Urteil vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II R 42/12

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Juni 2011  1 K 2422/08 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Erwerb, die Veräußerung sowie die Verwaltung von Beteiligungen an Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen ist. Die Klägerin war in den Jahren 1991 und 1992 an der französischen Investmentgesellschaft S, einer sociéte d´investissement à capital variable (SICAV), mit mehr als 10 % beteiligt.

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Nach einer Außenprüfung stellte das seinerzeit zuständige Finanzamt mit geändertem Bescheid vom 7. Juli 2005 den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1992 im Wege der Wertfortschreibung fest. Der Wert der Beteiligung an der S war mit 25.172.617 DM berücksichtigt. Der Einspruch, mit dem die Klägerin das bewertungsrechtliche Schachtelprivileg nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und der Französischen Republik (Frankreich) zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 397) in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 (BGBl II 1970, 719) sowie des Zusatzabkommens vom 28. September 1989 (BGBl II 1990, 772) --DBA-Frankreich 1959/1989-- geltend machte, blieb erfolglos.

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Die auf Herabsetzung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1992 um 25.172.617 DM gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, für die Anteile der Klägerin an der S seien die Voraussetzungen des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 erfüllt. Die S sei eine in Frankreich zwar steuerbefreite, dort jedoch abstrakt steuerpflichtige und i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/ 1989 ansässige und abkommensberechtigte Kapitalgesellschaft. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1828 veröffentlicht.

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Mit der Revision rügt der nunmehr zuständige Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt X --FA--) die Verletzung materiellen Rechts.

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Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht für die Beurteilung aus, ob die S die für die Gewährung des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.

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1. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (BewG) werden für inländische Gewerbebetriebe (§ 95 BewG) Einheitswerte festgestellt (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO--). In dem Feststellungsbescheid (§ 179 AO) ist auch über die Frage der Gewährung der Vergünstigung für Schachtelgesellschaften zu entscheiden. Der Einheitswertbescheid ist nach § 182 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO für den Vermögensteuerbescheid bindend. Bei der Festsetzung der Vermögensteuer kann daher nicht mehr über Umfang und Wert des anzusetzenden Betriebsvermögens entschieden werden (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. November 1993 II B 183/92, BFHE 172, 530, BStBl II 1994, 150; vom 10. März 2005 II R 51/03, BFH/NV 2005, 1500).

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2. Wirtschaftsgüter, die nach dem Vermögensteuergesetz oder anderen Gesetzen von der Vermögensteuer befreit sind, gehören gemäß § 101 Nr. 1 BewG nicht zum Betriebsvermögen. Im Streitfall kommt eine Steuerbefreiung nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Frankreich 1959/1989 in Betracht.

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a) Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 sind von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die in Frankreich gelegenen Vermögensteile ausgenommen, die nach diesem Abkommen in Frankreich besteuert werden können. Diese Regelung ist bei Dividenden gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 nur auf die Nettoeinkünfte anzuwenden, die den Dividenden entsprechen, die von einer in Frankreich ansässigen Kapitalgesellschaft an eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft gezahlt werden, der mindestens 10 % des Gesellschaftskapitals der erstgenannten Gesellschaft gehören. Diese Bestimmung gilt nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 auch für Beteiligungen, deren Dividenden unter den Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 fallen würden.

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b) Bei dem bewertungsrechtlichen Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 handelt es sich --nicht anders als bei dem die Schachteldividenden betreffenden Satz 1 dieser Regelung-- unbeschadet des Verweises auf Buchst. a dieser Vorschrift nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung, die ihre tatbestandlichen Voraussetzungen eigenständig anordnet (BFH-Urteil vom 6. Juni 2012 I R 52/11, BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240).

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c) Ob eine SICAV eine in Frankreich ansässige Person ist, ist nach Maßgabe des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 zu beurteilen. Danach ist "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" eine solche, die nach dem Rechte dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Das DBA-Frankreich 1959/ 1989 enthält allerdings keine Bestimmung darüber, wie der Begriff der Kapitalgesellschaft zu verstehen ist. Insoweit ist daher gemäß Art. 2 Abs. 2 DBA-Frankreich 1959/1989 auf das jeweilige innerstaatliche Recht zurückzugreifen (BFH-Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 11). Für die Qualifizierung einer ausländischen Person --hier einer SICAV-- als Kapitalgesellschaft i.S. des Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Frankreich 1959/1989 ist im Wege eines sog. Typenvergleichs (dazu z.B. BFH-Entscheidungen vom 4. April 2007 I R 110/05, BFHE 217, 535, BStBl II 2007, 521; vom 15. März 1995 II R 24/91, BFHE 177, 497, BStBl II 1995, 653) entscheidend darauf abzustellen, ob sie nach deutschem Recht als Kapitalgesellschaft anzusehen ist. Die weitere Frage, ob diese Gesellschaft als eigenständiges Steuersubjekt verstanden wird und damit grundsätzlich eine Steuerpflicht in Frankreich begründet, ist nach französischer Steuerrechtslage zu beantworten (BFH-Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 12).

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d) Die für die Gewährung des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs erforderliche Ansässigkeit einer SICAV in Frankreich i.S. des Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil --wie vom FG angenommen-- eine SICAV eine in Frankreich zwar steuerbefreite, jedoch "abstrakt" (unbeschränkt) steuerpflichtige Kapitalgesellschaft ist. Vielmehr setzt die Gewährung des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs voraus, dass es sich bei einer SICAV nach deutschem Recht um eine Kapitalgesellschaft handelt, die in Frankreich nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 aufgrund ansässigkeitsbegründender Merkmale prinzipiell steuerpflichtig ist. Auch das bewertungsrechtliche Schachtelprivileg kann demnach nur unter den Voraussetzungen gewährt werden, unter denen nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH (Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240) die Voraussetzungen des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 für Ausschüttungen einer SICAV an eine deutsche Kapitalgesellschaft erfüllt sind. Die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgehende Vorentscheidung war daher aufzuheben.

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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob eine SICAV nach französischer Regelungslage als eigenständiges Steuersubjekt oder aber als steuerlich transparent angesehen wird und ob sie nach diesen Besteuerungsmaßgaben aus deutscher Sicht als Kapitalgesellschaft qualifiziert werden kann. Die Feststellung der einschlägigen ausländischen Rechtsnormen sowie die Ermittlung der für den Rechtsformtypenvergleich notwendigen gesellschaftlichen Merkmale gehört zu den vom FG zu klärenden tatsächlichen Rechtsgrundlagen (BFH-Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 14; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 26, m.w.N.). Sollten diese Feststellungen ergeben, dass die SICAV in Frankreich als steuerlich transparent behandelt wird, wäre sie keine i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft mit der Folge, dass das von der Klägerin begehrte bewertungsrechtliche Schachtelprivileg zu versagen wäre.

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4. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

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