Ablehnung einstweilige Anordnung vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 2. Kammer) - 1 BvQ 38/16

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

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1. Die Antragstellerinnen und der Antragsteller sind vier russische Sportlerinnen und ein russischer Sportler, die im Wege einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht nachträglich zu den Paralympischen Spielen zugelassen werden wollen, die derzeit in Rio de Janeiro in Brasilien stattfinden. Nachdem die meisten Wettkämpfe mittlerweile beendet sind, wollen die Antragstellerinnen und der Antragsteller zumindest noch an der Abschlusszeremonie am 18. September 2016 teilnehmen. Die Antragstellerin zu 5) begehrt zudem noch die Verpflichtung des International Paralympic Committee e.V. (im Folgenden: IPC), sie zu einem am 16. September 2016 angesetzten Schwimmwettbewerb zuzulassen.

2

Aufgrund des Ausschlusses des Russischen Paralympischen Verbandes (im Folgenden: RPC) durch den IPC konnten die Antragstellerinnen und der Antragsteller bislang nicht an den Paralympischen Spielen teilnehmen. Anlass war ein von der Weltantidopingagentur (WADA) in Auftrag gegebener Bericht des Sachverständigen Richard McLaren über Unregelmäßigkeiten bei Dopingkontrollen russischer Spitzensportler anlässlich der Olympischen Winterspiele in Sotchi im Februar 2014. Auch Anträge der Antragstellerinnen und des Antragstellers auf ihre individuelle Zulassung nach dem Statut des IPC, wonach sich der Weltverband das Recht vorbehält, Athleten, deren nationale paralympische Verbände nicht befugt sind, Athleten zur Teilnahme an den Paralympischen Spielen zu nominieren, von Teilnahmevoraussetzungen zu befreien und sie zur Teilnahme an den Spielen zu nominieren, hatten keinen Erfolg. Dagegen ersuchten die Antragstellerinnen und der Antragsteller um Eilrechtsschutz vor den deutschen Zivilgerichten, in deren Bezirk der IPC seinen Sitz hat. Die Anträge wurden vom Landgericht zurückgewiesen; die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Zwischen ihnen und dem IPC bestehe kein vorvertragliches oder vertragliches Schuldverhältnis, das geeignet sei, den Antragstellerinnen und dem Antragsteller einen individuellen Zulassungsanspruch zu vermitteln. Zu dessen Begründung könnten sich die Antragstellerinnen und der Antragsteller auch nicht auf das Statut des IPC berufen, weil damit nur ein Recht des IPC geregelt werde, nicht aber ein einklagbarer Anspruch einzelner Athleten. Die Zurückweisung der einzelnen Zulassungsanträge stelle auch keine unbillige Behinderung im Sinne des deutschen Kartellrechts dar, weil die nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerinnen und des Antragstellers ausfalle.

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2. Mit ihrem am 13. September 2016 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der nicht mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde verbunden ist, rügen die Antragstellerinnen und der Antragsteller die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, ihres Rechts auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG und ihres Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

II.

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Der Antrag hat keinen Erfolg.

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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

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Zwar ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann - wie hier - auch isoliert gestellt werden (vgl. BVerfGE 105, 235 <238>; 113, 113 <119 f.>; stRspr). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist allerdings wegen der weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben; es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 121, 1 <15>; 122, 342 <355>; 131, 47 <55>; stRspr). Im Regelfall hat das Bundesverfassungsgericht daher allein die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 122, 342 <361>; 131, 47 <55>; stRspr).

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2. Demnach ist über den vorliegenden Antrag nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden, weil die in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet erscheint. Eine weitergehende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der mittelbar mit dem Antrag auf Zulassung angegriffenen Entscheidungen ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. Sie verlangt die Berücksichtigung zahlreicher Einzelumstände und schwieriger Rechtsfragen, insbesondere was das Verhältnis einzelner Sportlerinnen und Sportler zum Weltverband IPC und einen möglichen Einfluss des nationalen Kartellrechts auf dessen Entscheidungen betrifft, über die nur in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden könnte.

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3. Die Folgenabwägung fällt zu Ungunsten der Antragstellerinnen und des Antragstellers aus (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr).

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a) Würde die beantragte einstweilige Anordnung ergehen, die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bleiben, hätte dies erhebliche Auswirkungen für die noch ausstehenden Wettkämpfe und die Durchführung der Abschlussfeier der Paralympischen Spiele am 18. September 2016 in Rio de Janeiro und eine Signalwirkung nicht nur für paralympischen Sport, sondern für den Sport insgesamt. Selbst wenn zugunsten der Antragstellerinnen und des Antragstellers davon ausgegangen wird, dass sie selbst nicht in das vom McLaren-Report beschriebene staatliche Dopingsystem eingebunden waren, ist im Rahmen der Folgenabwägung die Entscheidung des IPC und des Internationalen Sportgerichtshofs CAS als Verbandsschiedsgericht zu respektieren, die gesamte russische Mannschaft von den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen. Eine Zulassung einzelner Athletinnen und Athleten durch die staatlichen Gerichte griffe erheblich in die Verbandsautonomie des IPC und der internationalen Sportgerichtsbarkeit ein. Die mit dem Ausschluss des RPC von den Paralympischen Spielen beabsichtigte Signalwirkung, die insbesondere nationale Sportverbände von der Duldung, Unterstützung oder Organisation systematischen Dopings abschrecken soll, würde erheblich beeinträchtigt.

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b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, so wiegen im Vergleich hierzu die Nachteile für die Antragstellerinnen und den Antragsteller selbst dann weniger schwer, wenn eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde später Erfolg haben sollte. Zwar erscheint das Interesse der Antragstellerinnen und des Antragstellers auch dann durchaus gewichtig, wenn ihnen nur die Teilnahme an der Abschlusszeremonie am 18. September 2016 möglich sein sollte. Im Vergleich zu dem Interesse des IPC, den Einsatz von Dopingmitteln im Sport nachhaltig und effektiv zu bekämpfen, hat dies jedoch deutlich weniger Gewicht.

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Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass - abgesehen allenfalls von der Antragstellerin zu 5) - die übrigen Antragstellerinnen und der Antragsteller wegen des inzwischen weitgehend durchgeführten Gesamtprogramms der aktuellen Paralympischen Spiele nicht mehr an den sportlichen Wettkämpfen teilnehmen können und ihnen damit insoweit nur noch ein bloßer Zuschauerstatus zukommen könnte, den sie auch ohne Erlass der einstweiligen Anordnung wahrnehmen können. Allein für die Antragstellerin zu 5) bestünde noch die theoretische Möglichkeit, an den sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen. Allerdings sind schon Zweifel angebracht, ob sie aus tatsächlichen Gründen überhaupt noch in der Lage wäre, diese zu realisieren. Aus der Begründung ihres erst am Abend des 13. September 2016 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Antrags ergibt sich jedenfalls nicht, wo sie sich derzeit aufhält und wie sie innerhalb weniger Stunden nach Bekanntgabe einer stattgebenden Entscheidung nach Rio de Janeiro anreisen, sich unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeitumstellung in ausreichender Weise auf die Wettkämpfe vorbereiten und bei etwaigen Vorkämpfen für das Finale am 16. September 2016 qualifizieren will.

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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 32 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG).

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