Beschluss vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II B 98/14
Tatbestand
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I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ehrenamtliche Richterin beim Finanzgericht X (FG). Sie beantragte mit Schreiben vom 19. Mai 2014 ihre Entbindung von diesem Amt, da sie infolge der Insolvenz ihres Unternehmens nicht mehr als Unternehmerin tätig sei und ihre nunmehr im Angestelltenverhältnis ausgeübte Tätigkeit die weitere Ausübung des Amtes nicht zulasse.
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In einem weiteren Schreiben teilte die Antragstellerin mit, die Situation habe sich weiter verschärft, sodass sie "in den nächsten Wochen selber Privatinsolvenz anmelden müsse". Daraufhin forderte das FG die Antragstellerin mit Fristsetzung zum 18. Juli 2014 auf, "ihre Vermögenssituation möglichst eingehend und konkret" darzustellen und mitzuteilen, ob sie einen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt habe und das Verfahren zwischenzeitlich eröffnet worden sei. Die Verfahrensbevollmächtigten teilten fristgerecht mit, die Antragstellerin sei zum Ausgleich der Verbindlichkeiten ihrer in Insolvenz geratenen Gesellschaft nicht in der Lage. Sie seien mit der Beantragung und Durchführung eines Privatinsolvenzverfahrens beauftragt worden. Dieser Antrag befinde sich in Vorbereitung und werde in Kürze eingereicht werden. Sie, die Verfahrensbevollmächtigten, kündigten an, "dann" das Gericht entsprechend zu informieren.
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Der für die Entscheidung über diesen Antrag zuständige Senat des FG lehnte den Antrag durch Beschluss vom 5. August 2014 … mit der Begründung ab, allein der Wechsel von einer unternehmerischen Tätigkeit in ein Arbeitsverhältnis führe nicht zur Unzumutbarkeit der Ausübung des Richteramts. Die Antragstellerin habe auch trotz Nachfrage keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf einen Vermögensverfall zuließen.
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Hiergegen richtet sich die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde. Mit Schriftsatz vom 22. August 2014 teilten die Verfahrensbevollmächtigten u.a. mit, ein Insolvenzantrag sei zwischenzeitlich beim Insolvenzgericht gestellt worden, und beantragten, die Insolvenzakten beizuziehen. Während des Beschwerdeverfahrens hat das Amtsgericht Z durch Beschluss vom … September 2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin eröffnet.
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Daraufhin teilte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Antragsgegner) mit, auch nach seiner Auffassung rechtfertige der nunmehr nachgewiesene Vermögensverfall die Entbindung der Antragstellerin vom Amt der ehrenamtlichen Richterin.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Gegen den Beschluss des für die Entscheidung über den Antrag auf Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters zuständigen Senats des FG (vgl. § 21 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist die Beschwerde (§ 128 FGO) an den Bundesfinanzhof (BFH) zulässig.
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Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 132 FGO Rz 22, m.w.N.). Der BFH hat bei einer mit der Beschwerde angefochtenen Ermessensentscheidung des FG eigenes Ermessen auszuüben und ist nicht auf die Kontrolle der vom FG getroffenen Ermessensentscheidung beschränkt (Bergkemper in HHSp, § 132 FGO Rz 31, m.w.N.).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Antragstellerin ist von ihrem Amt als ehrenamtliche Richterin beim FG zu entbinden.
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a) Gewählte und berufene ehrenamtliche Richter sind nur in den § 21 Abs. 1 FGO genannten Fällen von ihrem Amt zu entbinden. Ferner kann ein ehrenamtlicher Richter gemäß § 21 Abs. 2 FGO in besonderen Härtefällen auf Antrag von der weiteren Ausübung des Amtes entbunden werden.
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b) Die FGO enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass ein ehrenamtlicher Richter nach seiner Wahl in Vermögensverfall gerät. In § 18 Abs. 2 FGO ist lediglich bestimmt, dass Personen, die in Vermögensverfall geraten sind, nicht zu ehrenamtlichen Richtern berufen werden sollen. Eine entsprechende Regelung für den Fall, dass ein ehrenamtlicher Richter nach seiner Berufung in Vermögensverfall gerät, enthält die FGO nicht.
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c) Beantragt ein ehrenamtlicher Richter aufgrund eines nach seiner Wahl eingetretenen Vermögensverfalls seine Entbindung vom Amt, kann diesem Antrag unter Berücksichtigung des sich aus § 18 Abs. 2 FGO ergebenden Rechtsgedankens nach § 21 Abs. 2 FGO wegen Vorliegen eines besonderen Härtefalls stattzugeben sein (Schmid in HHSp, § 18 FGO Rz 21). Bei der Ausübung der nach § 21 Abs. 2 FGO zu treffenden Ermessensentscheidung ist der Regelungsgehalt des als Soll-Vorschrift ausgestalteten § 18 Abs. 2 FGO zu beachten.
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d) Nach diesen Grundätzen muss zwar der bei einem ehrenamtlichen Richter nach seiner Wahl eingetretene Vermögensverfall nicht zwingend zur Amtsentbindung führen. Vielmehr lässt § 18 Abs. 2 FGO als bloße Soll-Vorschrift die Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls zu (Schmid in HHSp, § 18 FGO Rz 20; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 18 Rz 5). Wenn aber ein ehrenamtlicher Richter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (§ 16 der Insolvenzordnung) die Entbindung von seinem Amt beantragt, ist das in § 18 Abs. 2 FGO eingeräumte Ermessen regelmäßig derart auf Null reduziert, dass die Amtsentbindung als einzig sachgerechte Lösung erscheint (Schmid in HHSp, § 18 FGO Rz 21; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 18 FGO Rz 4) und dem Antrag folglich stattzugeben ist.
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e) Im Streitfall liegt ein Vermögensverfall der Antragstellerin vor, weil über ihr Vermögen am … September 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Gegen eine Amtsentbindung der Antragstellerin sprechende besondere Umstände des Einzelfalls sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Daher ist vorliegend das aus § 21 Abs. 2 FGO folgende Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass die Antragstellerin von ihrem Amt als ehrenamtliche Richterin zu entbinden war.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Voraussetzungen für eine Kostentragung der Antragstellerin in Anwendung der Ausnahme- und Ermessensvorschriften des § 137 Sätze 1 oder 2 FGO liegen nicht vor. Zu den Voraussetzungen dieser Vorschriften gehört, dass dem Obsiegenden ein vorwerfbares, d.h. schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. September 1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460; vom 18. August 2009 X R 22/07, BFH/NV 2010, 208).
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Der Antragstellerin ist kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen, das trotz ihres Obsiegens Anlass sein könnte, ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sie hat bereits im Antragsverfahren die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG, deren einzige persönlich haftende Gesellschafterin sie war, nachgewiesen. Ihre Prozessbevollmächtigten haben ferner mitgeteilt, sie seien beauftragt worden, auch für die Antragstellerin einen Insolvenzantrag zu stellen; dieser sei in Vorbereitung und werde in Kürze gestellt. Es stehe fest, dass die Antragstellerin zahlungsunfähig und überschuldet sei. Sobald der Antrag gestellt sei, werde das FG unterrichtet. Damit hat die Antragstellerin zumindest glaubhaft gemacht, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für die behauptete Zahlungsunfähigkeit und das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Insolvenzverfahren bestand.
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Unter diesen Umständen konnte die Antragstellerin nicht damit rechnen, das FG werde, ohne ihren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuwarten, ihren Antrag kurzerhand ablehnen. Das FG hätte der Antragstellerin vielmehr ausreichend Zeit für die Anfertigung einer Vermögensaufstellung und den Antrag auf Insolvenzeröffnung geben müssen. Die mit Schreiben des FG vom 1. Juli 2014 hierfür gesetzte Frist bis zum 18. Juli 2014 ist unverhältnismäßig kurz. Das Schreiben wurde erst am 4. Juli 2014 zur Post gegeben, sodass die gesetzte Frist nicht einmal zwei Wochen betrug. Die Antragstellerin hat danach entgegen der Auffassung des Antragsgegners die Ablehnung ihres Antrags weder verursacht, noch ist ihr Verhalten rechtsmissbräuchlich.
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Referenzen
- 1998 XI R 71/97 1x (nicht zugeordnet)
- 2009 X R 22/07 1x (nicht zugeordnet)