Beschluss vom Bundesfinanzhof (9. Senat) - IX B 9, 19/14, IX B 9/14, IX B 19/14
Tatbestand
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I. Das Finanzgericht (FG) hat in der mündlichen Verhandlung am 20. November 2013 den Beschluss verkündet, dass eine Entscheidung zugestellt werden soll. Am 27. November 2013 ist das von den Berufsrichtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe, jedoch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, bei der Geschäftsstelle eingegangen. Die Geschäftsstelle hat das Urteil in dieser Form ausgefertigt und an die Beteiligten am 27. November 2013 per Computer-Fax gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
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Dagegen hat der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (IX B 9/14) und u.a. gerügt, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen.
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Am 15. Januar 2014 hat die Geschäftsstelle das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Urteil an die Beteiligten zugestellt. Die Vorsitzende des Senats hat in einem Begleitschreiben darum gebeten, die Ausfertigungen des versehentlich zugestellten Tenors zurückzusenden. Es handele sich nicht um eine mit Bekanntgabewillen zugestellte Gerichtsentscheidung.
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Gegen die am 15. Januar 2014 zugestellte Entscheidung hat das FA ebenfalls Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (IX B 19/14). Es handele sich um ein zweites Urteil in derselben Sache, das keinen Bestand haben könne und zur Klarstellung aufgehoben werden müsse. Hilfsweise hat das FA Zulassungsgründe geltend gemacht.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerden sind zulässig und begründet.
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1. Die Beschwerde IX B 9/14 führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen eines Verfahrensmangels.
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a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft. Sie richtet sich gegen ein Urteil des FG (§ 115 Abs. 1 i.V.m. § 116 Abs. 1 FGO).
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aa) Das am 27. November 2013 zugestellte Schriftstück ist schon seinem äußeren Bild nach ein Urteil. Es trägt auf dem Deckblatt das Landeswappen und die Überschrift "Im Namen des Volkes - Urteil". Die Beteiligten und ihre Vertreter sind ebenso angegeben wie die mitwirkenden Richter. Die Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist vollständig und von den Berufsrichtern unterschrieben. Der Entscheidung ist zudem eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die ebenfalls (gesondert) von den Berufsrichtern unterschrieben ist.
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bb) Hat das Gericht anstelle der Verkündung (§ 104 Abs. 2 FGO) die Zustellung des Urteils beschlossen, wird das Urteil wirksam, wenn innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung die unterschriebene Urteilsformel (ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung) der Geschäftsstelle übermittelt wird (analog § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO) und wenn die Geschäftsstelle einem Beteiligten auf Anfrage den Inhalt der Urteilsformel formlos bekannt gegeben hat. Eine solche Bekanntgabe löst die Bindung des Gerichts an seine Entscheidung aus (§ 155 FGO i.V.m. § 318 der Zivilprozessordnung; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. August 2009 I R 2/09, BFHE 226, 235, BStBl II 2010, 760). Dem steht nicht entgegen, wenn das Urteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen ist.
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cc) Von einer dahin gehenden Bindung ist auch auszugehen, wenn die Geschäftsstelle anstatt der im Verfahren nach § 104 Abs. 2 FGO vorgesehenen formlosen mündlichen Bekanntgabe des Entscheidungsinhalts eine förmliche Zustellung vornimmt. In einem solchen Fall wird das Urteil mit dem zugestellten Inhalt wirksam. Dass die Geschäftsstelle bei der Zustellung möglicherweise nicht in Übereinstimmung mit der Weisungslage gehandelt hat, ist bei einer förmlichen Zustellung unerheblich.
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b) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch nicht verfrüht erhoben worden. Jedenfalls dann, wenn die Entscheidung --wie im Streitfall-- in schriftlicher Form und ausdrücklich "zum Zwecke der Zustellung" von der Geschäftsstelle übersandt worden und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, kann das Rechtsmittel sofort eingelegt werden. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels beginne erst mit der Zustellung des vollständigen Urteils zu laufen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die FGO sieht ausdrücklich den Fall vor, dass das Urteil nicht mit Gründen versehen ist (§ 119 Nr. 6 FGO); dieser Umstand hindert die Annahme eines vollständigen Urteils i.S. der zuvor genannten Vorschriften deshalb nicht (vgl. auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7. Dezember 2000 9 UZ 3323/00.A, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport 2001, 542).
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c) Die Beschwerde ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung (§ 119 Nr. 6 FGO) liegt vor. Daran ändert die nachträgliche Zustellung des vollständigen Urteils nichts; der Mangel einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung kann durch nachträgliche Ergänzung nicht geheilt werden. Dies sieht das Prozessrecht nicht vor.
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d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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2. Die Beschwerde IX B 19/14 ist ebenfalls zulässig und begründet; sie führt aus Gründen der Klarstellung zur isolierten Aufhebung des am 15. Januar 2014 zugestellten Urteils.
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a) Das den Beteiligten am 15. Januar 2014 zugestellte Schriftstück ist kein Urteil. Im Verfahren 7 K 1301/13 E ist mit der Zustellung eines (unvollständigen) Urteils am 27. November 2013 die Endentscheidung wirksam geworden. Ein (weiteres) Urteil konnte danach in diesem Verfahren nicht mehr ergehen.
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b) Gegen ein amtliches Schriftstück, das den äußeren Schein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung setzt, ist dasjenige Rechtsmittel statthaft, welches im Falle einer wirksamen Entscheidung gegeben wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. November 2010 III B 191/09, BFH/NV 2011, 440, und vom 20. Dezember 2012 IV B 93/12, BFH/NV 2013, 575). Das Rechtsmittel ist allein darauf gerichtet, den unzutreffenden Schein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen; die sonstigen Voraussetzungen des Rechtsmittels brauchen dann nicht erfüllt zu sein (z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Oktober 1984 VI ZB 25/83, Versicherungsrecht-Rechtsprechung 1984, 1192). Einer Beseitigung des Rechtsscheins bedarf es nicht, wenn das Gericht seine Entscheidung selbst als gegenstandslos bezeichnet und damit den Rechtsschein beseitigt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1985 2 BvR 498/84, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 788; BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 440).
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c) Nach diesen Maßstäben ist die Beschwerde zulässig und begründet. Das FG hat den Rechtsschein des am 15. Januar 2014 zugestellten "Urteils" nicht beseitigt, sondern stattdessen den am 27. November 2013 versehentlich zugestellten unterschriebenen Urteilstenor als nicht bindend von den Beteiligten zurückgefordert. Es hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es nur das am 15. Januar 2014 zugestellte "Urteil" für wirksam hält. Danach war wie geschehen zu beschließen.
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d) Die Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beteiligten zum vorliegenden Verfahren keine Veranlassung gegeben haben, so dass ihnen auch keine Kosten auferlegt werden können. Über die nach dem endgültigen Obsiegen oder Unterliegen zu verteilenden Kosten des zwischen den Beteiligten anhängigen Rechtsstreits hat das FG in dem Verfahren 7 K 1301/13 E nach erneuter Verhandlung zu entscheiden. Dies schließt die Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Parallelsache IX B 9/14 mit ein.
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Referenzen
- 2010 III B 191/09 1x (nicht zugeordnet)
- 9 UZ 3323/00 1x (nicht zugeordnet)
- IX B 9/14 3x (nicht zugeordnet)
- 2012 IV B 93/12 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 498/84 1x (nicht zugeordnet)
- IX B 19/14 2x (nicht zugeordnet)
- 7 K 1301/13 2x (nicht zugeordnet)
- 2009 I R 2/09 1x (nicht zugeordnet)
- 1984 VI ZB 25/83 1x (nicht zugeordnet)