Urteil vom Bundesfinanzhof (9. Senat) - IX R 11/19

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Bremen vom 25.10.2018 - 1 K 165/17 (3) aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Bremen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr (2013) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, in welchem Umfang von der Klägerin an ihren Vater (V) geleistete lebenslange monatliche Zahlungen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen sind.

2

Mit notariell beurkundetem Grundstücksübertragungsvertrag vom 05.11.2011 übertrug der im Jahr 1939 geborene V ein in seinem Eigentum stehendes vermietetes Mehrfamilienhaus auf seine Tochter, die Klägerin. Nach § 4 des Grundstücksübertragungsvertrages erfolgte die Übertragung "unentgeltlich im Wege der Schenkung"; zugunsten des V war jedoch eine lebenslange, wiederkehrende, nicht wertgesicherte Leistung von monatlich 2.000 € zu erbringen. Zur Absicherung des Leistungsanspruchs bewilligten und beantragten die Beteiligten die Eintragung einer Reallast zugunsten des V. In § 1 des Grundstücksübertragungsvertrages verpflichtete sich die Klägerin, V von der Mithaft für alle im Grundbuch eingetragenen dinglichen Belastungen freizustellen; ferner verpflichtete sie sich, über den übertragenen Grundbesitz nur mit Zustimmung des Übertragenden zu verfügen, insbesondere diesen zu verkaufen oder zu belasten.

3

Nachdem eine Grundpfandgläubigerin die in § 1 des Grundstücksübertragungsvertrages vorgesehene Schuldübernahme nicht genehmigt hatte, löste V die noch offenen Darlehensvaluten ab. Vor diesem Hintergrund verpflichtete sich die Klägerin in einem unter dem 22.12.2011 geschlossenen geänderten Grundstücksübertragungsvertrag, dem V den für die Ablösung der Darlehensvaluten aufgewendeten Betrag in Höhe von 50.544,28 € zu ersetzen und ihm eine lebenslange, wiederkehrende, nicht wertgesicherte Leistung von monatlich 2.500 € zu bezahlen.

4

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr berücksichtigte die Klägerin die vertraglich vereinbarten wiederkehrenden Leistungen an V in Höhe von (2.500 € × 12 Monate =) 30.000 € als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus dem vermieteten Mehrfamilienhaus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bewertete die Zahlungen der Klägerin als Leibrente i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 29.07.2015 lediglich den sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG ergebenden Ertragsanteil in Höhe von 3.900 € jährlich als Werbungskosten. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

5

Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei verfassungswidrig; sie verstoße gegen das objektive Nettoprinzip. Bei der Klägerin komme es aufgrund der Rentenzahlungen zu einem Liquiditätsabfluss in Höhe von 30.000 € pro Jahr. Bei wirtschaftlicher Betrachtung minderten diese Zahlungen das sog. Markteinkommen der Klägerin. Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit für Leibrenten auf den Ertragsanteil der Rente berücksichtige dies nicht und durchbreche die Systematik des Zu- und Abflussprinzips gemäß § 11 EStG.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die Leibrentenzahlungen der Klägerin stünden nicht i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin und seien daher nicht als Werbungskosten abziehbar. Ein Übergabevertrag, mit dem ein Grundstück unter Vorwegnahme der Erbfolge auf einen Abkömmling gegen Gewährung einer Versorgungsleistung übertragen werde, sei steuerrechtlich nicht als entgeltliches Veräußerungsgeschäft zu betrachten; vielmehr handele es sich um eine unentgeltliche Übertragung unter Vorbehalt eines Teils der Erträge - vergleichbar einem Nießbrauchsvorbehalt. In derartigen Fällen stellten die wiederkehrenden Versorgungsleistungen weder ein Veräußerungsentgelt des Übergebers noch Anschaffungskosten des Übernehmers dar, sondern seien spezialgesetzlich den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F.; wortgleich mit der im Streitjahr anzuwendenden Fassung des § 10 Abs. 1a Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 18 Satz 1 EStG jeweils i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014, BGBl I 2014, 2417) und wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG) zugeordnet. An dieser grundsätzlichen Zuordnung ändere auch der Umstand nichts, dass Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mietwohngrundstücks seit der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2008 vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150) nicht (mehr) zum Sonderausgabenabzug zugelassen seien. Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit bestimmten Vermögensübertragungen sei auch nicht von Verfassungs wegen zu beanstanden. Zwar führe der von der Klägerin an V gezahlte Einmalbetrag in Höhe von 50.544,28 € grundsätzlich zu Anschaffungskosten, die im Wege der Absetzungen für Abnutzung (AfA) zu berücksichtigen seien; im Streitfall läge ein möglicher AfA-Betrag jedoch nicht über dem --nach Auffassung des FG zu Unrecht-- im Zuge der Veranlagung vom FA gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG berücksichtigten Leibrentenbetrag.

7

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Revision. Sie vertreten die Auffassung, dass die Übertragung von Vermögen gegen wiederkehrende Leistungen in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG nicht vorlägen, als entgeltliches Rechtsgeschäft zu behandeln sei. Vor diesem Hintergrund könnten die Rentenzahlungen der Klägerin nicht dem privaten Bereich und der Einkommensverwendung zugeordnet werden, sondern seien, wie von der Klägerin erklärt, als Werbungskosten zu berücksichtigen. Die Abzugsbeschränkung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei verfassungswidrig.

8

Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil des FG vom 25.10.2018 - 1 K 165/17 (3) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 15.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2017 mit der Maßgabe zu ändern, dass die von der Klägerin geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von 30.000 € in voller Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden.

9

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Es vertritt die Auffassung, dass die von der Klägerin geleisteten wiederkehrenden Leibrentenzahlungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG nur in Höhe des Zinsanteils (Ertragsanteil) in Höhe von jährlich 3.900 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuermindernd in Abzug zu bringen seien; dies verstoße nicht gegen das objektive Nettoprinzip.

11

Mit Beschluss vom 28.04.2020 - IX R 11/19 hat der Senat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit einer Übertragung von nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG begünstigtem Vermögen grundsätzlich als Entgelt (bzw. im Ausnahmefall als Unterhaltsleistung) anzusehen sind (so die Auffassung im BMF-Schreiben vom 11.03.2010, BStBl I 2010, 227 Tz 57 und 65) oder gleichwohl als nicht begünstigte (d.h. nicht zum Sonderausgabenabzug berechtigende), aber dem Grunde nach unentgeltliche "Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen" gelten können.

12

Das BMF ist dem Rechtsstreit beigetreten und hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass das JStG 2008 zwar keine Aussage dazu treffe, wie die Übertragung von nicht mehr durch § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG begünstigten Objekten gegen wiederkehrende Leistungen einkommensteuerrechtlich zu behandeln sei; mit Blick auf den Wortlaut sowie auf die Systematik der gesetzlichen Regelungen in § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG sei jedoch davon auszugehen, dass solche Übertragungen entsprechend den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regeln als (zumindest teil-)entgeltliche Geschäfte anzusehen seien. Zwar habe die Rechtsprechung die Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen seit jeher als unentgeltlichen Rechtsvorgang verstanden, jedoch habe der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung geprägte Rechtsinstitut mit der Neufassung des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG auf seinen Kernbereich beschränkt. Durch diese gesetzgeberische Entscheidung seien Übertragungen außerhalb des Sonderrechts der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen als teilentgeltliche Veräußerungsvorgänge zu qualifizieren.

Entscheidungsgründe

II.

13

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

14

1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG); sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart abzusetzen, bei der sie erwachsen sind. Zu den Werbungskosten rechnen u.a. auch auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, soweit sie mit einer Einkunftsart im Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG); abweichend hiervon kann bei Leibrenten nur der Anteil als Werbungskosten abgezogen werden, der sich nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG ergibt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG).

15

a) Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind als Werbungskosten die durch diese Einkunftsart veranlassten Aufwendungen abzusetzen. Eine dahin gehende Veranlassung liegt vor, wenn (objektiv) ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der auf Vermietung und Verpachtung gerichteten Tätigkeit besteht und (subjektiv) die Aufwendungen zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden. Maßgeblich ist danach, ob bei wertender Beurteilung das auslösende Moment für das Entstehen der Aufwendungen der einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre zuzuordnen ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.09.2009 - GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672, unter C.III.1.a; BFH-Urteile vom 29.10.2019 - IX R 22/18, BFH/NV 2020, 194; vom 20.06.2012 - IX R 67/10, BFHE 237, 368, BStBl II 2013, 275; vom 20.07.2010 - IX R 30/09, BFH/NV 2010, 2259, und vom 23.09.2003 - IX R 26/99, BFH/NV 2004, 476).

16

b) Nicht als Werbungskosten, aber als Sonderausgaben abziehbar sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende, lebenslange und wiederkehrende Versorgungsleistungen, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (sog. "Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen", s. § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, vormals § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2008) und soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG erfüllt sind.

17

aa) Als Sonderausgaben abziehbar sind danach Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft, die eine Tätigkeit i.S. der §§ 13, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG oder des § 18 Abs. 1 EStG ausübt (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG), Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. b EStG), Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der Übertragung eines mindestens 50 Prozent betragenden Anteils an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wenn der Übergeber als Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der Übertragung übernimmt (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. c EStG) oder --nach Maßgabe des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 3 EStG-- der Teil der Versorgungsleistungen, der auf den Wohnteil eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft entfällt.

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18

bb) Nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG als Sonderausgaben abziehbar sind demgegenüber Versorgungsleistungen, die im Zuge der Übergabe eines im Privatvermögen befindlichen Immobilienobjekts vereinbart werden; die genannte Regelung unterscheidet sich insoweit von der Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 01.01.2008 geltenden a.F.), nach der auch solche Wirtschaftsgüter Gegenstand einer unentgeltlichen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein konnten (zu den maßgeblichen Kriterien hinsichtlich der Art des übergebenen Vermögens s. Beschluss des Gro23;en Senats des BFH vom 12.05.2003 - GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, beginnend ab C.II.6.a).

19

c) (Wiederkehrende) Leistungen in Gestalt von freiwilligen Zuwendungen, von Zuwendungen aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder von Zuwendungen an eine gegenüber dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gesetzlich unterhaltsberechtigte Person oder deren Ehegatten dürfen, auch wenn sie auf einer besonderen Vereinbarung beruhen, nach § 12 Nr. 2 EStG weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, soweit in § 10 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5, 7 und 9 sowie Abs. 1a Nr. 1 EStG, den §§ 10a, 10b EStG und den §§ 33 bis 33b EStG nichts anderes bestimmt ist. Vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG sind als "freiwillige Zuwendungen und Zuwendungen aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht" auch Renten und dauernde Lasten erfasst, wenn sie außerhalb einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen als bloße Unterhaltszahlung geleistet werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.05.2001 - X R 53/99, BFH/NV 2001, 1388, m.w.N.).

20

Derartige Zuwendungen oder Unterhaltsleistungen, denen keine Gegenleistung gegenübersteht, entspringen --in dem hier maßgeblichen sachlichen Zusammenhang-- einem Vertragstypus, bei dem die Übertragung eines Vermögenswerts durch den Übergeber nicht im sachlichem Zusammenhang mit der ausbedungenen, vom Übernehmer aufzubringenden wiederkehrenden (Gegen-)Leistung zu sehen und mithin durch private Zuwendungs- oder Unterhaltsüberlegungen veranlasst ist (vgl. BFH-Urteile vom 27.02.1992 - X R 139/88, BFHE 167, 381, BStBl II 1992, 612, und vom 12.07.2017 - VI R 59/15, BFHE 258, 444, BStBl II 2018, 461).

21

2. Im Streitfall handelt es sich bei den nach Maßgabe der Bestimmungen des zwischen der Klägerin und V geschlossenen Vermögensübergabevertrages geschuldeten wiederkehrenden Leistungen um Entgelte im Rahmen einer teilentgeltlichen Vermögensübergabe (s. unten a). Die von der Klägerin erbrachten Leistungen stellen keine nicht abziehbaren Aufwendungen i.S. des § 12 EStG dar (s. unten b). Es handelt sich auch nicht um zum Sonderausgabenabzug zugelassene Versorgungsleistungen (s. unten c), vielmehr sind die wiederkehrenden Leistungen als Werbungskosten zu berücksichtigen (s. unten d).

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22

a) Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und mithin den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG haben die Klägerin und V eine Übertragung des Mehrfamilienhauses zum Zwecke der vorweggenommenen Erbfolge, welche nach § 4 Satz 1 des Grundstücksübertragungsvertrages vom 05.11.2011 "unentgeltlich im Wege der Schenkung" erfolgen sollte, vereinbart. Als "Gegenleistung" bewilligte und beantragte die Klägerin die Eintragung einer Reallast (§ 1105 des Bürgerlichen Gesetzesbuchs --BGB--) zugunsten des V für seinen Anspruch auf eine lebenslänglich zu zahlende, nicht wertgesicherte wiederkehrende Leistung (sog. Leibrentenversprechen, § 759 BGB) in Höhe von monatlich 2.000 €; durch notariell beurkundeten Änderungsvertrag vom 22.12.2011 wurde die monatliche Leistung einvernehmlich auf 2.500 € erhöht. In dem genannten Änderungsvertrag verpflichtete sich die Klägerin überdies, dem V den für die Ablösung der Darlehensvaluten aufgewendeten Betrag in Höhe von 50.544,28 € zu ersetzen. Weitere "Gegenleistungen" bestanden in der Freistellungsverpflichtung gegenüber Grundpfandgläubigern und der Verfügungsbeschränkung hinsichtlich der Belastung und des Verkaufs des übertragenen Mehrfamilienhauses.

23

aa) Unter zutreffender Würdigung der genannten Sachverhaltsumstände hat das FG in den vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten zwar einen zivilrechtlich als Schenkung (unter Auflage) zu qualifizierenden Vertrag gesehen; denn bei den von der Klägerin erbrachten "Gegenleistungen" handelt es sich (bürgerlich-rechtlich) um Schenkungsauflagen i.S. des § 525 Abs. 1 BGB. Zivilrechtlich wird die Schenkung unter Auflage als Vollschenkung betrachtet (s. insbesondere Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.05.1959 - V ZR 140/58, BGHZ 30, 120, unter 2., zur Auferlegung der Verpflichtung, die Schulden des Schenkers zu übernehmen oder sie für ihn zu bezahlen; s.a. schon Urteil des Reichsgerichts vom 07.03.1905 - VII 336/04, RGZ 60, 238, 240; s. ferner BFH-Urteil vom 12.04.1989 - II&#160;R0;37/87, BFHE 156, 244, BStBl II 1989, 524, unter 3.a; FG Köln, Urteil vom 05.06.2009 - 9 K 4279/07, Erbschaft-Steuerberater --ErbStB-- 2009, 297; Staudinger/Chiusi (2021), zu § 525 BGB Rz 42; Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020, § 1 Rz 40, 46).

24

bb) In einkommensteuerrechtlicher Hinsicht kann die Unentgeltlichkeit einer Vermögensübertragung unter Vereinbarung einer Leistungsauflage aber nicht allein mit dem Verweis darauf begründet werden, dass es sich um eine --bürgerlich-rechtlich als voll unentgeltlich geltende-- Auflagenschenkung handelt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.07.1990 - GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C.II.2.d, zu Abstands- und Ausgleichszahlungen; vgl. auch BFH-Urteil vom 02.03.20050;- II60;R 11/02, BFHE 209, 148, BStBl II 2005, 532, zur Qualifizierung von Leistungsauflagen als Gegenleistung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht). Vielmehr ist zu prüfen, ob im Zuge einer Übergabe von der Einkünfteerzielung dienendem, nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG begünstigtem Privatvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vereinbarte Versorgungsleistungen auch nach der Systematik des Einkommensteuerrechts --insbesondere dem Veranlassungsprinzip-- und den in diesem Zusammenhang von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen eine unentgeltliche oder eine (ggf. teil-)entgeltliche Leistung darstellen.

25

aaa) Nach der Systematik des Einkommensteuerrechts handelt es sich bei der Übertragung von Vermögen von Eltern auf Kinder gegen eine --nicht nach kaufmännischen Grundsätzen abgewogene-- Gegenleistung grundsätzlich nicht um einen unentgeltlichen Vorgang, sondern um ein (teil-)entgeltliches Geschäft, auch wenn im Einzelfall widerlegbar vermutet wird, dass eine im Angehörigenverhältnis vereinbarte Gegenleistung unabhängig vom Wert der übertragenen Vermögenswerte nach dem Versorgungsbedürfnis der Eltern und/oder nach der Ertragskraft des übertragenen Vermögens bemessen worden ist und mithin einen familiären, unentgeltlichen Charakter hat (BFH-Urteile vom 09.02.1994 - IX R 110/90, BFHE 175, 212, BStBl II 1995, 47, und vom 29.01.1992 - X R 193/87, BFHE 167, 95, BStBl II 1992, 465, m.w.N.).

26

bbb) Abweichend von diesen Grundsätzen wird die --dem Grunde nach teilentgeltliche-- Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen i.S. des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG im Anwendungsbereich des Sonderrechts für Zwecke der Einkommensteuer im Regelfall als unentgeltlicher Vorgang fingiert; dabei handelt es sich um eine gewollte einkommensteuerrechtliche Privilegierung derartiger Vermögensübergabevorgänge. Aber auch außerhalb der genannten Regel wird die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen einkommensteuerrechtlich als teilentgeltlicher Vorgang angesehen, etwa soweit im Rahmen einer solchen Vermögensübergabe Gleichstellungsgelder, Abstandszahlungen und --bei Übergabe von Privatvermögen-- die Übernahme von Verbindlichkeiten als Entgeltbestandteile vereinbart werden (vgl. BFH-Urteil vom 03.09.2019 - IX R 8/18, BFHE 266, 173, BStBl II 2020, 122 Rz 14; s.a. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847). Vor diesem Hintergrund geht das Steuerrecht davon aus, dass die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen dem Grunde nach als (teil-)entgeltlich anzusehen ist, da sie im Austausch mit einer Gegenleistung --in Form der Versorgungsleistung-- erfolgt.

27

b) Die von der Klägerin an V geleisteten monatlichen Zahlungen sind nicht dem Privatbereich zuzuordnen; denn es handelt sich weder um Unterhaltsleistungen noch um Zuwendungen aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

28

c) Die wiederkehrenden Leistungen der Klägerin führen im Streitfall auch nicht zu einem Sonderausgabenabzug auf Seiten der Klägerin; denn sie beruhen --auch hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit-- nicht auf der Übergabe eines nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG begünstigten Vermögens.

29

d) Die wiederkehrenden Leistungen der Klägerin können --ebenso wie der weitere Anschaffungsaufwand der Klägerin-- nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften als Werbungskosten berücksichtigt werden.

30

aa) Ist, wie im Streitfall, der Anwendungsbereich des Sonderrechts des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG nicht eröffnet, ist nach den oben dargestellten steuerrechtlichen Grundsätzen von einer teilentgeltlichen Vermögensübertragung gegen wiederkehrende Leistungen auszugehen. Nutzt aber der Übernehmer übertragenes Vermögen zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und erfüllt die Vermögensübertragung nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG, führen von ihm geschuldete und an den Übergeber entrichtete wiederkehrende Leistungen in Höhe ihres Barwerts zu Anschaffungskosten und mithin zu --durch die Einkünfteerzielung veranlassten-- Werbungskosten; der Zinsanteil der wiederkehrenden Leistungen ist ebenfalls als Werbungskosten abziehbar (vgl. auch BTDrucks 16/6739, S. 8; Risthaus, Der Betrieb --DB-- 2007, 240, 243, 245; Geck/Messner, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge --ZEV-- 2007, 373; Röder, DB 2008, 146; Risthaus, Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis 2007, 314, 324; Risthaus, DB 2010, 744, 749; Reddig, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 445, 450; Reddig, Festschrift für Michael Streck zum 70. Geburtstag, 2011, S. 157; Korn/Stahl, Kölner Steuerdialog --KÖSDI-- 2007, 15783, 15806; Schulze zur Wiesche, Betriebs-Berater 2007, 2379, 2382; Wälzholz, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 273, 277; Grün, Neue Wirtschaftsbriefe --NWB-- 2010, 1042, 1058; Korn, KÖSDI 2010, 16920, 16921 f., 16929 f.; Paus, NWB 2014, 992, 995; Günther, Ertragsteuerberater --EStB-- 2019, 27, 30; Herkens, EStB 2020, 310, 312; Formel, EStB 2020, 292, 293; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 268; Hoheisel/Tippelhofer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10 Rz 484; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 10 Rz 12; Myßen/Fischer/Gragert/Wißborn, Renten, Raten, dauernde Lasten, 16. Aufl. 2017, Rz 541; a.A. Seltenreich/Kunze, ErbStB 2007, 338, 340; Fleischer, ZEV 2007, 475, 478; Spiegelberger, DStR 2007, 1277, 1281, und DB 2008, 1063, 1066; anders jedoch Spiegelberger, DStR 2010, 1880, 1881, für den Fall, dass die wiederkehrenden Leistungen nicht aus den Nettoerträgen des übergebenen Vermögens aufgebracht werden können; Glaser, Deutsches Steuerrecht kurzgefaßt 2020, 226).

31

bb) Auch soweit der Übernehmer im Zuge der Vermögensübergabe weitere Gegenleistungen erbringt und damit Anschaffungskosten trägt, können diese --soweit das übertragene Vermögen der Einkünfteerzielung dient und die Aufwendungen auf den übertragenen Gebäudeanteil entfallen-- nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften als Werbungskosten bei den Einkünften des Übernehmers abgezogen werden.

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32

3. Das FG ist von abweichenden Grundsätzen ausgegangen, soweit es die im Grundstücksübertragungsvertrag vom 05.11.2011, angepasst durch Vertrag vom 22.12.2011, von der Klägerin übernommenen Versorgungsleistungen als vorbehaltene Erträge des V und nicht als --anteiliges-- (Veräußerungs-)Entgelt und mithin als durch die Einkünfteerzielung veranlasste Aufwendungen gewürdigt hat. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.

33

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtszug die Höhe der bei den Einkünften der Klägerin zu berücksichtigenden Werbungskosten erneut zu ermitteln haben.

34

a) Soweit die Klägerin das übergebene Vermögen (teilweise) entgeltlich erworben hat, stellen die von ihr an V geleisteten monatlichen Zahlungen in Höhe ihres Barwerts "verrentete" Anschaffungskosten dar; diese sind bislang zu Unrecht nicht im Rahmen von AfA als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden.

35

Auch soweit die Klägerin dem V einen Betrag in Höhe von 50.544,28 €, den dieser für die Ablösung der Darlehensvaluten aufgewendet hatte, nach den Bestimmungen des geänderten Grundstücksübertragungsvertrages vom 22.12.2011 zu ersetzen hatte, sind der Klägerin Anschaffungskosten entstanden; die Klägerin kann von dem genannten Betrag --soweit er auf den übertragenen Gebäudeanteil entfällt-- AfA als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend machen; dies ist bislang zu Unrecht unterblieben.

36

Die von der Klägerin geschuldeten weiteren "Gegenleistungen" (Freistellungsverpflichtung gegenüber Grundpfandgläubigern; Verfügungsbeschränkung) stellen demgegenüber kein Veräußerungsentgelt dar.

37

b) Der Ertragsanteil der von der Klägerin an V geleisteten monatlichen Zahlungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG als sofort abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 19.08.2008 - IX R 56/07, BFHE 222, 481, BStBl II 2010, 24, m.w.N.; Brandis/Heuermann/Thürmer, § 9 EStG Rz 216).

38

Soweit die Klägerin in der Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG, wonach Leibrentenzahlungen nur mit dem in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG vorgesehenen Ertragsanteil als Werbungskosten abgezogen werden können, eine Verletzung des objektiven Nettoprinzips (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) sehen, liegt der behauptete Verfassungsverstoß nicht vor. Zwar dient der (vollständige) Abzug von Werbungskosten der Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips, nach dem nur die Nettogrößen der Einkünfte (Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten), nicht aber erwerbssichernde Aufwendungen des Steuerpflichtigen besteuert werden dürfen. Entgegen der Auffassung der Kläger bleibt indes der nicht schon im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG berücksichtigte Aufwand --der Barwert der wiederkehrenden Leistungen-- nicht steuerlich unberücksichtigt, sondern geht --wie unter II.4.a der Gründe dargelegt-- in die Anschaffungskosten ein, welche zwar nur ratierlich, aber ebenfalls einkünftemindernd (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) geltend gemacht werden können. Auch soweit der Anschaffungsaufwand auf Grund und Boden entfällt, geht dieser im Falle einer Veräußerung des übergebenen Vermögens (innerhalb der Veräußerungsfrist) als Anschaffungskosten in die steuerliche Bemessungsgrundlage des § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ein. Vor diesem Hintergrund ist der von den Klägern gerügte Verfassungsverstoß schon nicht erkennbar. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die von der Klägerin beanstandete Regelung der --im Steuerrecht als Massenfallrecht gebotenen oder doch zumindest erlaubten-- Typisierung und Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens dient und mithin verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1997 - VIII R 38/94, BFHE 185, 199 , BStBl II 1998, 339; Brandis/Heuermann/Thürmer, § 9 EStG Rz 216; Köhler in Bordewin/Brandt, § 9 EStG Rz 821; Schmidt/Krüger, EStG, 40. Aufl., § 9 Rz 160).

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c) Soweit die Klägerin das übergebene Vermögen unentgeltlich erworben hat, hat sie keine eigenen Anschaffungskosten getragen; ihre AfA bemisst sich insoweit gemäß § 11d Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) nach den (anteiligen) Anschaffungs- und Herstellungskosten des Rechtsvorgängers V und nach dem Hundertsatz, der für den Rechtsvorgänger maßgebend sein würde, wenn er noch Eigentümer des Wirtschaftsguts wäre, und zwar bis zur Höhe des vom Rechtsvorgänger noch nicht ausgeschöpften AfA-Volumens.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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