Urteil vom Bundesgerichtshof (3. Zivilsenat) - III ZR 352/13

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 30. Juli 2013 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 17. September 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Stadt wegen eines auf seinen Pkw herabgefallenen Astes auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach Amtshaftungsgrundsätzen in Anspruch.

2

Der Kläger wohnt in der K.    Straße 36 in S.   in einem Mietshaus. Vor dem Wohnblock befinden sich auf beiden Seiten der Straße öffentliche Parkplätze, die auch von den Anwohnern genutzt werden. An die Parkplätze grenzt ein Grünstreifen, auf dem im Jahre 2011 einige etwa 50-60 Jahre alte Pappeln standen. Der Kläger stellte in den Abendstunden des 12. Juni 2011 seinen Pkw auf einem der Parkplätze in der Nähe der Pappeln ab. Am 13. Juni 2011 stellte er morgens Schäden an seinem Fahrzeug fest; von einer der Pappeln war ein grün belaubter Ast auf das Auto gefallen.

3

Die Klage auf Schadensersatz hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von einem Drittel dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

I.

5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die beklagte Stadt ihre - in Thüringen hoheitlich ausgestaltete - Straßenverkehrssicherungspflicht verletzt (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1, § 43 Abs. 1 ThürStrG). Anknüpfungspunkt sei insoweit allerdings nicht eine Verletzung der Pflicht zur regelmäßigen sorgfältigen Baumkontrolle. Die Beklagte habe keine Anzeichen für eine Erkrankung oder Vermorschung der Pappel übersehen; diese sei vielmehr gesund gewesen. Jedoch könnten auch gesunde Bäume eine Gefahr darstellen. Die Pappel gehöre zu den für natürliche Astbrüche anfälligen Baumarten. Sie stelle, da sie dazu neige, auch im gesunden Zustand Äste abzuwerfen, eine verkehrssicherungsrechtlich relevante ständige Gefahrenquelle dar. Zudem sei es in der Vergangenheit wiederholt - wenn auch ohne Schäden - zu Astabbrüchen gekommen. Die Beklagte habe deshalb selbst in einem Schreiben vom 13. September 2010 an einen in der K.     Straße wohnhaften Anlieger davon gesprochen, dass zwar die Standfestigkeit bei allen Pappeln gegeben sei, es aber trotzdem aus artspezifischen Gründen zu Astabbrüchen kommen könne, weshalb die Bäume sukzessive entfernt werden müssten. Zwar möge es sein, dass der Beklagten damals ein sofortiges Fällen aller Pappeln aus haushälterischen Gründen unmöglich gewesen sei und ihr dies unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten deshalb zunächst noch nicht hätte abverlangt werden können. Die sofortige Ergreifung niederschwelligerer Maßnahmen - wie die Sperrung der Parkflächen oder zumindest die Aufstellung einer auf die Astbruchgefahr aufmerksam machenden Warntafel - sei aber unumgänglich gewesen. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die bei jeder Baumart bestehende Gefahr, dass bei ungünstigen Verhältnissen (starke Windbelastung u.ä.) auch ein belaubter und gesunder Ast abbrechen könne. Dies sei ein hinzunehmendes allgemeines Lebensrisiko und zwar auch dann, wenn der Baum an einer öffentlichen Parkfläche stehe. Bei einer Baumart wie der Pappel, bei der artspezifisch ein ungleich höheres Risiko von Abwürfen gesunder Äste bestehe, sei indessen auf beziehungsweise an öffentlichen Parkflächen, also an Verkehrsflächen, auf denen Fahrzeuge auch für längere Zeit abgestellt und sich regelmäßig Menschen zum Ein- und Aussteigen bewegen würden, die Grenze des zu tolerierenden naturgebundenen Lebensrisikos überschritten. An solchen Orten seien Pappeln zu gefährlich; die Vermeidung von Sach- und Personenschäden müsse Vorrang haben. Mit besonderem Blick darauf, dass die Parkplätze nicht nur für die Anwohner der umliegenden Häuser, sondern auch für Ortsfremde zur Nutzung offen gestanden hätten, sei jedenfalls ein deutlicher Warnhinweis auf die jederzeit bestehende Astbruchgefahr das der Beklagten abzuverlangende Minimum an Gefahrverhütung gewesen. Den Kläger treffe jedoch ein Mitverschulden. Er müsse ebenso wie die anderen Anwohner - z.B. sein Großvater, der Zeuge F.   , oder die Zeugin B.     - Kenntnis von den Astabwürfen in der Vergangenheit gehabt haben. Es liege auf der Hand, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis ein Ast ein unter den Pappeln geparktes Fahrzeug beschädigen werde. Deshalb habe der Kläger die eigenübliche Sorgfalt fahrlässig verletzt, als er sein Fahrzeug über Nacht in der Gefahrenzone abgestellt habe.

II.

6

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

1. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl. nur Urteile vom 21. Dezember 1961 - III ZR 192/60, LM Nr. 3 zu RNatSchG; vom 21. Januar 1965 - III ZR 217/63, VersR 1965, 475, 476 und vom 4. März 2004 - III ZR 225/03, NJW 2004, 1381; s. auch BGH, Urteil vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 115/72, VersR 1974, 88, 89 f) erstreckt sich die Straßenverkehrssicherungspflicht auch auf den Schutz vor Gefahren durch Bäume. Der Verkehrssicherungspflichtige muss daher Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr konkret gefährden, insbesondere wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Allerdings stellt jeder Baum an einer Straße oder an einem öffentlichen Parkplatz eine mögliche Gefahr dar. Einerseits können auch völlig gesunde Bäume vom Sturm, selbst bei nicht außergewöhnlicher Windstärke, entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden; auch Schneeauflage oder starker Regen können zum Absturz selbst von größeren Ästen führen. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baums von außen nicht immer erkennbar. Das gebietet aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen und öffentlichen Parkplätzen oder eine besonders gründliche Untersuchung jedes einzelnen Baums. Der Umfang der notwendigen Überwachung und Sicherung kann nicht an dem gemessen werden, was zur Beseitigung jeder Gefahr erforderlich ist; es ist unmöglich, den Verkehr völlig risikolos zu gestalten. Dieser muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen, als unvermeidlich hinnehmen. Die Behörden genügen daher ihrer Sicherungs- und Überwachungspflicht, wenn sie - außer der stets gebotenen regelmäßigen Beobachtung auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen oder Frostrisse - eine eingehende Untersuchung dort vornehmen, wo besondere Umstände - wie das Alter des Baums, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau oder ähnliches - sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen lassen (vgl. Senat aaO).

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Ihre diesbezüglichen Pflichten hat die Beklagte, die im Sommer 2010 und im Winter 2010/2011 eine Baumkontrolle durchgeführt hat, nicht verletzt. Die streitgegenständliche Pappel und der den Schaden verursachende Ast waren vor dem Schadensfall gesund. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend festgestellt; der Kläger erhebt insoweit auch keine Revisionsgegenrüge.

9

2. Ob - über die Grundsätze der bisherigen Senatsrechtsprechung hinaus - bei gesunden Bäumen, bei denen wie bei der hier in Rede stehenden Pappel oder wie bei anderen Weichhölzern (z.B. Weiden, vgl. OLG Düsseldorf VersR 1997, 463, 464; Kastanien, vgl. OLG Hamm VersR 1997, 1148, 1149 und OLG Koblenz NZV 1998, 378; Götterbäume, vgl. OLG Karlsruhe VersR 2011, 925, 926) ein erhöhtes Risiko besteht, dass auch im gesunden Zustand Äste abbrechen, der Verkehrssicherungspflichtige Schutzmaßnahmen ergreifen muss, ist umstritten.

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Teilweise wird die Auffassung vertreten, Pappeln seien als "Gefahrenbäume" im Bereich von Parkplätzen grundsätzlich zu entfernen (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 2011, 926, 927); zumindest seien sämtliche in die Verkehrsfläche hineinragenden Äste zu beseitigen oder die Fläche unter den Bäumen für den Verkehr zu sperren (vgl. OLG Köln, VersR 1994, 1489; siehe auch Hötzel, AgrarR 1998, 163, 165 ff; Wittek, AUR 2011, 10 f).

11

Überwiegend wird demgegenüber in der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, VersR 1997, 1148, 1149 und NuR 1999, 538, 539; OLG Koblenz, NZV 1998, 378, VersR 1998, 865 und OLGR 2001, 286, 287 f; OLG Karlsruhe VersR 2011, 925, 926; siehe auch OLG München DAR 1985, 25, 26; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 726, 727 und VersR 1997, 463, 464; OLG Naumburg - 1 U 81/12, n.v. S. 3) und im Schrifttum (vgl. Breloer, NZV 1998, 378 f; Edenfeld, VersR 2002, 272, 277 f; Burmann, NZV 2003, 20, 22; Schneider VersR 2007, 743, 747; Hilsberg, VersR 2011, 928 f) die Meinung vertreten, dass ein natürlicher Astbruch, für den vorher keine besonderen Anzeichen bestanden haben, auch bei hierfür anfälligeren Baumarten grundsätzlich zu den naturgebundenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken gehöre.

12

3. Letzterer Auffassung schließt sich der Senat an. Der Verkehr muss gewisse Gefahren, die auf Gegebenheiten der Natur selbst beruhen, als unvermeidlich hinnehmen. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Die Verkehrssicherungspflicht verlangt es insoweit nicht, gesunde, nur naturbedingt vergleichsweise bruchgefährdetere Baumarten an Straßen oder Parkplätzen zu beseitigen oder zumindest sämtliche in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragenden Baumteile abzuschneiden. Gehören damit aber die Folgen eines natürlichen Astabbruchs grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko, bedarf es auch keiner niederschwelligerer Maßnahmen, wie der Absperrung des Luftraums unter Pappeln oder der Aufstellung von Warnschildern. Entsprechende Vorgaben ließen sich im Übrigen auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, auf Parkplätze beschränken. Der Senat vermag die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu teilen, wonach sich die Gefahrenlage auf Parkplätzen grundlegend anders - nämlich gravierender - als auf Straßen darstelle, weil ein geparktes Auto sich zeitlich länger in der Gefahrenzone aufhalte als ein auf einer Straße mit entsprechendem Baumbestand fahrendes Auto und weil auf Parkplätzen Gefahren für ein- und aussteigende Personen bestünden. Abgesehen davon, dass im fließenden Verkehr im Allgemeinen deutlich mehr Fahrzeuge (einschließlich der darin sitzenden Personen) in den Gefahrenbereich gelangen, ist beim Absturz von Baumteilen auf ein fahrendes Fahrzeug die Gefahr von erheblichen Sach- und Personenschäden noch größer als bei Astabbrüchen auf abgestellte Fahrzeuge. Insoweit stellt die Gefahrenlage kein geeignetes Differenzierungskriterium zur Ableitung erhöhter Sorgfaltsanforderungen für Parkplätze dar. Vielmehr würde die Einstufung von Pappeln und gleichartigen Weichhölzern als im Verkehrsinteresse grundsätzlich zu beseitigende Gefahrenquellen dazu führen, dass entweder jeder dieser Bäume, soweit er sich im Einflussbereich auf Personen oder Sachen befindet, entfernt oder der gesamte Einflussbereich räumlich abgesperrt oder jeweils ein Warnschild aufgestellt werden muss. Dies überspannt nach Auffassung des Senats die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht.

13

4. a) An dieser Bewertung ändert der Umstand nichts, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits in den Jahren vor dem Schadensfall Äste, ohne Schäden anzurichten, von einzelnen Pappeln abgefallen sind. Zunächst fehlt es schon - wie die Revision zu Recht anmerkt - an näheren Feststellungen des Berufungsgerichts zur Art der früheren Astabwürfe, also insbesondere dazu, ob es zu diesen Abbrüchen - wie es die Aussage des Zeugen F.   nahelegt - vor allem bei stürmischem Wetter gekommen ist. Um Sturmschäden geht es hier aber nicht, abgesehen davon, dass diese bei gesunden Bäumen grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko gehören. Selbst wenn sich aber das streitgegenständliche naturgegebene Risiko in der Vergangenheit bereits verwirklicht haben sollte, hätte dies nicht zur Folge gehabt, dass es von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zum Lebensrisiko gehört hätte, sondern nunmehr weitergehende verkehrssichernde Maßnahmen vorzunehmen gewesen wären.

14

b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch nicht im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 13. September 2010 von einer "Selbstbindung der Verwaltung" auszugehen, sodass sich die Beklagte an der "von ihr selbst statuierten und konkretisierten Verkehrssicherungspflicht festhalten lassen muss". Der Umstand, dass die Beklagte - überobligationsmäßig - den Entschluss gefasst hatte, die Pappeln im Zuge einer Überplanung der gesamten Grünflächen zu entfernen, spielt für die ausschließlich nach objektiven Gegebenheiten zu bestimmende Frage der Verkehrssicherungspflicht keine Rolle.

Schlick                     Herrmann                     Seiters

             Remmert                        Reiter

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