Urteil vom Bundesfinanzhof (6. Senat) - VI R 89/13

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 15. Juli 2013  9 K 3744/12 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehren die steuerliche Berücksichtigung von krankheitsbedingten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung.

2

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin leidet an einer chronischen Stoffwechselstörung. Sie nimmt aus diesem Grund Vitamine und andere Mikronährstoffe ein. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) machten die Kläger Aufwendungen in Höhe von 9.341 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2010 vom 1. September 2011 jedoch lediglich Aufwendungen in Höhe von 6.124 € für Arztkosten, Medikamente, Kosten für TCM-Präparate, Reiki-Behandlungen und ähnliches. Aufwendungen in Höhe von 706,55 € für die Mittel Milgamma, Gelovital, Vigantoletten, Cefasel, Biotin, Vitamin B2, Adenosylcobalamin, Metabolic, Calcium und Bio-C-Vitamin, die über diverse Apotheken bezogen wurden, ließ das FA nicht zum Abzug nach § 33 EStG zu. Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein. Im geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 vom 14. September 2012 berücksichtigte das FA weitere Aufwendungen in Höhe von 324 € als außergewöhnliche Belastung. Die hier streitigen Aufwendungen in Höhe von 706,55 € blieben jedoch weiterhin außer Ansatz, obgleich die Kläger eine ärztliche Bescheinigung vom 11. November 2011 mit folgendem Inhalt vorlegten:

3

"Bei o.g. Patientin liegt eine chronische Stoffwechselstörung vor, die kausal nicht therapierbar ist. Zur Vermeidung von weiteren gesundheitlichen Schäden ist eine laufende Einnahme von Vitaminen und anderen Mikronährstoffen erforderlich. Diese Einnahme ist lebenslang erforderlich. Medikamente sind bei dieser Stoffwechselstörung nicht indiziert.
Im Verlauf der Jahre kam und wird es auch zu Änderungen kommen, da die Einsatzindikation der Mikronährstoffe jeweils von den Organsymptomen abhängt.
Für das Jahr 2010 wurden folgende Präparate unsererseits verordnet: Benfotiamin (Milgamma), Gelovital (Vitamin A und D), Vigantoletten (Vitamin D), Cefasel als Selen, Biotin, Vitamin B2 laktosefrei, Adenosylcobalamin (Vitamin B12 ohne Cyananteile), Kalzium und Vitamin D, Vitamin C als Kalzium ascorbat und Mischpräparat Metabolic 4-B-Komplex mit Folsäure, Benfotiamin, Vitamin B12 als Adenosylcobalamin und Biotin."

4

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel (Vitamine und andere Mikronährstoffe) seien auch bei einer chronischen Stoffwechselstörung nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Sie seien durch Diätverpflegung entstanden und könnten deshalb nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

5

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

6

Sie beantragen,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 15. Juli 2013  9 K 3744/12 E aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2012 dahingehend abzuändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von 706,55 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

7

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die bisher getroffenen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Schluss, dass die streitigen Präparate als Diätverpflegung und nicht als Arzneimittel, die einer Krankheit halber eingenommen werden, zu beurteilen sind.

9

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, beispielsweise die Kosten der Verpflegung (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Juni 2007 III R 48/04, BFHE 218, 270, BStBl II 2007, 880), die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).

10

a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH hingegen davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (Senatsurteile vom 26. Februar 2014 VI R 27/13, BFHE 245, 18, BStBl II 2014, 824, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9, jeweils m.w.N.). Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft. Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Begriff der Krankheit einen anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand voraus, der den Betroffenen "in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen" beeinträchtigt, so dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf (Senatsurteil vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414).

11

b) Aufwendungen für Diätverpflegung sind nach dem eindeutigen Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG und der Entstehungsgeschichte der Ausschlussnorm jedoch ausnahmslos nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für Sonderdiäten, die --wie z.B. bei der Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)-- eine medikamentöse Behandlung ersetzen (BFH-Urteil in BFHE 218, 270, BStBl II 2007, 880).

12

aa) Unter Diät ist die auf die Bedürfnisse des Patienten und die Therapie der Erkrankung abgestimmte Ernährung zu verstehen; sie kann in der Einschränkung der gesamten Ernährung, in der Vermeidung bestimmter Anteile oder in der Vermehrung aller oder bestimmter Nahrungsanteile bestehen. Zu den Diätformen gehören nicht nur kurzzeitig angewendete Einformdiäten sowie langzeitig angewandte Grunddiäten, z.B. bei Gicht und Zuckerkrankheit, sondern auch langzeitige Sonderdiäten mit Anpassung an ständige Leiden, z.B. Zöliakie (BFH-Urteil in BFHE 218, 270, BStBl II 2007, 880, m.w.N.).

13

bb) Vom Abzugsverbot nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG werden damit Kosten einer besonderen Verpflegung und damit Aufwendungen für Diätlebensmittel erfasst, auch wenn ihnen "quasi Medikamentenfunktion" zukommt oder sie zur Unterstützung einer Heilbehandlung konsumiert werden (BFH-Urteil vom 27. September 1991 III R 15/91, BFHE 165, 531, BStBl II 1992, 110). Denn insoweit ist der Steuerpflichtige nicht außergewöhnlich belastet, da unterschiedliche Lebenshaltungskosten unbeachtlich sind.

14

cc) Arzneimittel unterfallen dem Abzugsverbot für Diätverpflegung jedoch nicht. Arzneimittel i.S. des § 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind keine Lebensmittel und zählen nicht zur Diätverpflegung i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG, auch wenn sie während einer Diät eingenommen werden. Aufwendungen dafür sind vielmehr als Krankheitskosten nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen, wenn ihre Einnahme einer Krankheit geschuldet und die Zwangsläufigkeit (medizinische Indikation) der Medikation durch ärztliche Verordnung nachgewiesen ist. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige wegen dieser Krankheit zugleich eine Diät halten muss, steht dem nicht entgegen. Aufwendungen für Arzneimittel sind auch in einem solchen Fall unmittelbare Krankheitskosten, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, und damit Aufwendungen, die nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 270, BStBl II 2007, 880).

15

2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, dass es sich bei den von der Klägerin eingenommenen Präparaten um Nahrungsergänzungsmittel i.S. des § 1 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) und damit um Lebensmittel, die u.U. im Rahmen einer Diät eingenommen werden, und nicht um Arzneimittel i.S. des § 2 AMG handelt, deren Medikation einer Krankheit geschuldet und deshalb ärztlich verordnet worden ist. Denn das FG hat die streitigen Präparate allein wegen der enthaltenen Inhaltsstoffe als Nahrungsergänzungsmittel eingeordnet. Es hat dabei verkannt, dass sich der Lebensmittelkontrolle unterliegende Nahrungsergänzungsmittel von den (regelmäßig) zulassungspflichtigen Arzneimitteln nicht durch die Inhaltsstoffe, sondern die pharmakologische Wirkung unterscheiden (www.bfr.bund.de ). Das FG hat deshalb im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob es sich bei den eingenommenen Präparaten um ärztlich verordnete Arzneimittel i.S. des § 2 AMG handelt.

16

3. Da die Revision aus anderen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung führt, muss der Senat nicht noch darüber entscheiden, ob die Kläger auch infolge eines Verfahrensfehlers in ihren Rechten verletzt sind (Senatsurteil vom 26. Februar 2014 VI R 11/12, BFHE 245, 150, BStBl II 2014, 674, m.w.N.).

17

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen