Beschluss vom Bundesgerichtshof (7. Zivilsenat) - VII ZB 28/13
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin vom 29. April 2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
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I.
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Die Schuldnerin begehrt die Verweigerung bzw. Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus einem polnischen Vollstreckungstitel.
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Die Gläubigerin, eine Gesellschaft mit Sitz in Polen, erwirkte gegen die Schuldnerin mit Datum vom 13. Juni 2008 im Mahnverfahren einen Zahlungsbefehl des Amtsgerichts E./Polen über 65.902,55 Zloty samt gesetzlicher Zinsen ab dem 4. November 2006 bis zum Zahlungstag sowie den Betrag von 4.441,00 Zloty als Erstattung der Prozesskosten. Mit Beschluss vom 2. April 2009 bestätigte das Amtsgericht E. diesem Titel die Qualität eines Europäischen Vollstreckungstitels nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 21. April 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen - EuVTVO - (ABl. L 143/15 vom 30. April 2004, im Folgenden: Verordnung). Daraus betreibt die Gläubigerin nunmehr die Zwangsvollstreckung in Deutschland, wobei noch keine konkreten Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind.
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Gegen die der Schuldnerin am 18. Mai 2011 durch die Obergerichtsvollzieherin angekündigte Zwangsvollstreckung hat die Schuldnerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2011 mit der Begründung, ihr sei weder ein verfahrenseinleitendes Schriftstück noch der Zahlungsbefehl selbst zugestellt worden, Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO eingelegt. Die Zwangsvollstreckung aus diesem Titel in der Bundesrepublik Deutschland verstoße gegen den ordre public.
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Das Amtsgericht hat die Erinnerung mit Beschluss vom 17. Januar 2012 zurückgewiesen. Im Beschwerdeverfahren gegen diesen Beschluss hat das Landgericht das Verfahren zunächst nach § 148 ZPO im Hinblick auf das von der Schuldnerin vor den polnischen Gerichten anhängige Verfahren ausgesetzt.
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Parallel zu dem Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht hat die Schuldnerin bei dem Amtsgericht E./Polen einen Antrag auf Widerruf der Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 10 Abs. 1 lit. b EuVTVO gestellt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht E. mit Entscheidung vom 10. Januar 2012 nach mündlicher Verhandlung abgelehnt, wobei die Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin nach ihren eigenen Angaben zu dem Termin nicht geladen worden seien. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin hat das Amtsgericht E. mit Entscheidung vom 7. Februar 2012 als verfristet verworfen. Das Bezirksgericht in D. hat diese Entscheidung am 9. Januar 2013 bestätigt und bestimmt, dass der Beschluss des Amtsgerichts E. über die Zurückweisung des Aufhebungsantrags vom 10. Januar 2012 rechtskräftig sei.
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Nach dieser Entscheidung hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 29. April 2013 die sofortige Beschwerde der Schuldnerin auf ihre Kosten zurückgewiesen, mit der sie klargestellt hat, dass sie nicht Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO eingelegt, sondern den Antrag auf Verweigerung bzw. Aussetzung der Zwangsvollstreckung nach Art. 21 und 23 EuVTVO und § 1084 ZPO gestellt hat.
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Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Schuldnerin die Aufhebung des zurückweisenden Beschlusses und die Verweigerung, Aussetzung bzw. Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel des Amtsgerichts E., hilfsweise die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung.
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II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, gemäß Art. 21 Abs. 2 EuVTVO dürfe die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in dem Vollstreckungsstaat in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden. Die dem Gericht untersagte Prüfung schließe es ein, dass auch nicht mehr geprüft werden dürfe, ob die Vollstreckung aus diesem Titel gegen den ordre public der Bundesrepublik Deutschland verstoße. Dies hätte der EU-Verordnungsgeber offenbar im Vertrauen auf die Gerichtsbarkeit der EU-Mitgliedstaaten in Kauf genommen. Die Vorschrift des Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, Abl. L 12/1 vom 16. Januar 2001), auf den die Schuldnerin Bezug nehme, sehe vor, dass eine Entscheidung in der Bundesrepublik nicht anerkannt werden könne, wenn sie dem deutschen ordre public offensichtlich widerspreche. Eine ähnliche Regelung sei in der Verordnung Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 nicht enthalten. Eine Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollstreckung ermögliche Art. 23 EuVTVO nur für die dort genannten Fälle der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung oder eines Antrags auf Widerruf oder Berichtigung eines solchen Titels, allerdings nur solange, wie nicht über den Rechtsbehelf bzw. den Antrag entschieden sei. Das sei vorliegend jedoch geschehen. Ob dies wiederum unter einer Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften erfolgt sei, dürfe vom Beschwerdegericht gleichfalls nicht überprüft werden.
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2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.
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a) Der Antrag der Schuldnerin auf Verweigerung der Zwangsvollstreckung ist unbegründet.
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aa) Art. 21 EuVTVO eröffnet für die Gerichte des Vollstreckungsstaats die Möglichkeit, unter Geltung der Verordnung die Zwangsvollstreckung dauerhaft zu verweigern, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Im Übrigen ist weder die zu vollstreckende Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsstaat in der Sache selbst nachprüfbar, Art. 21 Abs. 2 EuVTVO.
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bb) Die Verordnung lässt eine ordre public-Prüfung durch die Gerichte im Vollstreckungsstaat nicht zu. Zum ordre public gehört einerseits der materiellrechtliche ordre public, der Verstöße gegen das materielle Recht und das Kollisionsrecht erfasst, und andererseits der verfahrensrechtliche ordre public (Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 34 EuGVVO Rn. 12). Zum verfahrensrechtlichen ordre public gehören unter anderem der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Kropholler/von Hein, aaO, Art. 34 EuGVO Rn. 15 und 15a).
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Ob die polnischen Gerichte Verfahrensverstöße begangen haben, kann dahingestellt bleiben, denn mit der Verordnung hat der EU-Verordnungsgeber für Titel, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, das Erfordernis der Anerkennung und das Vollstreckbarerklärungsverfahren sowie die Möglichkeit der ordre public-Kontrolle ersatzlos abgeschafft (Rauscher/Pabst, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Bearb. 2010, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 10 ff.; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 5 VO (EG) Nr. 805/2004 Rn. 1; Kropholler/von Hein, aaO, Art. 5 EuVTVO Rn. 5; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 5 VTVO Rn. 1; MünchKomm/Adolphsen, ZPO, 4. Aufl., Art. 5 VO (EG) 805/2004 Rn. 1 sowie Vorbem. zu den §§ 1079 ff. ZPO Rn. 3; P/G/Halfmeier, ZPO, 5. Aufl., Anh. nach § 1086 Art. 5 EuVTVO Rn. 1; Ringwald, Europäischer Vollstreckungstitel nach der EuVTVO und Rechtsbehelfe des Schuldners, S. 31; Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, S. 201; Hk-ZV/Stürner, 2. Aufl., Art. 5 EuVTVO Rn. 2; Schuschke/Walker/Jennissen, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., EuVTVO Art. 5 Rn. 2; Heringer, Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, S. 82; Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285; Rauscher, GPR 2004, 286, 293; Stürner, GPR 2010, 43, 50).
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(1) Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 5 EuVTVO. Der ordre public-Vorbehalt ist in der Systematik des Europäischen Zivilverfahrensrechts im Rahmen der Anerkennung und des Verfahrens zur Vollstreckbarerklärung verortet. Insofern folgt aus der mit Art. 5 EuVTVO statuierten Anerkennung und Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung bei dem gleichzeitigen Ausschluss der Möglichkeit, die Anerkennung anzufechten, dass für eine ordre public-Prüfung unter Anwendung der Verordnung kein Raum bleibt.
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Konsequent zur Abschaffung des Erfordernisses der Anerkennung und des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in Art. 5 EuVTVO fehlt in der Verordnung auch eine Vorschrift, die Art. 34 EuGVVO entsprechen würde.
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Art. 21 EuVTVO bestätigt dies, indem der Verordnungsgeber in Absatz 1 als einzigen Grund nach der Verordnung, die Vollstreckung dauerhaft zu versagen, die Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung in einem Mitgliedsland oder einem Drittstaat festlegt und in Absatz 2 jegliche Nachprüfung der Entscheidung selbst sowie der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel untersagt.
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Dementsprechend enthält Art. 23 EuVTVO nur die Möglichkeit, die Vollstreckung für den Zeitraum, in dem der Schuldner im Ursprungsstaat gegen die zu vollstreckende Entscheidung als solche oder die Bestätigung als Vollstreckungstitel vorgeht, vorläufig zu beschränken oder auszusetzen (vgl. EuGH, EuZW 2012, 381 Rn. 66).
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(2) Die Abschaffung des Erfordernisses der Anerkennung sowie des Vollstreckbarerklärungsverfahrens innerhalb der Union zur Schaffung eines funktionierenden Binnenmarkts entspricht dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers.
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Dies ergibt sich schon aus dem "Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" des Rates vom 30. November 2000 (ABl. C 12 vom 15. Januar 2001, S. 1, 4). Darin heißt es: "Die Abschaffung des Exequaturverfahrens für unbestrittene Forderungen muss zu den Prioritäten der Gemeinschaft gehören. (…) Die rasche Beitreibung ausstehender Forderungen ist eine absolute Notwendigkeit für den Handel (…)." Der Rat schlug deshalb die Schaffung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen als erste Stufe des Maßnahmenprogramms vor (ABl. C 12 vom 15. Januar 2001, S. 7), was mit Erlass der Verordnung durch das Europäische Parlament und den Rat am 21. April 2004 umgesetzt wurde.
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Dass der Grundsatz der automatischen gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen und die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens mit der Aufgabe der Möglichkeit jeglicher ordre public-Kontrolle im Vollstreckungsstaat deren Kernpunkt ist, hat während des Verfahrens zum Erlass der Verordnung auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Mitteilung an das Europäische Parlament vom 9. Februar 2004 [KOM(2004) 90 endgültig, 2002/0090 (COD), 3.1, S. 4] zum Ausdruck gebracht. Die dort enthaltene Äußerung, die Kommission könne den gemeinsamen Standpunkt akzeptieren, der zwar den ursprünglichen Vorschlag der Kommission in der nach der Stellungnahme des Parlaments geänderten Fassung in einigen Aspekten ändere, aber an dem Anspruch festhalte, das Exequaturverfahren sowie jede Art von Kontrolle, die auf den ordre public Bezug nimmt, abzuschaffen, lässt keinen Raum für Zweifel über die Absicht des Verordnungsgebers.
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Niedergelegt ist dies in Erwägungsgrund 18 der Verordnung. Darin heißt es: "Gegenseitiges Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege in den Mitgliedstaaten rechtfertigt es, dass das Gericht nur eines Mitgliedstaats beurteilt, ob alle Voraussetzungen für die Bestätigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel vorliegen, so dass die Vollstreckung der Entscheidung in allen anderen Mitgliedstaaten möglich ist, ohne dass im Vollstreckungsstaat zusätzlich von einem Gericht nachgeprüft werden muss, ob die prozessualen Mindestvorschriften eingehalten worden sind."
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Aus Erwägungsgrund 10 der Verordnung, wonach auf die Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung in einem Verfahren, auf das sich der Schuldner nicht eingelassen habe, nur verzichtet werden könne, wenn die Verteidigerrechte beachtet worden seien, und Erwägungsgrund 11, wonach die Verordnung insbesondere darauf zielt, die uneingeschränkte Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, folgt nichts anderes. Dem Recht auf ein faires Verfahren trägt die Verordnung dadurch Rechnung, dass in Art. 13 ff. EuVTVO verfahrensrechtliche Mindeststandards aufgestellt werden, die gerade das rechtliche Gehör sicherstellen sollen. Die Rechtsbeschwerde verkennt, dass der Verordnungsgeber die Kontrolle darüber, ob die Gerichte des Ursprungsstaates diese Vorgaben tatsächlich eingehalten haben, allein den Gerichten im Ursprungsstaat im Rahmen des Bestätigungsverfahrens nach Art. 6 bis 11 EuVTVO vorbehalten hat. Eine Kontrolle im Vollstreckungsstaat ist aufgrund der Abschaffung des ordre public-Vorbehalts nicht möglich.
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(3) Dass unter Geltung der Verordnung die ordre public-Kontrolle im Vollstreckungsstaat abgeschafft ist, wird auch im Schrifttum erkannt, wenn auch teilweise rechtspolitisch kritisiert (Rauscher/Pabst, aaO, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 17; Gerling, Die Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln durch die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, S. 124 f. und S. 258; Wagner, IPRax 2002, 75, 91 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 486; Stadler, IPRax 2004, 2, 7 ff.; Mansel, RabelsZ 2006, 651, 727 f.; Roth, IPRax 2006, 466; Hannemann-Kacik, Die EU-Verordnung zum Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, S. 118; Ringwald, aaO, S. 31).
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Fehlentscheidungen in Einzelfällen, die sich daraus ergeben, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates eine Entscheidung als europäischen Vollstreckungstitel bestätigen, obwohl diese unter Missachtung der Verfahrensvorschriften der Art. 13 bis 17 EuVTVO zustande gekommen ist, sind entsprechend dem Willen des Verordnungsgebers ebenso wie Fehlentscheidungen innerstaatlicher Gerichte hinzunehmen. Ob dem Schuldner andere Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den als fehlerhaft behaupteten Titel und die Bestätigung, z.B. vor nationalen Verfassungsgerichten, dem Gerichtshof der Europäischen Union oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zustehen, ist dabei ohne Belang.
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Die Abschaffung des ordre public-Vorbehalts verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Dem europäischen Verordnungsgeber steht ein Ermessensspielraum in Bezug darauf zu, wie die Einhaltung der Verfahrensgrundsätze aus Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union umgesetzt wird. Der vom Verordnungsgeber gewählte Weg, in der Verordnung die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften der Art. 13 ff. EuVTVO den Gerichten im Ursprungsstaat zu übertragen, begegnet keinen Bedenken.
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Einen Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte begehen die deutschen Gerichte durch die Zwangsvollstreckung eines ausländischen Titels, der als Europäischer Vollstreckungstitel nach der Verordnung bestätigt ist, auch dann nicht, wenn die Sachentscheidung oder die Bestätigung im Ursprungsstaat unter Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte zustande gekommen sein sollte.
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cc) Die Rechtsbeschwerde kann auch nicht mit dem Argument durchdringen, der zu vollstreckende Zahlungsbefehl des Amtsgerichts E. hätte nach polnischem Recht wegen der erforderlichen Auslandszustellung an die in B. ansässige Schuldnerin nicht ergehen dürfen und sei nach polnischem Recht von Amts wegen aufzuheben.
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Denn nach Art. 21 Abs. 2 EuVTVO darf der Einwand, die Entscheidung sei im Herkunftsstaat zu Unrecht ergangen, im Vollstreckungsverfahren gerade nicht geprüft werden. Solange der Titel und die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht im Ursprungsstaat aufgehoben sind, ist die Vollstreckung fortzusetzen und kann lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 23 EuVTVO vorläufig beschränkt oder eingestellt werden.
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Es kann dahinstehen, ob die Gerichte im Vollstreckungsstaat die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung überprüfen dürfen (vgl. dazu Hk-ZV/Stürner, 2. Aufl., Art. 5 EuVTVO Rn. 3; Stürner, GPR 2010, 43, 49 f.; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 486 Fn. 73; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 20 VO (EG) Nr. 805/2004 Rn. 5; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., Art. 2 EuVTVO Rn. 1; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 5 EuVTVO Rn. 9; Rauscher/Pabst, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Bearb. 2010, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 25; Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 1082 Rn. 9; Wagner, IPRax 2005, 189, 199). Die Rechtsbeschwerde rügt lediglich einen einfachen Rechtsanwendungsfehler. Sie trägt nichts vor, was Zweifel an der Eröffnung des Anwendungsbereichs gemäß Art. 2 ff. EuVTVO begründen würde. Insbesondere stellt sie nicht in Abrede, dass eine Entscheidung eines polnischen Gerichts in Zivil- oder Handelssachen betreffend eine unbestritten gebliebene Forderung vorliegt.
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b) Der Antrag auf Aussetzung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach Art. 23 EuVTVO mit § 1084 ZPO ist ohne Erfolg.
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Der Senat kann offen lassen, ob die den Antrag ablehnende Entscheidung des Beschwerdegerichts angesichts § 1084 Abs. 2 Satz 3 ZPO überhaupt mit einem Rechtsmittel angreifbar ist.
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Art. 23 EuVTVO gestattet den Gerichten im Vollstreckungsstaat lediglich vorläufige Maßnahmen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf bzw. den Antrag auf Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel. Nachdem das Bezirksgericht D. auf das Rechtsmittel der Schuldnerin die Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts E. vom 10. Januar 2012 festgestellt hat, liegen die Voraussetzungen für Maßnahmen nach Art. 23 EuVTVO i.V.m. § 1084 ZPO nicht mehr vor.
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3. Eine Pflicht zur Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Prüfung der Frage, ob die Verordnung bei Verstößen gegen Justizgrundrechte im Vollstreckungsstaat eine ordre public-Prüfung eröffnet, besteht nicht.
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Unter Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV fallen alle Handlungen der Organe der Union, also auch das gesamte sekundäre Unionsrecht einschließlich der Verordnungen (vgl. Streinz/Ehricke, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 267 AEUV Rn. 19). Die Vorlagepflicht entfällt, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (acte claire - Doktrin; grundlegend EuGH - C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415, 3430; BGH, Urteil vom 4. März 2013 - NotZ (Brfg) 9/12, BGHZ 196, 271, 283). Davon darf das innerstaatliche Gericht ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (EuGH, aaO, 3430; BGH, Urteil vom 4. März 2013 - NotZ (Brfg) 9/12, aaO, S. 283).
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So liegt der Fall hier. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Art. 5, 21 Abs. 2 und Art. 23 EuVTVO sowie des vom Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 18 dokumentierten Willens besteht kein Zweifel daran, dass ein Europäischer Vollstreckungstitel nicht im Vollstreckungsstaat auf einen ordre public-Verstoß überprüft werden kann. Dass dies auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten ebenso eindeutig ist, belegt beispielhaft die inhaltlich gleichlautende Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes vom 22. Februar 2007 (IPRax 2008, 440, 443 m. Anm. Bittmann, IPRax 2008, 445).
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Kniffka Safari Chabestari Eick
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Kartzke Graßnack
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Referenzen
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- ZPO § 766 Erinnerung gegen Art und Weise der Zwangsvollstreckung 2x
- §§ 1079 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- 5 VO (EG) 805/20 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 1084 Anträge nach den Artikeln 21 und 23 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 4x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x