Beschluss vom Bundessozialgericht (12. Senat) - B 12 KR 92/10 B

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 2. gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. September 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger der Sache nach gegen die Feststellung der beklagten Krankenkasse, dass er in seiner Tätigkeit für die beigeladene B. GmbH (Beigeladene zu 1.) über den 30.6.2001 hinaus sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Gegen das für ihn negative Urteil des SG hatte der Kläger Berufung eingelegt.

2

Nach Übersendung der Berufungsschrift erklärte sich der beigeladene Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 2.) mit Schreiben an das LSG vom 10.6.2010 mit einer Berufungsentscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (vgl § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 SGG). Unter dem 14.6.2010 verfügte der Berichterstatter des 1. Senats des LSG, dem diese Aufgabe (vgl § 106 Abs 3 Nr 7 SGG) zuvor nach § 155 Abs 1 SGG übertragen worden war, die Ladung aller Beteiligten zu einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beweisaufnahme am 8.9.2010. Die Sitzung am 8.9.2010 wurde durch den Berichterstatter in Abwesenheit ua der Beigeladenen zu 2. durchgeführt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärten sich die (erschienenen) Beteiligten im Termin mit einer "Entscheidung des Senats durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung als Einzelrichter" (vgl § 124 Abs 2 iVm § 155 Abs 1 SGG und § 155 Abs 3, 4 SGG) einverstanden. Am 13.9.2010 wurde die Sitzungsniederschrift an alle Beteiligten versandt. Mit Urteil vom 14.9.2010 gab der 1. Senat des LSG der Berufung des Klägers durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung statt und berief sich insoweit darauf, dass sich "die Beteiligten" zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt hätten.

3

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Beigeladene zu 2. als Verfahrensfehler, dass über die Berufung durch den Berichterstatter entschieden worden sei, ohne dass die in § 155 Abs 3, 4 SGG genannten Voraussetzungen vorgelegen hätten.

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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Beigeladene zu 2. macht zu Recht einen Verfahrensmangel geltend, auf dem das angefochtene Urteil auch beruht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG hat gegen das Recht der Beigeladenen zu 2. auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) verstoßen, weil es am 14.9.2010 über die Berufung allein durch den Berichterstatter entschieden hat, obwohl der 1. Senat des LSG in voller Besetzung - also mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl § 33 Satz 1 SGG) - hätte tätig werden müssen.

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Bei Urteilen mit und ohne mündliche Verhandlung entscheidet über das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich der mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Senat (vgl § 33 Satz 1 SGG). Nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen des § 155 Abs 3 und Abs 4 SGG, dh im Einverständnis der - genauer aller (vgl Bernsdorff in Hennig, SGG, § 155 RdNr 56; Lüdtke in Lüdtke, SGG-HK, 3. Aufl 2008, § 155 RdNr 13) - Beteiligten, zu denen auch die Beigeladenen gehören (vgl § 69 Nr 3 SGG), kann statt seiner der Vorsitzende oder der Berichterstatter allein entscheiden. Die Frage, ob das LSG durch den Senat in voller Besetzung oder durch einen Berufsrichter allein befinden darf, berührt das von Verfassungs wegen (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter in seiner einfach-rechtlichen Ausprägung (vgl BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 14 mwN).

6

Eine Prozesserklärung der Beigeladenen zu 2., die erkennen ließ, dass der Berichterstatter des 1. Senats des LSG anstelle des Senats in voller Besetzung entscheiden durfte, liegt nicht vor. Weil sie im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie zur Beweisaufnahme am 8.9.2010 nicht anwesend war, konnte die Beigeladene zu 2. dort eine solche nicht abgegeben haben. Eine entsprechende Einverständniserklärung ist auch weder vorher noch später erfolgt. Wegen der weitreichenden Folgen dieser Erklärung, die den Verzicht auf eine Berufungsentscheidung in voller Senatsbesetzung enthält, kann eine solche darüber hinaus nicht - im Wege der Auslegung - der am 10.6.2010 von der Beigeladenen zu 2. abgegebenen Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entnommen oder in einem Schweigen der Beigeladenen zu 2. auf das am 13.9.2010 übersandte Sitzungsprotokoll vom 8.9.2010 gesehen werden.

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Die in der Entscheidung allein durch den Berichterstatter liegende Verletzung des Rechts der Beigeladenen zu 2. auf den gesetzlichen Richter, auf deren Rüge als Verfahrensmangel auch nicht verzichtet werden kann, ist ein absoluter Revisionsgrund (vgl BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 24). Näherer Darlegungen dazu, inwiefern das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann, sind daher nicht erforderlich. Im Übrigen würden die hierzu von der Beigeladenen zu 2. vorsorglich gemachten Ausführungen den Begründungsanforderungen auch genügen.

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Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen. Hiervon macht der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen Gebrauch.

9

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

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