Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WD 4/17

Tatbestand

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Entscheidungsgründe

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1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten und Widerspruch gegen die Beteiligung der Vertrauensperson mit Verfügung des Kommandeurs ... vom 12. Juni 2013, dem Soldaten ausgehändigt am 13. Juni 2013, eingeleitet worden. Nach Verzicht auf das Schlussgehör hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 18. Februar 2014, zugestellt am 5. März 2014, ein Dienstvergehen zur Last gelegt. Durch Nachtragsanschuldigung vom 4. November 2016, dem Soldaten in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht am 8. November 2016 übergeben, sind zusätzlich Hilfsanschuldigungen erhoben worden.

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2. Die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 14. Dezember 2016 gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens eine Bezügekürzung um 1/20 für die Dauer von 9 Monaten verhängt. Die Vorinstanz hat den Soldaten von einem Teil der Vorwürfe freigestellt. Sie hat aber auf der Grundlage der Nachtragsanschuldigung festgestellt, dass der Soldat durch Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit zwei Dienstreisen - und zwar im Mai 2011 nach K. und im Oktober/November 2012 nach E. - vorsätzlich ein Dienstvergehen begangen habe.

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Er habe anlässlich der Dienstreise im Mai 2011 nach K. eine Soldatin im Dienstfahrzeug mitgenommen, um dieser einen privaten Krankenbesuch bei einem einsatzverwundeten Kameraden zu ermöglichen. Hierfür habe er entgegen der ihm bekannten Bestimmungen in Nr. 436 ZDv 43/2 weder die Genehmigung des die Dienstreise anordnenden Vorgesetzten eingeholt, noch diesen nach Durchführung der Fahrt informiert. Er habe die Mitnahme der Kameradin auch nicht als "Besonderes Vorkommnis" im Fahrauftrag vermerkt. Damit habe er vorsätzlich seine Dienstpflichten verletzt, seinen Vorgesetzten zu gehorchen (§ 11 Satz 1 SG) und durch sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erforderten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Wegen der Einhaltung von Mindestruhezeiten sei es zwar gerechtfertigt gewesen, dass der Soldat die Rückreise aus K. für eine Übernachtung an seinem Wohnort unterbrochen habe. Den Bestimmungen in Anlage 16/7, Teil IV, Ziffer 4.1, ZDv 43/2 habe es aber widersprochen, Hin- und Rückfahrt nach K. nicht getrennt in den Fahrauftrag einzutragen, obwohl der Soldat in K. mehr als 30 Minuten an einer Kontingentierungsbesprechung teilgenommen habe. Anlage 16/6, Teil III, Ziffer 3.1 der ZDv 43/2 sei dadurch verletzt, dass der Soldat die nach seiner Einschätzung notwendigen Abweichungen von der Fahrstrecke und dem Dienstreiseverlauf nicht in den Fahrauftrag eingetragen und hierüber den die Dienstreise anordnenden Vorgesetzten auch nicht nachträglich informiert habe. Damit habe er vorsätzlich die Gehorsamspflicht (§ 11 Satz 1 SG) und die Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt.

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Der Soldat habe bei seiner Reisekostenabrechnung vom 20. Juni 2011 für die die Dienstreise nach K. unter billigender Inkaufnahme einer Falschangabe wahrheitswidrig erklärt, die Dienstreise nach K. so wie angeordnet in der Kaserne beendet zu haben. Damit habe er zumindest bedingt vorsätzlich die Gehorsamspflicht (§ 11 Satz 1 SG), die Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) und die Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt.

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Die Rückfahrt nach der Dienstreise nach E. im Oktober/ November 2012 habe der Soldat zwar berechtigt an seinem Wohnort unterbrochen, weil er erkrankungsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, die Gesamtfahrstrecke zurück nach B. zu absolvieren. Dass er dies aber weder wie von der einschlägigen Vorschrift der ZDv 43/2 vorgesehen im Fahrauftrag vermerkt noch seinen Vorgesetzten nachträglich von der Abweichung von der Fahrstrecke und vom vorgesehenen Reiseverlauf informiert habe, habe vorsätzlich die Gehorsamspflicht (§ 11 Satz 1 SG) und die Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt.

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Das Dienstvergehen wiege nicht leicht und erfordere eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme. Mit der Gehorsamspflicht sei wiederholt eine zentrale soldatische Pflicht verletzt. Auch die Wahrheitspflicht habe im militärischen Bereich hohe Bedeutung und sei eine soldatische Kernpflicht. Die Wohlverhaltenspflicht habe ebenfalls hohe Bedeutung für den militärischen Dienstbetrieb und den Einsatz eines Soldaten. Die Schwere des Fehlverhaltens werde dadurch gekennzeichnet, dass der Soldat als Oberstleutnant und Leiter im ... versagt und so entgegen § 10 Abs. 1 SG ein schlechtes Beispiel gegeben habe. Sein Verschulden werde durch Vorsatz geprägt. Zu berücksichtigen sei auch, dass 2012 gegen den Soldaten bereits wegen der Verletzung der Pflichten aus § 10 Abs. 3, § 10 Abs. 6, § 12 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG ein Beförderungsverbot verhängt worden sei. Trotz laufender Vorermittlungen habe er im Mai 2011 eine Pflichtverletzung begangen, obwohl in dem Disziplinarverfahren 2012 wegen der pflichtenmahnenden Wirkung des Verfahrens von einer zusätzlichen Kürzung der Dienstbezüge Abstand genommen worden sei. Milderungsgründe in der Tat gebe es nicht. Der Soldat habe sich auch nicht in einer unverschuldeten Stresssituation befunden. Zu seinen Gunsten sei das Fehlen gravierender Folgen zu berücksichtigen. Seine Beweggründe ließen sein Fehlverhalten nicht in einem milderen Licht erscheinen. Er habe aber von einer Akzeptanz seines Vorgehens durch seinen damaligen Vorgesetzten ausgehen können und sei dadurch zu dem Fehlverhalten verführt worden. Ihm sei jedenfalls vorzuwerfen, dass er die Abweichungen nicht in den Fahraufträgen bzw. in der Reisekostenabrechnung vermerkt habe. Zu berücksichtigen seien seine hervorragenden Leistungen und eine bemerkenswerte Nachbewährung. Dies und die genannten Milderungsgründe ließen die verhängte Maßnahme angemessen und erforderlich erscheinen. Dabei seien general- und spezialpräventive Erwägungen maßgeblich.

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3. Gegen das ihm am 12. Januar 2017 zugestellte Urteil hat der Soldat am 13. Februar 2017 Berufung eingelegt und sie mit Schriftsatz vom 26. Juni 2017 auf die Bemessung der Maßnahme beschränkt. Die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme sei nach dem Gewicht des festgestellten Fehlverhaltens unverhältnismäßig. Der Soldat hätte davon ausgehen dürfen, dass eine Genehmigung für die Mitnahme der Kameradin im Dienstwagen stillschweigend erteilt sei. Die Kameradin habe einen einsatzverwundeten Kameraden in einem Bundeswehrkrankenhaus besucht. Dies sei zwar nicht dienstlich, aber doch dienstnah gewesen und hätte keine zusätzlichen Kosten verursacht. Ebenso verhalte es sich mit den nicht ordnungsgemäßen Eintragungen im Fahrauftrag. Der Soldat habe auf einen Spielraum bei der Nutzung von Dienstwagen vertraut. Zugunsten des Soldaten müssten seine Auszeichnungen, sein Leistungsbild und die förmlichen Anerkennungen sowie das Leumundszeugnis seiner Vorgesetzten stärker berücksichtigt werden. Außerdem habe er wegen des Ermittlungsverfahrens drei Jahre lang faktisch einem Beförderungsverbot unterlegen. Jede weitere Maßnahme sei unverhältnismäßig.

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Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Das gerichtliche Disziplinarverfahren wird mit der in der Berufungshauptverhandlung erklärten Zustimmung des Bundeswehrdisziplinaranwaltes nach § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO, § 123 Satz 3 WDO eingestellt. Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme war jedoch nicht mehr angebracht.

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1. Dass der Soldat ein Dienstvergehen begangen hat, ist infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß nicht durch den Senat festzustellen. Vielmehr ist dies bereits durch das truppendienstgerichtliche Urteil festgestellt worden. Die oben wiedergegebenen Schuldfeststellungen des Urteils der Vorinstanz sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit bindend. Daher ist das Urteil der Vorinstanz auch nicht aufzuheben, sondern nur abzuändern. Die Feststellung des Vorliegens eines Dienstvergehens in diesem Urteil hat Bestand (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 WD 14.13 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 46 Rn. 39).

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2. Der Begriff des "Angebrachtseins" in § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO eröffnet den Weg zu einer Opportunitätsentscheidung in Abwägung der Gründe in der Person des Soldaten, der Art und Weise des Dienstvergehens und seinen Auswirkungen mit den Interessen des Dienstherrn an der Aufrechterhaltung der Disziplin in den Streitkräften (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2013 - 2 WD 25.11 - Rn. 65; Dau/Schütz, WDO, Kommentar, 7. Aufl. 2017, § 108 Rn. 10). Es ist angebracht, von der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn die Auswirkungen des Disziplinarverfahrens bereits eine pflichtenmahnende Wirkung gezeitigt haben, die das Maß der Pflichtenmahnung der an sich gebotenen Maßnahme erreichen und auch unter generalpräventiven Aspekten den Zwecken des Verfahrens Genüge tun (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2013 a.a.O. Rn. 66).

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Hier hat die Überlänge des Verfahrens Auswirkungen gezeitigt, die seine pflichtenmahnende Wirkung so sehr verstärken, sodass sie die Wirkung der an sich gebotenen Maßnahme erreichen und geeignet sind, den Soldaten künftig zur Erfüllung seiner Dienstpflichten anzuhalten. Unter spezialpräventiven Aspekten ist daher eine weitere Maßnahme nicht mehr erforderlich. Generalpräventiven Verfahrenszielen wird durch die Feststellung des Dienstvergehens durch das Truppendienstgericht und die nachfolgenden Erwägungen zu der tat- und schuldangemessenen Maßnahme Rechnung getragen.

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a) Bei der Bestimmung von Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

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aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen nicht ganz leicht, weil zentrale soldatische Pflichten in Rede stehen, ein Stabsoffizier versagt hat und dies mehrfach sowie zum Teil während laufender Ermittlungen eines vorangegangenen Disziplinarverfahrens, zum Teil während eines in dem vorangegangenen Verfahren verhängten Beförderungsverbotes geschah.

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Die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) gehört zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden Soldaten (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 2 WD 16.12 - juris Rn. 48). Alle Streitkräfte beruhen auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Vorsätzlicher Ungehorsam stellt daher stets ein sehr ernstzunehmendes Dienstvergehen dar (BVerwG, Urteil vom 16. März 2011 - 2 WD 40.09 - Rn. 52 m.w.N.). Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr in Frage gestellt sein.

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Die Bedeutung der Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) kommt schon darin zum Ausdruck, dass diese - anders als z.B. bei Beamten - für Soldaten gesetzlich ausdrücklich geregelt ist. Wer als Soldat in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, lässt unmissverständlich erkennen, dass seine Bereitschaft zur Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht im gebotenen Umfang vorhanden ist. Eine solche Dienstpflichtverletzung und die daraus folgende Beschädigung seiner persönlichen Integrität haben damit erhebliche Bedeutung für die militärische Verwendungsfähigkeit eines Soldaten (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2011 - 2 WD 4.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO Nr. 6 Rn. 23. m.w.N.).

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Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) hat wegen ihres funktionalen Bezuges zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs Gewicht. Dabei kommt es nur darauf an, ob das festgestellte Verhalten - wie hier - geeignet war, die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit zu beeinträchtigen (stRspr, BVerwG, z.B. Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).

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Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberstleutnant in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VorgV). Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht - wie hier - das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 2009 - 2 WD 7.08 - Rn. 57 m.w.N., vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 30).

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Eigenart und Schwere bestimmende Tatumstände sind auch, dass die die Dienstreise nach K. im Mai 2011 betreffenden Pflichtverletzung während der Vorermittlungen wegen des Dienstvergehens erfolgten, das durch Urteil der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 11. März 2012 geahndet wurde, und dass die die Dienstreise nach E. im Oktober/November 2012 betreffenden Pflichtverletzung in einem Zeitraum erfolgten, in dem auf den Soldat durch das Beförderungsverbot pflichtenmahnend eingewirkt wurde.

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b) Das Dienstvergehen hatte allerdings keine negativen Auswirkungen für den Dienstbetrieb und die wirtschaftlichen Interessen des Dienstherrn. Auch Kameraden wurden nicht geschädigt.

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c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen für ihn, soweit er von dem Bestreben geleitet war, einer Kameradin einen Krankenbesuch bei einem im Einsatz verletzten Kameraden zu ermöglichen. Insoweit hat er aus kameradschaftlichen Motiven gehandelt. Soweit er allerdings aus Nachlässigkeit Genehmigungs-, Informations- und Dokumentationspflichten vernachlässigt hat, sind keine für den Soldaten sprechenden Beweggründe feststellbar.

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d) Das Maß der Schuld des Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er jeweils zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Erhebliche Schuldmilderungsgründe in den Umständen der Tat (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. September 2008 - 2 WD 18.07 - m.w.N.) liegen nicht vor. Insbesondere kann sich der Soldat nicht auf ein Mitverschulden eines Vorgesetzten in der Form einer mangelhaften Dienstaufsicht über die Einhaltung der Vorschriften zu Dienstreisen und Fahraufträgen berufen, da er über lange Jahre an Diensterfahrung verfügt und mit der Erlasslage vertraut ist, sodass keine Überforderungssituation vorlag (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 2003 - 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2 S. 10 und vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 37).

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e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sind dem Soldaten die sehr guten Leistungen der Vergangenheit zugute zu halten. Der Senat berücksichtigt zu seinen Gunsten auch eine Nachbewährung (BVerwG, Urteile vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48 und vom 16. Februar 2017 - 2 WD 14.16 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 53 LS und Rn. 40). Eine entsprechende Leistungsentwicklung belegt bereits der Vergleich der Durchschnittsbewertung für die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten in der letzten Regel- und der Sonderbeurteilung. Sie ist aber auch den Erläuterungen des aktuellen Disziplinarvorgesetzten in der Berufungshauptverhandlung zu entnehmen gewesen.

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Gegen den Soldaten spricht allerdings, dass er disziplinarisch vorbelastet ist. Das Gewicht dieses gegen den Soldaten sprechenden Aspektes wird allerdings dadurch herabgesetzt, dass die Vorbelastung nicht aus gleichartiger Pflichtverletzung herrührt.

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f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme nicht mehr angebracht, weil der tat- und schuldangemessenen Maßnahme mit der besonderen pflichtenmahnenden Wirkung des entgegen Art. 6 EMRK überlangen Verfahrens ein mildernder Aspekt von erheblichem Gewicht gegenüber steht.

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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 - juris Rn. 36 f.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

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aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

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Da die Gehorsamspflicht (§ 11 SG) mehrfach wiederholt verletzt wurde, liegt in der Verletzung dieser Pflicht der Schwerpunkt des Dienstvergehens. Der Senat hat die Verletzung der Gehorsamspflicht je nach Schwere des Verstoßes mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder auch einer Dienstgradherabsetzung geahndet (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 2007 - 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und vom 23. Juni 2011 - 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.) und bei einer Kombination von Pflichtverletzungen den Umständen des Falles auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen einzelfallbezogen Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - Rn. 87 ff.). Dabei hat er das disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher eingestuft, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben von Kameraden, sind (BVerwG, Urteil vom 23. April 2015 - 2 WD 7.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 48 Rn. 51 ff. m.w.N.).

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Die Befehle der ZDv 43/2 betreffen nicht die Sicherheit von Leib und Leben von Soldaten oder Zivilpersonen, sodass hier ein Befehl von geringerer Bedeutung in Rede steht. Die Befehle dienen aber dem Interesse des Bundes an einem wirtschaftlichen und sparsamen Einsatz öffentlicher Mittel, indem sie den Einsatz von Dienstwagen für dienstliche Zwecke nachvollziehbar und überprüfbar machen und so der Zweckentfremdung dienstlicher Mittel vorbeugen. Soweit die Mitnahme von privat reisenden Dritten geregelt ist, steht im Hinblick auf versicherungsrechtliche und Haftungsfragen ebenfalls die sparsame Verwendung öffentlicher Gelder in Rede. Die mehrfache Missachtung von Befehlen mit diesem Gegenstand durch einen Stabsoffizier bedarf aber jedenfalls keiner schwereren Maßnahmeart als einer Bezügekürzung, sofern auf der ersten Stufe überhaupt eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Betracht kommt. Für eine mildere Maßnahmeart spricht, dass die in Rede stehenden Pflichtverletzungen nicht durch finanziellen Eigennutz geprägt sind: Der Soldat hat dadurch nicht sich selbst oder andere bereichert oder dies beabsichtigt, sodass keine Vergleichbarkeit mit einem Zugriffsdelikt besteht. Seinem pflichtwidrigen Verhalten fehlt die strafrechtliche Relevanz. Es handelt sich lediglich um eine Schlechtleistung bei der Erfüllung von Genehmigungs-, Dokumentations- und Informationspflichten. Die Pflichtverletzungen betreffen zudem nicht den Kernbereich seiner militärischen Tätigkeit, sondern den Randbereich der Dienstreiseabwicklung. Trotz wesentlich umfangreicherer Reisetätigkeit und Nachprüfung einer Vielzahl von Reisebelegen sind dokumentarische und informationelle Pflichtverletzungen nur bei zwei mehr als ein Jahr auseinander liegenden Dienstreisen festzustellen.

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bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.

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Danach kommt vorliegend nur die Annahme eines leichten Falls in Betracht. Zwar ist erschwerend zum einen der Vorbelastung des Soldaten zum anderen aber auch der trotz ihres erheblichen Gewichts bei der Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen noch nicht berücksichtigten Verletzung der Wahrheitspflicht Rechnung zu tragen. Diesen Aspekten stehen allerdings mildernd die zum Teil kameradschaftliche Motivation seines Dienstvergehens und die für ihn sprechenden Aspekte von Leistung und Nachbewährung gegenüber. Auf dieser Stufe der Bemessungserwägungen wäre mildernd auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass lediglich ein Unterlassen korrekter Dokumentation und Information zu sanktionieren ist. Der hier zu sanktionierende Ungehorsam wird durch Nachlässigkeit und Bequemlichkeit, nicht aber durch eine grundsätzliche Ablehnung des Prinzips von Befehl und Gehorsam und der den Befehl enthaltenden Dienstanweisung geprägt.

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cc) Jedenfalls berücksichtigt der Senat zugunsten des früheren Soldaten zusätzlich eine um fast zwei Jahre überlange Verfahrensdauer und sieht deshalb von der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme aus Opportunitätsgründen ab. Eine Verletzung der auch vom Rechtsstaatsgebot garantierten Gewährleistung einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist i.S. des Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen, die wie die von der Vorinstanz verhängte Bezügekürzung der Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern können (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2003 - 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn. 18, vom 26. September 2006 - 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>, vom 13. März 2008 - 2 WD 6.07 - juris Rn. 116, vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - juris Rn. 122, vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 47, vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 39 f. m.w.N. sowie vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - Rn. 62).

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Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 36). Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich und es ist nicht auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte abzustellen, unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 <154> Rn. 29). Dabei ist im Hinblick auf das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) der Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung zu beachten.

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Hier kann offenbleiben, ob die Verfahrensdauer eines Disziplinarverfahrens ab der förmlichen Einleitung zu berücksichtigen ist (so EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 LS), mithin hier ab Juni 2013 oder - wegen der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO - erst ab Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht im Februar 2014. Denn im Ermittlungsverfahren ist das Verfahren kontinuierlich insbesondere durch Zeugenvernehmungen gefördert worden. Nach Einreichung der Anschuldigungsschrift hatte der Vorsitzende der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd einen Disziplinargerichtsbescheid angekündigt, dessen Erlass die Wehrdisziplinaranwaltschaft Ende Februar 2014 allerdings widersprochen hatte. Danach ist das Verfahren nicht weiter gefördert worden, ehe es nach einer Änderung der Geschäftsverteilung im Truppendienstgericht Süd im Januar 2016 in die Zuständigkeit der 3. Kammer gelangte. Dort wurden im August 2016 die Termine für die Hauptverhandlung festgesetzt und vierzehn Zeugen zu dieser geladen. Schon im Hinblick auf die hohe Zahl der zur Sachaufklärung erforderlichen Zeugen handelte es sich um ein in tatsächlicher Hinsicht nicht einfaches Verfahren, das einen überdurchschnittlichen Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung mit sich brachte. Dass das Verfahren allerdings zwischen März 2014 und Januar 2016 gar nicht gefördert wurde, ist senatsbekannten Umständen - nämlich der Überlastung der Kammer, dem Ruhestand des Vorsitzenden Richters der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd und der Vakanz dieses Dienstpostens - geschuldet, die in die staatliche Verantwortungssphäre fallen und daher maßnahmemildernd zu berücksichtigen sind.

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In der Zeit, in der das Verfahren aus nicht in die Verantwortung des Soldaten fallenden Gründen nicht weiter gefördert werden konnte, unterlag er im Hinblick auf das Förderungsverbot aus der ZDv 20/7 Nr. 135 bzw. A-1340/49 Abschnitt 2.5.4 einem faktischen Beförderungsverbot. Nach der glaubhaften Aussage des aktuellen Disziplinarvorgesetzten, hätte der Soldat bereits seit 2012 die Voraussetzungen für eine Versetzung auf einen höherwertigen Dienstposten erfüllt. Damit hat sich das faktische Beförderungsverbot hier konkret auf sein dienstliches Fortkommen ausgewirkt. Dieser Umstand hat in besonderer Weise pflichtenmahnende Wirkung und im Hinblick auf die zwischenzeitlich erreichte Länge des faktischen Beförderungsverbotes ein Gewicht, das der Wirkung der von der Vorinstanz verhängten Bezügekürzung gleichkommt.

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Da die Pflichtverletzungen bereits mehr als vier Jahre zurückliegen und durch das gerichtliche Disziplinarverfahren, nicht zuletzt die bindenden Feststellungen des Urteils der Vorinstanz und die Bemessungserwägungen dieses Urteils, deutlich wird, dass Pflichtverletzungen der vom Soldaten begangenen Art grundsätzlich nicht geduldet werden, werden durch die Einstellung des Verfahrens auch generalpräventive Erwägungen nicht vernachlässigt (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. April 2008 - 2 WD 13.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 25 Rn. 55 und vom 17. Januar 2013 - 2 WD 25.11 - Rn. 87).

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 3 und 4, § 140 Abs. 1 WDO.

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