Urteil vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II R 22/16
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. November 2015 14 K 14206/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt --neben ihrem Bruder und ihrer Schwester-- mit notariell beurkundetem Schenkungsvertrag vom 5. November 2002 (Übertragungsvertrag) von ihrer Mutter (M) Eigentumsanteile von jeweils 1/3 am Grundbesitz (Grundbesitz B) sowie an zwei Eigentumswohnungen (übriger Grundbesitz) gegen Einräumung eines lebenslangen Nießbrauchs.
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In der durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) geführten Schenkungsteuerakte befindet sich eine durch die seinerzeit für die Grunderwerbsteuer zuständige Finanzbehörde übersandte Veräußerungsanzeige des Notars in Bezug auf den Grundbesitz B vom 7. November 2002 sowie eine Anlage zur Veräußerungsanzeige vom 7. November 2002, in welcher der Übertragungsvertrag erwähnt wird. In der Veräußerungsanzeige war angegeben, dass der Grundbesitz B aufgrund Schenkung an Verwandte in gerader Linie gemäß anliegender Liste übertragen worden sei, der Tag der Übergabe der 5. November 2002 gewesen sei und der von den Parteien zu Grunde gelegte Wert des Grundbesitzes 575.000 € sowie der Wert des Nießbrauchs 38.000 € betragen hätten. In der Anlage zur Veräußerungsanzeige war u.a. die Klägerin als Erwerberin namentlich mit ihrer Wohnadresse bezeichnet. Außerdem wurde die Höhe ihres Erwerbs mit 1/3 angegeben.
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M verstarb im Dezember 2009. Im Oktober 2011 erklärte der Bruder der Klägerin in einer Erbschaftsteuererklärung den gesamten im Jahr 2002 durch Schenkung erworbenen Grundbesitz unter Angabe der drei Erwerber als Vorerwerb.
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Mit Schenkungsteuerbescheid vom 1. November 2012 setzte das FA für die Zuwendungen vom 5. November 2002 gegenüber der Klägerin Schenkungsteuer fest. Mit Änderungsbescheid vom 12. Mai 2014 wurde der Grundbesitz B nicht mehr für die Schenkungsteuer berücksichtigt und die Steuer entsprechend auf 61.388 € herabgesetzt. Der Einspruch gegen die Besteuerung des übrigen Grundbesitzes blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Schenkungsteuer für den Erwerb aufgrund des Übertragungsvertrags sei --mit Ausnahme der auf den Erwerb des Grundbesitzes B entfallenden Steuer-- noch nicht festsetzungsverjährt gewesen. Aufgrund der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) habe die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2009, in dem M verstorben sei, begonnen. Im Jahr 2002 habe das FA durch die Veräußerungsanzeige lediglich Kenntnis von dem Erwerb des Grundbesitzes B, nicht hingegen von dem Erwerb des übrigen Grundbesitzes erlangt.
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Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO geltend.
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Sie beantragt, die Vorentscheidung und die Schenkungsteuerbescheide vom 1. November 2012 und 12. Mai 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 2014 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der mit dem Erlass der angefochtenen Schenkungsteuerbescheide geltend gemachte Steueranspruch für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes noch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen war und deshalb zu Recht festgesetzt wurde.
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1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
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2. Nach der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Maßgeblich ist dabei die Alternative, die als erste eingetreten ist. § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 1 und 2 AO) auf den Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung festlegt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. März 2017 II R 2/15, BFHE 257, 345, BStBl II 2017, 751, Rz 18). Durch diese Vorschrift wird bei einer nach § 30 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) bestehenden Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1 AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt (BFH-Urteil vom 6. Juni 2007 II R 54/05, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954, unter II.3.a).
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a) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO verlangt nach seinem Wortlaut positive Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung. Positive Kenntnis in diesem Sinn ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch Anzeige gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat. Die Kenntnis von Umständen, die nur zur Prüfung Anlass geben, ob ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegt, genügt nicht. Hinsichtlich einer mittelbaren Schenkung hat der BFH entschieden, dass die Finanzbehörde erst dann Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt, wenn sie alle Umstände kennt, die die mittelbare Schenkung begründen. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO dient der Sicherung des Steueranspruchs und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Finanzbehörde von Schenkungen regelmäßig erst spät --meist anlässlich des Todes des Schenkers-- Kenntnis erlangt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 257, 345, BStBl II 2017, 751, Rz 18 f., 22).
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b) Wendet ein Schenker dem Bedachten mehrere Vermögensgegenstände gleichzeitig zu, erlangt das Finanzamt aber lediglich Kenntnis von der freigebigen Zuwendung eines dieser Gegenstände, führt dies nicht zum Anlauf der Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände. Die nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO für den Anlauf der Festsetzungsfrist erforderliche Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung bezieht sich in einem solchen Fall nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auf die Schenkung eines jeden einzelnen dieser Vermögensgegenstände. Da die Vorschrift die Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung voraussetzt, beginnt die Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände nicht deshalb zu laufen, weil das Finanzamt die Möglichkeit gehabt hätte, durch weitere Ermittlungen Kenntnis von der gesamten freigebigen Zuwendung zu erlangen. Ob das Finanzamt durch das Unterlassen solcher Ermittlungen gegen seine gemäß § 88 Abs. 1 AO bestehende Verpflichtung verstoßen hat, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich.
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c) Nachdem im Streitfall nur die Zuwendung des nicht in der Veräußerungsanzeige ausgewiesenen übrigen Grundbesitzes der Schenkungsteuer unterworfen wurde, kann auf sich beruhen, ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den dem Finanzamt zunächst bekannt gewordenen Erwerb eines Vermögensgegenstands gesondert zu laufen beginnt oder ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den gesamten Erwerb erst anläuft, wenn er dem Finanzamt insgesamt bekannt geworden oder der Schenker verstorben ist.
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3. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend entschieden, dass die Schenkungsteuer gegenüber der Klägerin für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes mit Bescheid vom 1. November 2012 noch festgesetzt werden konnte. Der Steueranspruch war noch nicht wegen Verjährung erloschen. Die vierjährige Festsetzungsfrist begann diesbezüglich mit Ablauf des Jahres 2009 und endete mit Ablauf des Jahres 2013.
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a) Die Festsetzungsfrist für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes begann nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem M verstorben war, nämlich mit Ablauf des Jahres 2009.
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Ein früherer Beginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO lag nicht vor. Das FA erlangte erst mit Einreichung der Erbschaftsteuererklärung durch den Bruder der Klägerin im Oktober 2011 Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes. Durch die Veräußerungsanzeige, welche die Schenkungsteuerstelle des FA im Jahr 2002 erreichte, erlangte das FA keine positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung hinsichtlich des übrigen Grundbesitzes. Die Veräußerungsanzeige enthielt keine Angaben zu der Schenkung des übrigen Grundbesitzes; sie zählte als Übertragungsgegenstand nur den Grundbesitz B auf. Auch der angegebene Wert des übertragenen Gegenstands (575.000 €) und der Wert des eingeräumten Nießbrauchs (38.000 €) bezogen sich nur auf den Grundbesitz B. Ob das FA durch weitere Ermittlungen von Amts wegen --z.B. Anforderung des Schenkungsteuervertrags-- positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes hätte erlangen können, ist nicht entscheidungserheblich.
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b) Ob das FA den Grundbesitz B zu Recht nicht in die Bemessungsgrundlage der Schenkungsteuer einbezogen hat, kann auf sich beruhen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO.
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Referenzen
- 2007 II R 54/05 1x (nicht zugeordnet)
- 2017 II R 2/15 1x (nicht zugeordnet)
- 14 K 14206/14 1x (nicht zugeordnet)