Beschluss vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat 3. Kammer) - 2 BvL 2/11

Gründe

Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle betrifft die Frage, ob § 40 Abs. 4 Satz 3 Wehrdisziplinarordnung (WDO) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093) verfassungsgemäß ist.

I.

1. § 40 der WDO hat folgenden Wortlaut:

(1) Disziplinararrest darf erst verhängt werden, nachdem der Richter des zuständigen, notfalls des nächst erreichbaren Truppendienstgerichts zugestimmt hat. Der Richter stimmt dem beabsichtigten Disziplinararrest zu, wenn er diese Disziplinarmaßnahme für zulässig und angebracht hält. Die Entscheidung bedarf keiner Begründung. Der Richter kann zugleich die sofortige Vollstreckbarkeit anordnen, wenn dies zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung geboten ist; diese Entscheidung ist zu begründen. Hat der Richter die sofortige Vollstreckbarkeit angeordnet, gelten § 37 Abs. 1 Satz 1 und § 47 Abs. 1 nicht.

(2) …

(3) Lehnt der Richter es ab, dem Disziplinararrest zuzustimmen oder stimmt er nur einem kürzeren Disziplinararrest zu, hat er diese Entscheidung zu begründen. Ist er der Auffassung, dass eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme angebracht ist, übersendet er die Akten der Einleitungsbehörde zur weiteren Entschließung.

(4) Der Disziplinarvorgesetzte kann in den Fällen des Absatzes 3 Satz 1 binnen einer Woche nach Bekanntgabe der richterlichen Entscheidung das Truppendienstgericht anrufen. Hält das Truppendienstgericht den beabsichtigten oder einen kürzeren Disziplinararrest für zulässig und angebracht, verhängt es diesen selbst. Diese Entscheidung ist endgültig. Der Soldat ist vor der Entscheidung zu hören; die Anhörung kann außerhalb der Verhandlung auch durch den Vorsitzenden stattfinden. Dem Soldaten darf nur die Begründung für den verhängten Disziplinararrest mitgeteilt werden. Hält das Truppendienstgericht Disziplinararrest für nicht angebracht, entscheidet der Disziplinarvorgesetzte, ob er eine andere Disziplinarmaßnahme gegen den Soldaten verhängen will. Hält das Truppendienstgericht eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme für geboten, übersendet es die Akten der Einleitungsbehörde zur weiteren Entschließung.

(5) …

(6) Der Richter und das Truppendienstgericht können dem Bundesverwaltungsgericht Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorlegen. § 18 Abs. 4 der Wehrbeschwerdeordnung gilt entsprechend. Von der Vorlage bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts läuft die Frist nach § 17 Abs. 2 nicht.

2. In dem Ausgangsverfahren beantragten der Kompaniechef 5./Fernmelde-bataillon 701 sowie der Kommandeur Fernmeldebataillon 701 in F., jeder für sich, gegenüber dem Truppendienstgericht Süd die Zustimmung zur Verhängung eines nicht zur Bewährung auszusetzenden Disziplinararrestes von sieben beziehungsweise 21 Tagen gegenüber zwei Soldaten. Auf die Mitteilung des Vorsitzenden des angerufenen Gerichts, dass lediglich der Verhängung eines jeweils dreitägigen Disziplinararrestes zugestimmt werde und die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen sei, riefen beide Disziplinarvorgesetzte gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 WDO das Truppendienstgericht an. Die Kammer des Truppendienstgerichts gelangte zur Überzeugung, dass die Verhängung eines dreitägigen Disziplinararrestes auf Bewährung in beiden Fälle ausreichend sei. Angesichts der Unanfechtbarkeit der eigenen Entscheidung (§ 40 Abs. 4 Satz 3 WDO) sah es sich jedoch an der Verhängung dieser Disziplinararreste gehindert.

II.

Mit Beschluss vom 15. März 2011 hat das Truppendienstgericht Süd die verbundenen Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur Entscheidung vorgelegt. Es ist der Auffassung, dass der in § 40 Abs. 4 Satz 3 WDO vorgesehene Ausschluss jeglichen Rechtsmittels gegen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG verstößt. Der vom Truppendienstgericht verhängte Disziplinararrest könne im Gegensatz zu dem vom Disziplinarvorgesetzten mit richterlicher Zustimmung verhängten Disziplinararrest nicht weiter angegriffen werden. Darin liege eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Die Vorlagefrage sei auch entscheidungserheblich, weil es selbst die von ihm in der Sache für angezeigt gehaltene Entscheidung nach § 40 Abs. 4 Satz 3 WDO für "endgültig" zu erklären habe.

III.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Diesem Begründungserfordernis genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 127, 335 <355>).

Die Anforderung der Entscheidungserheblichkeit nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkt sich nicht nur auf den die Hauptsache betreffenden Tenor, sondern umfasst auch die - notwendigen - Nebenentscheidungen, etwa über die Kostentragungspflicht (vgl. BVerfGE 18, 302 <303 f.>; 31, 137 <139>). Nur ausnahmsweise kann es bei gleichlautendem Tenor auf die in Abhängigkeit von der Verfassungswidrigkeit oder -mäßigkeit der vorgelegten Vorschrift anders lautenden Gründe einer Entscheidung ankommen, etwa wenn die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung im Unklaren bleiben und aus diesem Grund weiterer Rechtsstreit über künftiges Verhalten zwischen den Beteiligten zu gewärtigen ist (BVerfGE 47, 146 <165>) oder wenn die Zurückweisung eines Rechtsmittels, etwa einer Berufung, entweder als unzulässig oder als unbegründet ergehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 106 <109>; 91, 118 <122>; stRspr). Zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm muss dargelegt sein, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle der Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 121, 108 <117>).

2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht. Das vorlegende Gericht hat nicht hinreichend dargetan, inwiefern es für die Entscheidung erheblich ist, ob gegen sie ein Rechtsmittel statthaft ist oder nicht.

Ist von vornherein kein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung vorgesehen, bedarf es keiner entsprechenden Nebenentscheidung. Wird sie gleichwohl getroffen, so hat sie rein deklaratorische Wirkung. So liegen die Dinge auch hier. § 40 Abs. 4 Satz 3 WDO sieht ausdrücklich vor, dass die gerichtliche Entscheidung endgültig ist. Es bedarf somit weder einer originären Entscheidung des Gerichts über die Zulassung eines weiteren Rechtsmittels, noch würde eine diesbezügliche Tenorierung rechtliche Bedeutung entfalten.

Vor diesem Hintergrund hätte sich das vorlegende Gericht mit der Entscheidungserheblichkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift auseinandersetzen und darlegen müssen, dass seine Entscheidung bei einer Beseitigung der beanstandeten Gleichheitswidrigkeit des Rechtsbehelfsausschlusses in § 40 Abs. 4 Satz 3 WDO durch das Bundesverfassungsgericht anders ausfallen würde.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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