Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 2. Kammer) - 1 BvR 285/10

Gründe

I.

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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bestellung von Zwangsverwaltern.

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1. Der Beschwerdeführer ist Jurist. In der Zeit von Oktober 2000 bis Januar 2002 wurde er vom Amtsgericht E. in einer Reihe von Zwangsverwaltungsverfahren zum Verwalter bestellt. Im Januar 2002 verurteilte ihn dasselbe Amtsgericht wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Dieses Urteil wurde allerdings später aufgehoben; das Strafverfahren wurde im Herbst 2004 eingestellt. Nach seiner Verurteilung in erster Instanz wurde der Beschwerdeführer vom Amtsgericht E. bis Ende 2004 nicht mehr als Zwangsverwalter bestellt. Ab Januar 2005 vergrößerte sich der Bezirk dieses Amtsgerichts. Für den "Altbezirk" wurde der Beschwerdeführer nach seiner Darstellung auch in der Folgezeit bis Ende Oktober 2008 nur in einem einzigen Verfahren bestellt.

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Bereits im Oktober 2005 hatte der Direktor des Amtsgerichts dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass davon ausgegangen werde, dass keine grundsätzlichen Bedenken gegen seine Eignung als Zwangsverwalter bestünden. Er gehöre zu dem Personenkreis, der in das Vorauswahlverfahren für die Bestellung als Zwangsverwalter einbezogen sei. Gründe für seine Nichtberücksichtigung in einzelnen Verfahren seien nicht bekannt und müssten auch nicht ausgeführt werden. Einen Antrag des Beschwerdeführers nach §§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG), das Land Hessen auf Auskunft über die Gründe seiner fortwährenden Nichtberücksichtigung im "Altbezirk" zu verpflichten, wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 29. Januar 2008 (20 VA 9/07; veröffentlicht unter anderem in ZInsO 2009, S. 388) als unzulässig zurück. Im Dezember 2008 stellte der Beschwerdeführer daraufhin beim Oberlandesgericht einen weiteren Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte festzustellen, dass es rechtswidrig gewesen sei, dass das Amtsgericht ihn in der Zeit von Mitte Januar 2002 bis Oktober 2008 in seinem "Altbezirk" abgesehen von einem Verfahren nicht zum Zwangsverwalter bestellt habe.

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Mit Beschluss vom 4. November 2009 wies das Oberlandesgericht den Feststellungsantrag als unzulässig zurück. Der Senat ließ die Frage der Statthaftigkeit des Antrags offen, verwies aber darauf, dass die §§ 23 ff. EGGVG nicht zur Anwendung kämen, falls es sich bei der Bestellung von Zwangsverwaltern um Rechtsprechungs- und nicht um Justizverwaltungsakte handeln sollte. Der Antrag sei jedoch schon aus anderen Gründen unzulässig. Allgemeine Feststellungsanträge wie der vorliegende, der sich im Ergebnis auf eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen über einen Zeitraum von annähernd sieben Jahren beziehe, würden mangels gesetzlicher Grundlage verbreitet generell abgelehnt. Auch fehle es an einem Feststellungsinteresse. Abgesehen davon, dass nach Rechtsprechung des Senats das Antragsverfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht in Betracht komme, wenn sich die angegriffene Maßnahme schon vor Antragstellung in jenem Verfahren erledigt habe, weil es dem Antragsteller dann in der Regel von Anfang an um die Amtshaftungsfrage gehe und die Frage der Rechtswidrigkeit im Amtshaftungsverfahren mit zu entscheiden sei, fehle es vorliegend an der Bezugnahme auf ein konkretes Verwaltungshandeln im Einzelfall. Den Anforderungen an ein Feststellungsinteresse genüge der "abstrakte Feststellungsantrag" des Beschwerdeführers auch nicht im Hinblick auf den behaupteten diskriminierenden Charakter seiner Nichtbestellung und das geltend gemachte Rehabilitierungsinteresse. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal eine konkrete Anordnung oder Verfügung als etwaigen Justizverwaltungsakt zum Anlass seines Feststellungsantrags genommen. Die von ihm begehrte Feststellung würde aber für alle vergebenen Verfahren einen Vergleich mit allen in Betracht kommenden Zwangsverwaltern und zudem eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzen.

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2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. An der begehrten Feststellung habe er unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr und der Rehabilitierung ein berechtigtes Interesse. Auf eine konkrete Anordnung oder Verfügung habe er seinen Antrag nicht beziehen können, weil ein so genanntes kaltes Delisting vorliege, das sich gerade dadurch auszeichne, dass es eine solche Anordnung oder Verfügung nicht gebe. Anders als das Oberlandesgericht ausführe, gehe es ihm aber nicht um die Überprüfung einer Vielzahl einzelner Bestellungsentscheidungen, sondern um die Überprüfung der einen Entscheidung im Januar 2002, ihn fortan nicht mehr zu berücksichtigen. Auch sei die Tätigkeit des Zwangsverwalters ein eigener Beruf und werde durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Weil das Oberlandesgericht dem Amtsgericht ermögliche, an seiner diskriminierenden Bestellungspraxis festzuhalten, könne der Beschwerdeführer seiner Tätigkeit nicht mehr nachkommen. Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht vorliegend andere Maßstäbe angelegt habe als in einem konkreten anderen Verfahren um die Bestellung eines Insolvenzverwalters.

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Da der Beschwerdeführer die angegriffene Entscheidung erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG vorgelegt hat, hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde beantragt.

II.

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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Sie hat unbeschadet des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Aussicht auf Erfolg.

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Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichend substantiierter Begründung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) unzulässig. Ob der Beschwerdeführer seine Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG hinreichend substantiiert begründet hat, kann offen bleiben. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

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Allerdings ist die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet. Die Vorschrift garantiert demjenigen Rechtsschutz, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Akte des Rechtspflegers, wie die Bestellung eines Zwangsverwalters (vgl. § 3 Nr. 1 Buchstabe i des Rechtspflegergesetzes ), gehören zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Regelung (vgl. BVerfGE 101, 397 <407>; 107, 395 <406>). Aber auch wenn die Bestellung eines Zwangsverwalters dem Richter vorbehalten wäre, würde es sich nicht um die Ausübung rechtsprechender Gewalt handeln, die nicht von Art. 19 Abs. 4 GG erfasst wäre (vgl. BVerfGE 116, 1 <10 f.> - zur Bestellung eines Insolvenzverwalters). Der Beschwerdeführer macht auch die Verletzung einer Rechtsposition geltend, die die Rechtsordnung im Interesse des Einzelnen gewährt (vgl. dazu BVerfGE 113, 273 <310>; 116, 1 <10>, 135 <150>). § 150 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) räumt den Gerichten bei der Bestellung eines Zwangsverwalters zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Auswahlermessen ein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2005 - V ZB 10/05 -, WM 2005, S. 1323). Die Auswahlentscheidung des Gerichts unterliegt jedoch der Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Maßgebend ist vorliegend der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Verbot einer willkürlichen Ungleichbehandlung begründet bei Einräumung von Ermessen eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung. Der mit einem konkreten Fall befasste Rechtspfleger darf seine Entscheidung für einen bestimmten Zwangsverwalter daher nicht nach freiem Belieben treffen; er hat sein Auswahlermessen vielmehr pflichtgemäß auszuüben. Da hiernach bei der Auswahlentscheidung auch die durch Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Interessen der geeigneten Bewerber zu berücksichtigen sind, besteht für diese im Rahmen der Bestellung zum Zwangsverwalter ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung (vgl. BVerfGE 116, 1 <12> m.w.N. - zur Bestellung eines Insolvenzverwalters). Insofern verfügt jeder Bewerber über ein subjektives Recht, für das Rechtsschutz gewährleistet sein muss.

10

Der Anspruch des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz wird durch die angegriffene Entscheidung jedoch nicht verletzt. Das Oberlandesgericht hat die Zurückweisung des Antrags selbständig tragend darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer einen "abstrakten" Feststellungsantrag gestellt habe, ohne sich auf einen konkreten Einzelfall zu beziehen. Durch die Ablehnung eines solchen "abstrakten" Antrags wird der Rechtsschutz des übergangenen Prätendenten nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise verkürzt, zumal auch ein generell geeigneter Bewerber keinen Anspruch auf regelmäßige oder anteilige Bestellung ungeachtet der Umstände des Einzelfalls hat (vgl. BVerfGE 116, 1 <23>; BVerfGK 8, 368 <370 f.>, 372 <375> - jeweils zur Bestellung eines Insolvenzverwalters). Effektiver Rechtsschutz kann vielmehr auch dadurch gewährleistet sein, dass der Betroffene die Entscheidung in einem konkreten Einzelfall zum Anlass nehmen kann, um mit einem zulässigen Feststellungsantrag eine gerichtliche Überprüfung auf etwaige Ermessensfehler herbeizuführen. Ein solcher Ermessensfehler kann beispielsweise darin bestehen, einen Bewerber von vornherein nicht ernsthaft in die Auswahlentscheidung einzubeziehen, obwohl er als geeignet angesehen wird.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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