Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 C 16/19

Tenor

Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 23. April 2020 wird aufrechterhalten.

Gründe

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Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 23. April 2020 wird aufrechterhalten, weil die in ihm an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Fragen durch dessen Urteil vom 16. Juli 2020 in den verbundenen Rechtssachen C-133/19, C-136/19 und C-137/19 (B. M. M. u.a./Belgischer Staat) aus Sicht des Gerichts nicht (hinreichend eindeutig) beantwortet worden sind.

2

1. Nach dem Urteil vom 16. Juli 2020 ist Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c RL 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung dahin auszulegen, dass der Zeitpunkt, auf den abzustellen ist, um zu bestimmen, ob ein unverheirateter Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser ein minderjähriges Kind im Sinne dieser Bestimmung ist, derjenige Zeitpunkt ist, zu dem der Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung für minderjährige Kinder gestellt wird, und nicht derjenige Zeitpunkt, zu dem durch die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, gegebenenfalls nachdem ein Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines solchen Antrags eingelegt wurde, über den Antrag entschieden wird. Die im vorliegenden Fall gestellte Vorlagefrage 1 ist damit aber nur auf den ersten Blick beantwortet. Denn dem Urteil vom 16. Juli 2020 ist nicht zu entnehmen, ob der Gerichtshof darin die hier aufgeworfene Frage, ob beim Kindernachzug zu einem als Flüchtling anerkannten Elternteil auf einen noch früheren Zeitpunkt, nämlich denjenigen der Asylantragstellung, abzustellen ist, überhaupt erwogen hat. Diese Frage war im Verfahren der verbundenen Rechtssachen C-133/19, C-136/19 und C-137/19 nicht entscheidungserheblich und vom dort vorlegenden Gericht auch nicht gestellt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hält es deshalb für unklar, ob mit dem Urteil in diesen Rechtssachen die dort unerhebliche Frage, ob für die Minderjährigkeit beim Nachzug zu Flüchtlingen ein früherer Zeitpunkt als der der Stellung des Antrags auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung maßgeblich ist, im verneinenden Sinne mitbeantwortet werden sollte, zumal es dafür in dem Urteil an jeder Begründung fehlt. Alle dort angeführten Argumente zielen auf die Begründung, warum es für die Minderjährigkeit des Kindes nicht auf den späten Zeitpunkt der Entscheidung ankommen kann, sondern es ausreichen muss, wenn das Kind im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung minderjährig ist. Daraus ergibt sich nicht, weshalb nicht schon ein früherer Zeitpunkt maßgeblich sein kann. Dies widerspräche zwar dem deutschen Recht. Ein gegenteiliger Inhalt des Unionsrechts ist für das vorlegende Gericht aber mit Blick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 12. April 2018 - C-550/16 [ECLI:EU:C:2018:248], A und S -, das der Grund für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen war, weiterhin nicht auszuschließen, zumal der Gerichtshof im Urteil vom 16. Juli 2020 zur Begründung in erster Linie die Grundsätze der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit heranzieht und insoweit die Argumentation aus dem Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16, A und S - und auf die umgekehrte Fallgestaltung des Kindesnachzugs überträgt (Rn. 42 des Urteils vom 16. Juli 2020). In jenem Urteil hatte der Gerichtshof für den Elternnachzug indes ausdrücklich auf den frühen Zeitpunkt der Asylantragstellung des (unbegleiteten minderjährigen) Flüchtlings abgestellt und erklärt, dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung komme keinerlei Bedeutung zu (Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16, A und S - Rn. 64).

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2. Die Vorlagefragen zu 2. sind ebenfalls aufrechtzuerhalten, weil sich das Urteil des Gerichtshofs vom 16. Juli 2020 zu diesen nicht verhält.

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