Urteil vom Bundesfinanzhof (5. Senat) - V R 66/17

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. November 2017  5 K 5108/15 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist insbesondere als Tanzlehrerin tätig. Dabei erteilte sie im Streitjahr 2012 Tangounterricht an einer Volkshochschule und als Privatlehrerin.

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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ging im Umsatzsteuerjahresbescheid 2012 vom 22. Oktober 2014 davon aus, dass die Klägerin mit dem von ihr erteilten Tangounterricht keine steuerfreien Leistungen erbracht habe. Eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) komme nicht in Betracht. Der hiergegen eingelegte Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass ihre Leistungen nach dem Unionsrecht steuerfrei seien, hatte keinen Erfolg.

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Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 691 veröffentlichten Urteil kann sich eine Privatlehrerin, die fachlich hinreichend befähigt ist, Tanzunterricht zu erteilen, der nicht lediglich den Charakter einer Freizeitbeschäftigung aufweist, hinsichtlich ihrer erbrachten Unterrichtsleistungen unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) berufen.

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Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Die Kurse dienten der Freizeitgestaltung und seien daher auch nach dem Unionsrecht ebenso wie nach dem nationalem Recht nicht steuerfrei.

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Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Ihre Leistungen seien bereits nach nationalem Recht steuerfrei, wie sich aus einer ihr während des Revisionsverfahrens von der Volkshochschule erteilten Bescheinigung ergebe. Diese Bescheinigung verweise auch auf eine der Volkshochschule erteilte Bescheinigung. Die Volkshochschulen sicherten die Grundversorgung der Weiterbildung. Angebote zur Freizeitgestaltung gehörten nicht zum gesetzlichen Auftrag der Volkshochschulen. Tango Argentino sei als Weltkulturerbe anerkannt. Es gehe nicht um freies Tanzen. Der Begriff der Freizeitgestaltung sei eng auszulegen. Sie selbst habe ihre Ausbildung als Tanzlehrerin in derartigen Kursen angefangen.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die rechtlichen Maßstäbe verkannt, die an den steuerfreien Schulunterricht zu stellen sind, den ein Privatlehrer nach der Richtlinie steuerfrei erteilen kann. Da auch keine anderen Befreiungstatbestände eingreifen, sind die Leistungen der Klägerin bei der Erteilung von Tangounterricht steuerpflichtig.

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1. Die Leistungen der Klägerin sind nicht als Unterricht einer Privatlehrerin steuerfrei.

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a) Steuerfrei ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht. Aufgrund von Unterschieden in den Sprachfassungen dieser Bestimmung ist diese Regelung dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten sind, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Eulitz vom 28. Januar 2010 C-473/08, EU:C:2010:47, Rz 21 ff.). Die Steuerfreiheit umfasst Tätigkeiten, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH-Urteil Eulitz, EU:C:2010:47, Rz 29, unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil Haderer vom 14. Juni 2007 C-445/05, EU:C:2007:344, Rz 26). Die Steuerfreiheit bezieht sich damit auf jegliche Aus- und Fortbildung, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. März 2014 V R 3/13, BFHE 245, 391, unter II.2.c bb).

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b) Für die somit bei Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL maßgebliche Abgrenzung zur bloßen Freizeitgestaltung ist auch die zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) ergangene Rechtsprechung zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Annahme reiner Freizeitgestaltungen können sich daher z.B. aus dem Teilnehmerkreis oder aus der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben. Zu Kursen, die von ihrer Zielsetzung auf reine Freizeitgestaltung gerichtet sind, gehören insbesondere Kurse, die sich allgemein an am Tanz interessierte Menschen richten. Ermöglicht ein Kurs demgegenüber einem Teilnehmer, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung später beruflich zu nutzen, genügt dies für die Steuerfreiheit selbst dann, wenn hiervon nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen (BFH-Urteil vom 24. Januar 2008 V R 3/05, BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267, unter II.2.c aa, zur Abgrenzung zwischen dem steuerfreien Unterricht zur nicht steuerfreien Freizeitgestaltung im Rahmen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG bei einem Ballettstudio, bei dem durchschnittlich zwei von hundert Ballettschülern die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Musikhochschule ablegten und eine weitere Berufsausbildung anstrebten; ebenso nachfolgend BFH-Urteil vom 28. Mai 2013 XI R 35/11, BFHE 242, 250, BStBl II 2013, 879, zu einer Kampfsportschule).

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Für die Frage, ob es sich danach um steuerfreien Unterricht oder um eine steuerpflichtige Unterweisung zur bloßen Freizeitgestaltung durch einen Privatlehrer handelt, ist schließlich auch das Gemeinwohlinteresse an der durch den Privatlehrer ausgeübten Tätigkeit zu berücksichtigen. So kann ein besonders hohes Gemeinwohlinteresse wie es z.B. an der Erlernung der Fähigkeit, schwimmen zu können, bestehen, das die Annahme einer steuerfreien Unterrichtsleistung durch einen Privatlehrer rechtfertigt (BFH-Urteil vom 5. Juni 2014 V R 19/13, BFHE 245, 433, unter II.2.c).

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c) Im Streitfall hat das FG den Begriff des von Privatlehrern steuerfrei zu erteilenden Unterrichts in seiner Abgrenzung zum steuerpflichtigen Unterricht zur Freizeitgestaltung verkannt.

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aa) Das FG hat die Annahme, dass den Leistungen der Klägerin im Streitfall kein Freizeitcharakter zukommt, mit der bloßen Erwägung begründet, Tanzen sei allgemein in den Lehrplänen allgemeinbildender Schulen in den Unterrichtsfächern Musik, Darstellendes Spiel und Sport fest verankert und der Tangotanz fester Bestandteil des Hochschulsports. Damit setzt sich das FG in Widerspruch zum Senatsurteil in BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267. Danach ist über die Steuerfreiheit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nach Maßgabe des Teilnehmerkreises und der thematischen Zielsetzung des jeweiligen Kurses zu entscheiden. Hiermit nicht vereinbar ist eine abstrakt-generelle Betrachtung nach dem Kriterium, ob Ballett- oder wie im Streitfall Tangounterricht zum Bestandteil der Lehrpläne allgemeinbildender Schulen in bestimmten Unterrichtsfächern des Hochschulsports gehört.

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Wie der Senat zudem entschieden hat, gehören zu den nach ihrer Zielsetzung auf reine Freizeitgestaltung gerichteten Kursen insbesondere die Kurse, die sich allgemein an am Tanz interessierte Menschen richten. Dies gilt ebenso für Tangotanzkurse. Steuerfrei sind die bei einem Tangotanzkurs erbrachten Leistungen daher nach der Rechtsprechung des Senats nur, wenn es der Kurs zumindest einzelnen Teilnehmern ermöglicht, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung auch beruflich zu nutzen. Dies trifft nach den Verhältnissen des Streitfalls auf die von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht zu. Es reicht entgegen dem FG-Urteil insoweit nicht aus, dass das Kursangebot der Klägerin aufeinander aufgebaut war und es ermöglicht habe, Fertigkeiten kontinuierlich zu vervollkommnen. Dabei ist es auch ohne Bedeutung, ob es sich um eher einfache Standardtänze oder mit dem von der Klägerin unterrichteten Tango Argentino um eine anspruchsvolle --und dem Balletttanz eher vergleichbare-- Form des Tanzes handelt. Schließlich kommt nach dem Senatsurteil in BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267 eine Steuerfreiheit im Hinblick auf eine künftige Berufsausbildung nur in Betracht, wenn wie in dem damals vom erkennenden Senat entschiedenen Fall für Kursteilnehmer tatsächlich eine realistische Möglichkeit besteht, die so erlangten Kenntnisse später für eine berufliche Tätigkeit zu nutzen. Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht eine rein theoretische Möglichkeit hierfür nicht aus.

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bb) Im Übrigen rechtfertigt auch das vom FG für den Tangounterricht angeführte Gemeinwohlinteresse keine andere Beurteilung. Die Steuerfreiheit von Unterrichtsleistungen kommt hier nur aufgrund eines besonderen und elementaren Gemeinwohlinteresses in Betracht, wie es an der Erteilung von Schwimmunterricht besteht (Senatsurteil in BFHE 245, 433; zum Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern vgl. BFH-Beschluss vom 16. März 2017 V R 38/16, BFHE 258, 167, BStBl II 2017, 1017). Der Tangotanz steht dem nicht gleich.

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2. Es greifen auch keine anderen Befreiungstatbestände ein.

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a) Wie das FG insoweit zutreffend entschieden hat, kommt eine Steuerfreiheit nach nationalem Recht nicht in Betracht.

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aa) Nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG sind steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn sie als Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind (Doppelbuchst. aa) oder wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten (Doppelbuchst. bb).

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Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Klägerin ist weder als Ersatzschule staatlich genehmigt noch nach Landesrecht erlaubt.

21

Eine Steuerfreiheit ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerin im Revisionsverfahren nachgereichte Bescheinigung aus § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG. Unabhängig davon, dass neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren ohnehin nicht berücksichtigungsfähig ist, ergibt sich aus dieser Bescheinigung nur das Vorliegen von Kursen, die dem Schul- und Bildungszweck i.S. des lebenslangen Lernens dienen, nicht aber das Vorliegen von Kursen, die, wie nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG i.V.m. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG, auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.

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bb) Nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG sind steuerfrei die Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Steuerfrei sind auch andere kulturelle und sportliche Veranstaltungen, die von den in Buchst. a genannten Unternehmern durchgeführt werden, soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht (§ 4 Nr. 22 Buchst. b UStG).

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Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor, da die Klägerin als Einzelunternehmer die nach dem eindeutigen Wortlaut von § 4 Nr. 22 Buchst. a und b UStG erforderlichen unternehmerbezogenen Voraussetzungen nicht erfüllt.

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b) Eine Steuerfreiheit ergibt sich auch nicht aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Steuerfrei sind danach die "Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung". Insoweit fehlt es im Streitfall an der personenbezogenen Voraussetzung der "anerkannten Einrichtung". Eine Anerkennung ergibt sich im Streitfall auch nicht aus einem besonderen Gemeinwohlinteresse an der Tätigkeit der Klägerin.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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