Beschluss vom Bundessozialgericht (10. Senat) - B 10 ÜG 15/17 B

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1400 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die Klägerin begehrt eine Entschädigung in Höhe von 1400 Euro wegen einer unangemessenen Dauer des vor dem LSG Berlin-Brandenburg unter dem Az L 9 KR 2/13 geführten Berufungsverfahrens "wegen Erhebung von Beiträgen zur Krankenversicherung". Dieses Ausgangsverfahren hat in der Berufungsinstanz vor dem LSG vom 21.12.2012 bis zur Beendigung durch Urteil vom 24.4.2015 angedauert, welches der Klägerin am 8.6.2015 zugestellt wurde. Mit dem hier angefochtenen Urteil vom 6.7.2017 hat das LSG Berlin-Brandenburg als Entschädigungsgericht die von der Klägerin eingereichte Entschädigungsklage als unbegründet abgewiesen, weil das Ausgangsverfahren ungeachtet der Frage, ob die Verzögerungsrüge vom 10.4.2014 wirksam erhoben worden sei, jedenfalls nicht überlang gewesen sei. Zwar seien für das zweitinstanzliche Ausgangsverfahren 14 Monate gerichtlicher Inaktivität zu berücksichtigen und somit summierten sich die Bearbeitungslücken im gesamten Ausgangsverfahren unter Berücksichtigung der fünf Monate gerichtlicher Inaktivität für das erstinstanzliche Verfahren auf 19 Kalendermonate. Abzüglich der dem SG und dem LSG nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall zustehenden einjährigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit pro Instanz, von der abzuweichen hier kein Anlass bestehe, verbleibe damit keine entschädigungsrelevante Verzögerung. Die im Berufungsverfahren aufgetretenen Verzögerungen könnten hier durch die zügige Bearbeitung im Klageverfahren kompensiert werden.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht geltend, das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete grundsätzliche Bedeutung (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

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1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). An diesen Darlegungen fehlt es hier.

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Die Klägerin hat bereits keine Rechtsfrage formuliert, der sie grundsätzliche Bedeutung beimisst. Ihrem Beschwerdevorbringen ist lediglich zu entnehmen, dass entgegen der Rechtsprechung des EGMR (zB mit Urteil vom 8.6.2006 - 75529/01 -, Juris) der Beschwerdeführerin kein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel zur Verfügung gestanden habe, um gegen die unangemessene Verfahrensverzögerung vorzugehen, weil sie sich vor dem gleichen Gericht um Abhilfe habe bemühen müssen, welches das beklagte Land vertreten habe. Insoweit bestehe ein Wertungswiderspruch zu § 201 Abs 1 GVG iVm § 202 SGG. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst eine Rechtsfrage zu formulieren, der möglicherweise grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48). Insoweit hätte die Klägerin auch neben der Formulierung einer Rechtsfrage inhaltlich die verletzten Normen darstellen und die auf dieser Grundlage ergangene Rechtsprechung darlegen und auswerten müssen, um darzulegen, dass die vermeintlich aufgeworfene Rechtsfrage bisher noch nicht entschieden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Soweit die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des LSG im konkreten Einzelfall geltend macht, begründet dieser Umstand nicht die Zulassung der Revision (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

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2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die Voraussetzungen einer Divergenz hinreichend substantiiert dargetan. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss somit entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung hier des Entschädigungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich das Recht fehlerhaft angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

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Insoweit hat die Beschwerde bereits nicht hinreichend substantiiert einen abweichenden Rechtssatz des LSG dargelegt. Die Beschwerde meint, dass LSG sei von der Rechtsprechung des BSG mit Urteil vom 3.9.2014 (B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3) abgewichen, weil es Zeiten zur Feststellung einer unangemessenen Verfahrensverzögerung mehrfach in Ansatz gebracht und die Verfahrensdauer am streitentscheidenden Recht "schöngerechnet" habe. Das LSG lege einen anderen Maßstab als das BSG an, indem es die gesamte Verfahrensdauer betrachte und für jede Instanz eine Bearbeitungszeit von 12 Monaten abziehe. Einen ausdrücklichen Rechtssatz des LSG hat die Beschwerde damit aber nicht dargelegt. Soweit sie einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte sie darlegen müssen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (vgl BSG Beschluss vom 19.12.2011 - B 12 KR 42/11 B - Juris; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Diese Darlegung enthält die Beschwerde nicht. Unabhängig davon ist das LSG - nach seiner Rechtsauffassung - bei der Bestimmung der Verfahrensdauer den Vorgaben des BSG unter Benennung der Rechtsprechung auf S 11 bis 13 der angefochtenen Entscheidung gefolgt. Warum das LSG damit gleichwohl von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein sollte legt die Beschwerde nicht dar. Der verbleibende Vorrang fehlerhafter Rechtsanwendung ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

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5. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 S 2, Abs 3 GKG.

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