Beschluss vom Bundesfinanzhof (5. Senat) - V B 68/18

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 15. Juni 2018  4 K 165/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

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Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit sie überhaupt in einer § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Form dargelegt wurden, jedenfalls nicht vor. Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

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a) Wird die Beschwerde mit einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, so muss in der Beschwerdebegründung eine bestimmte --abstrakte-- klärungsbedürftige und in dem angestrebten Revisionsverfahren auch klärbare Rechtsfrage herausgestellt und --unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur-- deren Bedeutung für die Allgemeinheit substantiiert dargetan werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010 V B 20/08, BFH/NV 2010, 1616, m.w.N.).

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b) In der Beschwerdebegründung der Klägerin fehlt es bereits an der Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage. Ihrem Vorbringen lässt sich zwar sinngemäß entnehmen, dass sie geklärt wissen möchte, ob die neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. November 2017 C-374/16 und C-375/16 (EU:C:2017:867) zu den für einen Vorsteuerabzug erforderlichen Rechnungsangaben entsprechend auf den Ort der sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- ("Sitz des leistenden Unternehmers") anwendbar ist. Diesbezüglich fehlt es jedoch an Darlegungen dazu, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage streitig ist und weshalb die Klärung dieser Frage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt.

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c) Im Übrigen wäre diese Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. Denn ihre Antwort ergibt sich nunmehr aus den einschlägigen Rechtsvorschriften und davor aus der Rechtsprechung des EuGH, sie ist mithin offensichtlich so zu beantworten, wie es das Finanzgericht (FG) auf S. 14 seines Urteils getan hat. Danach hat die Frage nach den Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung im Hinblick auf die Angabe der Adresse des Leistenden keinen Einfluss auf die Frage, von wo aus eine steuerpflichtige Person ihr Unternehmen betreibt.

6

§ 3a Abs. 1 UStG regelt, dass eine sonstige Leistung grundsätzlich an dem Ort ausgeführt wird, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (Sitz des Unternehmens). Unionsrechtliche Grundlage dieser Norm ist --seit dem 1. Januar 2007-- Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt danach der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Was unter dem "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" i.S. des Art. 44 MwStSystRL zu verstehen ist, definiert Art. 10 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwehrsteuersystem (MwStVO). Während nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und den Folgeurteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Juni 2018 V R 25/15 (BFHE 262, 248, BStBl II 2018, 809) und V R 28/16 (BFHE 262, 253, BStBl II 2018, 806) für Zwecke des Vorsteuerabzugs jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift ausreicht, ist in Art. 10 Abs. 3 MwStVO ausdrücklich geregelt, dass allein aus dem Vorliegen einer Postanschrift nicht auf den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens geschlossen werden kann. Diese Regelung trat zwar erst am 1. Juli 2011 in Kraft, sie stellt aber lediglich klar, was sich schon vorher aus der Rechtsprechung des EuGH ergab. Im Urteil vom 28. Juni 2007 C-73/06 Planzer (EU:C:2007:397, Rz 62) entschied der EuGH zu einem das Vergütungsverfahren (nach der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige) betreffenden Rechtsstreit, dass sich eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" charakteristisch ist, nicht als "Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit" einstufen ließe.

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2. Die Revision ist weder zur Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen.

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a) Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt ebenfalls die Darlegung und das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2016 V B 97/15, BFH/NV 2016, 1497, Rz 11). Daran fehlt es nach den obigen Ausführungen unter 1.c).

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b) Die Klägerin hat das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Divergenz nicht hinreichend dargetan.

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aa) Zur schlüssigen Darlegung einer Abweichung muss der Beschwerdeführer aufzeigen, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind und die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 12. Juni 2017 III B 157/16, BFH/NV 2017, 1318, Rz 13, sowie vom 12. Juni 2018 VIII B 154/17, BFH/NV 2018, 945, Rz 16).

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bb) Die Klägerin rügt zu Unrecht eine Divergenz des angefochtenen Urteils zu den BFH-Urteilen in BFHE 262, 248, BStBl II 2018, 809 sowie in BFHE 262, 253, BStBl II 2018, 806. Abgesehen davon, dass es bereits an der Gegenüberstellung von tragenden abstrakten und voneinander abweichenden Rechtssätzen fehlt, betreffen diese BFH-Urteile die formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs und damit --wie unter 1.c ausgeführt wurde-- sowohl andere Sachverhalte als auch andere Rechtsfragen als der Streitfall.

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3. Die unter Bezugnahme auf die EuGH-Urteile vom 17. Juli 2014 C-272/13 Equoland (EU:C:2014:2091) und vom 15. September 2016 C-518/14 Senatex (EU:C:2016:691) erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts (Neutralitätsprinzip) ist im Nichtzulassungsverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Mängel bei der Auslegung revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16. März 2010 X B 131/09, BFH/NV 2010, 1453). Hierfür bietet weder die Begründung des Urteils noch der Vortrag der Klägerin irgendwelche Anhaltspunkte.

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4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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