Beschluss vom Bundesfinanzhof (5. Senat) - V B 30/18
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen die Urteile des Finanzgerichts Köln vom 20. Februar 2018 8 K 2838/15 und 8 K 294/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erbrachte in den Jahren 2007, 2008, 2010 und 2011 (Streitjahre) Vermittlungsleistungen hinsichtlich der Lieferung von Blindenwaren durch staatlich anerkannte Blindenwerkstätten und vereinnahmte dafür Provisionen. Im Anschluss an eine bei der Klägerin durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) geänderte Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin, in denen er die von ihr erbrachten Vermittlungsleistungen als steuerpflichtig behandelte und die diesbezüglich jeweils vereinnahmten Provisionen der Umsatzsteuer unterwarf. Die von der Klägerin erhobenen Einsprüche blieben zur Rechtsfrage, ob es sich um nach § 4 Nr. 19 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) befreite Umsätze handelte, erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobenen Klagen ab.
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Dagegen richten sich die Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerin, die der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. September 2018 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Zulassung der Revision kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage in Betracht.
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An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder wenn --wie im Streitfall-- die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. April 2017 V B 147/16, BFH/NV 2017, 1052, Rz 4, m.w.N.).
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b) Im Streitfall fehlt es danach an der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die von ihr erbrachten Vermittlungsleistungen in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG fallen.
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(1) Denn die Antwort auf diese Rechtsfrage lässt sich entsprechend den zutreffenden Ausführungen des FG klar dem Gesetzeswortlaut des nationalen Befreiungstatbestandes entnehmen:
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Nach § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG waren in den Streitjahren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei "die folgenden Umsätze der nicht unter Buchstabe a fallenden Inhaber von anerkannten Blindenwerkstätten und der anerkannten Zusammenschlüsse von Blindenwerkstätten im Sinne des § 143 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch:
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aa) die Lieferungen von Blindenwaren und Zusatzwaren,
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bb) die sonstigen Leistungen, soweit bei ihrer Ausführung ausschließlich Blinde mitgewirkt haben;".
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Daraus ergibt sich, dass die Klägerin, die weder eine Inhaberin einer anerkannten Blindenwerkstätte noch eines anerkannten Zusammenschlusses von Blindenwerkstätten i.S. des § 143 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist, nicht zu dem von dieser Vorschrift begünstigten Personenkreis gehört. Dass sie gegenüber Blindenwerkstätten Vermittlungsleistungen erbracht hat, reicht hierfür nicht aus.
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(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung dieses Befreiungstatbestandes:
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Denn die Regelung in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG beruht auf der in Art. 371 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) enthaltenen Ermächtigung, wonach Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1978 die in Anhang X Teil B genannten Umsätze von der Steuer befreit haben, dies zu den in dem jeweiligen Mitgliedstaat zu dem genannten Zeitpunkt geltenden Bedingungen weiterhin befreien dürfen; nach Anhang X Teil B Nr. 5 dürfen die Mitgliedstaaten Umsätze befreien, die von Blinden oder Blindenwerkstätten bewirkt werden, wenn ihre Befreiung von der Steuer keine erheblichen Wettbewerbsverzerrungen verursacht. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Mitgliedstaaten, die hiernach die in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG genannten Umsätze weiterhin von der Steuer befreien dürfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Steuerbefreiungstatbestände nach ständiger Rechtsprechung wegen ihres Charakters als Ausnahmeregelungen eng auszulegen sind (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- The English Bridge Union vom 26. Oktober 2017 C-90/16, EU:C:2017:814, Rz 20).
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Auch daraus ist ersichtlich, dass es sich bei der streitbefangenen Steuerbefreiung ausschließlich um eine Vergünstigung handelt, deren personenbezogene Voraussetzungen die Klägerin unstreitig nicht erfüllt und die diesbezüglich aus unionsrechtlichen Gründen nicht erweiternd ausgelegt werden kann.
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Eine weiter gehende Klärungsbedürftigkeit ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des EuGH, die sich durchgängig auf ganz andere besonders geregelte Befreiungstatbestände bezieht und schon deshalb nicht auf die in Anhang X Teil B Nr. 5 MwStSystRL enthaltene Sonderregelung übertragbar ist, welche die Mitgliedstaaten ausnahmsweise nach Art. 371 MwStSystRL fortführen dürfen: Das EuGH-Urteil Abbey National vom 4. Mai 2006 C-169/04 (EU:C:2006:289) betrifft die nun in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL enthaltene Steuerbefreiung für die darin genannten Finanzumsätze. Dasselbe gilt für das von der Klägerin genannte EuGH-Urteil Gfbk vom 7. März 2013 C-275/11 (EU:C:2013:141), das sich ebenfalls auf den nun in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL enthaltenen Steuerbefreiungstatbestand bezieht. Diese Regelung ist mit dem personenbezogenen eingeschränkt formulierten Befreiungstatbestand in Anhang X Teil B Nr. 5 MwStSystRL und in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG nicht vergleichbar.
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(3) Soweit die Klägerin darüber hinaus außerdem die etwaige Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes geltend macht, hat sie bereits nicht hinreichend dargelegt, dass die von ihr angesprochenen "Vergleichstatbestände" im Ansatz überhaupt vergleichbar sind. Der allgemeine Gleichheitssatz gilt zwar auch für ungleiche Begünstigungen; verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 ff., Rz 212, m.w.N.). Wird jedoch ein derartiger Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot geltend gemacht, ist auf nahe liegende Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung einzugehen (BFH-Beschluss vom 13. Juni 2013 III B 156/12, BFH/NV 2013, 1420).
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Daran mangelt es im Streitfall. Denn die Klägerin hat schon in keiner Weise den deutlich zutage tretenden Umstand angesprochen, dass und weshalb die in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG enthaltene Steuerbefreiung im Vergleich zu den in § 4 Nr. 8 UStG vorgesehenen sachbezogenen Steuerbefreiungstatbeständen, die auch Vermittlungsumsätze einschließen, von vorneherein personenbezogen nur eingeschränkt gilt und worauf dies nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften beruhen könnte.
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2. Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts scheidet ebenso aus wie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), und zwar aus den unter II.1. dargelegten Gründen.
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III.
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Der Senat ist durch den Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens nicht an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert. Der von der Klägerin gestellte Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens kann grundsätzlich auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gestellt werden (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 23. August 2016 V B 32/16, BFH/NV 2016, 1757, Rz 17, Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 74 FGO Rz 15; Herbert in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl. 2015, vor § 74 Rz 2, jeweils m.w.N.), so dass der Antrag dem Grunde nach zulässig ist.
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2. Der Antrag ist aber jedenfalls deshalb unbegründet, weil das von der Klägerin eingeleitete Verfahren beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages 2-19-08-6120-007154 keine "vorgreifliche" Rechtsfrage im Hinblick auf das streitbefangene Verfahren betrifft. Denn das Petitionsverfahren zielt entsprechend dem darin formulierten Begehren auf eine Aussage des Petitionsausschusses zur von der Klägerin als Petentin angestrebten sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit i.S. von § 227 der Abgabenordnung ab und strebt außerdem das Erlangen einer weiter gehenden steuerlichen Förderung der von der Klägerin erbrachten Vermittlungsleistungen --z.B. mit Steuerfreibeträgen-- an. Diese beiden Rechtsfragen sind ersichtlich nicht Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.
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IV.
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Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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V.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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Referenzen
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- 8 K 294/16 1x (nicht zugeordnet)
- 2013 III B 156/12 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvL 21/12 1x (nicht zugeordnet)