Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 C 11/09

Tatbestand

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Die Klägerin steht als Oberregierungsrätin (A 14) im Dienst der Beklagten. Seit 1988 war sie wegen der Betreuung eines Kindes beurlaubt. 1990, 1994 und 1998 wurde die Klägerin in den Bayerischen Landtag gewählt. Vom Tag der jeweiligen Annahme der Wahl an ruhten ihre Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis. Im Februar 2004 nahm sie ihren Dienst wieder auf und bewarb sich auf einen Beförderungsdienstposten. Daraufhin wurde ihr eine Anlassbeurteilung eröffnet. In der Folge erhielt die Klägerin zudem eine Regelbeurteilung, die ebenso wie ihre letzte Regelbeurteilung vor der Wahl in den Landtag auf das Gesamturteil "tritt hervor" lautete. Ihr Widerspruch gegen die Beurteilungen blieb erfolglos. Ohne Erfolg blieb auch die Bewerbung der Klägerin um eine Beförderungsstelle, deren Besetzung aber im Hinblick auf den anhängigen Beurteilungsrechtsstreit vorläufig untersagt wurde.

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Die auf Aufhebung der Anlass- und der Regelbeurteilung und Erstellung einer neuen Beurteilung gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Soweit das Verfahren nicht wegen der Anlassbeurteilung nach Erledigungserklärungen eingestellt worden ist, hat das Berufungsgericht zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

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Die Klägerin habe im Hinblick auf ihre langjährige Abgeordnetentätigkeit keinen Anspruch auf fiktive Fortschreibung ihrer letzten Regelbeurteilung. Art. 48 Abs. 2 GG sei wie § 2 Abs. 2 AbgG und Art. 2 Abs. 2 BayAbgG Ausdruck eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbotes. Hieraus ergebe sich aber kein Anspruch auf eine fiktive Nachzeichnung. Verfassungsrecht stehe dieser vielmehr entgegen. Eine zwangsläufig mit einer zulässigen Inkompatibilitätsbestimmung verbundene Benachteiligung sei vom Schutzbereich eines verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbotes nicht erfasst. Die Abgeordnetengesetze enthielten einen angemessenen Ausgleich für die mit den Inkompatibilitätsbestimmungen verbundenen Nachteile. Eine fiktive Nachzeichnung sei auch nicht erforderlich, weil die Dienstleistung nach Wiederaufnahme des Dienstes beurteilt werden könne. Der Vergleich mit freigestellten Personalratsmitgliedern gebiete wegen des Unterschieds der jeweiligen Rechtsstellung keine fiktive Fortschreibung der Beurteilung.

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Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 2008 insoweit aufzuheben, als die Berufung zurückgewiesen worden ist,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Juli 2007 insoweit aufzuheben, als die Klage auf Verurteilung der Beklagten, die Klägerin zum Stichtag 30. September 2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen, abgewiesen worden ist, und die Beklagte unter Aufhebung der dienstlichen Beurteilung der Klägerin vom 14. Dezember 2005 zum Stichtag 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 zu verurteilen, die Klägerin zum Stichtag 30. September 2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen.

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Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die angegriffene Regelbeurteilung nach Maßgabe der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dienstlicher Beurteilungen (vgl. Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 C 34.04 - BVerwGE 124, 356 <358> = Buchholz 232.1 § 41a BLV Nr. 1 S. 2) nicht zu beanstanden ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine fiktive Fortschreibung ihrer 1988 erstellten Regelbeurteilung, der zu einer Verbesserung ihrer aktuellen Regelbeurteilung führen müsste. Ein solcher Anspruch folgt weder aus einfachem Recht noch aus Verfassungsrecht.

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1. Es kann dahin stehen, ob einfaches Recht ein Benachteiligungsverbot zugunsten von Bundesbeamten enthält, deren Beamtenverhältnis wegen eines Landtagsmandats geruht hat. Ein derartiges Verbot zugunsten von freigestellten Personalratsmitgliedern korrespondiert mit einem Anspruch, wegen der Unmöglichkeit der Beurteilung ihrer Personalratstätigkeit die letzte dienstliche Beurteilung fiktiv fortzuschreiben (vgl. Urteil vom 21. September 2006 - BVerwG 2 C 13.05 - BVerwGE 126, 333 <338> = Buchholz 237.8 § 12 RhPLBG Nr. 1 für freigestellte Personalratsmitglieder).

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Im Fall der Klägerin sind die Grenzen einer Pflicht zur fiktiven Fortschreibung einer vergangenen Beurteilung überschritten, weil diese eine belastbare Tatsachengrundlage voraussetzt (vgl. Urteil vom 21. September 2006 a.a.O. S. 338 f.). Eine belastbare Tatsachengrundlage fehlt jedenfalls dann, wenn zwischen der letzten Beurteilung und dem Stichtag, zu dem die fiktive Fortschreibung zu erstellen ist, mehr als 16 Jahre liegen.

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Nach Art. 33 Abs. 2 GG sollen dienstliche Beurteilungen Grundlage für künftige Auswahlentscheidungen sein und daher eine möglichst lückenlose Leistungsnachzeichnung gewährleisten (Urteil vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 2 A 9.07 - Buchholz 11 Art. 87a GG Nr. 6 Rn. 36 ). Werden während des Beurteilungszeitraumes keine dienstlichen Leistungen erbracht, die Grundlage einer Beurteilung sein könnten, so kann der Dienstherr Benachteiligungen der betroffenen Beamten dadurch ausschließen, dass er die Fortschreibung vergangener Beurteilungen durch eine fiktive Nachzeichnung des beruflichen Werdeganges des freigestellten Beamten vorsieht; hierbei kann er auch dem Gesichtspunkt einer zu erwartenden Leistungssteigerung im Rahmen des Vertretbaren Rechnung tragen (vgl. Beschluss vom 7. November 1991 - BVerwG 1 WB 160.90 - BVerwGE 93, 188 <192>; Urteile vom 10. April 1997 - BVerwG 2 C 38.95 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 35 und vom 21. September 2006 a.a.O. S. 337 f.). Hiervon ausgehend ist das - nunmehr auch in § 33 Abs. 3 BLV vom 12. Februar 2009 geregelte - Rechtsinstitut einer fiktiven Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen durch Verwaltung und Gerichte weiterentwickelt worden. Die fiktive Fortschreibung fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Dienstleistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter. Damit prognostiziert sie, wie der Beamte voraussichtlich zu beurteilen wäre, wäre er im Beurteilungszeitraum nicht freigestellt und hätte er seine Leistungen wie vergleichbare Kollegen fortentwickelt.

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Stellt die fiktive Fortschreibung hiernach als in mehreren Punkten hypothetische Vergleichsbetrachtung eine bloße Prognose dar, so setzt sie eine belastbare Tatsachengrundlage voraus. Aus diesem Erfordernis ergeben sich die Grenzen der Nachzeichnungsmöglichkeit: Lässt sich eine belastbare Prognose nicht treffen, so kann von einer Beurteilung tatsächlicher Leistungen als Grundlage einer dem Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdenden Auswahlentscheidung nicht abgesehen werden. Denn eine fiktive Fortschreibung ohne belastbare Tatsachengrundlage ist einer auf der Grundlage tatsächlicher Leistungen erstellten Beurteilung nicht mehr vergleichbar. Sie kann daher dem einheitliche Bewertungsmaßstäbe voraussetzenden Leistungsgrundsatz in einem Auswahlverfahren nicht mehr genügen. Eine nicht auf zureichender tatsächlicher Grundlage beruhende fiktive Fortschreibung einer vergangenen Beurteilung ermöglicht keinen Vergleich mit einem konkurrierenden Bewerber, der in seinen aktuellen Leistungen beurteilt wird.

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Die Verlässlichkeit einer Prognose über die voraussichtliche Leistungsentwicklung eines freigestellten Beamten ist umso höher, je länger und je qualifizierter dieser vor der Freistellung dienstliche Aufgaben erledigt hat, je kürzer dies zurückliegt und je eher diese Aufgaben mit denjenigen des angestrebten Beförderungsamtes oder -dienstpostens vergleichbar sind (vgl. Urteil vom 21. September 2006 a.a.O. S. 338 f. zu freigestellten Personalratsmitgliedern). Hiernach ist die tatsächliche Möglichkeit einer belastbaren Prognose auch von der Dauer des Zeitraumes abhängig, der zwischen der letzten beurteilten Dienstleistung und dem Beurteilungszeitraum liegt, für den die fiktive Fortschreibung erfolgen soll. Ab welcher Zeitspanne zwischen der letzten beurteilten Dienstleistung und dem Stichtag die tatsächlichen Erkenntnisse eine Prognose über die Leistungsentwicklung nicht mehr tragen können, ist eine Frage des Einzelfalles. Jedenfalls bei einem Zeitraum von - wie hier - fast 16 Jahren zwischen dem Beginn der Beurlaubung wegen der Kindererziehung und der Wiederaufnahme des Dienstes nach der Wahrnehmung des Landtagsmandats vermitteln die der letzten Beurteilung vor der Beurlaubung zugrunde liegenden tatsächlichen Erkenntnisse keine tragfähige Grundlage für eine verlässliche Prognose über die voraussichtliche Leistungsentwicklung. Dies gilt erst recht, wenn die vor der Beurlaubung liegenden Zeiten tatsächlicher Dienstleistung deutlich kürzer sind als der Zeitraum, in dem kein Dienst geleistet wurde, und wenn nur wenige Jahre Dienst in dem Statusamt geleistet wurde, in dem der Beamte nach der Wiederaufnahme des Dienstes zu beurteilen ist.

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Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin hier nach der Wiederaufnahme ihres Dienstes mehr als ein Jahr lang tatsächlich Dienst geleistet hat. Denn die aktuell erbrachten Leistungen verbreitern die Tatsachenbasis für die fiktive Fortschreibung der alten Beurteilung schon deshalb nicht, weil diese auf der hypothetischen Betrachtung beruht, wie sich die Leistungen entwickelt hätten, wenn es nicht zu einer Unterbrechung der Ausübung des Dienstes gekommen wäre. Diese Fiktion misst dem tatsächlichen Leistungsstand nach Wiederaufnahme der zu beurteilenden Dienstleistung keine Bedeutung bei. Eine Nachzeichnung schreibt Leistungen der Vergangenheit in die Zukunft fort und nicht Leistungen der Gegenwart in die Vergangenheit zurück.

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2. Das Berufungsgericht leitet im Ergebnis zutreffend keine weitergehenden Ansprüche auf Nachzeichnung aus Verfassungsrecht ab.

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a) Es kann dahinstehen, ob das Behinderungsverbot des Art. 48 Abs. 2 GG, der über Art. 28 Abs. 1 GG auch die Länder verpflichtet (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145 <158, 160>), für den Bundestag ein allgemeines verfassungsrechtliches Gebot konkretisiert und alle Benachteiligungen erfasst, die gerade wegen der Ausübung des Mandats erfolgen. Selbst dann folgen daraus jedenfalls keine konkreten Leistungsansprüche des ehemaligen Abgeordneten auf fiktive Fortschreibung der letzten dienstlichen Beurteilung für die Abgeordnetenzeit.

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Unabhängig davon, ob man den Anwendungsbereich des verfassungsrechtlichen Behinderungsverbotes auf Maßnahmen beschränkt sieht, die darauf zielen, die Übernahme oder Ausübung des Mandats zu erschweren oder unmöglich zu machen (vgl. zu Art. 48 Abs. 2 GG BVerfG, Beschluss vom 21. September 1976 - 2 BvR 350/75 - BVerfGE 42, 312 <329>; sowie BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1984 - BVerwG 1 D 7.83 - BVerwGE 76, 157 <170>; Beschlüsse vom 21. November 1989 - BVerwG 1 DB 8.89 - BVerwGE 86, 211 <216> und vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 2 B 85.98 - Buchholz 11 Art. 38 GG Nr. 4), oder ob man es als allgemeines Diskriminierungsverbot in einem weiteren Sinne versteht, gibt es nur das Ergebnis, nämlich die Abwendung oder Beseitigung der Behinderung vor. Daher lässt es dem Dienstherrn Spielraum, wie er diesen Anforderungen Rechnung trägt. Eine fiktive Fortschreibung einer Regelbeurteilung durch Nachzeichnung ist nicht die einzige Möglichkeit, in einem Auswahlverfahren einen angemessenen Ausgleich zwischen den jeweils durch Art. 33 Abs. 2 GG geschützten Interessen der Konkurrentinnen herzustellen. Vielmehr kann der Dienstherr im Rahmen eines Stellenbesetzungsverfahrens nach Art. 33 Abs. 2 GG auch dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, dass ehemaligen Abgeordneten aus der Mandatswahrnehmung kein beruflicher Nachteil erwachsen darf. Er darf daher die Bewerbung der Klägerin nicht mit der Begründung ablehnen, dass es ihr bereits wegen der Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats an beruflicher Erfahrung fehlt oder dass ihre Beurteilung die Mandatszeit nicht erfasst.

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b) Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt ebenfalls kein Anspruch der Klägerin auf fiktive Fortschreibung ihrer letzten dienstlichen Beurteilung. Eine Gleichbehandlung hinsichtlich des Anspruches verlangt auch eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Grenzen des Anspruches. Diese Grenzen sind für alle vergleichbaren Personengruppen überschritten, wenn es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die erforderliche Prognose fehlt. Es kommt daher nicht darauf an, ob man die Rechtsstellung ehemaliger Abgeordneter als mit der Rechtsstellung von freigestellten Personalratsmitgliedern im Wesentlichen gleich bewerten kann. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Rechtsstellung der Klägerin mit derjenigen einer anderen Personengruppe vergleichbar ist, für die Ziffer 9 Buchst. e Satz 2 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamten und Beamtinnen der Zollverwaltung, der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, des Zollkriminalamts und der Bundesvermögensverwaltung - BRZV - Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Juli 1997 in der Fassung des Erlasses vom 12. September 2000 - einen Nachzeichnungsanspruch an ein Beurteilungsverbot knüpft.

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