Beschluss vom Bundessozialgericht (9. Senat) - B 9 V 12/15 B

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Die Klägerin ist die Tochter und Rechtsnachfolgerin des 1901 geborenen und 1987 verstorbenen S. L. (im Folgenden: Beschädigter). Sie begehrt weitere Geldleistungen aus der Beschädigtenversorgung ihres verstorbenen Vaters in Höhe von mindestens 237 000 Euro für die Zeit vom 1.1.1973 bis 31.12.1981. Das seit 1988 andauernde Gerichtsverfahren wird von Beginn an maßgeblich von ihrem Sohn, Herrn E., als Prozessbevollmächtigten betrieben, dem die Klägerin vorübergehend auch ihre Ansprüche abgetreten hatte.

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Der Beschädigte wurde nach englischer Kriegsgefangenschaft 1946 von der sowjetischen Besatzungsmacht interniert, später in den sogenannten Waldheimprozessen zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, und erst am 28.4.1956 aus der Strafvollzugsanstalt B. entlassen. Das beklagte Land Berlin hat beim Beschädigten deshalb gemäß §§ 1, 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Folge von Kriegsgefangenschaft und Internierung als Schädigungsfolge einen "Nährstoffmangelschaden nach langjähriger Inhaftierung" anerkannt und Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 % gewährt (Bescheid vom 8.1.1957). Mit Bescheid vom 14.4.1959 wurde die Schädigungsfolge als "Herzmuskelschaden" bezeichnet und die MdE auf 30 % herabgesetzt. Die beginnende Verhärtung der Hauptkörperschlagader sei konstitutionell bedingt und stehe mit der Inhaftierung in keinem Zusammenhang. Ein nach einem Herzinfarkt gestellter Rentenerhöhungsantrag des Beschädigten wurde durch Bescheid vom 24.3.1961 mit der Maßgabe abgelehnt, dass die Schädigungsfolge "Herzmuskelschaden nach Dystrophie" neu gefasst wurde. Im Januar 1973 erlitt der Beschädigte einen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung, der unter anderem zu einer Sprachstörung führte.

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Am 20.10.1986 stellte die Klägerin für den Beschädigten einen Formularantrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) unter Hinweis auf seit Feststellung des Herzmuskelschadens nach dem HHG eingetretene Herzinfarkte. Der Antrag führte ua zur Feststellung eines Grads der Behinderung von 100 sowie der Merkzeichen "B", "aG", "H" und "RF" (Bescheid vom 24.11.1986); zugleich war er als auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und damit auf höhere Versorgungsleistungen gerichtet auszulegen (BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 4).

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Nach dem Tode des Beschädigten am 1.12.1987 beantragte seine Witwe am 7.12.1987 formlos "Leistungen irgendwelcher Art aufgrund der … Rente des Verstorbenen". Die daraufhin gestellten Formularanträge auf Leistungen an Hinterbliebene hatten nur teilweise Erfolg. Die Witwe hat hiergegen am 4.9.1988 Klage aus eigenem Recht erhoben. Während des anschließenden Klageverfahrens (S 48 VH 114/88) machte sie mit Schreiben vom 4.10.1990 an das beklagte Land geltend, schon der Erstbescheid vom 8.1.1957 und die daran anschließenden Folgebescheide seien fehlerhaft, weil sie die damals festgestellte Arteriosklerose nicht als Schädigungsfolge anerkannt hätten. Am 3.8.1993 erhob sie deshalb auch Klage auf höhere Leistungen der Beschädigtenversorgung nach ihrem Ehemann unter Aufhebung des Bescheides vom 24.3.1961 (S 45 VH 180/93). Dieses Verfahren wurde mit dem bereits anhängigen verbunden. Unter dem 5.8.1993 trat die Witwe des Beschädigten ihre Versorgungsansprüche an ihren Enkel und Prozessbevollmächtigten ab. Im Oktober 1993 rügte sie im Rahmen ihrer Klage auch die Nichtbescheidung ihres Überprüfungsantrages betreffend die Bescheide vom 8.1.1957, 14.4.1959 und 24.3.1961. Nachdem das SG Berlin die Klagen insgesamt abgewiesen hatte (Urteil vom 26.11.1993) und die Klägerin nach dem Tode ihrer Mutter (15.5.1994) als deren Alleinerbin in das Verfahren eingetreten war, lud das LSG Berlin den Enkel des Beschädigten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 5.5.1998 bei und wies die Berufung durch Urteil vom selben Tage zurück.

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Das dagegen von der Klägerin und dem damaligen Beigeladenen angerufene BSG verwies den Rechtsstreit 2000 zum ersten Mal an das LSG zurück, weil dieses dem Vertagungsantrag des Beigeladenen nach der Beiladung erst im Verhandlungstermin zu Unrecht nicht stattgegeben und damit sein rechtliches Gehör verletzt habe (Urteil vom 12.4.2000 - B 9 VH 1/99 R - Juris).

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Im wieder eröffneten Berufungsverfahren lehnte das LSG die geltend gemachten Ansprüche auf Witwenrente, hilfsweise Witwenbeihilfe, sowie - im Wege des Überprüfungsverfahrens - auf höhere Beschädigtenversorgung erneut ab (Urteil vom 15.4.2003 - L 13 VH 7/94 W 00-11). Auf Nichtzulassungsbeschwerde des damaligen Beigeladenen wurde dieses Urteil wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und des Amtsermittlungsgrundsatzes zum zweiten Mal aufgehoben und zurückverwiesen (BSG Beschluss vom 25.3.2004 - B 9 VH 1/03 B).

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Das LSG verurteilte das beklagte Land hierauf, Hinterbliebenenrente für die Zeit vom 1.12.1987 bis zum 31.5.1994 (Todesmonat der Ehefrau des Beschädigten) zu gewähren und die Ausgangsbescheide von 1957 und 1961 über die Feststellung von Schädigungsfolgen zu ändern (Teilurteil vom 29.8.2006 - L 13 VH 7/94 W 04-11). Wie die im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergeben hätten, seien die beim Beschädigten diagnostizierten arteriosklerotischen Gefäßveränderungen Schädigungsfolgen im Sinne des HHG. Auch der durch die Arteriosklerose bedingte Hirninfarkt sei als Schädigungsfolge zu berücksichtigen.

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Das beklagte Land erkannte daraufhin im Wege des Zugunstenbescheids für die Zeit vom 1.1.1986 bis zum 31.12.1987 beim Beschädigten weitere Schädigungsfolgen - darunter Aphasie mit Schreib- und Leseunfähigkeit nach Hirninfarkt - an und stellte eine MdE von 100 % fest (Bescheid vom 14.2.2007). Das von der Klägerin dagegen angerufene LSG verurteilte das beklagte Land zu weiteren Versorgungsleistungen (darunter Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe III) schon ab 1.1.1982. Es wies die Klage aber ab, soweit die Klägerin damit eine noch höhere Schwerstbeschädigtenzulage seit 1980 sowie vor allem weitere Entschädigungsleistungen seit 1973 begehrte. § 48 Abs 4 SGB X iVm § 44 Abs 4 SGB X begrenze die rückwirkende Leistungsgewährung auf vier Jahre (Endurteil vom 26.6.2007 - L 13 VH 7/94 W 04-11).

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Die dagegen erhobene Revision der Klägerin führte 2008 zur dritten (teilweisen) Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG (BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 4). Das BSG gab dem LSG zum einen auf, zur Frage der Gewährung einer höheren Schwerstbeschädigtenzulage (Stufe V statt III) ab 1.1.1982 weiter zu ermitteln, zum anderen wegen der beanspruchten höheren Versorgungsbezüge aufgrund einer Verschlimmerung der 1957 anerkannten Schädigungsfolgen für die Zeit vor 1982. Anders als im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X werde im Verfahren nach § 48 SGB X die zeitliche Begrenzung des § 44 Abs 4 SGB X durch § 60 BVG verdrängt. Allerdings dürfe insoweit nur eine Verschlimmerung der bereits 1957 anerkannten Gesundheitsstörungen (Herzmuskelschaden) und ein Auftreten dadurch bedingter weiterer Gesundheitsstörungen geprüft werden. Der Berücksichtigung der erst nachträglich im Zugunstenwege anerkannten Schädigungsfolgen (arteriosklerotische Gefäßveränderungen) stehe die Sperrwirkung des § 44 Abs 4 SGB X entgegen. Hinsichtlich der für die Zeit vor dem 1.1.1982 nach § 48 SGB X geltend gemachten Ansprüche reichten die Tatsachenfeststellungen des LSG nicht aus, um eine unverschuldete Verhinderung an einer früheren Antragstellung iS des § 60 Abs 2 S 1 Halbs 2 BVG zu bejahen. Da sich der Beschädigte das Verschulden seiner Vertreter zurechnen lassen müsse, wäre es geboten gewesen, auch das Vorliegen einer stillschweigenden Vollmacht bzw einer funktionalen Vertretung zu prüfen. Gegenwärtig bestehe kein Anlass zur Prüfung, ob ein Neufeststellungsanspruch verjährt sei, weil der Beklagte soweit ersichtlich keine Verjährungseinrede erhoben habe.

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Das LSG verurteilte den Beklagten daraufhin zur Gewährung höherer Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V ab 1.6.1987 und wies die Klage im Übrigen, dh hinsichtlich einer höheren Schwerstbeschädigtenzulage sowie vor allem wegen aller Ansprüche für die Zeit vor 1982, ab (Urteil vom 11.3.2010). Der Beschädigte sei nicht an einem rechtzeitigen Leistungsantrag gehindert gewesen, weil ihn seit 1984 stillschweigend seine Ehefrau und funktional seine Tochter (die Klägerin) vertreten hätten.

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Auch dieses Urteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin vom BSG wegen Verfahrensmängeln (Gehörsverstoß und unzureichende Sachaufklärung) aufgehoben und die Sache 2010 erneut - zum vierten Mal - an das LSG zurückverwiesen worden (Beschluss vom 2.12.2010 - B 9 VH 2/10 B - Juris). In Bezug auf die zwischen den Beteiligten noch umstrittene Höhe der seit 1.1.1982 zu zahlenden Schwerstbeschädigtenzulage sei das LSG einem Beweisantrag der Klägerin auf Zeugenvernehmung der seinerzeit behandelnden Ärztin des Beschädigten ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Hinsichtlich der darüber hinaus begehrten Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 1.1.1982 wegen Verschlimmerung anerkannter Schädigungsfolgen stelle die Annahme einer funktionalen Vertretung des Beschädigten durch seine Tochter ohne vorherigen Hinweis an die Klägerin eine Überraschungsentscheidung dar.

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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das LSG die behandelnde Ärztin vernommen und sodann ein schriftliches internistisch-kardiologisches Gutachten des Sachverständigen Dr. B. eingeholt. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 21.1.2015 hat das LSG den Sachverständigen persönlich zu seinem Gutachten angehört. Zudem hat das Gericht mit dem Sohn und Prozessbevollmächtigten der Klägerin erörtert, ob der Beschädigte noch Dritte hätte beauftragen können, einen Versorgungsantrag für ihn zu stellen. Am Ende der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten Sachanträge gestellt. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat hilfsweise ua beantragt, der Klägerin eine Frist von einem Monat für die schriftliche Stellungnahme zu den Aussagen des Sachverständigen zu gewähren.

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Mit Urteil vom selben Tag - das Gegenstand der hier vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde ist - hat das LSG den Beklagten - insoweit antragsgemäß - verurteilt, der Klägerin nach dem Beschädigten für die Zeit vom 1.1.1982 bis zum 31.5.1987 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V zu zahlen und die Klage im Übrigen, dh bezogen auf den davor liegenden Anspruchszeitraum, vollumfänglich abgewiesen (Urteil vom 21.1.2015 - L 13 VH 5/13). Der Antrag 1986 auf Gewährung von Beschädigtenversorgung sei zu spät gestellt worden, um auch Leistungen für die Zeit vor dem 1.1.1982 zu erlangen. Der Beschädigte sei nicht ohne sein Verschulden iS von § 60 Abs 2 S 1 BVG an einer früheren Antragstellung gehindert gewesen. Zwar sei er weder stillschweigend noch funktional vertreten oder selber zur Antragstellung in der Lage gewesen. Er hätte jedoch trotz seiner schweren gesundheitlichen Einschränkungen noch eine andere Person zur Antragstellung beauftragen können. Dies belegten die beiden notariellen Urkunden aus dem Jahr 1986 über die Erteilung einer Generalvollmacht bzw über eine Verfügung von Todes wegen sowie ein Krankenhausentlassungsbericht aus dem Jahr 1980. Unabhängig davon sei ein etwaiger Anspruch auf Gewährung höherer Versorgungsleistungen verjährt, weil der Beklagte inzwischen ermessensfehlerfrei die Verjährungseinrede erhoben habe.

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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 21.1.2015 rügt die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Divergenz sowie Verfahrensfehler. Das LSG habe insbesondere eine Gehörsverletzung begangen, weil es ihr nicht die beantragte Stellungnahmefrist zu den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe. Das LSG habe außerdem mit seiner Annahme, der Beschädigte habe noch andere Personen mit der Antragstellung beauftragen können, überraschend entschieden. Die rechtlichen Ausführungen des LSG zur Verjährung widersprächen der Rechtsprechung des BSG. Das LSG habe auch den Verschuldensbegriff falsch ausgelegt und dabei zudem das Mitverschulden des beklagten Landes übergangen.

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Der Senat hat mit den Beteiligten am 18.11.2015 einen mehr als dreistündigen Erörterungstermin im vorliegenden Beschwerdeverfahren sowie in den Revisions- und Beschwerdeverfahren B 10 ÜG 11/15 B und B 10 ÜG 2/15 R durchgeführt, bei denen es um Entschädigungsansprüche der Klägerin wegen überlanger Verfahrensdauer des Versorgungsrechtsstreits ging. Die Beteiligten haben die genannten Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer hinsichtlich der bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Entschädigungsansprüche nach dem ÜGG vergleichsweise gegen Zahlung von 25 000 Euro erledigt. Einen vom Senat vorgeschlagenen Vergleich, auch den Versorgungsrechtsstreit B 9 V 12/15 B, der den Entschädigungsverfahren nach dem ÜGG zugrunde liegt, gegen Zahlung von 35 000 Euro vergleichsweise zu beenden, hat der Sohn der Klägerin für diese abgelehnt.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet, soweit sie Verfahrensmängel rügt (1. und 2.). Im Übrigen ist sie unzulässig (3.).

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1. Die von der Klägerin ordnungsgemäß gerügte Gehörsverletzung, § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG bzw Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention liegt nicht vor.

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a) Die Klägerin wirft dem LSG eine Überraschungsentscheidung vor, weil es den klageabweisenden Teil seines Urteils tragend auf die Feststellung gestützt hat, der Beschädigte sei zu Lebzeiten noch in der Lage gewesen, seine Ehefrau oder seine Tochter zu beauftragen, für ihn einen Versorgungsantrag zu stellen.

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Die behauptete Gehörsverletzung liegt nicht vor. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.2.2001 - 2 BvR 1384/99 - Juris RdNr 7 unter Hinweis auf BVerfGE 66, 116 <147>; 74, 1 <5>; 86, 133 <145>; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte und Tatsachenwertungen von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris RdNr 22 unter Hinweis auf BVerfGE 31, 364 <370>; 66, 116 <147>; 74, 1 <5>). Insbesondere ein Kollegialgericht ist nicht verpflichtet, seine (vorläufige) Rechtsauffassung aufzudecken (vgl BVerfG aaO; Sommer in Zeihe, SGG, Stand: April 2015, § 62 RdNr 4b bb>) und erst recht nicht, bei einer Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits seine endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Sonst drohte das Ergebnis der Willensbildung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, vorweggenommen und die Beratung ihrer prozessualen erkenntnisleitenden Funktion beraubt zu werden.

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Andererseits setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris RdNr 22 unter Hinweis auf BVerfGE 31, 364 <370>; 66, 116 <147>; 74, 1 <5>). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - Juris) zu wahren, darf das Gericht deshalb seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 8a, 8b mwN). Das Schutzbedürfnis des Einzelnen bestimmen dabei maßgeblich seine eigene Erkenntnisfähigkeit und die seines Prozessbevollmächtigten (Sommer in Zeihe, SGG, Stand: April 2015, § 62 RdNr 1k mwN).

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Zwar mag das Urteil des LSG die Klägerin und ihren Bevollmächtigten faktisch - subjektiv - überrascht haben, wie der Bevollmächtigte eindringlich versichert. Normativ jedoch ist eine Überraschungsentscheidung aufgrund der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass das LSG im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten lange über Zusammenhangsfragen verhandelt hat, die es dann in seiner Entscheidung nicht mehr als entscheidungserheblich beurteilt hat. Denn auch die vom LSG ebenfalls erörterte und letztlich als streitentscheidend angesehene Frage, ob der Beschädigte unverschuldet an einer rechtzeitigen Antragstellung verhindert war, bildete seit Jahren einen der maßgeblichen Kernpunkte des Rechtsstreits. Sie hat ua zur letzten Zurückverweisung der Sache an das LSG geführt, weil der Senat in anderer Zusammensetzung die Annahme des LSG, der Beschädigte sei funktional von seiner Tochter, der Klägerin, vertreten worden, als überraschend eingestuft und deshalb eine Gehörsverletzung bejaht hatte (Beschluss vom 2.12.2010 - B 9 VH 2/10 B - Juris). Daran anknüpfend hat das LSG in der erneuten mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert, in welcher Weise eine Kommunikation mit dem Beschädigten noch möglich gewesen sei. Dafür hat es ua zwei Urkunden eines Notars aus dem Jahr 1986 über die Erteilung einer Generalvollmacht und eine Verfügung von Todes wegen sowie Teile eines ärztlichen Berichts aus dem Jahr 1980 mit möglichen Hinweisen auf die verbleibende Sprachfähigkeit des Beschädigten zum Gegenstand der Erörterung gemacht (S 3315 ff Berufungsakte), auf die es später sein Urteil gestützt hat (vgl S 12 ff des angefochtenen Urteils). Im Anschluss daran hat das Berufungsgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, es halte nicht mehr an seiner Rechtsauffassung zur stillschweigenden Bevollmächtigung und zur funktionalen Stellvertretung fest. Erörterungsbedürftig sei aber die Möglichkeit des Beschädigten, in der Vergangenheit eine andere Person, etwa Ehefrau oder Tochter, mit der Stellung von Anträgen zu beauftragen (S 4 f des Protokolls vom 21.1.2015).

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Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter hätte nach diesem Prozessverlauf erkennen können, dass diese Erörterung dazu diente, das rechtliche Gehör der Klägerin zu wahren und ihr Gelegenheit zu geben, zu einer möglichen neuen Tatsachenbewertung und einer darauf gestützten Änderung der Rechtsauffassung des LSG Stellung zu nehmen. Mit seiner Vorgehensweise, die Handlungs- und insbesondere Sprechfähigkeit des Beschädigten rückschauend anhand zweier notarieller Urkunden sowie eines Arztberichts einzuschätzen, hat sich das LSG auch nicht in überraschender Weise medizinische Sachkunde angemaßt, wie die Beschwerde ihm vorwirft. Vielmehr hat das Gericht lediglich die von den Beteiligten nicht infrage gestellte Einschätzung des Notars über die Testier- bzw Geschäftsfähigkeit des Beschädigten sowie diejenige der ihn 1980 behandelnden Ärzte nachvollzogen, die auf deren persönlichen Eindruck vom Beschädigten und seiner verbliebenen Kommunikationsfähigkeit beruhte. Wie der umfangreiche Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin zeigt, traut dieser sich im Übrigen selber zu, rückschauend die Fähigkeit seines Großvaters zur Antragsdelegation aus eigener Anschauung ohne sachverständige ärztliche Hilfe zu beurteilen, weil er sie vehement verneint.

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Die vom LSG auf der beschriebenen konkreten Tatsachengrundlage am 21.1.2015 durchgeführte Erörterung unterscheidet sich maßgeblich von derjenigen im vorangegangenen Teil des Berufungsverfahrens, das in das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren B 9 VH 2/10 B gemündet war. Dort hatte der Senat die Zurückverweisung darauf gestützt, das Berufungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung vom 11.3.2010 nicht einmal angedeutet, von seiner Beurteilung in einer früheren Entscheidung abweichen zu wollen, geschweige denn eine solche Möglichkeit erörtert (vgl Senat Beschluss vom 2.12.2010 - B 9 VH 2/10 B - Juris RdNr 13). Dagegen durfte der Sohn der Klägerin nach dem rechtlichen Hinweis und der Erörterung des Berufungsgerichts am 21.1.2015 bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht darauf vertrauen, allein seine Einlassung, sein Großvater habe niemanden mehr mit der Antragstellung beauftragen können und sein schriftsätzlicher Vortrag würden das LSG überzeugen und von einem Urteil zulasten der Klägerin abhalten oder zumindest zu den von ihm für notwendig gehaltenen weiteren Ermittlungen auf neurologischem Gebiet drängen. Dies gilt umso mehr, als das Gericht am Ende der mündlichen Verhandlung die Sachanträge aufgenommen hat. Zwar ist der Sohn der Klägerin kein Rechtsanwalt. Andererseits hat er den Rechtsstreit um die Versorgungsansprüche seines Großvaters von Beginn an mit großem Einsatz und Erfolg im Wesentlichen selber geführt. Unter anderem hat er vier Zurückverweisungen durch das BSG erreicht und erheblich höhere Versorgungsleistungen erstritten, die den Erben des Beschädigten zugutekommen. Während der vielen Jahre der Prozessführung und aufgrund seiner detaillierten Kenntnis des Rechtsstreits hat er es sich zugetraut, vor den Tatsacheninstanzen jeweils ohne anwaltlichen Beistand zu bestehen und das Verfahren ebenso gut wie sein Rechtsanwalt zu führen, wie er es selbst gegenüber dem Senat im Erörterungstermin vom 18.11.2015 ausgedrückt hat. Zwar möchte der Sohn der Klägerin nunmehr - ersichtlich mit Blick auf die von ihm erhobene Gehörsrüge - seine praktischen Fähigkeiten zur Prozessführung beschränkt erscheinen lassen, weil ihm die Erfahrung in der mündlichen Verhandlung fehle. Indes wird diese Einlassung durch die Prozessgeschichte relativiert. Denn der Sohn der Klägerin hat bereits in der Vergangenheit das LSG mit Erfolg durch - schriftlich und in der mündlichen Verhandlung gestellte - auf Beweiserhebung gerichtete Anträge bzw fundierte Stellungnahmen zu weiteren Ermittlungen veranlasst. Im Verfahren B 9 VH 2/10 B hat er damit sogar den Grundstein für eine Zurückverweisung an das LSG wegen dessen Verletzung der Amtsermittlungspflicht gelegt. Auch im Übrigen hat er immer wieder das prozessuale Instrumentarium des SGG etwa für Befangenheitsanträge genutzt sowie wirksam Klagen wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben. Die Klägerin hat seine Prozessführung durchgehend gebilligt und die Bevollmächtigung stets erneuert. Sie muss es sich deshalb entsprechend § 73 Abs 6 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zurechnen lassen, dass ihr Bevollmächtigter trotz seiner jahrzehntelangen, einschlägigen Prozesserfahrung in der konkreten Situation keinen weiteren Beweisantrag zum insoweit erheblichen Streitgegenstand gestellt hat.

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b) Ebenso wenig liegt eine entscheidungserhebliche Verletzung des in §§ 62, 128 Abs 2 SGG, § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 Variante 3 ZPO normierten Gehörsanspruchs vor.

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Die Klägerin wirft dem LSG vor, es hätte den Rechtsstreit auf ihren hilfsweise gestellten Antrag vertagen müssen, um ihr eine Stellungnahmefrist von einem Monat zu den Erläuterungen des kardiologisch-internistischen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung einzuräumen (Gliederungspunkt 4. der Beschwerde). Der Vorwurf ist in der Sache nicht begründet.

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Nach § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 Variante 3 ZPO kann eine Verhandlung vertagt werden, wenn ein erheblicher Grund dafür vorliegt. Über die Vertagung der Verhandlung entscheidet nach § 227 Abs 4 S 1 Halbs 2 ZPO das Gericht. Seine ablehnende Entscheidung ist nach § 227 Abs 4 S 3 ZPO unanfechtbar und braucht dem Antragsteller nur formlos mitgeteilt zu werden (vgl Stöber in: Zöller, Zivilprozessordnung, 30. Aufl 2014, § 227 RdNr 27). Allein indem das LSG ein Sachurteil gesprochen und darin den Vertagungsantrag der Klägerin konkludent abgelehnt und ihr dies im Urteil mitgeteilt hat, hat es entgegen der Ansicht der Beschwerde keinen (formellen) Verfahrensfehler begangen.

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Mit der konkludenten Ablehnung des Vertagungsantrags der Klägerin hat das LSG auch keine Gehörsverletzung begangen; ein erheblicher Grund für die beantragte Vertagung iS von § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 ZPO lag auch unter Berücksichtigung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör aus §§ 62, 128 Abs 2 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG nicht vor.

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Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach diesen Vorschriften umfasst das Recht der Beteiligten, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl BVerfGE 10, 177 <182 f>; 19, 32 <36>). Die effektive Wahrnehmung dieses Rechts kann es nach einer Beweisaufnahme erfordern, den Beteiligten eine angemessene Äußerungsfrist einzuräumen und den Rechtsstreit dafür zu vertagen (vgl BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 28/90 = SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 6/99 R - Juris sowie BSG Urteil vom 30.3.1982 - 2 RU 4/81 - Juris). Werden vor oder in der mündlichen Verhandlung erstmals Tatsachen, Erfahrungssätze oder rechtliche Gesichtspunkte eingeführt, die möglicherweise für die Sachentscheidung erheblich sind, ist den Beteiligten auf Antrag eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen (BSG Beschluss vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1). Wann dieses Äußerungsrecht eine Vertagung nach § 227 Abs 1 S 1 ZPO erzwingt und das von der Vorschrift grundsätzlich eröffnete Ermessen - "kann" - auf null reduziert (vgl BVerfG Beschluss vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - Juris RdNr 30 mwN) richtet sich dabei nach dem Gegenstand der Beweisaufnahme und den sonstigen Umständen des Einzelfalls. Die Beteiligten müssen Zeit und Gelegenheit zu sachgerechter Stellungnahme haben (Sommer in Zeihe, SGG, Stand: April 2015, § 62 RdNr 1d).

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Demgemäß hält sich das Absehen des LSG von der beantragten Vertagung im Rahmen des ihm von § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 ZPO eingeräumten Ermessens. Denn zur Wahrung rechtlichen Gehörs genügte die Möglichkeit des Bevollmächtigten der Klägerin, sich in der mit Unterbrechungen mehr als 6-stündigen mündlichen Verhandlung zu den Ausführungen des Sachverständigen zu äußern. Zum einen hat dieser kein neues Gutachten erstattet, sondern lediglich sein bereits vorher schriftlich erstattetes Gutachten erläutert und ergänzt. Insbesondere aber hat das LSG dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag in vollem Umfang entsprochen, soweit es sich auf diese Erläuterungen gestützt und der Klägerin, wie beantragt, für die Zeit ab 1982 eine höhere Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe V anstatt III zugesprochen hat. Im Übrigen waren die Ausführungen des Sachverständigen, soweit sie die möglichen Ursachen für den 1973 erlittenen Schlaganfall des Beschädigten betrafen, nach der zuletzt gefundenen Rechtsauffassung des LSG nicht (mehr) entscheidungserheblich. Auch die vom Gericht in der mündlichen Verhandlung angekündigte Übersendung einer vom Sachverständigen im Termin vorgelegten Risikoberechnung änderte daran nichts. Diese Ankündigung gab der Klägerin insbesondere keinen berechtigten Anlass darauf zu vertrauen, das LSG werde ohne die Übersendung dieser Berechnung sein abweisendes Urteil nicht auf den davon unabhängigen Gesichtspunkt der schuldhaft verspäteten Antragstellung stützen. Für das LSG ergab sich vielmehr in der konkreten Prozesssituation kein zwingender Grund, den Rechtsstreit nochmals zu vertagen und dem Prozessbevollmächtigten weitere Bedenkzeit zu dem internistisch-kardiologischen Gutachten einzuräumen, das für die streitentscheidende Frage der rechtzeitigen Antragstellung nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG keine Rolle mehr spielte. Die - von der Klägerin zu Recht immer wieder beanstandete - bereits in diesem Zeitpunkt erheblich überlange Verfahrenslaufzeit und das daraus folgende Gebot der Prozessbeschleunigung (vgl BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 10 RdNr 38 mwN) sprachen vielmehr maßgeblich gegen eine Vertagung des nunmehr aus Sicht des LSG entscheidungsreifen Rechtsstreits. Das lag für einen gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten auch ohne weiteren Hinweis des Gerichts auf der Hand.

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Der Bevollmächtigte argumentiert zwar, die Hinweise des Sachverständigen hätten ihm bei Einräumung einer Überlegungsfrist auch Anlass gegeben, ein weiteres, nunmehr neurologisches Sachverständigengutachten zu beantragen. Diese Möglichkeit musste das LSG aber nicht zu einer Vertagung veranlassen. Zum einen hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 10.9.2014 noch ausdrücklich (und nachvollziehbar) betont, das vom beklagten Land in einem früheren Verfahrensstadium beantragte neurologische Gutachten zur Geschäftsfähigkeit des Beschädigten dürfe nicht eingeholt werden, um den Rechtsstreit nicht weiter zu verzögern. Insbesondere aber hat der vom LSG gehörte internistisch-kardiologische Sachverständige zur Frage, ob der Beschädigte noch Dritte mit einer Antragstellung hätte beauftragen können, nichts ausgeführt, weil er zu diesem Thema weder sachkundig noch gefragt worden war. Ebenfalls nicht zur Vertagung zwangen die von der Klägerin thematisierten Äußerungen des Sachverständigen zu der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Herzmuskelschaden des Beschädigten und seinem Schlaganfall sowie weiteren Gesundheitsstörungen für den Anspruchszeitraum vor 1982. Denn darauf kam es nach der für die Prüfung der Gehörsrüge maßgeblichen Rechtsansicht des LSG zur verspäteten Antragstellung nicht mehr an. Das entschädigungsrelevante Ausmaß der neurologischen Schäden war zwischen den Beteiligten nicht umstritten, wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt. Die Behauptung der Klägerin, bei Gewährung eines Schriftsatznachlasses hätte sie eine weitere neurologische Beweiserhebung und dann höhere Entschädigungsleistungen auch für die Zeit vor 1982 beantragt, erscheint spekulativ. Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass der Bevollmächtigte der Klägerin einen Antrag auf ein neurologisches Gutachten mit dem sinngemäßen Beweisthema "Fähigkeit des Beschädigten, Dritte zur Antragstellung zu bevollmächtigen" nicht bereits in der mündlichen Verhandlung hätte stellen können, um sich weiteres rechtliches Gehör zu verschaffen. Dies hätte gerade angesichts der vorangegangenen Erörterungen über die Möglichkeit des Beschädigten, Dritte zu beauftragen, sowie der jahrelangen Diskussion der Beteiligten über dieses Thema aus seiner Sicht nahe gelegen.

31

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin macht darüber hinaus geltend, eine Stellungnahmefrist hätte ihm im Anschluss an die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen ermöglicht vorzutragen, wie sich zeitlich gesehen die medizinischen Erkenntnisse zum Kausalzusammenhang zwischen Herzmuskelschäden und Schlaganfällen entwickelt hätten. Dies sei wesentlich für die Beurteilung des LSG gewesen, ob der Beschädigte eine frühere Antragstellung schuldhaft versäumt habe. Auch mit diesem Vorbringen kann die Klägerin hinsichtlich des behaupteten Verfahrensfehlers nicht durchdringen. Es fehlt bereits an der Darlegung, auf welche Erkenntnisse sich die Klägerin im Einzelnen stützen will. Zudem hat das mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffene Urteil des LSG vom 21.01.2015, dessen Rechtsansicht bei der Prüfung der Gehörsrüge zugrunde zu legen ist, diesen Aspekt überhaupt nicht thematisiert. Vor allem aber ist nicht erkennbar, warum der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dieses Argument nicht vor oder in der mündlichen Verhandlung anbringen und sich so rechtliches Gehör verschaffen konnte (vgl BVerfG 79, 80, 83 f; BSGE 7, 209). Denn die Frage der schuldhaft verspäteten Antragstellung war, wie ausgeführt wurde, bereits seit langem Gegenstand kontroverser Erörterungen der Beteiligten. Zum medizinischen Kenntnisstand hinsichtlich der Verursachung von Schlaganfällen allgemein hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin schriftsätzlich bereits ebenfalls umfangreich mit Zitaten aus der medizinischen Literatur vorgetragen und dabei auch Belege für den sich verändernden wissenschaftlichen Erkenntnisstand übersandt.

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2.a) Schließlich kann die Beschwerde auch nicht mit ihrer Kritik an der Beweiswürdigung des LSG hinsichtlich der verbleibenden Handlungsmöglichkeiten des Beschädigten durchdringen, weil § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG diese der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Danach kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden, wonach das Gericht (hier: LSG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Damit kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Warendorf, SGG, Juli 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Die Beschwerde kann die Einschränkung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG auch nicht mit ihrer Rüge umgehen, das Urteil verletze insoweit das Recht der Klägerin auf eine hinreichende Begründung der Entscheidung. Ein Gericht verletzt seine Begründungspflicht nicht schon dann, wenn seine Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen oder zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1 RdNr 16). Fehlerhafte Gründe sind dem vollständigen Fehlen von Gründen vielmehr erst dann gleichzusetzen, wenn sie in extremem Maß mangelhaft, dh wenn sie rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (vgl BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff 6 VwGO Nr 32). Für eine solche extreme formelle Fehlerhaftigkeit der Entscheidungsgründe ist hier nichts ersichtlich. Tatsächlich wendet sich die Klägerin mit der Behauptung, darin liege überhaupt keine Begründung, gegen die Beweiswürdigung des LSG. Damit kann sie, wie ausgeführt, im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht durchdringen. Gleiches gilt für ihr Vorbringen, das LSG habe den Verschuldensmaßstab in § 60 Abs 2 S 1 BVG falsch angewendet und deshalb das Urteil verfahrensfehlerhaft begründet.

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Das LSG hat dazu Rechtsprechung des BSG zitiert, eine Reihe von Kriterien für den von ihm angewendeten subjektiven Verschuldensmaßstab genannt und diesen mit Sachverhaltselementen ausgefüllt. Damit hat das LSG seine formelle Begründungspflicht erfüllt. Ob die Begründung des LSG vorbehaltlos überzeugt und eine zutreffende Rechtsanwendung im Einzelfall belegt, ist demgegenüber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde. Deswegen kann die Beschwerde auch nicht mit ihrer Behauptung zum Erfolg führen, das LSG habe den Verursachungsanteil bzw das Mitverschulden des Beklagten an der unterbliebenen Antragstellung und dessen pflichtwidrigen Verzicht auf weitere Beweisaufnahme zu Unrecht übergangen. Dieser Vortrag zeigt ebenfalls keine Gehörsverletzung auf, sondern kritisiert wiederum die Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall.

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b) Die verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des LSG zu den fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten des Beschädigten binden damit den Senat nach § 163 SGG. Daher kann die Klägerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit ihrer inhaltlichen Kritik durchdringen, die Feststellungen und Schlussfolgerungen des LSG zu den fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten des Beschädigten widersprächen dem Akteninhalt, verkennten und übergingen dessen Behinderung und verletzten seine Grundrechte sowie seinen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz, auf ein faires Verfahren sowie das Meistbegünstigungsprinzip.

35

c) Soweit die Klägerin eine weitere Gehörsverletzung in der nach ihrer Ansicht überraschenden Rechtsansicht des LSG zu § 60 Abs 2 und Abs 3 BVG sowie der Ermessensausübung der Beklagten im Zusammenhang mit der vom LSG angenommenen Verjährung sieht, ist ihre Beschwerde bereits unzulässig. Insoweit fehlt es an der Darlegung, warum das angefochtene Urteil auf dieser vermeintlichen Gehörsverletzung beruhen könnte (dazu unter 3.).

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3. Die Beschwerde ist bereits unzulässig, soweit die Klägerin umfangreich (Gliederungspunkte 3.1 bis 3.5 des Beschwerdeschriftsatzes) zu der vom LSG bejahten Verjährung ausführen lässt und eine Reihe grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen sowie eine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BSG zu erkennen meint, insbesondere im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 60 Abs 3 BVG. Insoweit fehlt die Darlegung, warum diese Fragen entscheidungserheblich sein sollten und damit im konkreten Verfahren geklärt werden könnten, was die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aber neben einer Klärungsbedürftigkeit voraussetzt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

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Das LSG hat seine Ablehnung des Anspruchs der Klägerin auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt. Zum einen hat es Ansprüche für die Zeit vor dem Jahr 1982 verneint, weil der Beschädigte nicht iS von § 60 Abs 2 S 1 BVG ohne Verschulden an einer früheren Antragstellung verhindert gewesen sei. Denn die von der Klägerin begehrte rückwirkende Gewährung höherer Leistungen nach § 60 Abs 2 S 1 BVG setzt voraus, dass der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert war und der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrunds gestellt wurde. Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat das LSG zutreffend den vorangegangenen Senatsentscheidungen entnommen (vgl etwa Senat Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 4 RdNr 61 ff mwN). Für den Senat steht damit aufgrund der bindenden Feststellungen des LSG und seiner darauf aufbauenden, mit der Beschwerde nicht angreifbaren Rechtsanwendung im Einzelfall fest, dass ein Anspruch des Beschädigten wegen § 60 Abs 2 S 1 BVG nicht vor 1982 zurückreicht, weil der Beschädigte insoweit nicht unverschuldet an einer Antragstellung gehindert war.

38

Demgegenüber stellt die mit "ungeachtet der obigen Ausführungen" eingeleitete Begründung des LSG zur Verjährung (S 14 des LSG-Urteils) einen selbstständig tragenden Grund dar, um zu begründen, warum das Gericht eine vor 1982 zurückreichende Leistungsgewährung verneint hat. Daher hätte die Beschwerde substantiiert darlegen müssen, warum gleichwohl die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch des Beschädigten, ungeachtet der Frage seiner Entstehung, verjähren konnte, überhaupt noch entscheidungserheblich sein und daher im konkreten Fall geklärt werden könnte. Allein die Behauptung, das LSG weiche mit seiner Rechtsansicht zum Verhältnis von § 48 SGB X und § 60 BVG grundsätzlich von der BSG-Rechtsprechung ab, genügt dafür nicht. Selbst wenn man die Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt, wäre damit allenfalls die Klärungsbedürftigkeit, aber noch nicht die ebenfalls erforderliche Klärungsfähigkeit der vermeintlich grundsätzlichen Rechtsfrage dargetan.

39

Soweit die Klägerin eine Reihe aus ihrer Sicht grundsätzlicher Fragen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs aufwirft (S 49 des Beschwerdeschriftsatzes), formuliert sie keine fallübergreifenden Rechtsfragen, sondern stellt tatsächlich nochmals die nach ihrer Ansicht unterbliebene Gewährung rechtlichen Gehörs im Einzelfall zur Überprüfung des Gerichts.

40

Die umfangreichen Ausführungen der Beschwerde zur angeblichen unzureichenden Berücksichtigung der Behinderung des Beschädigten enthalten ebenfalls keine Darlegung grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, sondern kritisieren wiederum inhaltlich die Entscheidung des LSG im Einzelfall. Darauf kann die Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

41

Nichts anderes gilt für den Hinweis der Klägerin auf die nach ihrer Ansicht fehlende Berücksichtigung eines angeblichen Mitverschuldens des Beklagten an der verspäteten Antragstellung (Ziff 5.1 der Beschwerdegliederung). Damit formuliert die Beschwerde ebenfalls keinen fallübergreifenden Rechtssatz, sondern wendet sich ein weiteres Mal gegen die mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angreifbare Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall. Nichts anderes gilt für die Gehörsrüge, mit der die Beschwerde vorträgt, das LSG habe die Tatsachen verkannt, aus denen sich das Mitverschulden des Beklagten ergebe.

42

Auch die Rüge der Klägerin, das LSG habe die Verzinsung der ausgeurteilten Ansprüche falsch berechnet, betrifft lediglich die Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall und zeigt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf. Ebenso wenig legt die Beschwerde insoweit dar, dass das LSG mit einem bewusst aufgestellten Rechtssatz der Rechtsprechung des BSG widersprochen hätte. Allein die Behauptung einer unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall kann insoweit auch keine Gehörsrüge begründen.

43

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

44

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (vgl BSG Urteil vom 11.5.2000 - B 13 RJ 85/98 R - SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18; vgl Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 56 RdNr 7 f mwN).

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