Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Strafsenat) - 2 ARs 348/16

Tenor

Die Vollstreckung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 19. April 2012 obliegt dem Jugendrichter beim Amtsgericht Wuppertal.

Gründe

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1. Der am 31. Dezember 1991 geborene Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 24. Februar 2011 wegen eigenmächtiger Abwesenheit in zwei tatmehrheitlichen Fällen verwarnt, die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Am 12. Juli 2011 verurteilte das Amtsgericht Kempten den Verurteilten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, wobei es von der Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Sonthofen vom 24. Februar 2011 absah. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils verbüßte der Verurteilte die Jugendstrafe seit dem 14. Oktober 2011 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg; am 14. November 2011 wurde er in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf verlegt.

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Durch Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 19. April 2012 wurde der Verurteilte wegen der im Urteil vom 24. Februar 2011 festgestellten eigenmächtigen Abwesenheit in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Kempten vom 12. Juli 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die er weiterhin in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf verbüßte. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Wuppertal beschloss am 24. Oktober 2012, den Rest der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen und übertrug im Hinblick auf die Auflage, den Wohnsitz in Bonn zu nehmen, die Vollstreckungsleitung an das dortige Amtsgericht. Am 2. November 2012 wurde der Verurteilte aus der Haft entlassen und verzog in der Folge nach Wilhelmshaven. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2014 übernahm das Amtsgericht Sonthofen wieder die „nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung [...] beziehen“, und die „weitere Vollstreckung“ und übertrug sie zugleich dem Amtsgericht Wilhelmshaven, das die Bewährungsaufsicht mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 übernahm. Der vom Amtsgericht Wilhelmshaven bestellte Bewährungshelfer versuchte mehrfach erfolglos, den Verurteilten zu erreichen; an diesen gerichtete Schreiben kamen als unzustellbar zurück. Die Staatsanwaltschaft Kempten beantragte mit Verfügung vom 6. August 2015, die Bewährung zu widerrufen und den Bewährungsbeschluss öffentlich zuzustellen. In der Folge wurde eine Meldeanschrift des Verurteilten in Lennestadt ermittelt. Daraufhin übersandte das Amtsgericht Wilhelmshaven mit Verfügung vom 26. August 2015 die Akten dem Amtsgericht Wuppertal mit der Bitte um Rückübernahme und Abgabe an das Amtsgericht Lennestadt. Mit Beschluss vom 8. September 2015 übertrug das Amtsgericht Wuppertal „die weiteren, die Strafaussetzung zur Bewährung betreffenden Entscheidungen gemäß §§ 462a Abs. 2 Satz 2, 453 Abs. 1 StPO“ an das Amtsgericht Lennestadt. Dieses übernahm „die Bewährungsaufsicht“ mit Verfügung vom 15. September 2015. Nachdem Versuche des vom Amtsgericht Lennestadt bestellten Bewährungshelfers, mit dem Verurteilten Kontakt aufzunehmen, erfolglos geblieben waren, wurde festgestellt, dass dieser sich vier Wochen lang bei seinem Bruder in Lennestadt aufgehalten hatte und dann in das ebenfalls zum Bezirk des Amtsgerichts Lennestadt gehörende Finnentrop umgezogen war. In Finnentrop meldete sich der Verurteilte aber zu keinem Zeitpunkt an. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 14. Dezember 2015 widerrief das Amtsgericht Lennestadt die Strafaussetzung zur Bewährung.

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Das Amtsgericht Sonthofen lud den Verurteilten mit Verfügung vom 23. Februar 2016 zum Strafantritt. Das Schreiben konnte jedoch nicht zugestellt werden. Ermittlungen der Polizei in Finnentrop ergaben, dass der Verurteilte sich seit Dezember 2015 dort nicht mehr aufhielt, sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.

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Die Staatsanwaltschaft Kempten und das Amtsgericht Sonthofen halten das Amtsgericht Wuppertal für zuständig, das Amtsgericht Wuppertal hingegen das Amtsgericht Lennestadt. Mit Verfügung vom 25. August 2016 hat das Amtsgericht Lennestadt die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des für die weitere Vollstreckung zuständigen Gerichts vorgelegt.

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2. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht nach § 14 StPO, § 2 Abs. 2 JGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, weil die Amtsgerichte Sonthofen, Wuppertal und Lennestadt im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte (OLG München, OLG Düsseldorf und OLG Hamm) liegen.

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3. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Wuppertal als Vollstreckungsleiter nach § 85 Abs. 2 JGG ist verpflichtet, die Vollstreckungsleitung zurückzunehmen.

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a) Mit der Aufnahme des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal ging die zunächst gemäß §§ 82 Abs. 1, 84 Abs. 1 JGG beim Amtsgericht Sonthofen als Gericht des ersten Rechtszugs liegende Vollstreckungszuständigkeit nach § 85 Abs. 2 JGG kraft Gesetzes auf den Jugendrichter beim Amtsgericht Wuppertal über. Trotz der weiteren Übertragungen der Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 5 JGG blieb der Vollstreckungsleiter nach § 85 Abs. 2 JGG „Herr des Verfahrens“, denn die Abgabe nach § 85 Abs. 5 JGG ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung stets widerruflich (Senat, Beschluss vom 23. März 2005 - 2 ARs 85/05, NStZ 2005, 644 mwN). Daraus folgt, dass der Vollstreckungsleiter gemäß § 85 Abs. 2 JGG das Recht, aber auch die Pflicht behält, bei Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung nachzuprüfen und, wenn erforderlich, die Übertragung rückgängig zu machen und ein anderes Gericht mit den weiteren Aufgaben zu betrauen. Die Verpflichtung des Vollstreckungsleiters nach § 85 Abs. 2 JGG, bei einer Änderung der Umstände tätig zu werden, ist auch deshalb sachgerecht, weil der gemäß § 85 Abs. 5 JGG mit der Vollstreckungsleitung beauftragte Jugendrichter die Sache nicht weitergeben darf (Senat aaO). Diese durch § 85 Abs. 2 JGG begründete Zuständigkeit bleibt daher auch dann bestehen, wenn - wie hier mit dem Amtsgericht Lennestadt - ein örtlich unzuständiges Gericht zwischenzeitlich eine die Strafvollstreckung betreffende Entscheidung getroffen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Dezember 1977 - 2 ARs 415/77, BGHSt 27, 329, 332).

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b) Für eine Verpflichtung des Jugendrichters beim Amtsgericht Wuppertal, die Vollstreckungsleitung zurückzunehmen, sprechen im konkreten Fall praktische Gesichtspunkte. Die Übertragung der Vollstreckungsleitung an das Amtsgericht Lennestadt durch Beschluss vom 8. September 2015 war zwar zum damaligen Zeitpunkt nach § 85 Abs. 5 JGG unter dem Gesichtspunkt der Wohnortnähe gerechtfertigt und sachlich geboten. Dadurch, dass sich der Verurteilte seit Dezember 2015 nicht mehr im Bezirk des Amtsgerichts Lennestadt aufhält und unbekannten Aufenthalts ist, ist jedoch der wichtige Grund für die Übertragung der Vollstreckungsleitung wieder entfallen. Im Falle der Verhaftung des Verurteilten wäre unter dem Gesichtspunkt der Vollzugsnähe eine Übertragung der Vollstreckungsleitung an das Amtsgericht geboten, in dessen Bezirk die aufnehmende Justizvollzugsanstalt liegt. Diese könnte nur der Jugendrichter beim Amtsgericht Wuppertal vornehmen, dem Jugendrichter beim Amtsgericht Lennestadt wäre sie im Hinblick auf die ihm nur über § 85 Abs. 5 JGG begründete Zuständigkeit untersagt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 2 ARs 259/02, NStZ-RR 2003, 29). Auch zu einer Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft nach § 85 Abs. 6 JGG wäre der Jugendrichter beim Amtsgericht Lennestadt nicht befugt.

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