidung hat das HZA zutreffend angewandt, indem es im Fall des kanadischen Zwischenhändlers auf dessen Rechnung abgestellt hat. Im Urteil in Slg. 2005, I-10513 sowie in der zuvor ergangenen Entscheidung vom 13. Dezember 2001 C-317/99 -Kloosterboer Rotterdam- (Slg. 2001, I-9863) befasste sich der EuGH lediglich mit der Frage, ob es zulässig ist, nur unter der Voraussetzung eines entsprechenden Antrags auf den cif-Einfuhrpreis abzustellen. Wie der cif-Einfuhrpreis zu bestimmen ist, war nicht Gegenstand dieser Entscheidungen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 30. Juni 2005 (Slg. 2005, I-10516 und 10519) den cif-Einfuhrpreis ähnlich wie in Art. 2 Abs. 1 Anstrich 2 VO Nr. 1484/95 definiert und auf den Preis abgestellt hat, zu dem die Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft gelangt bzw. eintritt.
- 19
-
5. Der Senat hält diese Auslegung des einschlägigen Unionsrechts für eindeutig. Demnach besteht kein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81 -C.I.L.F.I.T.-, Slg. 1982, 3415).
- 20
-
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.