Urteil vom Bundesfinanzhof (6. Senat) - VI R 20/14

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 7. Januar 2014  3 K 11296/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob Aufwendungen für einen in Rumänien geführten Zivilprozess als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr (2011) getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Seine Ehefrau ist gebürtige Rumänin, die gemeinsam mit ihrem in Rumänien lebenden Bruder Erbin ihres ebenfalls bis zu seinem Tode im Jahr 2009 in Rumänien lebenden Vaters wurde. Der Schwager des Klägers verschwieg gegenüber den zuständigen Behörden die Existenz seiner Schwester, um dadurch einen auf sich ausgestellten Erbschein und die Erbschaft für sich zu erlangen. Nachdem der Schwager die elterliche Wohnung veräußert und seine Schwester, die Ehefrau des Klägers, von diesen Vorgängen Kenntnis erlangt hatte, beauftragte sie im Januar 2011 eine rumänische Rechtsanwaltskanzlei mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen. Der Erbschein und der Kaufvertrag über die elterliche Wohnung sollten gerichtlich für unwirksam erklärt werden.

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Der Kläger beglich für seine Ehefrau die im Jahr 2011 durch den Rechtsstreit angefallenen Kosten in Höhe von 5.144,90 €.

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Diese Kosten machte der Kläger im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte jedoch die Berücksichtigung ab.

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Die nach erfolglosem Vorverfahren dagegen erhobene Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) entschied auf Grundlage der mittlerweile aufgegebenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass Zivilprozesskosten einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen seien, soweit der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig den Prozess geführt habe (Senatsurteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015). Daran gemessen seien die Kosten einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten.

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Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

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Es beantragt sinngemäß,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 7. Januar 2014  3 K 11296/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht die vom Kläger aufgewandten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt.

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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).

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2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553).

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Dagegen nahm der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

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Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.

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3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

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a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

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b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten seiner Ehefrau sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen. Denn der Zivilprozess in Zusammenhang mit der Erbenstellung berührt keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens im Sinne der oben genannten Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Mit der Durchsetzung ihrer Erbenstellung verfolgte die Ehefrau des Klägers das Ziel, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch eine Erbschaft ist allerdings nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage und deren Bewahrung, Absicherung oder Zurückerlangung im Rahmen eines Zivilprozesses gleichzustellen.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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