Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Wehrdienstsenat) - 1 WB 38/11

Tatbestand

Der Antragsteller ist Berufssoldat. Er wendet sich gegen die Auswahlentscheidung des Personalamts der Bundeswehr, einen höherwertigen Dienstposten nicht mit ihm, sondern mit dem Beigeladenen zu besetzen. Der Bundesminister der Verteidigung hatte die Entscheidung damit begründet, dass für den Antragsteller im Gegensatz zum Beigeladenen keine aktuelle planmäßige Beurteilung vorliege; dieser Umstand begründe Zweifel an der aktuellen Leistungsstärke des Antragstellers.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Auswahlentscheidung aufgehoben und den Bundesminister der Verteidigung verpflichtet, über die Besetzung des strittigen Dienstpostens neu zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

...

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Die angefochtene Auswahlentscheidung ist rechtswidrig, weil die im Beschwerdebescheid getroffene Feststellung, dass - bei gleicher Eignung und Befähigung des Antragstellers und des Beigeladenen - der Beigeladene über ein besseres Leistungsbild aufgrund der aktuellen Beurteilung verfüge, nicht auf einer hinreichend tragfähigen Grundlage getroffen wurde.

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Nach der Rechtsprechung des Senats zu Auswahlentscheidungen zwischen mehreren soldatischen Bewerbern haben dann, wenn - wie hier - mehrere Bewerber allen Anforderungskriterien gerecht werden, in der Regel durch dienstliche Beurteilungen ausgewiesene Abstufungen der Qualifikation Bedeutung (Beschluss vom 25. April 2007 - BVerwG 1 WB 31.06 - BVerwGE 128, 329 = Buchholz 449 § 3 SG Nr. 41 Rn. 55; für das Beamtenrecht Urteil vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 <60 f.> = Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 54 S. 3). Zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber ist dabei in erster Linie auf die zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung aktuellsten Beurteilungen abzustellen, weshalb der letzten dienstlichen Beurteilung regelmäßig eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt; zur abgerundeten Bewertung des Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität ist es darüber hinaus zulässig, in die Auswahlentscheidung auch frühere Beurteilungen bis zu den beiden letzten planmäßigen Beurteilungen vor der aktuellen Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. hierzu insbesondere Beschluss vom 25. März 2010, a.a.O. Rn. 25).

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Hiernach ist das entscheidende Instrument für die "Klärung einer Wettbewerbssituation" in einer Auswahlentscheidung die (planmäßige) Beurteilung. Allein auf der Basis von Beurteilungen, die aussagekräftig, das heißt aktuell und hinreichend differenziert sind und auf den gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen, ist der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber vorzunehmen. Die Beurteilungsmaßstäbe müssen dabei gleich sein und gleich angewendet werden. Insbesondere der gemeinsame Beurteilungsstichtag und der jeweils gleiche Beurteilungszeitraum garantieren eine höchstmögliche Vergleichbarkeit (Beschluss vom 24. Mai 2011 - BVerwG 1 WB 59.10 - Rn. 33; ebenso: Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 2 C 19.10 - IÖD 2011, 220 = juris Rn. 15 m.w.N.).

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Den vorgenannten Maßstäben trägt der im Beschwerdebescheid vorgenommene Eignungs- und Leistungsvergleich zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen nicht Rechnung. Der Bundesminister der Verteidigung hat in diesen Vergleich die seinerzeit aktuellste planmäßige Beurteilung des Beigeladenen zum Stichtag 31. März 2009 einbezogen, in der der Beigeladene im Abschnitt "Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten" einen Durchschnittswert von 6,30 erreicht hat. Im Verhältnis dazu hat der Bundesminister - wie er in seinem Schriftsatz vom 2. September 2011 bekräftigt - Zweifel an der aktuellen Leistungsstärke des Antragstellers allein aus dessen fehlender planmäßiger Beurteilung zum selben Beurteilungsstichtag abgeleitet. Dieses Verfahren widerspricht den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Eignungs- und Leistungsvergleichs am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 3 Abs. 1 SG.

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Fehlt für den - zur Auswahlentscheidung relativ - aktuellsten Beurteilungsstichtag bei einem der Bewerber eine planmäßige dienstliche Beurteilung, kann aus diesem Umstand kein Rückschluss auf seinen aktuellen Leistungsstand gezogen werden. Es fehlt generell die Basis dafür, bei diesem Bewerber gleichsam "fiktiv" einen bestimmten absoluten Leistungsstand oder ein im Verhältnis zu dem Mitbewerber/den Mitbewerbern relatives Leistungsbild zu unterstellen. Dabei ist es ohne Bedeutung für den Eignungs- und Leistungsvergleich, ob das Fehlen einer planmäßigen Beurteilung auf schlichtem Unterbleiben oder darauf beruht, dass die zunächst erstellte Beurteilung nachträglich aufgehoben worden ist. Ist sie aufgehoben worden, können in ihr ursprünglich dokumentierte Aussagen und Wertungen, insbesondere auch Aussagen über die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten, für einen anstehenden Eignungs- und Leistungsvergleich nicht verwertet werden.

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Eine "fiktive" Bewertung des Leistungsstandes kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn ein Soldat zu bestimmten Vorlageterminen nicht planmäßig zu beurteilen ist (z.B. wegen Beurlaubung zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit oder wegen einer personalvertretungsrechtlichen Freistellung vom Dienst, vgl. Nr. 205 Buchst. a Nr. 6 und 7 ZDv 20/6), und wenn das Bundesministerium der Verteidigung für diese Fälle eine "fiktive Nachzeichnung" von Beurteilungsinhalten angeordnet hat (vgl. dazu Beschlüsse vom 15. Oktober 1996 - BVerwG 1 WB 30.96 - und vom 27. Januar 1998 - BVerwG 1 WB 51.97 - Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 1). Bei dieser Sachlage haben die beurteilenden Vorgesetzten bzw. die personalbearbeitenden Stellen die fiktiv fortgeschriebenen Beurteilungsinhalte zu dokumentieren. Die Voraussetzungen für eine solche fiktive Bewertung des Leistungsstandes waren im Fall des Antragstellers indessen nicht gegeben.

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Die zuständige Personalführung hätte deshalb für den Antragsteller eine aktuelle Sonderbeurteilung nach Nr. 206 ZDv 20/6 anfordern und im Rahmen des Auswahlverfahrens in den Eignungs- und Leistungsvergleich mit den anderen Kandidaten einbeziehen müssen.

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Nach der Rechtsprechung des Senats (dazu ausführlich: Beschluss vom 24. Mai 2011 - BVerwG 1 WB 59.10 - Rn. 37 ) bestehen nach der derzeitigen Ausgestaltung der Beurteilungsbestimmungen in der ZDv 20/6 keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen Vergleich der Aussagen und Wertungen in einer planmäßigen Beurteilung mit solchen in einer Sonderbeurteilung, sofern im Übrigen die Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Beurteilungen - wie etwa hinsichtlich der Beurteilungszeiträume und -stichtage - gewahrt sind.

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Der Hinweis im Beschwerdebescheid, mit Rücksicht auf Nr. 1103 Buchst. c ZDv 20/6 dürfe einer Personalentscheidung eine Beurteilung erst dann zugrunde gelegt werden, wenn das entsprechende Beurteilungsverfahren bestandskräftig abgeschlossen und die Beurteilung von der personalbearbeitenden Stelle abschließend geprüft worden sei, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Der Senat hat im zitierten Beschluss vom 24. Mai 2011 (Rn. 38 bis Rn. 41) im Einzelnen ausgeführt, dass dienstliche Beurteilungen eines Soldaten ungeachtet der Frage ihrer Bestandskraft in Auswahlverfahren verwendet werden dürfen; die Verwaltungsvorschrift in Nr. 1103 Buchst. c ZDv 20/6 kann demgegenüber den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bestenauslese nicht modifizieren und ist, soweit sie dem entgegensteht, unbeachtlich.

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Die Erwägungen im Beschwerdebescheid, mit denen ein Leistungsvorsprung des Beigeladenen unter Berücksichtigung früherer planmäßiger Beurteilungen untermauert werden soll, vermögen die getroffene Auswahlentscheidung nicht zu stützen. Wie dargelegt, können zur abgerundeten Bewertung des Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität auch die jeweils vorletzten und vorvorletzten planmäßigen Beurteilungen der betrachteten Bewerber einbezogen werden. Dabei darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass für die Auswahlentscheidung der aktuelle und nicht ein in der Vergangenheit liegender Leistungsstand maßgeblich ist. Entscheidend ist insoweit, dass die vorletzten und vorvorletzten Beurteilungen nicht isoliert, sondern lediglich in Bezug auf das durch die letzte Beurteilung dokumentierte aktuelle Leistungsbild zu sehen sind (Beschluss vom 25. März 2010 a.a.O., Rn. 30). Eine derartige Betrachtung früherer Beurteilungen scheidet demnach aus, wenn in dem vorzunehmenden Eignungs- und Leistungsvergleich für einen der Bewerber eine aktuelle planmäßige Beurteilung fehlt. Dann existiert keine Grundlage für Rückschlüsse und Prognosen aus einer aktuellen planmäßigen Beurteilung, die im Rahmen des Bewerbervergleichs mit früheren Bewertungen abrundend verknüpft werden könnten.

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