Urteil vom Bundessozialgericht (3. Senat) - B 3 KR 33/12 R

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 18. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5316,57 Euro festgesetzt.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob zwei stationäre Krankenhausbehandlungen im Wege der Fallzusammenführung mit nur einer Fallpauschale abzurechnen sind.

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In dem von der klagenden Gesellschaft betriebenen Krankenhaus wurde der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patient A. (Versicherter) zweimal wegen seines Prostataleidens stationär behandelt. Während seines ersten Aufenthalts (4. bis 6.5.2006) mit der Aufnahmediagnose "Prostatahyperplasie mit Harnstauungsniere" wurde ein Harnblasendauerkatheter gelegt. Bei seiner Entlassung erhielt er einen Wiederaufnahmetermin für den 6.6.2006 zur transurethralen Prostataresektion, die dann auch am 7.6.2006 durchgeführt wurde. Nach komplikationslosem Heilungsverlauf wurde der Versicherte am 12.6.2006 nach Hause entlassen. Das Krankenhaus kodierte für beide stationären Aufenthalte die Prostatahyperplasie ICD-10 N40 als Hauptdiagnose und rechnete für den ersten Aufenthalt die Diagnosis Related Group (DRG) M61Z (benigne Prostatahyperplasie) mit einer Vergütung von 1437,81 Euro (Rechnung vom 15.5.2006) sowie für den zweiten Aufenthalt die DRG M02Z (transurethrale Prostataresektion) mit einem Entgelt von 3908,27 Euro (Rechnung vom 15.6.2006) ab. Die Beklagte beglich beide Rechnungen zunächst in voller Höhe unter Abzug von insgesamt 29,51 Euro als Kostenbeitrag für die integrierte Versorgung, beauftragte aber noch im Juli 2006 den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit einer gutachtlichen Stellungnahme zur Frage, ob eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2006 in Betracht komme. Der SMD bejahte die Notwendigkeit einer Fallzusammenführung, weil die Prostataoperation aus medizinischer Sicht ohne Weiteres innerhalb von 30 Kalendertagen ab der Erstaufnahme hätte erfolgen können; die Wiederaufnahme erst am 33. Kalendertag (6.6.2006) statt noch am 30. Kalendertag (3.6.2006) sei medizinisch nicht geboten gewesen und verstoße daher gegen das Gebot wirtschaftlicher Leistungserbringung (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 S 2 SGB V). Die Beklagte rechnete daraufhin am 15.11.2006 mit einem Erstattungsanspruch in Höhe des tatsächlich gezahlten Gesamtbetrages von 5316,57 Euro gegen unstreitige Vergütungsansprüche der Klägerin aus späteren Behandlungsfällen auf.

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Die Klägerin hält die Aufrechnung für unwirksam, weil der Erstattungsanspruch nicht bestehe. Sie macht geltend, eine Harnableitung mittels eines permanent offenen Dauerkatheters sei bei dem 80 Jahre alten multimorbiden Versicherten erforderlich gewesen. Abhängig vom Stauungsgrad und der Dilatation müsse diese Urinableitung regelmäßig 6 bis 8 Wochen lang durchgeführt werden, ehe die Prostatahyperplasie ohne Gefahr weitreichender Komplikationen operativ angegangen werden könne. Hier sei der Versicherte bereits nach rund 5 Wochen erneut aufgenommen und operiert worden; diese Wartezeit sei aus fachurologischer Sicht zwingend notwendig gewesen. Unabhängig davon scheide eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 FPV 2006 aber auch deshalb aus, weil die Vorschrift nach ihrem Wortlaut eine Fallzusammenführung nur vorsehe, wenn die Wiederaufnahme binnen 30 Kalendertagen ab der Erstaufnahme tatsächlich erfolgt sei, nicht aber schon dann, wenn die Wiederaufnahme innerhalb dieser Frist lediglich hätte erfolgen können, tatsächlich aber erst später stattgefunden habe.

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Das SG hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5316,57 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 15.11.2006 zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 26.11.2009). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, nachdem die Klage wegen des Zinsanspruchs für den 15.11.2006 zurückgenommen worden war (Urteil vom 18.4.2012): Eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 FPV 2006 scheide aus, weil die Wiederaufnahme des Versicherten nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab der Erstaufnahme erfolgt sei. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Fälle, in denen die Wiederaufnahme innerhalb dieser Frist hätte erfolgen können, sei nach dem Grundsatz der wortgetreuen Auslegung vertraglicher Abrechnungsregelungen ausgeschlossen. Dem stehe auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V entgegen; ein Krankenhaus sei nicht verpflichtet, allein deswegen die für die Krankenkasse preisgünstigste Art der Durchführung einer Behandlung zu wählen. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme sei nicht ersichtlich, weil sich das Krankenhaus im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Abrechnungsbestimmungen bewegt habe. Ob etwas anderes gelte, wenn die Wiederaufnahme innerhalb der 30-Tage-Frist aus medizinischen Gründen an sich geboten gewesen wäre, könne offenbleiben, weil ein solcher Sachverhalt nicht vorliege.

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Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Auch bei der Auslegung der FPV seien die Vorschriften über die Pflicht zur wirtschaftlichen Leistungserbringung (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 S 2 SGB V) zu beachten. Das berechtigte Bedürfnis nach Rechtssicherheit bei der Auslegung und Anwendung von Abrechnungsvorschriften dürfe nicht dazu führen, dass die 30-Tage-Frist faktisch zur Disposition des Krankenhauses gestellt werde. Es sei unwirtschaftlich, einen Patienten drei Tage nach Ablauf dieser Frist wieder aufzunehmen, wenn dies ebenso gut noch innerhalb der Frist hätte geschehen können.

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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 18.4.2012 und den Gerichtsbescheid des SG für das Saarland vom 26.11.2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Aufrechnung vom 15.11.2006 ist unwirksam, weil der Beklagten der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zusteht. Eine Zusammenführung der beiden stationären Behandlungen des Versicherten zu einem "Behandlungsfall" scheidet aus.

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1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Streitgegenstand ist der Anspruch eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse auf Zahlung der Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung eines Versicherten in Höhe von insgesamt 5316,57 Euro. Diesen Anspruch macht die Klägerin zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2; BSGE 86, 166, 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 10; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12; BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 4; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 10). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

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2. In der Sache streiten die Beteiligten allerdings nur um die Wirksamkeit der von der Beklagten am 15.11.2006 erklärten Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 5316,57 Euro. Die mit der erhobenen Leistungsklage verfolgten Vergütungsansprüche der Klägerin aus späteren Krankenhausbehandlungen von Versicherten der Beklagten sind demgegenüber unstreitig. Zwar hat das LSG weder ausdrücklich noch konkludent festgestellt, welche Vergütungsansprüche die Klägerin aufgrund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht. Die Beteiligten haben aber übereinstimmend als selbstverständlich vorausgesetzt, dass der Klägerin gegen die Beklagte - ohne Berücksichtigung der streitigen Zahlungsforderung - laufende Ansprüche aus Anlass der Krankenhausbehandlung von Versicherten in Höhe von weiteren 5316,57 Euro erwachsen sind. Da die Beklagte sich gegenüber der Klage ausschließlich im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Klageforderung selbst außer Streit (stRspr, vgl zB BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 6).

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Diese Klageforderung ist begründet. Der Beklagten steht kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch über 5316,57 Euro zu; denn in dieser Höhe hat sie die beiden stationären Behandlungen des Versicherten im Mai und Juni 2006 mit Rechtsgrund vergütet, weil der Klägerin insoweit ein Entgeltanspruch über insgesamt 5316,57 Euro zustand (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten vgl schon BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 8 f).

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3. Rechtsgrundlage für die Vergütungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte für stationäre Krankenhausleistungen aus dem Jahr 2006 ist § 109 Abs 4 S 3 SGB V (hier idF durch Art 1 Nr 3 des Fallpauschalengesetzes vom 23.4.2002, BGBl I 1412) iVm § 7 S 1 Nr 1 und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG; jeweils idF durch Art 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften - Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz <2. FPÄndG> vom 15.12.2004, BGBl I 3429) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG, idF durch Art 1 Nr 4 2. FPÄndG) iVm der Anlage 1 Teil a) des Fallpauschalen-Katalogs der G-DRG-Version 2006 sowie dem zwischen der Saarländischen Krankenhausgesellschaft eV und den Krankenkassen bzw deren Verbänden geschlossenen Vertrag nach § 112 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB V - Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung - idF des Schiedsspruchs vom 25.11.1996 (KBV) und der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2006. Die Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 2 Abs 2 FPV 2006. Hiernach durfte die Klägerin die zwei stationären Behandlungen des Versicherten getrennt mit Einzelvergütungen von 1429,20 Euro und 3887,37 Euro, also mit einer Gesamtvergütung in Höhe von 5316,57 Euro, abrechnen.

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4. Rechtsgrundlage für die von einer Krankenkasse erklärte Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zur Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm §§ 387 ff BGB (vgl BSGE 107, 78 = SozR 4-2500 § 140d Nr 2; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG SozR 4-5565 § 14 Nr 8; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2). Auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§ 51, 52 SGB I über die Aufrechnung gegen Sozialleistungsansprüche besteht im Sozialrecht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung, auf welche die §§ 387 ff BGB entsprechend anzuwenden sind, entgegenzutreten (BSGE 75, 283, 284 ff = SozR 3-2400 § 28 Nr 2; BSGE 63, 224, 230 f = SozR 1300 § 48 Nr 47). Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw erfüllbare Forderungen gegenüberstehen, wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen lediglich erfüllbar zu sein braucht (Grüneberg in: Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 387 RdNr 11 f). Außerdem darf entsprechend § 390 BGB die Gegenforderung nicht einredebehaftet sein. Diese Aufrechnungsvorraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil der zur Aufrechnung gestellte Erstattungsanspruch der Beklagten nicht bestand. Die Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 FPV 2006 war hier ausgeschlossen.

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5. Das Krankenhaus hat auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen einen Vergütungsanspruch gegen eine Krankenkasse nur für eine "erforderliche" Krankenhausbehandlung. Die Vergütung stellt die Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht zugelassener Krankenhäuser dar, die Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten im Rahmen des jeweiligen Versorgungsvertrags (§ 109 SGB V) zu leisten. Die Leistung des Krankenhauses dient der Erfüllung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten (§ 2 Abs 2 S 1 SGB V) gegen die Krankenkasse. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht dabei - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich ist (BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12; stRspr). Im vorliegenden Fall steht die medizinische Notwendigkeit der beiden stationären Behandlungen und auch die jeweilige Dauer von zwei bzw sechs Belegungstagen nicht im Streit.

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6. Maßgebend für die Höhe des Vergütungsanspruchs ist innerhalb des hier maßgeblichen DRG-Systems der Fallpauschalenkatalog. Danach hat die Klägerin zu Recht für die erste stationäre Behandlung des Versicherten die DRG M61Z und für die zweite stationäre Behandlung die DRG M02Z in Ansatz gebracht. Dies wird von der Beklagten auch nicht angegriffen. Ebenso erhebt sie auch keine Einwendungen gegen die Höhe des Vergütungsanspruchs, die sich bei getrennter Abrechnung beider Behandlungen auf insgesamt 5316,57 Euro beläuft. Sie ist vielmehr der Auffassung, dass nach der FPV 2006 iVm dem Gebot des SGB V zur wirtschaftlichen Leistungserbringung eine Zusammenführung beider Behandlungsfälle zu einem Behandlungsfall hätte erfolgen müssen. Dies trifft jedoch nicht zu.

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a) Die insoweit maßgebende Vorschrift des - in seinem Wortlaut bis heute unverändert gebliebenen - § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 lautet: Eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale ist auch dann vorzunehmen, wenn
1. ein Patient oder eine Patientin innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Krankenhausaufenthalts wieder aufgenommen wird und
2. innerhalb der gleichen Hauptdiagnosegruppe (MDC) die zuvor abrechenbare Fallpauschale in die "medizinische Partition" oder die "andere Partition" und die anschließende Fallpauschale in die "operative Partition" einzugruppieren ist.

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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar erfüllen die beiden stationären Behandlungen des Versicherten wegen seines Prostataleidens die sachlichen Voraussetzungen der Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 S 1 Nr 2 FPV 2006, nicht aber die zeitlichen Voraussetzungen der Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 FPV 2006. Der Versicherte wurde nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Aufnahmedatum des ersten Krankenhausaufenthalts wieder aufgenommen. Zwischen der Erstaufnahme am 4.5.2006 und der Wiederaufnahme am 6.6.2006 lagen 33 Kalendertage. Der reine Wortlaut des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 schließt die Fallzusammenführung also aus; dies stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.

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b) Die Beklagte befürwortet indes eine entsprechende Anwendung des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006, weil - aus ihrer Sicht - der Versicherte bereits innerhalb der 30-Tage-Frist, also spätestens am 3.6.2006, zur vorgesehenen Prostataoperation hätte wieder aufgenommen werden können. Eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift kommt jedoch nicht in Betracht. Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, um Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden; denn nur so sind sie für die routinemäßige Anwendung im Massengeschäft der Abrechnung der zahlreichen Behandlungsfälle handhabbar (vgl allgemein zur Funktion von Vergütungsregelungen BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11, RdNr 18; BSGE 111, 200 = SozR 4-5562 § 8 Nr 4, RdNr 24). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18 mwN).

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Die Regelung des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 ist so angelegt, dass über die Fallzusammenführung anhand von DRG-Nummern und Partitionen sowie von konkreten Fristen entschieden wird. Nur so können die Entscheidungen im Massengeschäft der Abrechnung durch die EDV getroffen werden. Beurteilungsspielräume der Betroffenen und somit Streit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern sollen auf diese Weise vermieden werden (Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, 2. Aufl 2010, Ziffer 6.4.1, S 149). Dieses Ziel würde konterkariert, wenn jeweils im Einzelfall geprüft werden müsste, ob eine zweite außerhalb der 30-Tages-Frist liegende stationäre Behandlung schon früher hätte begonnen werden können, so dass sie innerhalb dieser Frist liegen würde. Den Vertragsparteien steht es vielmehr frei, im Zuge der jährlichen Überarbeitung der FPV die Frist des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 zB auf 40 Tage zu verlängern oder sogar ganz zu streichen. Außerdem könnten sie auch eine speziell auf die mehrphasige stationäre Behandlung von Prostataerkrankungen zugeschnittene Regelung zur Fallzusammenführung aushandeln.

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c) Der Charakter des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 als vertragliche Vergütungsvorschrift schließt es auch aus, eine Fallzusammenführung nach dieser Regelung auch dann zu erwägen, wenn - wie hier - allein ein die Behandlung prägender sachlicher Zusammenhang zwischen der ersten und zweiten Behandlungsphase iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 2 FPV 2006 besteht, die Zeitgrenze des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 FPV 2006 aber überschritten ist. Die Fallzusammenführung beider Behandlungsphasen zu einem einzigen Behandlungsfall im Sinne eines zusammenhängend behandelten Krankheitsfalls haben die Vertragsparteien bewusst an die Kombination aus einem prägenden sachlichen Zusammenhang und einem Zeitmoment geknüpft, wobei beide Elemente kumulativ vorliegen müssen. Soll der prägende sachliche Zusammenhang allein für die Fallzusammenführung ausreichen, bedarf es einer entsprechenden Änderungsvereinbarung zur FPV durch die Vertragsparteien; eine in dieser Weise einschränkende Auslegung und Anwendung des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 ohne vertragliche Änderung der Vorschrift ist ausgeschlossen. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Auslegung gesetzlicher Vergütungsvorschriften. So hat zB der 1. Senat des BSG zur Abrechnungsregelung des § 8 Abs 2 S 3 Nr 3 KHEntgG entschieden (Urteil vom 17.9.2013 - B 1 KR 2/12 R -, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), dass eine vorstationäre Behandlung neben der Fallpauschale für eine anschließende voll- oder teilstationäre Behandlung immer dann nicht abrechenbar ist, wenn jeweils sowohl die vorstationäre als auch die voll- oder teilstationäre Behandlung wegen ihres prägenden sachlichen Zusammenhangs übergreifend einen einzigen Behandlungsfall im Sinne eines zusammenhängend behandelten Krankheitsfalles betrifft; nicht entscheidend sei hingegen, ob bei der vorstationären Behandlung die Zeitgrenzen des § 115a Abs 2 S 1 SGB V ("Die vorstationäre Behandlung ist auf längstens drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung begrenzt.") gewahrt oder überschritten sind (BSG, aaO, RdNr 22). Ob dieser Entscheidung des 1. Senats zu folgen ist (und eine der Sache nach ambulante Behandlung auch dann "vorstationär" genannt und als in die Zuständigkeit der Krankenhäuser fallend bezeichnet werden kann, wenn die Zeitgrenzen des § 115a Abs 2 S 1 SGB V überschritten sind), lässt der erkennende Senat offen; maßgeblich ist, dass diese Entscheidung auf die Auslegung einer vertraglichen Vergütungsvorschrift wie § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 nicht übertragbar ist.

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d) Dem Ausschluss der analogen Anwendung des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006 steht auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 S 2 SGB V) entgegen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot allein verpflichtet ein Krankenhaus nicht dazu, die für die Krankenkasse finanziell günstigste Art der Durchführung einer Behandlung zu wählen. Es begründet keine Fürsorgepflicht des Krankenhauses für die sparsame Mittelverwendung des Vertragspartners. Der Gesetzgeber hat zur Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten (§ 2 Abs 2 S 1 SGB V) vorgesehen, dass sich die Krankenkassen der verschiedenen Leistungserbringer bedienen, mit denen sie über Art und Umfang der Leistungen sowie deren Vergütung Verträge abschließen. Dem Vertragsmodell liegt die Vorstellung zu Grunde, dass jede Seite ihre Interessen zu wahren sucht, der Einigungsdruck aber zu einem angemessenen Interessenausgleich führt. Die sich aus der auf Dauer angelegten intensiven Vertragsbeziehung zwischen einem Leistungserbringer und einer Krankenkasse ergebenden gegenseitigen Treue- und Rücksichtnahmepflichten (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 241 Abs 2 BGB und § 242 BGB) gehen nicht so weit, dass vertraglich eingeräumte Vergütungsansprüche nicht voll ausgeschöpft werden dürfen. Treue- und Rücksichtnahmepflichten aus Vertragsverhältnissen wirken sich regelmäßig lediglich auf vertragliche Nebenpflichten aus, die nicht ausdrücklich geregelt sind. Eindeutig vereinbarte Vergütungsansprüche können dadurch nicht eingeschränkt werden. Hier kann von den Krankenkassen erwartet werden, dass sie ihren Auftrag zur sparsamen Mittelverwendung in vollem Umfang eigenverantwortlich wahrnehmen und durch entsprechende Vertragsgestaltung - soweit ein Konsens zu erzielen ist - auch umsetzen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet ein Krankenhaus lediglich, innerhalb der gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben wirtschaftlich zu handeln, nicht aber, darüber hinaus - gegen eigene Interessen - weitere Vorgaben aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten aufzustellen; es muss also nur die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einsetzen und die vertraglichen und gesetzlichen Voraussetzungen einhalten. Dem ist die Klägerin hier nachgekommen. Der Versicherte hatte einen Anspruch nach § 39 SGB V auf zweimalige stationäre Krankenhausbehandlung, wobei kein Anspruch bestand, die zweite Krankenhausbehandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt, hier innerhalb der 30-Tage-Frist des § 2 Abs 2 S 1 FPV 2006, zu erhalten. Die Krankenhausbehandlung war auch, wie bereits ausgeführt, medizinisch erforderlich, was insbesondere auch für die zweite Krankenhausbehandlung gilt. Selbst wenn die Wiederaufnahme aus medizinischem Blickwinkel möglicherweise schon einige Tage früher hätte stattfinden können, was hier offenbleiben kann, ändert dies nichts daran, dass die zweite Behandlung für sich genommen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich war und damit dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprach.

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e) Der erkennende Senat muss an dieser Stelle nicht entscheiden, wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn eine Wiederaufnahme innerhalb der 30-Tage-Frist aus medizinischen Gründen notwendig, die Wiederaufnahme nach erst 33 Kalendertagen also fehlerhaft gewesen wäre. Ein solcher Sachverhalt liegt nach den Feststellungen des LSG nicht vor; er wird von der Beklagten und dem SMD auch nicht behauptet. Ebenso kann die Frage offenbleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Krankenhaus solch lange Zwischenfristen systematisch ausnutzen würde, um Fallzusammenführungen zwecks Gewinnoptimierung zu umgehen. Auch dafür gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Die Überschreitung der 30-Tage-Frist um drei Tage war auch sachlich nicht zu beanstanden. Zur Wahrung dieser Frist hätte der Versicherte spätestens am 3.6.2006 (Samstag) wieder aufgenommen werden müssen. Da aber an Wochenenden aus guten Gründen nur Notfälle in ein Krankenhaus aufgenommen werden, wäre realistischerweise nur der 2.6.2006 (Freitag) als letzter Wiederaufnahmetag in Betracht gekommen, weil sich der Versicherte nicht in einer Notfallsituation befand, sondern es um einen geplanten Eingriff ging. Da solche geplanten Eingriffe regelmäßig aber nur alltags durchgeführt werden, wäre der Versicherte voraussichtlich nicht vor dem 6.6.2006 (Dienstag), dem Tag der tatsächlichen Wiederaufnahme, operiert worden, weil der Zeitraum vom 3.6.2006 (Samstag) bis zum 5.6.2006 (Pfingstmontag) hierfür nicht zur Verfügung stand. Eine Wiederaufnahme am 2.6.2006 hätte also nur die Verweildauer des Versicherten unnötig verlängert und dem Krankenhaus zusätzliche Kosten verursacht.

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7. Der Zinsanspruch beruht auf § 14 Abs 5 KBV.

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8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 GKG.

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